Kapitel 14


Der Abend ist wie ein Rausch, der viel zu schnell vergeht. Das nächste Mal, als ich aus Noahs und meinem Kuss auftauche, steht die Sonne schon so tief, dass ihre letzten Strahlen sein Gesicht in warmes Gold tauchen. Er lächelt mich an, dreht mich um und zieht mich mit dem Rücken an seine Brust, sodass wir zusammen zum Bass tanzen. Die ganze Zeit spüre ich seinen Körper dicht an mir und kann nicht genug von seinen Händen auf meinen Hüften bekommen. Mir ist nicht mal aufgefallen, dass sowohl seine Freunde als auch meine zu uns aufgeschlossen haben. Dabei strahlt mich Eva so breit an, dass man es auf dem Mond noch sehen müsste, und selbst Allie hat ein kleines Lächeln auf den Lippen. Von Kathi bekomme ich ein Daumen nach oben und ich weiß, in jeder anderen Situation hätte mich all das erröten lassen. Aber nicht heute. Nicht in diesem magischen Moment. Nicht, wenn sich alles so richtig anfühlt.

Noah weicht keine Sekunde von meiner Seite. Es braucht kein Wort, um unsere Körper sich im Einklang miteinander bewegen zu lassen und als er an meiner Hand zupft, folge ich ihm breitwillig zum Getränkestand. Es fühlt sich gut an, hinter ihm zu laufen, während er für uns den besten Weg durch die Menge sucht. Sicher, geborgen. Umso schöner ist es, als er meine Hand selbst dann nicht loslässt, als wir die Bar erreichen und er zwei Kurze für uns bestellt. Wie selbstverständlich sind unsere Finger miteinander verflochten, dabei muss ich an mich halten, um nicht vor Aufregung und Glück laut zu schreien. Noah Miller, mein Noah Miller, hält Händchen mit mir. Und nicht nur das. Als sein Blick zu mir gleitet schleicht sich ein warmes Lächeln auf sein Gesicht, welches mir fast das Herz stillstehen lässt.

„Was? Habe ich was im Gesicht?"

Wir haben uns weit genug von den Boxen entfernt, dass ich Noah über die Musik hinweg verstehe. Ich muss nicht mal schreien, als ich gespielt leicht dahin antworte. „Nein, ich habe mich gerade nur gefragt, woher du den Typ vom Einlass gekannt hast."

Kess lächle ich ihn an, als Überraschung über sein Gesicht zuckt. Dann grinst auch Noah.

„Ob du es glaubst oder nicht, aber ich hatte auch mal meine wilden Zeiten."

Oh, und wie ich ihm das glaube. Wie oft bin ich zu meinem Fenster gestürmt, wenn ich gehört habe, wie er an einem Freitagabend das Haus verlassen hat? Und wie oft habe ich geweint, wenn ich ihn mit einem Mädchen habe zurückkommen sehen. Aber daran möchte ich jetzt nicht denken. Stattdessen konzentriere ich mich auf die Leichtigkeit, die zwischen uns herrscht. Diese unbeschwerte Zweisamkeit inmitten der Menge.

„Hm, bei Stampfmusik habe ich dich trotzdem nie gesehen."

Als würde ich beurteilen wollen, ob Techno zu ihm passt, lege ich den Kopf schief und ziehe eine Schnute. Noah lacht und dreht sich spielerisch einmal um die eigene Achse, damit ich ihn von allen Seiten betrachten kann. Dann funkelt er mich herausfordernd an. „Und? Prüfung bestanden?"

„Den May-TÜV erhältst du." Leider klingt meine Stimme nicht so gelassen, wie erhofft. Was daran liegen könnte, dass mein Mund ganz trocken geworden ist, so nah wie Noah plötzlich vor mir steht. Seine Augen blitzen amüsiert, aber da liegt auch noch etwas anderes in ihnen, als er mir eine Haarsträhne hinters Ohr streicht.

„Das Gütesiegel meines Vertrauens." Seine Worte sind nur noch ein Murmeln an meinen Lippen, doch bevor Noah endlich die letzte Lücke zwischen uns schließen kann, werden wir vom Barkeeper unterbrochen, der uns die zwei Kurze zuschiebt.

