Akt 5
Brian klappte den Laptop energisch zu und schob ihn zurück in seine Tasche.
"Warst du dann an dem Ring mit den Minderjährigen beteiligt?", fragte Katy mit brüchiger Stimme. Sie ging davon aus, dass, wenn man sich solche Videos ansah, nicht haderte und sich an solchen Aktionen beteiligen würde. "Oder waren die Prostituierten dort zu alt für dich?", fügte sie verächtlich hinzu.
Brians Kiefer knackte. "Ich hatte mit der Sache nichts zu tun", antwortete er - seine Zähne malmend. "Bis heute wusste ich nichts davon."
Charles verließ das Zimmer, um sich aus der Küche ein weiteres Glas Cognac zu holen. Da niemand zurückgelassen werden durfte, folgten ihm die Schauspielerin und der Musiker.
Für Katy war der Fall klar. Brians Geheimnis musste das Schlimmste sein, weswegen sie davon ausging, er würde bis zum Schluss überleben. Sie verlor nicht einen Gedanken daran, was Charles verbergen könnte.
"Hey", rief Brian, kaum hatten alle die Küche betreten. "Ist das nicht..." Er starrte zur Kücheninsel.
Dort, wo einst die Äpfel und der USB-Stick gelegen hatten, stand nun die Teekanne, aus der ihnen Kaffee serviert worden war. Der eigenartig geformte Buddha grinste sie breit an und entblößte dabei seine Zähne. Was im Normalfall fröhlich gewirkt hätte, schien jetzt schaurig und beunruhigend. Brians Nackenhaare sträubten sich, ohne, dass er wusste weshalb.
Charles linste zum Küchentresen, während er sich nahezu unbeeindruckt Cognac in ein Glas schenkte. Katy runzelte verwirrt die Stirn und nahm die Kanne vorsichtig in beide Hände.
Sie war leichter, als sie aussah.
"Hier sind Löcher am Griff", teilte sie den Männern mit, nachdem sie das Stück Porzellan unter die Lupe genommen hatte. "Ein Loch oben und eines hier unten. Beide am Griff."
Brian trat an ihre Seite, wodurch sie etwas zurückwich. Obgleich sie wusste, dass sie ebenfalls Fehler gemacht hatte, empfand sie Ekel und Verachtung für Brian.
Der Musiker beachtete ihre Reaktion nicht weiter und nahm ihr die Kanne ab, um jedes Detail zu begutachten.
"Charles, reich mir Mal etwas Cognac. Katy, Wasser, bitte.", raunte Brian.
Nur widerwillig holte Katy ihm eine Flasche aus dem Kühlschrank. Charles trennte sich ungefähr gleich wenig von seinem Likör. Brian nahm beide Flüssigkeiten entgegen und füllte sie in die Kanne.
"Ein Glas, bitte", raunte der Musiker, woraufhin Charles ihm eines reichte.
Brian hielt das obere Loch am Griff der Kanne zu und goss Cognac in ein Glas. Er nahm sich ein weiteres und hielt dieses Mal das untere Loch zu. Zum Vorschein kam Wasser.
"Fuck...", hauchte Charles, der sofort verstanden hatte, welchem Zweck diese Kanne diente.
"S...So hat man uns Gift eingeflößt?", wisperte Katy. Ihr wurde augenblicklich noch schwummriger. Plötzlich gaben ihre Beine nach und sie stürzte zu Boden. Brian bekam sie gerade rechtzeitig zu fassen.
"Katy? Katy! Verdammt!" Brian spürte die Kälte, die von ihren Gliedmaßen ausging. Ihre Augen waren glasig, ihre Pupillen geweitet, ihre Wangen rot und aufgedunsen.
Katy Winsov holte ein letztes Mal Luft, bevor jegliches Leben aus ihrem Körper wich.
Sie sackte in Brians Armen zusammen. Rührte sich nicht mehr. Brian atmete abgehackt und schnell, während er versuchte, Katy wiederzubeleben.
