Kapitel 4

Mit einem Stöhnen betrachte ich mich im Spiegel und wende mich hin und her. Ich sehe fürchterlich aus. Als würde ich auf ein Bewerbungsgespräch gehen und nicht zu unseren Nachbarn für ein stink normales Abendessen. Frustriert knöpfe ich die Bluse wieder auf und schmeiße sie auf den Haufen Kleider, der sich inzwischen auf meinem Bett gebildet hat. Meinen halben Kleiderschrank habe ich schon durchprobiert, doch kein Outfit passt, um meinem Ex-Schwarm unter die Augen zu treten, dem meine beste Freundin gestern vor die Füße gekotzt hat.

Wahrscheinlich weil es dafür kein geeignetes Outfit gibt.

Mit einem weiteren Stöhnen lasse ich mich auf meinen Teppich plumpsen und lehne mich mit dem Rücken ans Bett. Wieso mache ich mir überhaupt so einen Kopf? Noah interessiert es wohl kaum was ich anziehe, geschwiege denn dass er etwas anderes in mir sieht, als das kleine nervige Mädchen, das immer an seinem Rockzipfel hing.

Ein Kloß steigt mir in den Hals und Gefühle schwappen in mir hoch, von denen ich dachte, ich hätte sie schon vor Monaten hinter mir gelassen. Aber Noah gestern auf einmal gegenüber zu stehen, hat mein Innenleben anscheinend in mein fünfzehnjähriges Ich zurückversetzt. Eine Zeit an die ich ungern denke und die aus viel Herzschmerz und Peinlichkeit bestand.

Ich vergrabe das Gesicht in den Händen und gebe mein Bestes nicht weiter daran zu denken, aber es ist wie bei einem Autounfall. Ich will nicht hinschauen, trotzdem ploppen die Erinnerungen in meinem Kopf auf.

Nachdem Noah auf die weiterführende Schule kam wurde unser Kontakt weniger und weniger. Kein Wunder, immerhin war ich drei Klassenstufen unter ihm und während er mit dem Bus in die Stadt reinfahren musste, lief ich immer noch den gleichen Weg zur Grundschule, den wir schon zu Kindergartenzeiten laufen mussten. Ich konnte es kaum erwarten selbst aufs Gymnasium zu kommen, um endlich wieder mit ihm zur Schule gehen zu können, und war noch viel zu jung, um zu verstehen, dass uns inzwischen bei weitem mehr trennte als ein Schulweg. Es war das eine mit seiner jüngeren Nachbarin nachmittags zu spielen und das andere mit vierzehn von einer Elfjährigen mitten auf dem Schulhof umarmt zu werden. Aber das hat mein jüngeres Ich am ersten Schultag der fünften Klasse reichlich wenig interessiert. Im Nachhinein muss ich sagen, hat Noah sich wie ein Gentleman verhalten. Er hat mich gefragt, wie mein erster Tag bisher war, während seine Freunde im Hintergrund gekichert haben. Trotzdem kam es mir damals wie ein Weltuntergang vor, als er mich nach fünf Minuten abgespeist hat und zu seinen Jungs gegangen ist, während ich betröppelt und mit glühenden Wangen da stand. Es hat ein weiteres Jahr und viele peinliche Begegnungen im Bus gebraucht, bis ich verstanden habe, dass Noah nicht mehr mein Noah ist, sondern nur noch ein alter Bekannter, für den ich aus der Entfernung schwärmte.

Die Erinnerungen lassen mich klein und erbärmlich fühlen und ich ärgere mich, all das nicht einfach hinter mir lassen zu können. Ich bin schon lange nicht mehr dieses kleine Mädchen und allein seitdem Noah mich das letzte Mal gesehen hat, bin ich fünf Zentimeter gewachsen und trage zwei Körbchengrößen größer. Falls ihm also noch nicht gestern aufgefallen ist, dass ich inzwischen eine junge Frau bin, ist es größte Zeit es ihm unter Beweis zu stellen.

Mit gestrafften Schultern stehe ich auf und durchwühle erneut meinen Kleiderschrank.

Vor der Haustür der Millers zu stehen ist wie ein Déjà-vu und ich bin dankbar, dass Mom vorgeht und klingelt, während Tim und ich wie die braven Vorstadtkinder hinter ihr warten. Ich zupfe nicht nervös an meinem Top oder ringe mit meinen Händen, aber ich kann nicht abstreiten, dass meine Finger unruhig kribbeln. Mein Pokerface – eine Mischung aus freundlichem Lächeln und Langeweile – sitzt jedoch perfekt, auch als sich die Tür öffnet und Noah vor uns steht.