Noah weicht zurück und mein Herz sinkt enttäuscht, doch ich nehme den Shot mit einem tapferen Lächeln entgegen. Wir stoßen an und bevor Noah den Kopf in den Nacken legen kann, halte ich ihn zurück.

„So geht das nicht." Entschieden schüttle ich den Kopf, dann kreuze ich unsere Arme, sodass wir dicht beieinanderstehen müssen, um den Shot trinken zu können. Wie mit Eva ist mein Arm in seinem eingehakt und Noahs Augen aus dieser Nähe rauben mir wie immer den Atem.

Ich weiß nicht, wer von uns beiden den Shot als erstes runterstürzt oder wer den anderen mit sich in die Menge zieht. Doch eins wird mir klar, sobald wir uns endlich wieder küssen: Noahs Lippen haben mich von Sekunde eins süchtig gemacht. Die Art, wie sie perfekt auf meine passen. Weich und doch fordernd. Es ist perfekt und ich wünschte es würde niemals enden, als die Musik um Mitternacht ausgemacht wird. Ich frage mich, ob es Noah auch so geht, während wir dicht beieinander verharren, die Finger ineinander verschränkt. Um uns setzen sich die Menschen in Bewegung, strömen Richtung Ausgang auf dem Weg nach Hause oder zu der nächsten Location. Doch wir bleiben einfach stehen, schauen uns tief in die Augen und wechseln kein Wort, während unser Atem in der plötzlichen Stille laut wirkt.

Ich suche in seinen Augen nach Antworten. Darauf, was dieser Abend zu bedeuten hat. Was Noah von mir denkt und wie es nun weitergeht. Gehen wir zusammen nach Hause? Und damit meine ich nicht, in zwei getrennte Häuser. Wird er sich danach bei mir melden?

Stopp. Ich bremse meine eigenen Gedanken aus, bevor mein Grübeln etwas zerstört, bevor es überhaupt richtig begonnen hat. Stattdessen zupfe ich an Noahs Shirt und deute Richtung Ausgang, als der Menschenstrom um uns herum langsam verklingt. Er nickt mit einem sanften Lächeln auf seinen Lippen und führt mich an der Hand zum Ausgang, was ich nur zu gerne geschehen lasse.

Die Schmetterlinge in meinem Bauch führen wieder einen Tanz auf, während ich Noahs breite Schultern mustere und es mich wie eine Welle überrollt, dass das wirklich passiert. Das hier ist kein Traum. Es ist die Realität. Noah und ich sind real.

Ich beiße mir heftig auf die Wange, um keinen Freudenschrei von mir zu geben. Aber mein Lächeln hat wahrscheinlich Joker Ausmaße angenommen, als wir draußen an der Busstation wieder auf die anderen treffen. Erst David, der mich mit gerunzelter Stirn betrachtet, lässt es abflauen. Verunsichert weiche ich seinem Blick aus, um mich nicht der Verurteilung darin zu stellen. Immerhin war es David, der mir dabei geholfen hat, über Noah hinweg zu kommen. Der mit mir zusammen war, obwohl ich zuvor so offensichtlich für jemand anderen geschwärmt hatte. Und der genau wusste, wie viel es mir bedeutet hat, von Noah wegzukommen, nachdem es mir so lange deswegen schlecht ging.

Und jetzt stehe ich hier und habe die erst beste Möglichkeit ergriffen, um mich kopfüber wieder in diese Schwärmerei zu stürzen.

„Gott, ich bin hundemüde."

Eva gähnt beherzt und erntet zustimmendes Nicken von den anderen. Ich bin dankbar für die Ablenkung, auch wenn mein Körper nur so vor angestauter Energie prickelt.

„Es soll eine Afterparty im Connect geben, aber ich glaube da bin ich heute raus." Auch Kathi reckt sich müde, bevor sie sich mit einem Seufzen an Gabriel lehnt.

„Dito. Sollen wir uns ein Taxi in die Stadt nehmen?"

