KAPITEL 18
Alle Farbe wich aus Professor Gravis Gesicht, als sie die Worte aussprach. "Glauben Sie mir, ich kann diese Angelegenheit erklären, also lassen Sie mir doch bitte einen Augenblick Zeit!" Langsam trat Yuna einen Schritt nach dem anderen zurück, ihren Blick starr auf Professor Gravis gerichtet. "Sie waren das", stieß sie mit gefährlich leiser Stimme aus. "Was hatten Sie mit mir vor?"
"Miss Delaric - ich bitte Sie, mir zu glauben, dass ich nichts bösartiges mit Ihnen geplant hatte, ganz im Gegenteil, hören Sie mir mir doch bitte zu!" Abwartend nickte Yuna. Sie presste ihren Rücken gegen die Tür, jederzeit zur Flucht bereit.
"Nun... ich fürchte, damit Sie mir vertrauen, muss ich Ihnen die ganze Geschichte erzählen - das könnte allerdings etwas dauern." "Gut. Ich habe Zeit." Professor Gravis Stimme wurde leise und etwas traurig, als er schließlich begann zu sprechen.
"Professor Fortis und ich kennen uns schon jahrzehntelang. Früher wohnten wir beide in Nebula und wollten damals, als wir so alt waren wie sie, Custos werden - es war unser größter Traum, gemeinsam für die magische Welt zu kämpfen. Also zogen wir beide aus unseren Wohnungen der Glashochhäuser aus und bewohnten zusammen ein Zelt im Camp Laborus, welches sich seit jeher kaum verändert hat. Unsere Eltern sahen wir kaum, wie es für Custos vorgesehen war, damit sie sich voll und ganz auf ihre Ausbildung konzentrieren. Viele finden das nicht fair - Professor Fortis und ich gehörten dazu. Aber wie dem auch sei - es stellte sich nach wenigen Wochen heraus, dass ein Training für uns nicht möglich war. Wir waren nicht begabt im Kämpfen, nicht höflich genug, es passte schlicht und einfach nicht. Wir beide waren damals am Boden zerstört. Es schien, als wären all unsere Träume und Hoffnungen von einem Tag auf den anderen zerstört worden."
Yuna schluckte. "Und was geschah dann?" Professor Gravis wischte sich über die Augen, bevor er seine Erzählung fortsetzte.
"Uns ging es für eine lange Zeit wirklich schlecht. Wir zogen uns zurück. Stritten uns mehrmals. Einfach, weil wir so frustriert waren. Doch irgendwann war auch das überwunden und wir schafften es, regelmäßig Kurse im Archiv von Nebula zu besuchen. Dort brachten äußerst talentierte Professoren uns und vielen anderen jugendlichen Magiern alles bei, was man in der magischen Welt wissen musste, um unterschiedliche Dinge zu erlernen. Wissen Sie, Berufe werden in Nebula nach Bedarf verteilt. Einige sind Custos und erledigen Aufträge in der magischen Welt, andere trainieren sie. Manche öffneten Stände auf dem Nebelplatz und verkauften Schattenbeeren - Sandwiches und andere Speisen. Sehr viele werden Lehrer und unterrichten junge Magier, die keine Custos sind. Professor Fortis und ich probierten all diese Möglichkeiten aus. Doch jedes Mal hieß es, wir hätten kein Talent. das war zu viel für uns und wir stürzten in eine tiefe Krise."
Yuna senkte betroffen den Blick. Das ist ungerecht. Eine Stimme in ihrem Inneren protestierte gegen das, was sie soeben gehört hatte. Das muss so sein. Die Stimme, die der magischen Welt vertrauen wollte, hielt dagegen. Doch welche hatte recht?
"Ich hatte das Gefühl, etwas mit mir würde nicht stimmen", riss Professor Gravis sie aus ihren Gedanken. "Professor Fortis dagegen hatte große Probleme mit Aggressionen, verlor schnell die Kontrolle und wurde unglaublich wütend. Für mich war das besonders hart, da ich ihn so lange kannte - und wahrscheinlich besser als jeder andere -, und somit genau wusste, wie er vorher war."
"Wie... wie war er denn vorher?", flüsterte Yuna und ließ sich mit dem Rücken an der Wand auf den Boden gleiten.
