Kapitel 2


Als ich bei Max' eintreffe sind die anderen alle schon da und haben geöffnete Bierflaschen vor sich stehen. Wie üblich sitzen wir im Keller, der mit Couch, Tischkicker und einer Bar ausgestattet ist, die wir „unter keinen Umständen benutzen dürfen", wie uns Max' Dad mit fünfzehn klar gemacht hat, als wir uns das erste Mal hier getroffen haben. Daran haben wir uns stets gehalten, zumindest was den teuren Fusel angeht, den Max' Dad hier aufbewahrt. Aber es hat durchaus seine Vorteile für kühle Getränke nicht jedes Mal hochlaufen und an Max' Eltern vorbei zu müssen. Also hat sich Max ein Fach im Kühlschrank erkämpft, in dem wir unsere Getränke verstauen können, und seit dem treffen wir uns eigentlich jedes Wochenende hier.

„May! Da bist du ja! Wow, was sehe ich da? Ich glaube ich werde gleich ohnmächtig." Eva fächelt sich Luft zu und ich nutze den kurzen Weg von den Treppen zur Couch um eine laufstegreife Drehung hinzulegen, die meinen kurzen Rock zum Flattern bringt. Dann lasse ich mich lachend neben sie fallen. „Dito, du siehst toll aus!"

Eva streicht sich geschmeichelt eine ihrer Locken hinters Ohr und Allie verdreht gegenüber von uns die Augen. „Heiratet doch gleich ihr zwei."

„Machen wir, wenn bis dreißig immer noch nicht der Traumprinz aufgetaucht ist", erwidert Eva und hakt ihren kleinen Finger bei mir ein.

„Also so wie ich das sehe, sind hier schon drei Traumprinzen im Raum." Grinsend beugt sich Rico hinter uns über die Lehne und zwirbelt eine von Evas Haarsträhnen zwischen seinen Fingern. „Also wie sieht es aus, Baby?"

„Ihh", Eva schlägt Ricos Hand weg und kräuselt dabei die Nase. „Also erstens bin ich ganz sicher nicht dein Baby. Und zweitens wäre etwas mit einem von euch zu haben, als würde ich meinen Bruder küssen. Nichts gegen dich May. Du und David wart ein süßes Paar."

Unschuldig hebe ich die Hände. „Alles gut, habe mich nicht angesprochen gefühlt."

„Die zwei waren vor allem ein nerviges Paar." Allie grinst mich schräg an, bevor sie ihre Stimme verstellt und sagt: „Oh Baby, ich bin so froh dich endlich küssen zu können."

„Oh Baby, von dir würde ich mich immer wieder küssen lassen." David kommt mit einem Schmunzeln auf den Lippen und einem Bier in der Hand auf mich zu und drückt mir einen Kuss auf den Scheitel.

„Das ist für dich."

Ich lächle ihn dankbar an und nehme die kühle Flasche entgegen, bevor ich Allie, die bedeutungsvoll die Augenbrauen hochgezogen hat, den Mittelfinger zeige. „Kann nicht jeder die Männer so vertreiben wir du."

Allie steht der Mund für eine Sekunde offen, bevor sie lachend nach einem Kissen greift und es auf mich schmeißt. „Das stimmt ja sowas von nicht!"

Lachend wehre ich das Kissen mit einem Arm ab und trinke einen Schluck. Danach verliert sich das Gespräch in anderen Themen und ich lehne mich dankbar an David, der es sich auf der Couchlehne gemütlich gemacht hat. Wir sind zwar nicht mehr zusammen, aber ein paar Dinge von damals sind erhalten geblieben. Und was ich am meisten davon zu schätzen weiß, ist dass ich mich in seiner Nähe immer sicher fühlen kann.

David fährt mit seinen Fingerspitzen über meinen Rücken, während wir eine zeitlang unseren Freunden zuhören, die sich gegenseitig aufziehen, und ein Bier nach dem anderen öffnen. Es ist schön und lässt mich alle Gedanken an meinen dummen Bruder oder meine Eltern vergessen. Zumindest bis David so leise, dass nur ich es hören kann, fragt: „Alles okay bei dir?"

