KAPITEL 2
"Dir ist schon klar, dass du dazu verpflichtet bist, mir zu erzählen, was gestern Nacht passiert ist?", meinte Meli am nächsten Tag, als sie zusammen mit Yuna am Meer stand. Das türkisblaue Wasser glitzerte im Licht der Mittagssonne.
Diese zupfte sich an den Haaren und versuchte, sich dumm zu stellen: "Keine Ahnung, was du meinst."
Meli zog eine Augenbraue hoch. "Yuna. Du kannst mir nichts vormachen. Außerdem zupfst du dir schon wieder so komisch an den Haaren, und das tust du nur, wenn du mir Mist erzählt und dabei glaubst, dass ich dir den sogar abnehme."
Sie sah Yuna wieder mit hochgezogener Augenbraue an und fügte dann hinzu: "Du hast heute bis zum Mittag geschlafen! Ich wollte dich wecken, aber Professor Fortis meinte, ich soll dich in Ruhe lassen. Er ist nicht mal ein kleines bisschen ausgerastet! Und schau mich nicht so an - du weißt, dass ich eine Erklärung erwarte."
"Ist gut", seufzte Yuna und ließ sich nicht länger bitten, ihrer Freundin die Geschichte der vorigen Nacht zu erzählen.
"Das ist... unglaublich."
Auf Melis Gesicht lag ein trüber Schatten, nachdem Yuna ihre Erzählung beendet hatte. Diese wüsste gerne, woran das lag, traute sich aber nicht zu fragen.
"Ja, das ist es wirklich", erwiderte sie schließlich nur.
Dann war es wieder still zwischen den beiden und nur das sanfte Rauschen des Meeres war zu hören. Yuna trat von einem Fuß auf den anderen. Die Situation war ihr irgendwie unangenehm, ohne dass sie genau wusste, woran es lag.
"Irgendwie habe ich immer gedacht, dass das Camp magus der sicherste Ort der ganzen Welt ist, aber jetzt... nach der Sache mit dem Mann... bin ich mir da nicht mehr so sicher", brach sie das Schweigen.
"Ja", antwortete Meli knapp.
Warum nur war sie plötzlich so einsilbig?
Doch dann, einen Augenblick später, erklärte sie endlich, was mit ihr los war. "Weißt du, nachdem dir diese Sache mit dem Mann passiert ist, habe ich Angst, dass du jetzt, genau wie all diese anderen Jugendliche, über Nacht verschwindest und wir uns... nie wiedersehen."
"Oh", flüsterte Yuna und senkte betroffen den Blick. Die Worte waren traurig, aber bedeuteten ihr gleichzeitig so viel. Es war unendlich schön zu hören, dass sie ihrer Freundin anscheinend ebenso viel bedeutete wie sie ihr.
Meli sah auf und schaute Yuna mit einem vorsichtigen Lächeln an, doch es schimmerten Tränen in ihren Augen. Yuna wusste nicht, wann sie sie das letzte Mal hatte weinen sehen. Ob sie das überhaupt jemals wahrgenommen hatte.
"Yuna, nur falls du tatsächlich bald einfach verschwinden solltest: Du bist und bleibst für mich immer die beste Freundin, die ich mir je hätte wünschen können. Immer."
Yuna lag so viel auf der Zunge. Wie cool sie Meli fand. Dass sie ihr immer zuhörte. Dass sie nicht wusste, was sie ohne sie machen sollte. Dass sie... Ihr würden noch so viele Dinge einfallen.
Doch stattdessen flüsterte sie nur: "Du.. du wirst das auch für immer bleiben."
Die beiden Mädchen umarmten sich.
Sehr, sehr lang.
Nach einer gefühlten Ewigkeit löste sich Meli vorsichtig aus dem Umarmung, wühlte in ihrem hellgelben Rucksack, den sie immer bei sich trug, und zog zwei silberne Ketten mit jeweils einem Amulett daran hervor.
"Ich wollte sie dir eigentlich früher geben, aber ich glaube, dass jetzt der richtige Zeitpunkt dafür ist."
Vorsichtig hängte sich Yuna die zarte Kette um den Hals und betrachtete das Amulett genauer.
Je nachdem, wie man es in die Sonne hielt, schimmerte es in einer anderen Farbe des Regenbogens. Geheimnisvoll verschlungene Muster zogen sich über den glatten Stein.
"Die sind ja wunderschön!"
Yuna war überwältigt und zog ihre Freundin das zweite Mal in eine feste Umarmung.
"Wie hast du die bloß bekommen?", wollte sie wissen, als sie sich von ihrer Freundin gelöst hatte.
"Kann ich dir das morgen erzählen?", fragte Meli und deutete in den Himmel. Das Lächeln, welches sich soeben noch auf ihrem Gesicht ausgebreitet hatte, war verschwunden. "Schau, die Sonne geht schon unter."
Hastig schulterte sie ihren Rucksack und lief schnell zur Hütte, ohne einen Blick zurück zu werfen. Yuna hätte sich ohrfeigen können. Da machte Meli ihr ein wunderschönes Geschenk und sie zerstörte den Moment, indem sie eine völlig unwichtige Frage stellte!
Gerade wollte sie ihrer Freundin hinterherlaufen, doch da fiel ihr ein Stück Papier auf dem staubigen Boden auf. Sie setzte sich vorsichtig hin, nahm es in die Hände und betrachtete es genauer.
Yuna runzelte die Stirn. Das musste eine Zeitung sein! Professor Fortis erzählte immer von den kleinen Heften, in denen wichtige Informationen an die Menschen überliefert wurden.
Ganz oben auf dem Blatt stand in großen Buchstaben:
"UNGEWÖHNLICHE FÄHIGKEITEN DER IZERA LÄUTEN VERÄNDERUNG IN DER WELT DER CUSTOS EIN"
Sie kniff die Augenbrauen zusammen. Nun schon zum zweiten Mal hörte sie von einer gewissen Izera und ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten. Yuna vergaß ganz, dass sie immer noch auf dem staubigen Boden saß und begann, den Artikel zu lesen.
Eigentlich hatten die Eltern Izeras der Öffentlichkeit versichert, dass die seltsamen Visionen des jungen Mädchen ein Ende genommen hätten. Eigentlich. Doch während wir uns beruhigt anderen Themen gewidmet haben, plagten die 15-Jährige wohl weiterhin düstere Träume über eine Bedrohung, die sich Nebula in rasantem Tempo nähert. Genauere Infos sind noch nicht vorhanden, vor allem, da die Eltern keine Details preisgeben wollen. Besonders der Mutter lag das wohl sehr am Herzen. Die wenigen Dinge, die dann doch durchgesickert sind, verraten wir auf Seite 13.
Yuna fluchte leise. Zu gerne hätte sie noch mehr über diese geheimnisvolle Sache mit Izera und ihren Visionen erfahren, doch auf der Rückseite stand nichts weiter zu dem Thema und auch in der Umgebung lagen keine weiteren Teile der Zeitung herum. Sie klopfte den Staub von ihrer Jeans, steckte den Artikel in ihre Hosentasche und machte sich auf den Weg zum Abendessen.
Als Yuna dann später im Bett lag, konnte sie wie am vorigen Abend nicht einschlafen. Sie dachte über Izera nach, aber auch über das Gespräch mit Meli, dessen Ende sie fürchterlich bereute. Doch als jene sich mit einem Rascheln zu ihr umdrehte, konnte sie nicht anders, als zu fragen:
"Beste Freunde?"
Meli lächelte. "Für immer."
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