Rico schaut fragend zu Max, David und Eva, da sie alle in die gleiche Richtung müssen. Wahrscheinlich würde auch noch ein Bus fahren, aber so viele Menschen wie um uns herum stehen, wäre das eher ein Höllentrip. Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig haben sich wiederum nur vereinzelte Seelen verirrt. Ausnahmsweise scheint es von Vorteil zu sein, in die andere Richtung wie die anderen zu müssen.

„Lasst uns zumindest noch mit May auf ihren Bus warten, bevor wir gehen."

Davids Stimme klingt gelassen, aber ich erkenne den angespannten Zug um seinen Mund, als er mir ein Lächeln zu wirft. Alle schauen überrascht zu ihm. Immerhin gibt es keinen Grund, dass die anderen noch warten sollten. Noah muss genau den selben Bus wie ich nehmen. Der einzige, vor dem mich David mit dieser Nummer also beschützen würde, ist mein Nachbar seit Kindheitstagen. Idiotisch, aber das scheint das Testosteron, welches mit einem Mal die Luft dick macht, nicht zu interessieren.

Ich spanne die Schultern an, als Davids und Noahs Blicke sich kreuzen.

„Keine Sorge, ich fahr mit May und schaue, dass sie sicher daheim ankommt."

Für einen Moment herrscht drückende Stille, während David abwägend Noah und meine verschränkten Hände betrachtet. Ich weiß, dass er es nur gut meint, aber am liebsten wäre ich wegen diesem unnötigen Dominanzgehabe im Erdboden versunken. Es gibt keinen Grund sich Sorgen zu machen. Ich bin nicht mehr vierzehn. Ich komme schon mit dem zurecht, was auch immer sich da gerade zwischen Noah und mir anbahnt. Genau genommen will ich es und werde mir sicherlich nicht von meinem besten Freund diese Chance nehmen lassen.

Die Stille zieht sich, während ich versuche, Davids Blick einzufangen. Mit einem unauffälligen, aber entschlossenen Kopfschütteln gebe ich ihm zu verstehen, diesen Schwachsinn sein zu lassen. Seine Fürsorge für mich in allen Ehren, das letzte, was ich will, ist hier Zeuge eines Bullenduells zu werden. Und das scheint David auch in meinen Augen zu sehen, denn mit einem Mal weicht die Härte aus seinen Zügen und er zuckt mit den Schultern.

„Sorry, ungewohnt, dass jemand in die gleiche Richtung wie May muss."

Mit einem lautlosen Seufzen entkommt mir mein angehaltener Atem und ich lächle David dankbar an.

„Kein Problem, schön zu sehen, dass May so verlässliche Freunde hat."

Noahs Tonfall ist völlig entspannt. Als würde er sich aus Davids Gehabe nichts machen, obwohl sicherlich allen die angespannte Atmosphäre aufgefallen ist, unter der ich mich selbst jetzt noch winde. Erst als Kathi vortritt und den beiden einen Blick zu wirft, als hätte sie es mit zwei streitenden Fünfjährigen zu tun, löst sich das gewisse etwas, das in der Luft lag, auf.

„Okaaay, nachdem wir jetzt also geklärt haben, dass May tolle Freunde hat und heute sicher nach Hause kommt", der Sarkasmus ist deutlich aus ihren Worten zu hören, „wäre ich für Aufbruch, bevor uns alle Taxis vor der Nase weggeschnappt wurden."

Großes Gemurmel beginnt und schweren Herzens löse ich meine Hand aus Noahs, um meinen Freunden tschüss zu sagen. Einen nach den anderen umarme ich sie und versuche nicht allzu rot zu werden, als David mir ein „Pass auf dich auf" zuraunt. Aber das ist nichts im Vergleich zu Rico, der lallend einen Arm um eine Schulter legt. „Mach nichts, was ich nicht auch tun würde!"

Ich verkneife mir das Stöhnen und werfe ihm ein schmallippiges Lächeln zu. „Na dann stehen mir ja alle Möglichkeiten offen."