Er schaut zu mir runter, nur Interesse und Zuneigung in den Augen, und weil ich dankbar dafür bin, wie sehr Eva und er mich in den letzten Monaten unterstützt haben, hebe ich kurz die Hand und schiebe ihm eine widerspenstige Locke aus der Stirn. „Alles gut, solang du mir versprichst mich heute nie ohne ein Getränk in der Hand zu lassen."

Überrascht zieht David die Augenbrauen hoch, dann grinst er und prostet mir mit seinem Bier zu. „Das sollte ich hinbekommen."

Und wie er das hinbekommt. Vier Stunden später stehe ich neben David an der Bar und schwanke zur Musik mit, während er uns etwas neues bestellt. Ich halte mich im Hintergrund, damit niemand auf die Idee kommt, nach meinem Ausweis zu fragen und ein aufgeregtes Kribbeln schießt durch meinen Körper, als ich den Longdrink in die Hand gedrückt bekomme und mich mit einem Nicken beim Barkeeper bedanke. Es ist zwar bei weitem nicht das erste Mal, dass meine Freunde für mich harten Alkohol kaufen, trotzdem gibt es mir noch jedes Mal diesen Adrenalinkick. Grinsend ziehe ich am Strohhalm und folge David durch die Menge zurück. Naja, so gut wie das halt funktioniert.

Der Club ist randvoll und die meisten Menschen schenken der basslastigen Musik all ihre Aufmerksamkeit. Es ist daher eher ein Schieben und Drängeln, als ein durch die Menge kommen, aber ich kann mich einfach im Rücken von David halten und die Schneise nutzen, die er uns schlägt. Zumindest bis er urplötzlich stehen bleibt und ich in ihn hineinrenne.

Mit einem Quieken versuche ich mein Getränk auszubalancieren, damit zumindest nicht alles auf mir landet. Trotzdem breitet sich ein Fleck mitten auf meinem Dekolleté aus. Oh na super. Mit gerunzelter Stirn will ich mich an David wenden und werde mir dann erst darüber bewusst, dass er stehen geblieben ist, um jemanden anzusprechen. Neugierig stelle ich mich auf Zehenspitzen und spähe über seine Schulter. Wenn das nicht die Blondine von letzter Woche ist. Ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus und hätte ich das Mädchen nicht schon erkannt, hätte spätestens die Art, mit der David sich durch seine Locken fährt, ihn verraten. Das ist seine Masche, zusammen mit dem halb schüchternen, halb selbstbewussten Lächeln auf seinen Lippen. Und ich kenne nur wenige Mädchen, die dem widerstehen können. Wie auch? David sieht wirklich gut aus. Dunkle Haare, die an den Seiten kurz geschoren und oben lang genug sind, dass seine natürlichen Locken rauskommen. Eine gerade Nase und vertrauensvolle braune Augen. Wen das noch nicht überzeugen kann, fängt David mit seinem Charme ein. Weil er einfach einer der Guten ist und ich kaum jemanden kenne, der einen so einfach in ein Gespräch verwickeln kann wie er.

Ich will nicht stören und erst recht nicht dafür verantwortlich sein, dass das Mädchen sich von David verarscht fühlt. Also drücke ich mich so unauffällig wie möglich an den beiden vorbei und überlasse sie ihrem Gespräch, während ich mich weiter durch die Menge dränge. Das klappt deutlich schlechter mit meinen einssechzig, trotzdem grinse ich immer noch breit, als ich bei unseren Freunden rauskomme und weitere Flecken mein Top zieren.

„He, wo hast du denn David gelassen?" Allie hält mir ein Tempo hin, bevor mich die anderen auch nur entdeckt haben, und ich nehme es dankend entgegen, um zumindest meine Hände von der klebrigen Flüssigkeit zu befreien.

„Oh, er ist... in der Menge hängen geblieben."

