· 29 ·

🌊

· breathless·

breathing too fast, and therefore unable to get enough air into your lungs to be comfortable

× × ×

Die scharfe Duftwolke, die uns entgegenschlägt, als Jacy ruckartig die Tür aufreißt, nimmt mir für einen kurzen Augemblick den Atem. Meine Hand schwebt noch auf halben Weg in der Luft, als ich sie dramatisch langsam und mit steigendem Puls auf die Klinke legen wollte, doch der Kater verlor alsbald seine Geduld mit meiner epischen Slowmotion und versetzte uns den Gnadenstoß, indem er einfach die Arbeit übernahm.
Im Nachhinein gesehen war es vielleicht ganz gut so. Allein bei dem Gedanken, als Erste in diesen Flur treten zu müssen, wird mir schwindelig.

Noch nicht einmal 24 Stunden ist das Massaker her, doch das getrocknete Blut hat sich bereits als dunkle Flecken in Boden und Fassade gefressen, als würde es schon Jahre hier kleben. Wie abstrakte Muster ziert die rotschwarze Farbe die beigen Wände, verronnene Tropfen ziehen dünne Linien senkreicht über den hellen Hintergrund wie feine Gitterstäbe. Die Luft scheint dick wie Rauch, der metallene Gestank lastet schwer im Raum, verstopft meine Lunge und vernebelt meine Gedanken. Lautlos keuche ich nach Sauerstoff; ich habe beinahe das Gefühl, in dieser gesättigten Umluft zu ertrinken. Nicht gerade sehr hilfreich, wenn einem die Kehle noch zusätzlich eng wird - denn Blut, das ist gefühlt überall.
Aber eine Leiche sehe ich nirgendwo.

"Mercy."

Jemand zischt meinen Namen, doch erst als eine ziemlich hektisch aussehende Olivia in mein starres Sichtfeld tritt, nehme ich die Person bewusst wahr. Ihre kleinen Hände packen mich an den Schultern und rütteln mich grob, dass mein Kopf schmerzhaft ins Genick fällt und einzelne Haarstränen vor meine Augen peitschen. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich mitten in meiner Bewegung erstarrt bin.

"Du hast jetzt nicht schon wieder eine Panikattacke, oder?"

Halbherzig schlägt sie mir gegen die Wange, und ich verziehe mehr angeekelt als schmerzerfüllt das Gesicht. Ihre Handfläche ist warm und feucht und riechen unangenehm nach kaltem Schweiß. Scheinbar wirkt Panik bei ihr mehr schweißtreibend als lähmend - ganz im Gegensatz zu mir, die mitten im Raum wie angewurzelt stehengeblieben war.
Etwas zu hastig schüttel ich den Kopf, dass der Boden sich scheinbar unter meinen Füßen verbiegt, kaschiere den aufkommenden Schwindel aber noch rechtzeitig, indem ich mich seitlich gegen die Wand lehne und die Hände möglichst lässig in die weiten Taschen meiner Jogginghose vergrabe.

"Nein. Natürlich nicht."

Doch, ja, eigentlich schon; aber das muss niemand so genau wissen. Bestimmt ist diese blöde Hysterie nur ein Nebeneffekt der Schmerzmittel, welche ich den gesamten Tag über schon kiloweise in mich hineinstopfe; das Zeug verursacht Kopfschmerzen und macht mich müde und emotional, doch alles ist besser als dieses verdammte Stechen in der Schulter. Damit werde ich noch eher wahnsinnig.
Außerdem gibt es ja auch gar keinen Grund mehr, Angst zu haben. Die Mutation ist verschwunden; wenn sie weg ist, ist das doch gut, oder?

"Das ist... das ist eine Katastrophe!"

Möglichst unauffällig schiele ich hinüber zu Sam, ohne den Kopf zu drehen, doch dieser schenkt mir ohnehin keinerlei Beachtung. Er ist viel zu sehr damit beschäftigt, sein ohnehin wirres Haar zu raufen und dramatisch zu gestikulieren, als habe die halb eingetrocknete Blutlache zu seinen Füßen ihm die Worte aus dem Mund genommen. Mit etwas Glück hält der Zustand für eine Weile an.

