KAPITEL 11
Die letzten Wochen waren eine überraschend friedliche Zeit gewesen. Ich hatte mich an den Namen „Ai" gewöhnt und fand, dass er perfekt zu mir passte. Es war ein Name, der sowohl Zärtlichkeit als auch Bedeutung trug. Sanemi und ich hatten uns besser verstanden, und ich bemerkte, dass ich tatsächlich öfter lachte. Seine neuerliche Sanftheit hatte etwas in mir geweckt, das mir half, meine eigene Freude wiederzufinden.
Eines Tages, als ich gerade dabei war, in der Küche das Abendessen vorzubereiten, hörte ich plötzlich laute Geräusche aus dem Garten. Es klang wie ein intensiver Kampf, und ich schob das Fenster auf, um nachzusehen. Was ich dort sah, ließ mich völlig verblüfft.
Sanemi kämpfte gegen einen Jungen, der ungefähr in meinem Alter war. Der Junge schien es mit Sanemi aufzunehmen, was beeindruckend war, aber der Kampf war eindeutig gewalttätig. Sanemi schlug und trat, während der Junge sich tapfer wehrte. „Sanemi! Was ist hier los?" rief ich, als ich die Szene erkannte.
„Hör auf!", schrie der Junge. „Du bist mein Bruder!"
Sanemi brüllte zurück, während er einen weiteren Schlag austeilte. „Ich habe keinen kleinen Bruder!"
Ich konnte es kaum fassen. Was geschah hier? Sanemi hatte mir nie erzählt, dass er einen Bruder hatte. War das alles nur ein Missverständnis?
„Sanemi!" rief ich erneut, aber die Kampfgeräusche wurden lauter, und Sanemi schien mir nicht zuzuhören. „Sanemi, dein Reis ist fertig!"
Auf dieses unerwartete Kommando reagierte Sanemi sofort. Er stoppte abrupt und stürmte in Richtung unseres Hauses, als ob er gerade eine wichtige Aufgabe hätte. Der Junge, der anscheinend Genya hieß, kehrte sofort zurück, um sich von mir etwas Hilfe zu holen.
„Danke", sagte Genya, während er sich mühsam aufrappelte und die Schrammen auf seinem Gesicht abwischte. „Danke, dass du dich um mich kümmerst. Ich wollte nicht, dass es so endet."
„Kein Problem", antwortete ich, während ich ihm ein wenig Wasser anbot. „Aber was war das gerade? Warum kämpfst du mit Sanemi?"
Genya seufzte und nahm das Wasser dankbar an. „Das ist eine lange Geschichte. Ich bin Genya Shinazugawa, und ich bin tatsächlich Sanemis Bruder. Aber wir haben einige Differenzen. Es ist kompliziert."
„Das ist offensichtlich", sagte ich, während ich ihn ansah. „Aber wieso hat Sanemi gesagt, dass er keinen Bruder hat?"
„Es ist eine Sache der Vergangenheit", erklärte Genya, während er sich setzte, um sich etwas auszuruhen. „Sanemi hat sich von unserer Familie entfremdet, als wir noch jünger waren. Er hat viel durchgemacht, und ich nehme an, er versucht, alte Wunden zu vergessen. Aber ich wollte einfach nur wieder Kontakt zu ihm aufnehmen."
„Das tut mir leid zu hören", sagte ich mitfühlend. „Aber ich bin sicher, dass es einen Weg gibt, die Dinge zu klären. Sanemi ist jetzt anders als früher."
Genya nickte langsam. „Ja, das habe ich gemerkt. Ich hoffe, dass ich es schaffe, ihn wieder in mein Leben zurückzuholen, auch wenn es schwierig ist."
In diesem Moment kam Sanemi zurück, der nun ein wenig ruhiger wirkte. Er hatte sich offensichtlich beruhigt, aber sein Gesicht zeigte immer noch die Spuren des Kampfes.
„Was machst du hier?", fragte Sanemi, als er sich zu uns gesellte. „Warum kämpfst du mit Genya?"
„Ich wollte einfach nur mit dir reden", sagte Genya ruhig, während er Sanemi ansah. „Aber es scheint, dass wir nicht gerade den besten Start erwischt haben."
