KAPITEL 5

"Aufwachen, Yuna!" Sanft rüttelte Miss Fiducia an Yunas Schultern. "Wie? Was? Ist etwas passiert?" Hektisch sah sie sich um. "Nein, es ist nichts passiert. Ich dachte nur, nach 15 Stunden Schlaf wäre es allmählich Zeit, dich aufzuwecken." "Fünfzehn?!" Schnell rappelte Yuna sich auf, wobei sie bemerkte, dass sie immer noch die Klamotten vom Vortag trug.

"Ach so, falls du dich umziehen möchtest: Wir machen uns gleich auf den Weg zum Camp Laborus. Dort wirst du spätestens morgen etwas Neues bekommen", meinte Miss Fiducia, die offenbar Yunas Gedanken erraten hatte. "Na los! Professor Dimitus wartet sicher schon auf dich."

Wenige Minuten später verließen sie das Glashochhaus und betraten eine belebte Straße. Es war ein warmer Sommertag, weswegen Yuna in ihrer langen Kleidung schwitzte. Nach kurzer Zeit passierten sie einen großen Platz, auf dem ebenfalls viel Betrieb herrschte. "Das ist der Nebelplatz. Hier werden wichtige Reden gehalten, und, wie du siehst", Miss Fiducia deutete auf einige Händler, die versuchten, anderen etwas zu verkaufen, "auch Dinge erworben. Das Camp Laborus liegt ziemlich weit im Süden von Nebula."

Da die Stadt offensichtlich ziemlich klein war, befanden sie sich nach nur zwanzig Minuten an einem Platz mit vielen kleinen und ein paar großen Zelten. "Da wären wir". Miss Fiducia lächelte. "Willkommen im Camp Laborus!"

Eine mittelgroße Frau mit schulterlangen grauen Haaren kam auf Yuna zu. "Du musst Yuna sein, unsere neue Custos. Herzlich willkommen in Nebula!" "Äh... Hallo!", antwortete Yuna. "Ich bin Miss Diamo. Wenn du Sorgen oder Probleme hast, kannst du immer zu mir kommen." Miss Diamo lächelte freundlich. Yuna mochte sie auf Anhieb. "Jetzt stelle ich dir erst einmal deine Mitbewohnerin vor", meinte sie und steuerte auf eines der Zelte zu.

Etwas überrumpelt folgte sie Miss Diamo. Sie sollte eine Mitbewohnerin bekommen? Wie die wohl war? Und wieso überhaupt Bewohnerin? Würde sie etwa hier einziehen? Ja, natürlich, fiel ihr im nächsten Moment auf. Wo auch sonst? Und außerdem: Mit anderen im einem Camp wohnen war sie schließlich gewohnt. Sie hatte ihr ganzes Leben nichts anderes getan!

Inzwischen war ein Mädchen mit grünen Augen und rotblonden Haaren aus dem Zelt gekommen. Sie hätte das Gegenteil von Yuna sein können. Nervös fuhr sich diese durch ihre langen schwarzen Strähnen, da sie nicht wirklich wusste, was sie sagen sollte. "Das ist Linh. Und Linh, das ist Yuna", übernahm Miss Diamo die Vorstellung. "Und du bist die Neue?", fragte Linh kühl. Yuna nickte darauf nur, auch wenn sie ihr Tonfall störte. Für ihre Herkunft konnte sie schließlich nichts.

"Mal eine Frage: Wieso verbringst du dein ganzes Leben irgendwo im Nirgendwo und tauchst plötzlich hier auf?" Diesmal konnte Yuna sich nicht zurückhalte. Was die konnte, konnte sie ja wohl auch! Deshalb erwiderte sie: "Dir stelle ich auch mal eine Frage: Was habe ich dir getan? Schließlich kennst du mich nicht mal!" Miss Diamo hatte sich inzwischen auf den Weg zu einem anderen Zelt gemacht und die beiden Mädchen allein gelassen.

"Entspann dich mal. Du bist eben die Neue und das ist seltsam, weil seit langer Zeit niemand neues mehr nach Nebula gekommen ist. Das ist ein Fakt, wenn dir das Wort bekannt vorkommt. Aber ich verstehe schon. Du bist eine dieser Zicken, die schon am Heulen sind, wenn sie nicht gleich bewundert werden. Wenn du willst, leg deinen Rucksack zu mir ins Zelt. Und wenn nicht - geh doch zu den anderen Zicken, Clarissa und Milana rücken bestimmt liebend gern zusammen."

Linh zog eine Augenbraue hoch und stand abwartend am Zelteingang. "Lässt du mich dann durch?", fragte Yuna schroff, was normalerweise gar nicht ihre Art war. Aber vor dieser Linh wollte sie auf keinen Fall klein beigeben. "Ja, schon gut. Also doch nicht zu den Zicken?" "Mensch, jetzt halt doch mal die Klappe!", fuhr Yuna sie an und stemmte die Hände in die Hüften. Endlich trat Linh einen Schritt zur Seite.