Nachdenklich betrachtet Jacy den schleimigen Fleck, auf dem vor nicht allzu langer Zeit noch ein mutierter Liliputaner gelegen hatte. Seine Miene ist ausdruckslos und hart, nur seine Löffel arbeiten, zucken stetig auf und ab, als würde dies die Rädchen in seinem Kopf ankurbeln. Bei der bildlichen Vorstellung des kleinen Antriebswerkes in seinem haarigen Schädel muss ich beinahe lächeln, verkeife es mir aber gerade noch. Eine in solch einer Situation vor sich hingrinsende Person würde mich nervöser machen als eine tollwütige Mutation - und neben meinen bekannten aggressiven Tendenzen muss ich mir nun echt nicht noch den Ruf eines Psychopathen machen.

"Und die Mutation hat genau hier gelegen? Mit oder ohne Messer im Körper?"

Irgendwie ist es seltsam, das Wort Mutation aus Jacys Mund zu hören. Es klingt... absurd, nicht passend. Nicht so, wie wenn Sam oder ich es gebrauchen; wir legen eine gehörige Portion Hass und Feindseligkeit hinein, vielleicht mit einer feinen Prise Verachtung garniert. Das, was man einem Lebewesen eben so entgegenbringt, sollte es einen grundlos jagen und töten wollen. Wenn Jacy es allerdings ausspricht... klingt es trocken. Gewöhnlich. Viel zu routinemäßig, als wäre es das normalste der Welt, seine eigene Rasse zu diskriminieren und als niederträchtige Monster bezeichnen - sich selbst mit einbeschlossen.
Es stört mich. Irgendwie.

"Ohne. Ich hab's rausgezogen."

Sams Tonfall klingt rau und schief, als habe er mit einem schweren emotionalen Verlust zu kämpfen, der ihm wahrlich ans Herz geht. Natürlich; nun kann er seine Ich-habe-eine-Mutation-getötet-Karte nicht mehr ausspielen. Das muss ein harter Schlag für sein beflügeltes Ego sein, wo er doch so stolz auf die herausragende, einzigartige Leistung gewesen war - sieht man davon ab, dass ich genau das Gleiche getan habe, alleine, vor ihm.
Der Kater legt den Kopf schief, und nach einem kurzen Augenblick des stillen Denkens sieht er schließlich betont langsam auf. Sein giftiger Blick trifft mich nur kurz, doch er genügt, um einen eisigen Schauer über meinen gefühlstauben Rücken laufen zu lassen. An dieses leuchtende Grün werde ich mich wohl nie wirklich gewöhnen können.

"Ich denke, sie ist noch hier."

Die Stille trifft so schlagartig ein, dass man sie beinahe hören kann. Sams Gejammer, Olivias laute Atemzüge, mein rasender Puls; all diese dumpfen Störfaktoren scheinen für einen Moment zu verstummen, so, als füllten die Worte des Katers den Platz ihres Daseins aus.
"Hier?", wiederholt Olivia langsam, nicht ohne den Blick dabei durch den langen Raum schweifen zu lassen, als erwarte sie bereits einen neuen Angriff. Einen Überraschungsbesuch der Fledermaus traue ich mich jedoch ausschließen - Jacy würde sie kommen hören. Hoffe ich zumindest. Immerhin wirkt er auf mich nicht alarmiert oder nervös, sondern äußerst entspannt und ruhig. Ich würde diese Sorglosigkeit womöglich als Provokation aufschnappen, würde er nicht ernsthaft über die Situation nachzudenken scheinen.
Jacy nickt bedeutungsschwer.
"Fledermäuse sind nachtaktiv, und als sie zu sich gekommen ist, war es vermutlich bereits hell. Also liegt es nahe, dass sie sich noch unter diesem Dach befindet. Vielleicht im Obergeschoß."
Sein rechtes Ohr zuckt nach hinten, wo hinter der nächsten Tür bereits ein Treppenaufgang zu erahnen ist. Allerdings gibt es keine Spuren, die darauf schließen würden, dass die Mutation tatsächlich dort hochgegangen war; das Vieh muss doch geblutet haben, warum hat es keine Flecken am Boden hinterlassen? Keine Schleifspuren, Pfotenabdrücke? Oder ist mein Hirn nur geprägt von unzähligen Horrorfilm-Klischees?