Rico setzt bereits zu einer Erwiderung an, da kommt ihm Eva zuvor, die mich mit einem Lachen aus der Situation rettet, bevor sich wirklich noch ein Spalt in der Erde auftut und mich verschluckt. Obwohl ich mich wohl nicht zu früh über meine vermeintliche Rettung hätte freuen sollen.

„Also von mir aus kannst du alles machen, was du willst. Ich bin eher sauer auf dich, wenn du bestimmte Dinge nicht machst." Es hätte Evas bedeutungsschweres Augenbrauenwackeln nicht gebraucht, um zu verstehen, was sie meint. Aber bevor ich etwas erwidern kann, mischt sich auch noch Max ein und nimmt mir den Wind aus den Segeln, mich gegen meine Freunde zu wehren. „Aber immer ans Verhüten denken!"

Ich unterdrücke das peinliche Aufstöhnen, denn so laut wie Max gesprochen hat, müssen ihn alle Umstehenden gehört haben. Ändern kann ich es eh nicht mehr. Aber so tun, als wäre es nie passiert? Ja, das ist definitiv der Plan.

„Okay, nachdem ich also jetzt von allen Tipps habe, was ich machen oder nicht machen soll, gehe ich lieber, bevor ich aus Peinlichkeit noch die Freundschaft mit euch kündigen muss." Mit diesen Worten, einem gezwungen Lächeln, welches die anderen zum Lachen bringt, und einem Winken drehe ich mich um und laufe zu Noah rüber, der nur wenige Meter entfernt bei seinen Freunden steht.

„Tschüss Süße, hat mich gefreut dich kennenzulernen!" Kathi umarmt mich ungestüm, bevor ich ganz zum Stehen gekommen bin, und ich erwidere die Geste mit einem Lachen.

„Mich auch! Und ich komme dich ganz bestimmt Mal auf der Arbeit besuchen, um eine neue Pflanze zu kaufen."

„Das würde mich sehr freuen", breit grinsend drückt Kahti ein letztes Mal meine Hand, dann schnappt sie sich Pat und Gabriel, die mir zum Abschied kurz zuwinken, und auf einmal bin ich allein mit Noah. Dass ich vor diesem Moment nervös war, wird mir erst bewusst, als wir uns gegenüberstehen und ich absolut nicht weiß, was ich tun soll. Am liebsten hätte ich wieder nach seiner Hand gegriffen und da weiter gemacht, wo wir aufgehört haben. Aber die Unterbrechung hat eine Distanz zwischen uns aufgebaut, die mich verunsichert. Will Noah mir überhaupt wieder näherkommen? Vielleicht war das Ganze ein in-dem-Moment-Ding und jetzt wo die Musik und das Hochgefühl des Raves verklungen sind, wird ihm wieder klar, wer ich bin. Seine süße, kleine Nachbarin.

„Komm, wir sollte rüber, bevor wir noch den Bus verpassen."

Noahs Lächeln ist nicht anzumerken, ob ihm ähnliche Gedanken durch den Kopf spuken. Doch als wir uns zum Gehen wenden, spüre ich seine Hand wieder sanft in meinem Rücken, was mich erleichtert ausatmen lässt. Damit kann ich arbeiten.

„Der DJ war echt gut, die Musik hat perfekt zu der Location gepasst." Ich bemühe mich um einen lässigen Tonfall, als ich mich auf der anderen Straßenseite wieder ihm zuwende und die Chance ergreife, meine Hand mit seiner zu verschränken, als sie von meinem Rücken gleitet. Mein Herz schlägt mir dabei bis zum Hals und innerlich klopfe ich mir selbst auf die Schultern, für das geschickte Manöver. In Noahs Augen blitzt kurz etwas auf, zu schnell wieder verschwunden, um zu erkennen, was es war.

„Das stimmt. Die Musik war eher entspannt, perfekt für ein bisschen Daydrinking und eine gute Zeit mit Freunden."

Und zum Rummachen, nicht zu vergessen. Aber ich verkneife mir den Kommentar, weil ich mir nicht zerstören will, dass er sanfte Kreise mit seinem Daumen auf meinem Handrücken zieht.