Charles stand daneben und kippte das Glas Cognac hinunter. "Vergiss es. Ohne Gegengift kommt jede Hilfe zu spät", meinte er trocken. "Ich denke, selbst mit Gegengift wäre es hoffnungslos."
Brian ließ seinen Kopf keuchend über der Schauspielerin hängen. Weder er noch Charles glaubten, dass es je eine Hoffnung gegeben hatte.
"Wir haben den Butler nicht durchsucht", merkte Brian an, alsbald er sich halbwegs wieder im Griff hatte. Er kam schwankend auf die Beine und obwohl er selbst kaum stehen konnte, hob er Katy hoch und brachte sie zum Sofa, wo er sie sanft bettete.
"Dann nichts wie los", meinte Charles nüchtern. Er kippte sich ein letztes Glas Cognac hinunter, ehe beide die Stufen hinauf in das Büro des Hausherrn gingen.
Wie versteinert blieben die Männer in der Tür stehen. Eigentlich hätten sie nicht überrascht sein dürfen, dass der Körper des Butlers spurlos verschwunden war.
"Ich verstehe das ganze nicht...", murmelte Brian, während er den Boden mit den Füßen abklopfte. "Wie können die Leichen einfach verschwinden? Und wieso tötet man den Butler und den Hausherrn? Warum hatte der Butler diese Kanne?"
"Vielleicht war er ein Komplize und wurde am Ende selbst Opfer", meinte Charles achselzuckend.
Brian ließ seinen Blick schweifen. Schatten schienen ihn aus den Augenwinkeln anzustarren, ja, regelrecht auszulachen. Seine Sicht war bereits seit längerem verschwommen und er fühlte sich, als würde er verdursten, allerdings wollte er kein Wasser mehr trinken. Wer wusste, ob am Ende das Wasser nicht ebenfalls vergiftet gewesen war?
"Ob der Besitzer noch dort unten liegt?", fragte er an Charles gerichtet.
Kurzerhand machten sich die letzten beiden Gäste auf den Weg in die unterirdische Höhle, nur um diese leer vorzufinden. Der Hausherr war ebenso verschwunden wie sein Butler. Die Männer würde es nicht wundern, wenn selbst Susan, dessen Körper in einer Zinne hängengeblieben war, verschwunden wäre.
Als die beiden zurück ins Büro gingen, wurde durch den starken Wind etwas gegen die fensterlose Wand geschleudert. Brian schloss für einen Augenblick die Augen und hoffte, dass es nicht Susans Körper gewesen war.
"In deinem Zimmer waren wir noch nicht", merkte er anschließend an, als er die Augen wieder öffnete.
Charles holte tief Luft, stieß sie lange aus seinen Lungen und machte schließlich am Absatz kehrt. Sein Zimmer lag am weitesten entfernt von dem Büro des Hausherrn.
Brian tastete sich selbst vermehrt ab, aus Angst seine Glieder würden ebenfalls jeden Augenblick kalt werden, bevor er wie Katy enden würde.
Charles öffnete die Tür zu seinem Zimmer. Vor ihnen lag ein pechschwarzer Teppich. Darauf eine weitere Notiz in blutroter Farbe - dieselbe Farbe, die das Kunstfell einst gehabt hatte.
Charles trat mit seinem Stiefel auf die Notiz, als könnte er somit sämtliche Ereignisse in Vergangenheit und Gegenwart auslöschen.
"Spuck's einfach aus", meinte Brian. Sein Köpf dröhnte, als hätte er die Nacht zuvor zu viel gefeiert. "Egal, wer am längsten überlebt, wir kratzen ohnehin beide ab."
Charles Blick wanderte zum Fenster. Eimerweise Regen peitschte gegen das Glas, während Blitze im offenen Meer einschlugen und wundersame Muster am Himmel formten. Eine ähnliche Nacht hatte es vor vier Jahren und einundzwanzig Tagen gegeben. Natürlich hatte Charles weder mitgezählt, wie viel Zeit vergangen war, noch hatte er viele Gedanken an jenen Abend verschwendet.