"Ein Stich heilt schnell. Keine große Sache."

Jacy scheint meinem Blick gefolgt zu sein, oder aber er besitzt telepathische Kräfte, von denen ich nichts weiß - ich hoffe auf ersteres, ansonsten muss ich dringend meine seltsamen Gedankengänge zügeln. Als ich jedenfalls wieder hochsehe, fokussiert er erneut schamlos direkt meine Wenigkeit. Kann er nicht mal die anderen mit diesen gruseligen Augen durchbohren? Ich fühle mich langsam belästigt.

"Ja, und? Gehst du jetzt rauf oder nicht?", meckert Sam mit aggressivem Unterton, sieht dabei aber niemand bestimmten an. Wie alle hier - ausgenommen Jacy, dem das alles ziemlich am Schweif vorbeizugehen scheint - sitzt der Student nun ausgenscheinlich auf Nadeln. Ob er nun gespannt ist, ob die Fledermaus tatsächlich menschliche Züge angenommen hat, oder aber lieber sofort die Flucht ergreifen will, lässt sich nur erraten.
Ich, für meinen Teil, leide ein wenig an beiden Ansichten.

Jacy seufzt schwer und verdreht die Augen, als wäre unsere Furcht unbegründet und wir nur hysterisch und hypersensibel. Jedoch wendet er nichts dagegen ein und dreht sich Richtung Stiegenaufgang, ohne einen einziges Kommentar zu verlieren. Unschlüssig beobachte ich, wie der Kater gemächlich zum Treppenaufgang schreitet, hinter der Ecke aus meinem Sichtfeld verschwindet und vollkommen lautlos die Stufen erklimmt, sodass sich nicht sagen lässt wann er die obere Etage erreicht hat. Ich komme mir dämlich und unglaublich nutzlos vor, wie ich planlos in dem stinkenden Gang stehe. Aber immerhin bin ich nicht die Einzige.

"Sollen wir nachgehen?", fragt Olivia in die aufkommende Stille hinein, ihre Stimme klingt so zerrissen, wie ich mich fühle. Neugier und Angst fechten in mir einen heftigen Kampf um die Oberhand, doch ein Gewinner lässt sich bisher nicht feststellen. Viel mehr bin ich hin- und hergerissen zwischen der Hoffnung, ich könnte doch recht gehabt und die Fledermaus aus ihrem Blutrausch geholt haben, oder aber wir dürfen gleich mit ansehen, wie Jacy ihr den Kopf abtrennt - oder mit anhören, je nachdem, ob sie es bis ins Erdgeschoss schaffen.

"Hört ihr das?"

Sams Stimme ist nicht mehr als ein heiseres Flüstern, doch gerade dies lässt mich aufhorchen. Ich horche in die Stille hinein, doch bis auf meine eigenen Atemzüge kann ich keinen Ton ausmachen.

"Was meinst du?", fragt Olivia ebenso leise zurück, vermutlich aus Reflex. Als keine Antwort kommt, will die Jamaikanerin schon erneut nachfragen, doch der Student deutet iht mit streng hochgestrecktem Zeigefinger, ruhig zu sein. Dann führt er seine zu einer Schüssel geformten Hand ans Ohr, deutet erneut seinen Befehl. Hört.