„Nein!", Eva macht einen Schritt auf mich zu und stolpert dabei, sodass sie am Ende halb auf mir landet. Aber das scheint ihr gar nicht aufzufallen, während sie mich ungläubig anschaut. „Er hat Blondie getroffen, oder? Was für ein Glückspilz! Wieso bekommt David eigentlich immer alle ab?"

Eva zieht einen Schmollmund und wankt gefährlich, sodass ich sie lieber am Unterarm packe.

„Also Eva, ich helfe dir gerne ein Girl abzuschleppen." Ricos Gesicht taucht hinter Eva auf und als er die Augenbrauen bedeutungsvoll wackeln lässt, muss ich mir ein Lachen verkneifen.

„Träum weiter!" Ohne sich umzudrehen zeigt Eva Rico den Mittelfinger, auch wenn sie sich etwas in der Richtung irrt. Jetzt entkommt mir doch ein kleines Kichern und als ich zu Allie rüberschaue, verdreht diese ebenfalls grinsend die Augen.

„Uh, was hast du da?" In einem Moment der Ablenkung greift Eva nach meinem Glas und lässt dabei noch etwas von dessen Inhalt auf mich schwappen. Wahrscheinlich ist inzwischen mehr der Mische auf mir als in mir.

„Lecker, Wodka Lemon!", errät Eva, nachdem sie einen kleinen Schluck genommen hat und will zum Trinken ansetzen.

„Nein, nein, nein!" Eilig greift Allie dazwischen und nimmt Eva das Glas aus den Händen. „Du kleine Suffnase hattest genug für heute."

Allies strenger Blick hat es in sich. Obwohl er gar nicht mir gewidmet ist, muss ich den Drang widerstehen „Ja, Ma'am" zu sagen. Eva wiederum scheint weniger davon beeindruckt. Sie verzieht nur die Lippen zu einem Schmollmund und greift unkoordiniert nach dem Glas. Es ist ein leichtes für Allie es aus ihrer Reichweite zu halten und auch wenn es mir vorher nicht so sehr aufgefallen ist, stimme ich ihr zu, dass Eva erstmal eine Pause braucht.

„Sagt Mal, wo ist denn Max?" Suchend schaue ich mich um, aber Max steht nicht bei den anderen und Rico deutet als Antwort auf meine Frage das Rauchen einer Zigarette an.

„Der ist raus eine quarzen gegangen, um diese Welt etwas früher von seiner Anwesenheit zu befreien", murrt Allie, während sie noch immer eine betrunkene Allie vom Wodka Lemon fernhalten muss. Ihre trockene Antwort bringt mich zum Schmunzeln, auch wenn ich weiß, dass für sie das Thema alles andere als ein Spaß ist. Anders als meine Eltern, haben sich Allies schon vor einiger Zeit getrennt. Und wann auch immer sie von einem Wochenende bei ihrem Vater zurückkommt, riecht sie nach Rauch und Alkohol.

„Ach komm schon, Allie! Ich will doch nur einen Schluck!" Eva macht einen unerwarteten Satz nach vorne, verliert dann jedoch das Gleichgewicht und hätte Allie zu Boden gerissen, hätten Rico und ich nicht zeitgleich die Arme ausgestreckt und die beiden gestützt. So landet nur auch noch der letzte Rest meines Getränkes auf dem Boden und Allie stößt ein wütendes „Eva!" aus. Die fängt haltlos an zu kichern und nachdem ich einen bedeutungsvollen Blick mit Rico ausgetauscht habe, hake ich mich bei Eva unter und ziehe sie zu mir.

„V, was hältst du davon, wenn wir Mal nach Max schauen und etwas an die frische Luft gehen?"

Ich warte ihre Antwort nicht ab, sondern dirigiere Eva Richtung Ausgang. Glücklicher Weise müssen wir dafür nicht durch die ganze Menge, sondern können über eine Empore, die zu den Sitzecken führt, am Rand vorbeilaufen. Kurz sehe ich David in der Menge, wie er Körper an Körper mit der süßen Blondine tanzt und lächle von Herzen, bevor Eva, die das Gleichgewicht verliert, meine Aufmerksamkeit wieder beansprucht.