"Mutig und klug, gerecht und ehrlich. Manchmal bemerkte man noch etwas von der Person, die er früher war. Doch es war nicht oft genug und so zerbrach unsere Freundschaft nach und nach. Ich hatte so oft noch etwas Hoffnung, habe so oft versucht, sie zu retten - chancenlos. Das letzte Mal, als ich noch etwas zuversichtlich wurde, dass sich unser Leben doch noch bessern könnte, begann grauenvoll. Es waren dunkle Zeiten, Yuna Delaric. Zeiten, in denen Hunderte, wenn nicht sogar Tausende Eltern ihre Kinder an den unmöglichsten Orten aus dieser Erde aussetzten. Auch heute kennt noch niemand die Ursache davon. Sicher ahnen sie schon, was als nächstes geschah. Uns wurde vorgeschlagen, das Camp magus zu gründen. Ich freute mich so sehr - und wurde kurz darauf fürchterlich enttäuscht. Professor Fortis riss alles an sich und verschwand von einem Tag auf den anderen."
Schockiert riss Yuna die Augen auf. Damit hätte sie niemals gerechnet. Natürlich, besonders viel gesprochen hatte Professor Fortis nie. Gemocht hatte sie ihn trotzdem. "Wie ging es dann weiter?", fragte sie leise, obwohl sie es schon ahnte. Bald würde sie ins Spiel kommen.
"Es tauchten Prophezeiungen auf, Miss Delaric. Prophezeiungen von Ihnen. Dies verwirrte viele Magier und ich kann mir vorstellen, dass Sie deswegen von manchen Magiern seltsam behandelt werden. Es waren viele Prophezeiungen, doch eine von ihnen besagt, dass die Person, die Ihnen von der magischen Welt erzählt, eine bedeutsame Rolle in Ihrem späteren Leben spielen wird. Nun - Sie ahnen es bereits. eines Abends reiste ich auf die einsame Insel mitten im Meer, um Sie über Nebula aufzuklären und schließlich mitzunehmen. Es war dumm - das weiß ich. Aber ich wollte um jeden Preis etwas besonders tun, etwas, was vielleicht dazu geführt hätte, dass mich irgendwann, irgendjemand mal akzeptiert und anerkennt. Doch nichts lief nach Plan. Sie vertrauten mir nicht und schließlich funkte auch noch Professor Fortis, mein alter Freund, dazwischen und schickte mich fort. Ich kann ihn verstehen. Er tut das richtige. Er rettet so viele Leben von ausgesetzten Kindern und Jugendlichen. Ich nehme an, dass er im Camp magus gut zu euch ist. Dass es zwischen uns nicht mehr funktioniert hat, hing von vielen Faktoren und auch von mir ab. Es lag nicht nur an ihm."
Yuna war gleichzeitig erleichtert und überwältigt. Sie würde Professor Fortis weiterhin vertrauen. Er war ein guter Mensch. Doch gleichzeitig überforderte sie das Gehörte. Wie konnte es sein, dass es Prophezeiungen über sie gab und wieso hatte niemand ihr davon erzählt? Die Frage beunruhigte sie, aber sie beschloss, sich später mit ihr zu beschäftigen. Im Augenblick hatte sie wirklich genug Sorgen.
"Heute lebe ich in dieser - zugegebenermaßen etwas heruntergekommen - Hütte und biete reisenden Custos einen Unterschlupf für die Nacht an. Es ist wichtig und sinnvoll - und ja, manchmal ist es etwas einsam. Aber egal, wie allein ich mich oft fühle, ich weiß immerhin, dass ich das richtige tue. Und das genügt mir."
Yuna nickte. Sie brachte es nicht fertig, etwas zu sagen, zu sehr war sie damit beschäftigt, ihre Gefühle zu sortieren. Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie Professor Gravis vertrauen konnte. Er hatte ihr soeben seine komplette Lebensgeschichte erzählt. eine Geschichte, die er sich nicht einfach hätte ausdenken können. Eine Frage jedoch hatte sie noch: "Wieso haben sie mir all das berichtet?"
"Weil ich wollte, dass Sie mir vertrauen, Miss Delaric, und wie ich merke, ist mir das gelungen." Sein Gesicht war freundlich und ernst zugleich. "Darf ich sie eigentlich fragen, wieso Sie sich in dieser Gegend aufhalten. Ihre Freunde sagten mir nur, dass Sie Custos im Auftrag von Nebula sind." Kurz zögerte Yuna, doch dann gab sie sich einen Ruck und erzählte die Geschichte von Izzys Entführung. Als sie jedoch schloss, lag auf Professor Gravis Gesicht nicht der Ausdruck von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, sondern sogar der Anflug eines Lächelns. "Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich weiß, wo Ihre Freundin gefangen gehalten wird." Yuna war sprachlos. "Und wie kommen wir dorthin?"
"Ich habe eine Karte."
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