Diesmal halte ich den Atem an, lausche wieder. Ganz leise, abgestumpft durch dickes Gemäuer und verloren in der Ferne, erklingt tatsächlich ein raues, dunkles Knurren. Einen Moment lang strauchelt meine Orientierung, die Ortung ist beinahe unmöglich, so leise ist das undefinierbare Geräusch. Meine Brustkorb beginnt bereits leicht zu protestieren, doch ich wage es nicht, die vorherrschende Ruhe zu zerstören, so, als könnte ich damit den Ton vertreiben.
"Das kommt von draußen", sagt Sam plötzlich. Die normale Lautstärke seiner Stimme kommt mir durch das lange Schweigen unglaublich laut vor und ich zucke zusammen, fasse mich aber eiligst wieder.
Draußen? Das ist... ist das gut? Oder nicht? Verwirrt blicke ich den Lockenkopf an, dessen Miene vor Konzentration ganz verkniffen ist. Wie in Zeitlupe mache ich einen Schritt rückwärts auf die Ausgangstür zu, ohne zu wissen, ob ich tatsächlich ins Freie treten will. Das Geräusch ist unglaublich dumpf und scheinbar weit entfernt, doch die Mauern könnten täuschen und...

"Das ist ein Auto!"

Davor schon habe ich mich vor seinen Worten geschreckt, doch der plötzliche Ausruf lässt sogar Olivia zurückzucken. Bevor ich seine Worte richtig fassen kann, rammt Sam mich auch schon gröber als nötig zur Seite und peilt mit unachtsam lauten, langen Schritten den Ausgang an.
"Warte! Bist du dumm?!", japse ich, noch während ich durch seinen unsanften Schups strauchel. Wie aus einem Reflex heraus lange ich nach ihm, bekomme seine Schulter am Shirt zu packen und stemme mich seinem Zug entgegen. Zwar reicht mein Körpergewicht nicht aus, um ihn zurückzureißen, stattdessen aber werde ich ruckartig vorwärts gezogen und stolpere gegen den Studenten. Wie durch Zufall gerät mein Fuß vor seinen, unsere Beine verhaken sich und wir küssen beide den Boden.
Also, Sam tut das.
Ich dagegen falle auf seinen Rücken, eine handvoll Lockenhaar presst sich an meinen Mund und ich huste angeekelt in die fettig-feuchten Spiralen. Damit wäre mein täglicher Kalorienbedarf womöglich gedeckt.
Sam flucht wüst auf, wie es nur in den asozialsten Rap-Songs erlaubt sein sollte. Anstatt sich zu bedanken, dass ich gerade verhindert habe, dass er in blinder Naivität ins Unbekannte rennt, katapultiert er mich mit einer einzigen schnellen Bewegung von sich, sodass ich hart auf den Flurboden falle.
Direkt auf den Rücken.

Vergisst alles, was ich davor gesagt und behauptet habe.
Denn scheiße, tut das weh!

Und damit meine ich nicht die Sorte Ellbogen-anhauen-Schmerz, welcher sticht und pocht und ewig nachhallt.
Diesen Schmerz, der meine Schulter nun durchzuckt, kann kein Schmerzmittel der Welt lahmlegen. Das glühend heiße Brennen, welches sich innerhalb einer Sekunde von meinem Rückenbereich, über meinen Brustkorb bis zu meine Zehenspitzen ausgebreitet hat, legt für quälend lange Zeit meine Atmung still, sodass ich nur lautlos nach Luft schnappen kann, ohne ein einziges Mal wirklich durchzuatmen. Demnach wird auch jeder Schrei erstickt; ich liege da wie ein Fisch an Land, drücke den Rücken abwechselnd durch und krümme ihn wieder zusammen und versuche dabei krampfhaft, mein Zwerchfell in Bewegung zu setzen. Aber es will nicht so, wie ich es will. Und mir wird langsam schwindelig.

"Atme gefälligst", murrt mich eine missmutige Stimme an, jedoch wird sie durch meinen emporgeschnellten Puls weitgehend übertönt. Eine warme, große Hand schlägt mir leicht gegen die Wange, als würde dies meine Atmung irgendwie anregen. Idiot.
Was soll ich denn jetzt machen?
Sterbe ich jetzt? Ersticke ich ohne Grund? Gott, hat Sam mich gerade umgebracht?
Bei der Vorstellung, an einem bloßen Schock zu sterben, verschuldet durch einen buckelnden Tiermediziner, wird mir zusätzlich noch übel. Das wäre nicht nur peinlich, sondern auch hochgradig lächerlich. Außerdem war es Sam. Der hätte vermutlich nicht einmal Schuldgefühle.