"Alle Custos bitte in die Gruppenhütte kommen! Ich wiederhole: Alle Custos kommen in die Gruppenhütte!", rief eine Stimme über den Platz, von der Yuna inzwischen wusste, das sie Miss Diamo gehörte. Sie orientierte sich an den anderen und lief auf das große blaue Zelt zu, in dem einige Bänke und Tische standen. Miss Diamo bedeutete den Jugendlichen, sich zu setzen und ergriff dann das Wort: "Wie manche von euch bereits gemerkt haben, ist nun eine neue Custos in Ausbildung."

Alle Blicke richteten sich auf Yuna, die knallrot wurde. Wie so oft verfluchte sie ihre Schüchternheit und wünschte sich, dass sie in solchen Situationen gelassen reagieren könnte. Wieso ging das nur nicht? Wieso?, fragte sie sich. "Ich bitte euch, sie freundlich aufzunehmen. Yuna kommt aus dem Camp magus und hatte demzufolge eine nicht ganz einfache Kindheit. Vielleicht kann einer von euch sie hier herumführen." Die Blicke waren nun noch neugieriger geworden. Und dann, im wirklich unpassendsten Moment, musste Yuna gleich drei mal niesen.

"Oh... Wisst ihr... Hier ist so viel Staub... Entschuldigung", versuchte sie sich zu rechtfertigen. Miss Diamo nickte ihr freundlich zu und Yuna wurde, falls das überhaupt möglich war, noch ein Stück röter. "Morgen fängt das Training wieder an. Ihr versammelt euch bitte pünktlich um 5:30 Uhr am Trainingsplatz. Es beginnt mit Geschichte der Custos." Miss Diamo ließ ihren Blick noch einmal über die zehn Jugendlichen schweifen. "Eigentlich hätte Professor Dimitus selbst mit euch gesprochen, aber er wurde für einen wichtigen Auftrag ausgewählt, der sich nicht hatte verschieben lassen. Aber gut, daran lässt sich nichts ändern. Wir sehen uns morgen!"

Die Custos verließen nach und nach das Zelt und machten sich auf den Weg zu ihren eigenen. Yuna tat das auch, da sie nicht wusste, was sie sonst machen sollte. Nach ein paar Metern kam sie an einem Glashochhaus vorbei, in dem sie ihr Spiegelbild sah, welches sie kritisch musterte. Ihr blickte ein zwölfjähriges Mädchen mit langen schwarzen Haaren, etwas dunklerer Haut und braunen Augen entgegen. Alles war so wie immer. Aber irgendwie auch nicht. Nachdenklich schlüpfte Yuna in das Zelt, was ab dem heutigen Tage Linh und ihr gehörte.

Innerhalb von so wenig Zeit hatte sich bei ihr so viel verändert. Doch es fühlte sich nicht falsch an. Sondern eher so, als hätte sie es schon ihr ganzes Leben in sich getragen und es wäre erst jetzt ans Licht gekommen. Den Rest des Tages verbrachte sie im Zelt. Und als es dunkel wurde, kuschelte sie sich in ihren Schlafsack.

Mitten in der Nacht schreckte Yuna hoch. Sie brauchte einige Sekunden, um sich wieder zu orientieren. Angestrengt versuchte sie, sich daran zu erinnern, was sie geträumt hatte. Schlagartig fiel es ihr wieder ein. Es war der Traum gewesen, den sie schon vor kurzem im Camp magus gehabt hatte. Mit der roten Straßenlaterne. Dem Mann und der Frau.

"Wieso träume ich dasselbe innerhalb von so kurzer Zeit?", murmelte sie leise vor sich hin. Wollte ihr Unterbewusstsein ihr damit etwas sagen? Oder war es nur ein seltsamer Zufall? An Letzteres glaubte Yuna kaum. Solche Träume kamen einfach nicht zufällig. Doch ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, glitt noch eine andere Sache durch ihr Bewusstsein. Wer war eigentlich diese Izera? Ob sie etwas mit dem Traum zu tun hatte?

Schnell schnappte sie sich ihren Rucksack und wühlte darin nach ihrer Jeans. Kurze Zeit später hatte sie gefunden, wonach sie suchte. In der Hosentasche befand sich noch der Zeitungsartikel über Izera und ihre finsteren Visionen. Sie las ihn wieder und wieder, doch mehr Informationen als beim ersten Lesen konnte sie auch jetzt nicht herausfiltern. Frustriert ließ sie sie sich auf ihren Schlafsack sinken. Dieses Rätsel hatte wahrhaftig das Zeug, Yuna die ganze Nacht wachzuhalten.

Ein paar Stunden später wurde sie durch einen Sonnenstrahl geweckt, der sie an der Nase kitzelte. Irgendwann musste sie wohl doch noch eingenickt sein. Sie rappelte sich auf und warf einen Blick neben sich, woraufhin ihr der Atem stockte.

Die Zeitung.

Sie war weg.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top