Sanemi schnaubte und sah zur Seite. „Ich wollte nicht, dass du hier auftauchst. Es ist schwierig für mich, über die Vergangenheit zu reden, und ich dachte, ich könnte sie hinter mir lassen."
„Aber du kannst sie nicht einfach ignorieren", sagte Genya mit einer leisen, aber festen Stimme. „Unsere Familie gehört zur Vergangenheit, genauso wie sie zur Zukunft gehört. Wir müssen uns einigen, um voranzukommen."
„Ich... ich weiß nicht", murmelte Sanemi und wirkte nachdenklich. „Es ist einfach schwierig. Es ist leichter, die Dinge zu vergessen und weiterzumachen."
„Das mag sein", antwortete Genya, „aber es ist auch wichtig, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Wir können nicht einfach so tun, als ob sie nicht existiert."
„Du hast recht", sagte Sanemi schließlich und seufzte tief. „Vielleicht habe ich versucht, die Vergangenheit zu ignorieren, weil sie mir zu viel Schmerz bereitet hat. Aber ich verstehe, dass es nicht der richtige Weg ist, damit umzugehen."
„Das ist ein Anfang", sagte Genya sanft. „Wir müssen uns Zeit nehmen, um unsere Beziehung zu reparieren. Es wird nicht einfach werden, aber ich glaube, dass wir es schaffen können."
Ich stand auf und sah zwischen den beiden Brüdern hin und her. „Ich kann sehen, dass ihr beide viel zu besprechen habt. Vielleicht sollte ich euch etwas Zeit geben, um das unter euch zu klären."
Sanemi nickte dankbar und sagte: „Das wäre vielleicht das Beste. Danke, dass du dich um Genya gekümmert hast. Es bedeutet mir viel."
„Kein Problem", sagte ich und lächelte. „Ich werde das Essen fertig machen und euch Zeit geben."
Als ich mich wieder in die Küche zurückzog, hörte ich, wie sich Sanemi und Genya in der Nähe unterhielten. Es war schwer zu hören, was genau gesagt wurde, aber die Tonlage schien weniger angespannt und mehr nachdenklich zu sein. Es war ein Schritt in die richtige Richtung.
Während ich den Tisch deckte und die letzten Vorbereitungen traf, konnte ich nicht umhin, mich über die unvorhergesehenen Wendungen in unserem Leben nachzudenken. Es war erstaunlich, wie schnell sich Dinge ändern konnten und wie wichtig es war, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen, um einen neuen Weg für die Zukunft zu finden.
Als Sanemi und Genya schließlich ins Haus kamen, war die Atmosphäre zwischen ihnen spürbar entspannter. Es war offensichtlich, dass sie begonnen hatten, ihre Differenzen zu klären und an ihrer Beziehung zu arbeiten.
„Wir haben einiges besprochen", sagte Sanemi, als er sich wieder setzte. „Es wird eine Weile dauern, aber ich glaube, dass wir auf dem richtigen Weg sind."
„Das klingt gut", sagte ich und lächelte. „Es ist schön zu sehen, dass ihr beide daran arbeitet, eure Beziehung zu verbessern."
„Ja, danke für deine Unterstützung", sagte Genya dankbar. „Es bedeutet mir viel."
„Gern geschehen", antwortete ich und servierte das Essen. „Wir sind eine Art Familie geworden, also ist es nur natürlich, dass wir uns gegenseitig unterstützen."
Während wir aßen und uns unterhielten, war es klar, dass die Vergangenheit nicht einfach verschwand, aber wir konnten sie gemeinsam angehen. Es war ein neuer Anfang für Sanemi und Genya, und ich war froh, Teil dieses Prozesses zu sein.
Es war eine schöne Erinnerung daran, dass selbst in den schwierigsten Zeiten die Liebe und das Verständnis zwischen Menschen eine große Rolle spielen können. Der Name „Ai" bekam an diesem Abend eine noch tiefere Bedeutung – nicht nur für mich, sondern auch für die Beziehungen, die wir gemeinsam pflegten und stärkten.
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