"Das sind die Schmerzmittel. Die machen sie träge", höre ich Olivias helle weibliche Stimme schimpfen. Blinzelnd versuche ich die Augen zu öffnen, doch durch durch den Tränenschleier der Panik wirkt alles wie ein einziger hässlicher Farbklecks. Ich weiß, dass das In-Panik-Geraten gerade sehr ungünstig für mein Problem ist, aber so leicht lässt sich die Angst nicht abschalten. Mit eisig-kalten Krallen klammert sie sich an meinen Brustkorb, lastet wie tonnenschweres Gewicht auf mir und lässt nicht mehr als eine flache Schnappatmung zu. Der Schmerz scheint alle Muskeln verkrampften zu lassen, nur nicht die, die ich brauche. Die liegen nämlich lahm.

"Ist das normal, dass Menschen beim Sterben so blau werden?"

"Nein, verdammt! Tu irgendetwas!"

"Also ist es ein abnormer Tod? Passiert dann irgendwas... besonders? Explodiert ihr oder so?"

"Sie wird nicht sterben, wenn du jetzt..."

Olivia unterbricht sich, als ich plötzlich schwungvoll gewendet werde wie ein Würstchen in der Pfanne, sodass ich am Bauch zum erliegen komme. Hallo, schon mal was von stabiler Seitenlange gehört? Bauchlage bei Atemproblemen ist kontraproduktiv!
Gerne würde ich dem Täter dies ins Gesicht spucken, doch noch immer ringe ich hustend nach Sauerstoff. Diesmal sogar mit etwas mehr Erfolg als davor; der Ärger lenkt mich ein wenig von der Panik ab. Sofort fokussiere ich mich auf den Zorn, der angesichts meines Zustandes nur schüchtern aufflammt und kaum Raum für echte, kochende Wut findet, für die es bei mir sonst eigens reservierte Plätze gibt. Vielleicht kann ich mich so selbst aus meiner Misere befreien...
Ob es geholfen hätte oder nicht, werde ich nie erfahren - denn da legt sich die gleiche warme Hand wie vorhin in mein Kreuz und bohrt ihre spitzen Finger an unterschiedlichen Stellen in den Rücken.

Mein Zwerchfell schnappt hoch, als habe dies einen Mechanismus in meinem Körper ausgelöst. Schlagartig strömt viel zu viel Luft in meine Lungen, ich huste, keuche, ringe darum, auszuatmen. Die Hand verschwindet kurz darauf, ebenso der Reflex des zwanghaften Einatmens, und zurück bleibt meine atemlose Wenigkeit. Würde ich nicht bereits flach liegen, wäre das wohl spätestens der Zeitpunkt gewesen, an dem ich in dieKnie gehe. Ich muss mehrmals tief durchatmen - eine Fähigkeit, die ich plötzlich sehr hoch schätze - ehe ich mich dazu durchringen kann, mich zu drehen und die Augen zu öffnen.

Wie bei einer Operation sehen zwei Gesichter von oben auf mich herab. Olivias Haar leuchtet um ihr Haupt wie ein dunkler Heiligenschein und taucht ihre sorgenvolle Miene in schwarze Schatten. Ihre Augenbrauen sind ernst zusammengezogen und ihre vollen Lippen zu einem verhältnismäßig schmalen Strich zusammengepresst. Zudem glitzern ihre dunklen Augen verräterisch, als würden sie tränen.
Jacy dagegen... Jacy?!

"Und ich dachte schon, du wirst jetzt so blau wie deine Haare", meint der Kater trocken. Sein helles Haar ist am Kopf ein kleines Stück länger als an seinem Körper und steht ihm wie ein leichter Flaum vom Schädel ab. Das Fell glüht hell im Gegenlicht, seine spitzen Ohren dagegen schimmern in einem düsteren Rotton und heben sich wie dunkle Segel von der weißen Zimmerdecke ab.
Er hat Segelohren. Haha.
Mein Humor ist nach Nahtoderfahrungen wirklich immer zum Schreien.