„Ja, total."

Der Bus kommt genau rechtzeitig, um mir eine kurze Verschnaufpause zu geben und mir ein neues unverfängliches Thema einfallen zu lassen. Neben uns steigen noch ein paar andere ein, aber es ist kein Problem zwei Sitzplätze nebeneinander zu bekommen und als Noah unsere verschränkten Hände auf sein Bein ablegt, beiße ich mir auf die Lippen, um nicht breit zu grinsen.

„Kathi ist übrigens echt toll. Ich durfte bisher noch niemanden kennenlernen, der die gleiche Obsession für Pflanzen hat wie ich."

Noahs Lachen klingt warm und so herzlich, dass ich fast zerfließe. Wer hätte gedacht, dass ich ihn so zum Lachen bringe, während wir so dicht aneinander sitzen, dass ich seine Wärme spüre? Ich auf jeden Fall nicht.

„Ja, Kathi ist was das angeht, etwas speziell. Es hat mich überrascht, dass du auch so einen grünen Daumen hast. Das wusste ich gar nicht."

Seine Augen funkeln, als sich unsere Blicke begegnen, und ich höre die leise Herausforderung in seinen Worten.

„Tja, du wärst überrascht, wie viel du nicht mehr über mich weißt." Ich hoffe man merkt nicht, wie atemlos meine Stimme klingt. Aber die Luft zwischen uns ist zum Reißen gespannt und als Noahs Blick zu meinen Lippen huscht, setzt mein Herz einen Schlag aus.

„Ja, ich glaube da habe ich ein bisschen was nachzuholen."

Das hört sich in meinen Ohren nach der besten Feststellung des Tages an. Vor allem, als sie von einem Kuss begleitet wird, der mir ein leises Seufzen entlockt.

Ich weiß nicht, wie lange sich unsere Lippen immer wieder berühren, bevor mich ein Gähnen überkommt, das ich nicht unterdrücken kann. Aber diese federleichten Küsse werden mich ein Leben lang verfolgen, da bin ich mir sicher.

Noah schmunzelt, als ich mich zurückziehe, um mir eine Hand vor den Mund zu halten.

„So schlecht küsse ich also?"

Der Teil von mir, der immer noch vierzehn ist und ihm am liebsten sein Herz vor die Füße schmeißen würde, lässt mich beinahe mit etwas Unbedachten herausplatzen. Wie etwa: Willst du mich verarschen? Darauf habe ich mein Leben lang gewartet! Aber der Teil von mir, der schon mit fremden Jungs im Club herumgeknutscht hat und genau wusste, was zu tun ist, damit sie den Abend lang an niemand anderen mehr denken, übernimmt glücklicherweise die Oberhand und lässt mich herausfordernd lächeln.

„Kein Problem, ich kann dir zeigen, wie es geht."

Noah schnaubt über meinen frechen Kommentar, aber ich sehe genau, dass ich ihn damit am Haken habe. Zumindest bis mich ein erneutes Gähnen überrollt und er mit einem Lachen meinen Kopf an seine Schulter drückt.

„Die Unterrichtsstunde muss wohl bis morgen warten. Schlaf ruhig ein bisschen, ich wecke dich, wenn wir da sind."

Ich würde gerne widersprechen, aber es fühlt sich viel zu gut an, sich an Noah zu kuscheln. Ich glaube, das ist der beste Abend meines Lebens.

Obwohl die Müdigkeit nun doch auch in meine Knochen kriecht, ist an Schlafen nicht zu denken, wenn ich Noah so nah bin. Ich halte die Augen geschlossen, lausche seinen Atemzügen, sauge seinen Duft in mich auf. Es gibt zehntausende Dinge, die ich mir einprägen will, und die dreißigminütige Busfahrt reicht dafür bei weitem nicht aus.

Zumindest verschafft mir mein Schlafenstellen, das Glück genau mitzubekommen, wie Noah mit meinen Haaren spielt und mir dann so sacht einen Kuss auf die Stirn drückt, dass ich innerlich vergehe. Er ist so behutsam, selbst in der Art wie er mich vermeintlich weckt, dass das Ganze nur ein Traum sein kann.

