·33·

· Autophobia ·

anxiety disorder that is triggered by the idea and experience of spending time alone

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Ich schlief schlecht. Zum ersten Mal seit Anbeginn der Apokalypse hatte ich Alpträume - und das nicht einmal von Monstern und Leichen und Blut. Anstatt die tagtäglichen Horrorszenarien zu verarbeiten sehe ich... nichts. Ich bin allein in einer undurchdringbaren Schwärze, die fehlende Präsenz der Anderen legt sich um meinen Körper wie ein hauchdünner Schleier aus beißenem Eis. Es brennt, sticht, knistert, und doch schmilzt es nicht. Es versengt meine Haut, so sehr ich mich auch winde und um mich schlage.

Die Erleichterung, welche mich beim Erwachen durchströmt, überschattet für eine kurze Zeit die Schmerzen und entlockt mir sogar einen leisen Seufzer, welcher aufgrund meiner trockenen Kehle als unangenehm hoher Wimmerton meine Lippen verlässt. Die Euphorie dauert aber nur einen süßen Moment lang an - dann spüre ich es. Also, einfach alles.

Mein Rücken. Scheiße aber auch, ich hätte die Tabletten holen sollen, nachdem Olivia eingeschlafen war. Ich liege auf der Seite, und doch scheint es mir, als bohre sich heißes Eisen in meine Schulterblätter, während ich mich vorsichtig aufzurichten versuche. Mein Shirt klebt teilweise an meiner Haut und lässt sich nur mit viel Gesicht-Verziehen wegzupfen, was wohl heißen muss, dass die Wunde wieder geblutet hat. Ich bin zwar kein Arzt, aber ich bin mir trotzdem ziemlich sicher, dass dieser Schnitt nicht ideal verheilen wird, wenn das so weiter geht... Falls er das überhaupt irgendwann tut, wenn ich nicht zuvor an einer Blutvergiftung verende.
Neben diesem Wehwehchen kommt noch so geschätzt jedes einzelne Gelenk hinzu, welche mir meine Nacht auf dem harten Fliesenboden noch nicht verziehen haben. Alles knackt und knirscht wie seit Jahrhunderten verrostet, mein Genick trägt meinen Kopf kaum aufrecht, droht schwach nach hinten zu sacken. Es gibt verschiedene Steigerungen von schlechtem Schlaf, doch ich habe gerade ein ganz neues Level freigeschaltet.

Jacy ist natürlich auch nicht mehr da. Haare und Blut kleben noch am Rand der Badewanne, der davon ausgehende Geruch ist nur minder angenehm und lässt mir nicht mal das Durchatmen als Entspannungsmethode. Ich höre dumpfe Stimmen im Erdgeschoss, worauf ich schließe, dass die Kompanie sich wohl dort versammelt haben muss. Niemand scheint auf die Idee gekommen zu sein, sich möglicherweise um meine Wenigkeit zu scheren. Die anfängliche Erleichterung über ihr Dasein verblasst und weicht einer tiefgreifenden Genervtheit, welche unangenehm in der linken Brusthälfte sticht.

Es dauert seine Zeit, bis ich mich endlich auf die Beine hieven will. Auch die elende Gestalt im Spiegel starre ich noch eine gute Weile lang an, obwohl sie alles andere als schön anzusehen ist. Blass ist sie. Ungesund sieht sie aus. Fast so grässlich, wie ich mich fühle. Die roten Flecken am Rücken geben dem Untoten-Look den letzten Schliff und veranlassen mich dazu, mir ein Handtuch aus dem Regal zu angeln und es ganz unauffällig um die Schultern zu hängen. Vielleicht erscheine ich in jemandens Spiegel, wenn er dreimal im Mitternacht meinen Namen sagt. Wenn man nicht so genau hinsieht, könnte das Tuch auch ein Umhang sein, der mir einen Dracula-Flair verleiht. Obwohl... Ein Vampir würde wohl kaum einen blauen Umhang mit Muscheln darauf tragen.

Ein ungewöhnlich sauberer Jacy sitzt zusammen mit Olivia am Tisch, als ich es endlich ins Esszimmer schaffe. Die Jamaikanerin hat sich das Fledertier auf den Schoß gesetzt und putzt ihm alle paar Sekunden mit einer Serviette über den Mund, während es sich ein Marmeladenbrot nach dem anderen in den Mund schiebt. Jacy dagegen schaufelt schöpflöffelweise eine breiige Mischung direkt aus einem Kochtopf. Scheint so ein Mutationen-Ding zu sein, ständig zu fressen, als seien sie am Verhungern.