Natürlich macht er die Tür auf. Ein paar Sekunden zum Akklimatisieren, bevor ich ihm begegne, wären ja auch zu viel verlangt.

Ich kann nichts dagegen tun, dass mein Blick einmal über ihn wandert und jedes Detail in sich aufsaugt. Von den noch feuchten Locken, über das hellblaue oversized T-Shirt und die zerrissenen grauschwarzen Jeans. Er sieht aus als wäre er gerade erst aus dem Bad gestolpert und leider steht ihm das verdammt gut.

„Noah! Wie schön dich zu sehen, es muss Ewigkeiten her sein, dass wir uns getroffen haben.“

Mom strahlt über das ganze Gesicht und zieht ihn so selbstverständlich in ihre Arme, dass meine Wangen warm werden. Aber Noah lacht nur freundlich und umarmt sie ebenfalls. „Das ist wirklich Ewigkeiten her. Danke, dass ihr euch alle die Zeit genommen habt, heute mit uns zu essen.“

Noahs blaue Augen finden über Moms Schulter meine und es ist als würde für eine Sekunde die Zeit still stehen. Das freudige Funkeln in seinen Augen erlischt und macht Platz für einen Ausdruck, den ich nicht ganz definieren kann. Überraschung? Neugierde? Es hält jedenfalls kaum eine Sekunde an, da schweift sein Blick weiter, taxiert mich so wie ich ihn vor einer Minute, und seine Augenbrauen wandern kritisch zusammen.

Ich widerstehe dem Instinkt an mir hinunterzuschauen. Immerhin weiß ich genau, was ich angezogen habe. Ein hellblaues Croptop auf einer schwarzen Stoffhose, die eng an meiner Hüfte liegt und in breiten Beinen endet. Ich weiß, dass das Outfit meine weiblichen Kurven betont und dass mich die weißen Plateau-Sneaker ein paar Zentimeter größer erscheinen lassen, als ich bin. Ich fühle mich gut in diesem Outfit. Erwachsen, reif, wie ich. Und ich hasse es, dass Noahs Blick mich daran eine Sekunde zweifeln lässt.

Um den Bann zu brechen, der sich um uns geschlungen hat, werfe ich mit einem Räuspern meine Haare über die Schultern und lächle zuckersüß, als meine Mom sich verwundert zu mir umschaut.

„Na dann, kommt doch rein.“ Noahs kritischer Blick ist keine Sekunde später wieder einem freundlichen Lächeln gewichen und wäre da nicht dieser Knoten in meinem Bauch, der sich unsicher zusammengezogen hat, würde ich an mir zweifeln, ob das überhaupt passiert ist.

Mom kommt der Bitte sofort nach und ich überlasse Tim den Vortritt, bevor ich folge. Das scheint Noah auch ganz recht zu sein, denn er nutzt die Chance, schlägt Tim auf die Schulter und geht mit ihm weiter ins Haus hinein, während er kumpelhaft meint: „Alter, bist du groß geworden. Was gibt’s bei dir so Neues?“

Stolpernd bleibe ich stehen, um ihm nicht in den Rücken zu rennen und blinzle verdutzt. Aber Noah dreht sich nicht um oder begrüßt mich zumindest so wie die anderen. Stattdessen muss ich die Tür hinter uns zuziehen und  trottle wie das fünfte Rad am Wagen hinter den anderen her. Der Knoten ballt sich noch fester zusammen, doch ich schenke ihm keine Beachtung. Kann mir doch egal sein, dass Noah früher mein bester Freund war, nicht Tims. Kann mir doch egal sein, dass ich wortwörtlich nur seinen Arsch zu sehen bekomme. Der übrigens echt… Nein, stopp May!

Mit einem tiefen Atemzug richte ich die Augen nach oben und lächle Andrea, Noahs Mutter, an, als diese am Eingang zum Esszimmer auftaucht.

„Oh, da seid ihr ja schon! Pünktlich wie ein Uhrwerk.“ Grinsend umarmt Andrea meine Mom zur Begrüßung. Die beiden treffen sich jede Woche mindestens auf einen Kaffee und die jahrelange Freundschaft ist unverkennbar, als beide lächelnd und mit einem Arm in die Hüfte gestützt zu uns Kindern schauen. Als wären wir ihre kleinen Lämmchen und sie stolz, wie groß wir inzwischen geworden sind.

