Das Videoband
Die Frau des Verlierers, die Freundin, Vertraute und Geliebte kehrte heim.
Lange Jahre war es nie anders gewesen.
Lange Jahre in denen direkt hinter der Eingangstür, im Flur, der Spiegel anzeigte, wie der folgende Abend verlaufen würde.
Doch den heutigen Abend würde sie in ihrem Spiegelbild nicht lesen können.
Sie fand den jungen Mann, der sie liebte, fort und an seiner Statt sein Testament in Form eines Videobandes.
Verlassen lag die kleine Wohnung in der Mitte der Siedlung.
Verlassen von Verstand, Geist und Erinnerungen.
Ein einziges Wort beschriftete die schwarze Kassette, welche das erste Gefühl zweier Menschen einst konserviert und nun das Letzte. Zumindest das letzte des einen, der übrig war, um den anderen zu lehren, dass es auch ihre Gefühle waren, wenn sie es nur einmal wagte, ehrlich zu sich selbst zu sein: "Hochzeit".
Alt und vergilbt stiegen Bilder auf aus dunkler Vergangenheit, hinein in den Geist der jungen Frau.
Die Jahre waren kürzer geworden, je älter sie geworden war, doch alt war sie noch lange nicht.
Sie schob das Band in den Recorder und sah die gelöschten Bilder ihrer Heirat vor ihrem inneren Auge.
Zurück zog sie die Stimme des Verlierers, der sie liebte, die vertraute Tonlage nun seltsam verzerrt und so schien er ihr unkenntlich auf dem Medium, das sie von seiner Gegenwart trennte.
Sie erkannte auch ihr kleines Wohnzimmer: reinlich-sauber und etwas überladen dekoriert.
Auch das Zimmer im Bildschirm des Fernsehers befremdete sie.
Sah sie nun die Welt mit den Augen einer Fremden, die sie beobachtete?
Der Verlierer, der sie liebte, sah sie durch Linsen und Röhren hindurch an und alle Stimmen, außer der seinen, schienen in diesem Augenblick zu verstummen:
"Geliebte Freundin.", sprach er zu ihr und seine Augen und ihre trafen sich auf der Mattscheibe, "Mein Leben ist klein wie diese Wohnung und meine Worte unbedeutend wie mein Verstand. Einst konnten wir erleben, was es hieß zu lieben und zu tanzen, schließlich nur noch zu beobachten.
Wir betrachten uns selbst. Und wie oft fragte ich dich, ob wir diese Personen seien?
Sind wir gewachsen, erwachsen, entwachsen?
Ich frage dich ruhig. Lass dir Zeit, während du mich ansiehst, wie eine Fremde mich ansieht, wie wir uns selbst gerne sehen. Und dies ist erst ein paar Stunden vergangen!
Du warst da für die guten Tage, du warst da und ich blieb, auf dass die guten Tage mit uns seien.
Du warst das Zentrum und ich drifte ab.
Dies ist mein Weg. So sage ich auf Wiedersehen.
Dies ist meine Art zu vergessen, zu löschen und endlich zu sein.
Du siehst in mein Gesicht, doch ich kann das nicht.
Sei beruhigt und wisse, der Tag als ich entschied zu gehen, der Tag als ich entschied zu tun, war der beste meines Lebens.
Sieh nicht zurück auf die Anfänge und lösche nun dieses Ende.
Manchmal laufen die Dinge einfach davon. Manchmal muss man ihnen folgen.
Manchmal bleibt man stehen und blickt sich ziellos um.
Doch manchmal gewinnt ein Tag an Bedeutung und ein Verlierer gegen sich selbst."
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