Der Kater bemerkt mich als erster.  Er hält mitten in seinem Tun inne, dann schielt vorsichtig über den Rand seines Futtereimers hinweg zu mir. Sein Blick ist undefinierbar, nur seine Ohren verraten ihn wieder einmal, als sie sich eine Spur zu auffällig nach hinten legen. Er scheint nicht glücklich über meinen Anblick. Ob nun aufgrund meiner Anwesenheit oder aus rein optischen Gründen vermag ich nicht zu sagen.

Olivia braucht etwas länger, um mich wahrzunehmen, wo sie doch gerade so sehr damit beschäftigt ist, die fehlenden Tischmanieren der Fledermaus zu beheben. Dennoch reagiert sie weitaus positiver als der Flohbeutel.

"Gottnah, Mercy! Du schaust nicht sehr frisch aus der Wäsche. Setz dich hin, ich bring dir deine Tabletten und was zum Essen."

Wie eine Mutter klingt sie, als sie mich teils sorgen-, teils vorwurfsvoll kommandiert. Ich bringe nur ein Murren hervor, tue aber wie geheißen. Dieses kleine Mutantending scheint ja wirklich alle Instinkte in ihr zu wecken, doch Olivia war ohnehin schon immer eine der bemutternden Sorte. Vielleicht ist sie deshalb eine meiner wenigen Freunde, die es mit mir aushält; sie ist viel zu nett und nimmt einem nichts böse, und mir tut es zu leid, um allzu gemein und abweisend zu ihr zu sein. Bei den meisten anderen Menschen ist es mir recht egal, wenn ich ungerechtfertigt einen Streit anfange. Bei Sam zum Beispiel. Der kann mich mal.

Während ich mich also auf einen der Stühle hieve und stillschweigend auf mein Gedeck warte, spüre ich nur allzu deutlich einen giftgrünen Blick auf mir. Ich habe reichlich wenig Lust, jetzt die vergangene Nacht wieder aufzurollen. Vielleicht weil ich müde und wehleidig und schlecht gelaunt bin. Möglicherweise aber auch, weil ich zu viel nachdenke - zu viele Gedanken an etwas verschwende, das mich nicht zu interessieren braucht. Unter welchen psychisch abnormen Ticks und Traumas Jacy leidet, hat doch keine Bedeutung für mich. Absolut keine. Das ist mir vollkommen egal. Voll und ganz.

"Nimm vielleicht nicht alle auf einmal. Ich weiß nicht ob das so gesund ist so viele..."

Noch während Olivia mir ein penibel ordentliches Tablett mit zwei Scheiben Marmeladenbrot, ein Glas Orangensaft, Servietten, Besteck und dazu ein kleines Schälchen mit all meinen Schmerz- und Entzündungshemmern vor die Nase stellt, greife ich schon nach meiner Medizin. Geübt kippe ich die kleinen Pillen hinunter, noch bevor die verdattert Jamaikanerin zu Ende sprechen kann.

Natürlich wirkt das Zeug nicht sofort, doch es gibt ein gutes Gefühl, sie zumindest am Weg in meine Blutbahn zu wissen. Tatsächlich habe ich aber reichlich wenig Appetit auf den Rest. Mein Magen scheint nicht ganz zufrieden mit der Pillendiät und rumort schon länger unangenehm, doch nun, auf leeren Magen, scheint es sogar noch schlimmer als sonst. Wenig lustvoll nage ich ein wenig an der Kruste herum, während Olivia sich  wieder zu ihrem neuen Adoptivkind setzt. Sie schweigt ein wenig vor sich hin, ehe sie erneut spricht.

"Jacy hat von irgendwo her Toast geholt, euer Kühlschrank schaut ansonsten sehr traurig aus", beginnt sie etwas zu künstlich beschwingt zu erzählen. "Aber Marmelade habt ihr ja zum Glück immer genug. Wenn wir länger hier bleiben, können wir ja noch auf die Marillen warten und Kuchen backen. Wäre schade wenn sie im Garten verrotten."

Sie wirft mir einen auffordernden Blick zu, mich ebenfalls verbal einzubringen, aber mehr als ein knappes Nicken bekommt sie nicht. Ein bitterer Geschmack sitzt in meiner Kehle, welcher selbst die fruchtige Süße schwer schluckbar macht. Ich frage mich, ob ich überhaupt einen Ton hervorbringen könnte, ohne dabei wie eine sterbende Aaskrähe zu klingen.

Ein tiefes Seufzen seitens der Jamaikanerin. Sie scheint nicht sehr begeistert von meiner Redseligkeit.