„Geben sie nicht ein schönes Bild zusammen ab?“, seufzt Andrea und stupst Mom mit ihrem Ellenbogen an.
„Ja, wir haben sie viel zu lange nicht mehr so zusammen gesehen“, entgegnet Mom in einem ähnlich melancholischen Tonfall und ich blicke mich um, in dem Versuch zu sehen, was die beiden sehen. Aber alles was ich entdecken kann, sind drei Menschen, die sich fremd geworden sind. Ja, vielleicht waren wir früher Mal fast wie eine Familie, aber das ist lange her.

„May und Noah haben sich sogar im Partnerlook gekleidet.“ Andrea kichert und überrascht schießt mein Blick zu Noah. Stimmt, wir haben wirklich genau die gleiche Farbkombination an. Wieso ist mir das noch nicht aufgefallen? Vielleicht weil ich zu abgelenkt davon war, wie gut Noah sein Outfit steht.
Noah wiederum sieht nicht sonderlich überrascht aus. Er wirft seiner Mom nur ein mildes Lächeln zu, die verträumt von ihm zu mir schaut.

„Okay, dieser Blick ist gruselig.“

Es kommt selten vor, aber ich gebe Tim nickend recht, als er ganz pubertärer Teenager unsere Mütter kritisch betrachtet und sich an ihnen vorbei ins Esszimmer drängt. Noah und ich folgen ihm auf den Schritt - das einzige Zeichen dafür, dass auch er die Situation unangenehm findet – und stoßen prompt aneinander, da wir gleichzeitig durch die Tür wollen.

„Sorry“, sagen wir asynchron und müssen darauf beide schmunzeln. Dabei treffen sich unsere Blicke und wieder kommt es mir so vor, als würde die Zeit kurz stillstehen. Bis Noah der Atem in einem kleinen Seufzen entweicht und er mir mit zusammengekniffenen Lippen den Vortritt lässt. Mein Herz sinkt und verlegen senke ich den Blick, während ich mit so viel Abstand wie möglich an ihm vorbei gehe. „Danke.“

Ich setze mich auf den Stuhl links von Tim und ein kurzer Stich fährt durch meine Brust, als Noah es sich zu Tims rechter bequem macht. Das ist ganz sicher kein Bedauern. Das würde nämlich heißen, ich hätte erwartet, dass Noah sich zu mir setzt. Und dafür gibt es immerhin keinen Grund.

„Mal wieder perfektes Timing der Familie Bishop. Gebt doch zu, ihr habt von drüben gerochen, dass das Essen fertig ist.“

Ich kann nichts gegen das Lächeln tun, das sich auf meinem Gesicht einstellt, als eine ältere Version von Noah aus der Küche tritt und uns zu zwinkert. Dabei tragen sowohl der Anblick von Noahs Vater, als auch der Geruch nach Lasagne alte Erinnerungen mit sich. An Filmeabende, wenn unsere Mütter ausgegangen sind und wir uns alle zusammen auf die große Couch im Zimmer nebenan gekuschelt haben. An Nachmittage im Garten, die in Abende mit Lasagne und Limo übergegangen sind. Und an Noah mit Zahnlücken-Grinsen, wann auch immer es sein Lieblingsgericht gab.

Mein Blick wandert ohne mein Zutun zu seinem nun perfekten Lächeln. Wahrscheinlich könnte er für Zahnpasta Werbung machen. Man müsste nur noch ein weißes Aufblitzen animieren, sobald er zu lächeln anfängt. Ich vermisse jedoch die Zahnlücken.

Die Lippen aufeinander gepresst starre ich auf den Teller vor mir und schiebe die alten aufgewühlten Gefühle bei Seite. Wir sind keine Kinder mehr und wir werden nach dem Essen auch nicht mehr unsere Eltern anflehen, wieder spielen zu dürfen, um uns kichernd und lachend nach oben in Noahs Zimmer zu verziehen. Also wieso kann ich diese Erinnerungen nicht einfach hinter mir lassen?

„Mhh, das riecht köstlich, Schatz.“

Andrea geht zu ihrem Mann rüber und drückt ihm einen Kuss auf die Wange, der bei jedem anderen Paar kitschig gewirkt hätte. Aber seitdem ich denken kann sind Noahs Eltern das, was sich jeder für seine Ehe wünscht. Kosenamen, Neckereien und Blicke, die von Liebe und Vertrauen sprechen. Ich weiß nicht, ob sich mein Magen aus Bewunderung oder Neid zusammenzieht. Aber ich gebe mein Bestes, nicht an meine Eltern und die letzten gemeinsamen Monate zu denken. Sonst würde der Kontrast mich entweder zum Weinen oder Kotzen bringen.