"Sie reagiert nicht auf Provokation. Vielleicht ist ihr Gehirn durch den Sauerstoffmangel beschädigt?"

Jacy wirft Olivia einen kurzen Seitenblick zu. Diese schüttelt nur knapp den Kopf.
"Blödsinn...", setzt sie an, wird aber sofort wieder unterbrochen.
"Auch wieder wahr. Sie hatte schon vorher einen Schaden."

Wie gebannt mustert der Kater mich, als erwarte er irgendeine bestimmte Regung. Stumm und regungslos starre ich zurück. Selbst wenn ich etwas erwidern wollen würde; es würde mir die Luft dafür fehlen. Der Schrecken sitzt mir immer noch schwer auf der Brust, doch immerhin bekomme ich wieder normal Luft. Witzig, wie schnell die Situation wechseln kann zwischen lebensgefährlich und unbeschwert.

"Ich glaube, sie ist wirklich hirntot", murmelt Jacy halblaut und gebeugt sich zu meinem Schrecken näher zu mir herab. Er wachelt ein wenig mit der Hand vor meiner Nase herum, dabei bröselt etwas Schmutz von seinem Körper und auf mein Gesicht. Angeekelt kneife ich die Augen zusammen und drehe den Kopf zur Seite.

"Putz dich, Kater", bringe ich gepresst hervor. Sofort hellt sich des Katers strenge Miene auf und er richtet sich mit zufriedenem Ausdruck wieder auf.
"Doch nicht tot", schnurrt er, als wäre dies sein Verdienst.
Ist es ja scheinbar auch irgendwie. Aber das muss ich ihm nicht auch noch unter die Nase reiben.

"Wo... ist Sam?", versuche ich möglichst fest zu fragen. Es gelingt mir sogar halbwegs.
Olivia zieht die Augenbrauen noch enger zusammen, sodass die dunklen Balken zu einem einzigen Strich verschmelzen. Dies sieht so witzig aus, dass ich mir erneut ein Grinsen verkneifen muss. Dabei ist mir gerade nicht zum Lachen zu Mute.

"Er ist hinausgelaufen."

"Er... er ist abgehauen?"

Sie nickt.
Ich atme tief durch. Nun ist da kein schüchternes Flämmchen mehr; die Wut kommt als zündelndes Feuer. Und das Erste, was es braten wird, ist Sam. In seinem eigenen Fett, das ich aus seinem Haar melken werde.

Ich mache Anstand, mich hochzustemmen - hätte es vermutlich auch geschafft, auch wenn ich etwas zittrig unterwegs bin - doch Jacy greift mir ohne Vorwarnung unter die Arme; wortwörtlich. Dass er mir dabei halb an die Brust greift, während er mich ruckartig hochzieht, scheint er nicht zu beachten, und auch ich bin zu erschrocken, um zu reagieren. Ich verpasse den Moment, ihn dafür zu schlagen und werde stattdessen von Olivia kräftig umarmt, die mir überschwänglich beteuert, wie panisch und voll Sorgen sie um mich war. Leicht benommen schüttel ich den Kopf, klopfe ihr aber trotzdem zur Bestätigung leicht auf den Rücken. Allerdings muss ich zugeben, dass ich gerne durchaus noch etwas länger in der entspannenden Position verharrt wäre. Jedoch ruiniert Jacy die Stimmung kurz darauf restlos, als er ganz nebenbei fragt:

"Wollt ihr die Ratte jetzt eigentlich loswerden oder nicht? Die will nämlich gerade mit einem fremden Auto abhauen."

× × ×

Pardon die lange Pause.
Schreibblockade...

Dafür melde ich mich nun mit satten 3000 Wörtern zurück, und dem schlechtesten Cliffhanger, den ich je hervorgebracht habe.

Adios, hoffentlich bis bald!

× × ×

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