"Also, wenn die Tabletten wirken und du dich besser fühlst... Vielleicht können wir dann bereden was wir jetzt tun werden."

Ein ungewohnt trüber Ton für sie.
Ich zwinge mir den Rest des Orangensafts auf, ehe ich mich zum Sprechen durchringe. Wenn Olivia deprimiert wird, ist alle Hoffnung verloren, wo sie doch die Optimistin unter uns ist.

"Also..."

Na das war ja mal gar nicht sooo schlimm.

"... ich dachte mir..."

Oje, es geht bergab.

".. vielleicht gehen wir in ein Spital oder so und röntg-"

Die Stimme versagt mir und alles was hervorkommt ist ein raues Husten. Die Nacht am feucht-kühlen Badezimmerboden war vielleicht nicht sehr ideal für mein angeschlagenes Immunsystem. Wie witzig es wäre, an den dämlichen Folgen einer Wunde zu sterben, während tollwütige Monster jeden anderen zur Strecke bringen.

Olivia zieht die Augenbrauen zusammen.

"Wen willst du denn röntgen? Wir wissen doch gar nicht wie diese Geräte funktionieren. Glaubst du, du hast was gebrochen? Tut dir was weh?"

Ich schüttel den Kopf, während ich noch versuche mein Husten unter Kontrolle zu bringen. Atemlos zeige ich mit schamlos ausgestrecktem Finger auf Jacy.
Die plötzliche Miteinbeziehung in das Gespräch lässt den Kater verdattert aufblicken. Er war gerade dabei gewesen den Topf auszulecken, an seiner Nase und Schnurrhaaren kleben noch Essensreste, die ich nicht zu identifizieren vermag.
Er deutet sichtlich verwirrt auf sich selbst.

"Mich?"

Ich nicke.

"Warum?"

Ich deute auf meine Rippen. Allerdings etwas zu enthusiastisch, worauf ich mir selbst den Finger in die Haut bohre und zum fluchen ansetze. Ich muss erneut husten. Olivia setzt an mir auf den Rücken zu klopfen, lässt es dann aber klugerweise sein.

"Du glaubst wirklich noch, dass die Stelle irgendwas besonderes an sich hat?"

Energisches Nicken meinerseits.

"Also sollen wir Jacy röntgen, um zu schauen, ob sich dort irgendetwas auffälliges befindet?"

Ich bin fertig. Ich bin keine halbe Stunde wach, und doch hin ich bereits jetzt fertig für heute. Ich versuche es gar nicht erst, meine Zustimmung in Worte zu fassen, sondern gebe Olivia für ihre großartige Kombinationsgabe nur zwei Daumen hoch, während ich die Stirn auf die Tischplatte bette. Vielleicht wäre alles ein wenig besser, wenn ich noch ein kleines Nickerchen in einem weichen, warmen Bett halte. Für gewöhnlich heilt Schlaf ja so manch nervige Krankheiten. 

Ich höre nur, wie Olivia das Tablett mit dem halb aufgegessenen Broten wieder wegräumt, aufsehen tue ich nicht. Allein das genüssliche Schmatzen des Fledermaus erfüllt den plötzlich so drückend stillen Raum. 

"Das riecht nicht gut."

Langsam hebe ich den Kopf und blinzel Jacy verständnislos an. Er schaut mich nicht einmal an, hält den Blick stattdessen auf den leeren Topf gesengt, doch ich bin mir sicher, er spricht mit mir. 

"Deine Wunde. Sie riecht... faulig."

Ich blinzel nicht. Ich atme nur. Ein und aus, immer weniger, immer knapper wird die Luft, immer bitterer ihr Geschmack. Sich über seine eigenen Missstände lustig machen, ist eine Sache. Eine Bestätigung wollte ich dafür eigentlich nicht. 
Was solls.
Ich bin müde. Ich will nicht denken, nicht überlegen, was ich mit dieser Information jetzt anfangen soll. Es gibt sowieso keine Lösung dafür, nicht hier. Vielleicht ist mein Vorschlag mit dem Krankenhaus doch gar nicht so eine Schnapsidee. Wenn ich auf den Weg dahin nicht kollabiere und nur einen einzigen Weißkittelträger finde, welcher mich fachgemäß behandelt, stehen meine Chancen gar nicht mal mehr so schlecht, die Apokalypse zu überleben.

Wie witzig es wäre, wenn ich an den dämlichen Folgen einer Wunde sterbe - nachdem ich den Schlüssel gefunden habe, alle zu retten.

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