„Für unseren hohen Besuch habe ich mir natürlich extra Mühe gegeben.“

Vielleicht hat man mir meine Gedanken angesehen, jedenfalls lächelt mich Noahs Dad eine Sekunde länger und breiter an, als die anderen. Und es hilft zumindest soweit, dass ich mit einem tiefen Atemzug meine verspannten Schultern lockern kann, als er die dampfende Auflaufform vor uns abstellt.

„Lass mich raten, May: Für dich ein Eckstück?“

Es ist das erste Mal, seitdem wir hier sind, dass ich mich willkommen und wohl fühle, als Noahs Dad meinen Blick sucht und in seinen Augen die gleichen Erinnerungen stehen, die sich in meinem Kopf abspulen. Und es fühlt sich fast wie früher an, als ich begeistert nicke. Also konzentriere ich mich die nächsten Minuten nur auf das dampfende Stück Lasagne vor mir, während die Welt um mich herum in einen komischen Mischmasch aus Vergangenheit und Gegenwart verfällt. Mom und Andrea, die über Nachbarschaftsklatsch reden. Noah der sich so viel Salz auf sein Essen streut, dass ich mich frage, wie er es überhaupt noch runterbekommt. Und sein Vater, der sich über Fußball unterhält. Nur dass sein Gesprächspartner Tim statt Dad ist, Mom und Andreas Gespräche eine politische Wendung bekommen, als sie auf die Strompreise zu sprechen kommen, und Noah keine Witze mehr reißt, sondern sich fachmännisch in die Diskussion miteinbringt, wie der Erwachsene, der er inzwischen ist. Mein Kopf schwirrt von dieser verwirrenden Mischung und mein Herz weiß schon lange nicht mehr, was es fühlen soll. Aber die Lasagne schmeckt wie immer und daran halte ich mich fest.

„Ich hätte ja gewettet, dass du wie gefühlt alle Mädchen vegan bist.“

Es dauert einen Moment, bis ich verstehe, dass ich gemeint bin, so sehr habe ich mich in das fachmännische Auseinandernehmen meiner Lasagne vertieft. Wahrscheinlich sind es keine guten Tischmanieren, die Lasagne Nudelschicht für Nudelschicht zu essen, aber so habe ich das schon immer gemacht. Jetzt hält die Gabel mit Nudelschicht Nummer drei auf dem Weg zu meinem Mund inne, während ich verständnislos zu Noah blicke. Die perfekte Ergänzung zu meinem verdutzten Gesichtsausdruck, wäre wohl, wenn ich fragend auf mich deuten würde. Aber sind wir Mal ehrlich, wen sollte er sonst meinen?

Hitze steigt mir in die Wangen und ich hasse es, wie Stille am Tisch einkehrt und ich zu nichts anderem in der Lage bin, als in diese verdammten blauen Augen zu starren und ein „Wie bitte?“ hervorzuwürgen.

„Naja, so wie du dich kleidest und gibst hätte ich gedacht, dass du ganz Mainstream auch auf den ‚kein Fleisch‘-Trend aufgesprungen bist.“

Es ist schon komisch, wie zweideutig ein kleines Lächeln Worte machen kann. Ich habe keine Ahnung, ob Noah mich beleidigen oder nur eine neutrale Meinung kund tun will. Ich weiß jedoch, dass ich seine Worte völlig unangebracht finde und bin dankbar, als die Wut meine Stimme zurückbringt.

„Also Erstens, meinst du vegetarisch, wenn es nur darum geht auf Fleisch zu verzichten.“

Klackend lege ich meine Gabel auf dem Teller ab und verschränke die Arme, während meine Augenbrauen sich in der Mitte treffen.

„Und zweitens finde ich es ziemlich hinterwäldlerisch in der heutigen Zeit, die bewusste Entscheidung aufgrund des Tierwohls auf tierische Produkte zu verzichten, als Trend abzuwerten. Ich glaube wir täten alle gut daran, zu überdenken, wie viel Fleisch wir in unserer Ernährung wirklich brauchen und was eigentlich ein normaler und gesunder Konsum wäre. Sowohl für unseren Körper als auch für alles andere Leben auf diesem Planeten. Sorry, dass dir so viele fünfzehnjährige Mädchen da voraus sind.“

Keiner sagt ein Wort und dabei handelt es sich ganz sicher nicht um eine behagliche Stille. Der einzige, der von der Situation unberührt zu sein scheint, ist Noah, dessen Mundwinkel verräterisch zucken. Wahrscheinlich leuchten meine Wangen schon so rot wie eine Ampel, aber bei dem Anblick steigt mein Blutdruck gleich nochmal an. Will er jetzt wirklich auch noch über mich lachen, nachdem er mich bisher kaum beachtet dafür aber beleidigt hat?