"Es war der Tag, an dem Bernard auf seiner Privatinsel eine Feier gab", raunte der Schauspieler. "Niemand wusste davon, weil minderjährige Prostituierte anwesend waren. Ich wusste damals nicht, dass er mit Menschen handelte. Er lud mich kurz zuvor ein. Wir waren betrunken und unter Drogen gewesen. Ich erinnere mich nur noch daran, dass ich wohl sagte, dass junge Frauen etwas Anziehendes hätten, woraufhin er mir anbot, ihn auf seiner Insel zu besuchen. Damals dachte ich nicht viel darüber nach, ob die Mädchen und Jungen das wollten, was sie taten."
Charles fuhr sich müde über sein Gesicht. Anschließend musterte er seine Hand, als wäre sie ein Fremdkörper.
"Ich war so betrunken, dass ich später nicht darüber nachdachte.", fuhr er fort. Seine Brust hob sich etwas mehr. "Schätze, dass war mein Verhängnis."
Brian stand schweigend im Türrahmen. Sein Blick ging an Charles hinunter zu seinem Stiefel, unter dem die Notiz lag. "Ich glaube...", raunte er brüchig. "...du wirst länger ... überleben..."
Das letzte Wort schaffte es noch gepresst über seine Lippen, bevor der Musiker in sich zusammenbrach und keuchend am Boden aufschlug. Den Aufprall spürte er allerdings nicht mehr. Seine Sicht schwand, seine Brust sank zum letzten Mal.
Als Charles sich zu ihm umdrehte, lag er dort vor ihm - die Augen aufgerissen auf etwas in seiner Hand starrend. Der Schauspieler fuhr sich über seinen Bart und ließ sein Kiefer knacken.
Langsam ging er in die Hocke, öffnete Brians Finger und fischte ein kleines Kreuz aus Silber aus seiner Hand. Charles wusste, dass die Halskette einst Brians Mutter gehört hatte - welche eine gläubige Katholikin gewesen war. Ob Brian gelitten hatte, unter dem, was ihn Tag für Tag in seinen Gedanken heimgesucht hatte? Charles konnte lediglich raten.
Schwankend kam er wieder auf die Beine, nachdem er die Halskette zurück in Brians Hand gelegt hatte.
Als er das Zimmer verließ, war er derart in Trance versunken, dass er beinahe den Zettel an der Tür übersehen hätte. Wann und wie war er dahin gelangt?
Da man die Insel nicht verlassen konnte, musste damit der erste Mord gemeint sein. Entweder das oder die Eingangshalle. Etwas anderes kam Charles nicht in den Sinn, egal wie lange er die Buchstaben auf dem schwarzen Stück Papier anstarrte.
Wie fremdgesteuert machte er sich auf den Weg zur Bibliothek. Die Tür war angelehnt, das schwache Flackern von Kerzenschein drang in den Flur.
Charles hielt einen Augenblick inne, ballte die Hände zu Fäusten, wodurch er das Papier zerknitterte, und atmete tief durch. Er konnte nicht beurteilen, ob er Gift im Körper hatte oder nicht. Wenn, dann musste es eine wesentlich kleinere Dosis sein als bei den anderen. Das Einzige, das er wahrnahm, war sein berauschter Zustand. Trotzdem sammelte er jede verbliebene Kraft in sich, um sich zu fokussieren, bevor er die Bibliothek betrat.
Die Tür schwang mit einem leisen Quietschen auf.
Als Charles langsam um die Ecke trat, entdeckte er eine sitzende Gestalt am Sekretär, welcher am anderen Ende des Raumes stand.
"Na?", ertönte eine dunkle Stimme, in der ein Grinsen zu liegen schien.
In hohen Kerzenständern brannten etliche Kerzen, doch keine einzige erreichte mit ihrem Licht das Gesicht des Mannes, der dort saß - ein Bein über das andere gelegt. Charles erkannte lediglich, dass die Hände des Fremden auf einer Art Flanierstock ruhten.
"Haben Sie den Grund für diese Geschichte erkannt, Mister Miller?"
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