„Oh Mann, wieso ist David eigentlich immer der einzige von uns, der am Abend nicht allein bleibt? Ich will auch endlich Mal wieder mit einem süßen Boy tanzen, und küssen und..., oh hi!"

Eva bleibt so plötzlich stehen, dass ich ins Straucheln gerate und lächelt ein paar Jungs zu, die bei ihren Worten hellhörig geworden sind. Mir reicht ein Blick um zu sehen, dass sie bestimmt fünf Jahre älter sind und nicht die Art von Kerl, auf den man sich betrunken einlassen sollte. Zumindest nicht, wenn man Eva heißt, und Jungs hinterher weint, sobald man ein paar Worte miteinander getauscht hat. Sie hat einfach ein viel zu großes Herz, um sich auf etwas lockeres oder sogar einmaliges einzulassen. Also ziehe ich Eva an ihrer Hand weiter und ignoriere ihr anklagendes „He!", bis wir endlich an die frische Luft stolpern.

„Ich wollte mich doch nur ein bisschen unterhalten", mault Eva hinter mir und ich verdrehe die Augen.

„Die Kerle hatten aber sicherlich anderes im Sinn, als sich nur zu unterhalten."

„Na und? Wäre doch auch nicht schlimm."

Eva löst sich aus meinem Griff und stolpert prompt, sodass ich sie wieder am Arm packe und eine Augenbraue hochziehe. „Süße, rummachen wird schwer, wenn man nicht Mal mehr gerade stehen kann."

Die Worte kommen mit Verzögerung bei meiner besten Freundin an und dann streckt sie mir einfallsreich die Zunge raus, was mich zum Lachen bringt.

„Komm, setzen wir uns Mal ein paar Minuten hier hin und..."

Ich komme nicht dazu den Satz zu beenden. Eva, die sich schwankend umgeblickt hat, reißt so plötzlich die Arme nach oben, dass dieses Mal ich stolpere.

„MAX!"

Oh Gott, ich glaube meine Trommelfelle sind geplatzt. Und während ich noch darum kämpfe meine Sinne wieder beisammen zu bekommen, ist Eva schon auf und davon. Es dauert einen Moment, bis auch ich Max unter einer Gruppe Jungs erkenne. Er hat eine Kippe in der Hand und wirkt um ehrlich zu sein nicht weniger betrunken als Eva, als er sie mit einer Bärenumarmung willkommen heißt. Na super, also bin ich jetzt Babysitter für beide?

Ich verziehe mein Gesicht, aber was bleibt mir schon anderes übrig als mich meinem Schicksal zu fügen. Also stapfe ich Eva hinterher und hake mich bei ihr unter, als sie und Max anfangen, gefährlich zu schwanken.

„Leute, denkt ihr nicht es wäre besser euch hinzusetzen und Mal ein Glas Wasser..."

Wieder komme ich nicht bis zum Ende meines Satzes. Eva scheint was Wichtigeres zu sagen zu haben. Und bei ihrem Lallen dauert es bei mir eine Sekunde länger, zu verstehen, was sie da genau sagt.

„He MayMay, ist das nicht dein heißer Nachbar, in den du so verknallt warst?"

Ich weiß nicht was als erstes passiert. Dass mein Herz einen Schlag aussetzt oder ich den Kopf nach oben reiße. Das kann gar nicht sein, Noah studiert einige Stunden von hier entfernt... und doch sind da schmerzlich vertraute blaue Augen, als mein Blick bei einem der Jungs hängen bleibt. Blaue Augen und dunkle Locken, die ihm noch genauso wie früher in die Stirn fallen.

Mein Hals ist wie zugeschnürt und mein Gehirn ist gähnend leer. So leer, dass ich noch nicht Mal rot anlaufe, wegen dem was Eva gesagt hat. Ich kann einfach nur starren, während Noahs linker Mundwinkel amüsiert nach oben wandert. Und dann, weil das Ganze nicht schon unangenehm genug ist, beugt sich Eva nach vorne und übergibt sich direkt vor unseren Füßen.

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