Aber als ich die Augen aufschlage, ist Noah genauso real wie zuvor. Samt seines Lächelns und den strahlenden blauen Augen, die heute ganz mir gehören.

„Wir müssen raus."

Ich nicke und keine Sekunde später biegen wir um die letzte Ecke vor unserer Busstation. Normalerweise wünsche ich mir immer, der Weg von hier nach Hause wäre kürzer. Aber heute Nacht, dürfte der Fußmarsch von mir aus niemals enden. Ich will mich nicht verabschieden. Will nicht Noahs Hand loslassen. Trotzdem rückt der Zeitpunkt unweigerlich näher, bis wir zwischen unseren Häusern auf dem Bürgersteig stehen und ich unsicher zu ihm hochschaue.

In mir ist die kleine Hoffnung, dass er mich mit zu sich nimmt. Wir uns einkuscheln, küssen und nebeneinander einschlafen. Aber als ich ihm in die Augen blicke, weiß ich, dass das nicht passieren wird. Dafür ist Noah viel zu anständig.

Vielleicht könnte ich daran etwas ändern, wenn ich mich an seinen Hals werfe. Aber ich will Noah nicht zu etwas überreden. Es soll von ihm aus kommen, wenn wir uns auf diese Art näher kommen. Ich habe mich jahrelang genug mit meiner Schwärmerei blamiert, dass ich mir nicht erneut die Finger verbrennen will.

Also warte ich geduldig, was er als nächstes tut. Sein Blick huscht immer wieder über mein Gesicht, als würde er etwas suchen. Doch die Falte zwischen seinen Augenbrauen verrät mir, dass er nicht fündig wird. Ich will schon fragen, was er gerade denkt, da ziehen sich seine Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln nach oben und er streicht mir sacht eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Da sind wir also."

Sein Atem kitzelt mich beim Sprechen, so nah stehen wir beieinander.

„Da sind wir also", wiederhole ich schmunzelnd und lasse meine Hände mutig um seine Taille wandern. Ein leises Seufzen entkommt ihm, als er seine Stirn an meine lehnt und ich hoffe, mein laut schlagendes Herz verrät mich nicht. War das ein enttäuschtes Seufzen? Oder gar ein genervtes?

Aber Noah lässt sich nicht in die Karten schauen. Er löst sich nur nach einigen Sekunden wieder von mir und drückt mir einen letzten Kuss auf die Stirn.

„Wir sehen uns, May."

Ich wäre ihm am liebsten nachgegangen, als er sich rückwärts entfernt. Was soll das heißen? Wieso lässt du diesen Abend enden? Aber ich balle die Hände zu Fäusten und bleibe an Ort und Stelle stehen.

„Ja, wir sehen uns." Bitte küss mich nochmal.

Aber Noah kommt nicht zurück. Auf Höhe seiner Auffahrt lächelt er kurz, dann dreht er sich um und ich zwinge mich, es ihm gleich zu tun.

In der Stille des Hauses sind meine Gedanken viel zu laut, als ich die Treppen zu meinem Zimmer hochstolpere. Wann werden wir uns wiedersehen? Hätte ich ihn zum Abschied nochmal küssen sollen? Wird er sich melden oder sollte ich das tun?

All die Fragen wollen sich nicht legen und als ich in meinem Zimmer ankomme, schaue ich hoffnungsvoll aus dem Fenster, um vielleicht noch einen letzten Blick auf Noah zu erhaschen. Aber die Vorhänge sind zugezogen und auch als ich ein paar Minuten warte, regt sich nichts. Also gebe ich schließlich mit einem schweren Seufzen auf und lasse die Rollläden runter.

Als ich mich schließlich in meinem Bett einkuschle, zieht der ganze Abend nochmal an mir vorbei. So viele Erinnerungen, die mir niemand mehr nehmen kann. Mit dem Gedanken an Noahs Lippen auf meinen, schlafe ich letztendlich ein.

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