Aber das tut Noah nicht. Stattdessen stützt er das Kinn auf seinen Händen ab und schaut mich mit schiefgelegten Kopf genau an. Wieder ist sein Gesichtsausdruck unergründlich für mich. Aber anders als vorhin habe ich das Gefühl, als könnte er mir dieses Mal etwas positives abgewinnen.

„Da hast du Recht, May. Entschuldige, wenn ich mich angehört habe, als würde ich das Thema klein reden wollen.“

Es ist wie ein Schock meinen Namen aus seinem Mund zu hören und erst da wird mir klar, dass er mich bisher kein einziges Mal direkt angesprochen hat. Ich bin nur noch zu einem Nicken in der Lage und dankbar, als sich danach alle wieder ihrem Essen zuwenden. Das gibt mir Zeit, das Chaos in mir etwas zu sortieren.

Danach halte ich mich aus den weiteren Gesprächen raus. Eigentlich fragt sowieso nur Mom Noah über sein Studium aus und sorgt damit für das Tischentertainment. Und so gern ich sagen würde, dass mich das Gesagte nicht interessiert, ist es doch nur vorgeheuchelt, als ich gelangweilt auf meinem Teller herumstochere. Ich bekomme jedes Wort darüber mit, wie hart die ersten Semester waren mit Mathe, Physik und Chemie. Aber dass Noah gute Freunde gefunden hat und Lernen in der Bibliothek zur Hälfte Arbeit und zur Hälfte Spaß ist. Ich merke die Pause, als Mom fragt, ob er auch jemand Besonderes kennengelernt hat und mein Herz macht einen kleinen Satz. Heißt das ja, heißt das nein? Am Ende meint er, dass er hier und da Mal jemanden getroffen hat, momentan aber nichts Ernstes dabei ist und ich weiß nicht, ob mein Magen sich umdreht oder einen Hüpfer macht.

Ich bin nicht so naiv zu denken, dass ein Treffen nur einen unschuldigen Kaffee beinhalten. Ich mag vielleicht voreingenommen sein, aber auch objektiv ist Noah ein Augenfang. Mit seiner geraden Nase, den wohlgeformten Wangenknochen und seiner athletischen Statur hat er es nicht allzu schwer bei den Frauen. Und auch wenn ich zu Schulzeiten es noch nicht wahr haben wollte, weiß ich inzwischen doch sehr genau, dass er seine Stärken auszuspielen weiß.

Es ist lächerlich, doch der Gedanke an Noah mit anderen Frauen lässt meine Stimmung noch weiter sinken. Dabei habe ich selbst meine Erfahrungen gemacht. Mit David und auch ein, zwei anderen Jungs. Der Gedanke hilft nur leider nicht wirklich. Entsprechend bin ich einfach nur froh, als wir uns zwei Stunden später endlich verabschieden. Tim hält es ohne eine Maus in der Hand nicht mehr länger aus und ausnahmsweise bin ich dankbar dafür, als er unruhig wird und Mom überzeugt, zu gehen.

An der Haustür umarmen sich alle und nachdem ich Andrea und ihren Ehemann gedrückt habe, macht mein Herz einen Aussetzer, als ich plötzlich vor Noah stehe. Er kommt mir riesig vor. So nah bei ihm muss ich sogar den Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht zu sehen. Ein Fehler, wie ich eine Sekunde später feststellen muss, denn mein Hals fühlt sich schon wieder gefährlich trocken an, als ich in seinen Augen versinke. Sie kommen mir so vertraut vor und es schmerzt zu wissen, dass sie inzwischen fremd sind. Früher hätte ich immer gewusst, was ich zu ihm sagen kann, doch jetzt stehe ich völlig perplex vor ihm. Wenigstens scheint er die Situation souveräner zu handhaben und zieht mich mit einem „Es war schön dich Mal wieder zu sehen, May“ an sich.

Das hilft mir nicht gerade dabei, meine Stimme wiederzufinden. Stattdessen lege ich eher ungeschickt meine Hände auf seinen Rücken  und bin so verwirrt von dem süßlichherben Duft seines Parfüms und der Wärme, die mich umfängt, dass ich nicht Mal meinem inneren vierzehnjährigen Ich den Gefallen tun kann, den Moment zu genießen.

Zumindest findet mein Autopilot den passenden Moment, sich von Noah zu lösen, bevor es komisch wird. Ich schenke ihm noch ein kurzes Halblächeln, dann drehe ich mich um und laufe meiner Familie voraus rüber zu unserem Haus.

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