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· kill or cure ·

a way of solving a problem that will either fail completely or be very successful

× × ×

"Wie hast du uns eigentlich gefunden?", fragt Olivia nicht unbedingt lautlos kauend. Von den aufgeschnittenen Tomaten hat sie bestimmt schon ein gutes Drittel vernascht, dabei haben sie noch nicht einmal den Weg von der Küche auf den Esstisch geschafft.

Jacy zuckt mit den Schultern, Staub bricht aus dem Fell. Was zur Hölle hat er angestellt, dass er nun so dreckig ist? Wäre er mein Haustier, würde ich ihn gnadenlos kopfüber in die Badewanne tünchen. Oder vor die Haustür in den Regen setzen, der nun begonne hat, mit winzigen, sanften Tröpfchen die vorhangverhangenen Fenster zu beträufeln. Es ist kaum mehr als ein leichtes Nieseln, als würde das Wasser das trübe Glas nur streicheln, doch das Geräusch hört sich in der drückenden Stille des Raumes trotzdem seltsam laut und hallend an. Ob Jacy wohl Angst vor Wasser hat? Immerhin ist er eine halbe Katze.

"War nicht schwer. Ihr seid nicht gerade unauffällig unterwegs, außerdem fährt bis auf euch keiner mit dem Auto. Die Dinger stinken sowieso auf zehn Kilometern noch."

Olivia stoppt in ihrer Bewegung, das Paradeiserstück verharrt auf halbem Weg in ihrer Hand.
"Es fährt sonst niemand?", fragt sie ungläubig nach, ihre Augenbrauen sausen überrascht in die Höhe. Einige Strähnen ihres krausen Haars hatten sich über den Tag aus dem straffen Zopf geschummelt und hängen ihr wie hauchdünne Spiralnudeln ins Gesicht, doch sie scheint es nicht sonderlich zu stören. Zumindest macht die keine Anstalt, die seidernen Drähte zu entfernen.
Als Antwort bekommt sie lediglich ein knappes Kopfschütteln.

Auch wenn es durchaus interessant für mich wäre zu wissen, wie viele Menschen sich noch in der Stadt aufhalten, enthalte ich mich dennoch gedanklich sowie verbal aus dem munteren Gespräch der zwei Quatschtanten. Ich weiß nicht, woher Olivia diese plötzliche Energie zur Machtübernahme hat, doch als ich - mit frischer Wäsche versorgt - wieder im Haus aufgetaucht bin, war Sam verschwunden. Hat sich schlafengelegt, hat sie gesagt.
Ich dagegen musste aber unbedingt noch etwas in den Magen bekommen, denn das Meiste hätte ich in den letzten 24 Stunden ja wieder hochgewürgt, und der Körper brauche Treibstoff, um die Wunde heilen zu können. So waren es ihre Worte; dass ich dabei fast auf dem Küchentisch einschlafe, scheint dabei herzlichst egal zu sein.

Ich bin sogar so müde, dass ich es nicht einmal geschafft habe, zeitgerecht von Jacy wegzurücken, als er sich direkt neben mich gesetzt hat - nun im Nachhinein aufzustehen, kommt mir jedoch kindisch vor.
Woher diese unterschwellige Annäherung plötzlich herrührt oder warum er es überhaupt für nötig angesehen hat, zu uns zurückzukommen, kann ich beim besten Willen nicht erraten. Eigentlich wäre der Streit ein netter Vorwand gewesen, um uns im Stich zu lassen, doch dass der Kater so erpicht auf simple Informationen ist, hätte ich nicht erwartet. Und ehrlich gesagt denke ich auch nicht, dass dies der Hauptgrund seiner Rückkehr ist.

Olivia belegt die letzten Brötchen, dann kommt sie auch schon mit dem Tablett angewatschelt. Es sind bloß einfache Butterbrote, belegt mit dünn aufgeschnittenen Tomaten; doch ist es weder die richtige Zeit zum Kochen, noch gab es andere Lebensmittel im Kühlschrank zu finden. Der Anblick reicht jedoch, um meinem Magen ein freudiges Knurren zu entlocken.
Triumphierend sieht Olivia mich an.

"Na siehst du, war doch keine so schlechte Idee, oder?"

Ich nicke nur träge und beiße in das erste Brot. Auch wenn ich Hunger habe, so ist es doch schwer, im Halbschlaf zu essen. Von Essen träumen wäre wesentlich leichter.

Erneut nehme ich einen halbherzigen Bissen, da fällt mein Seitenblick wie zufällig auf Jacy. Dieser begafft mich - nein, das Brot in meiner Hand - als wolle er jeden Moment vorstürzen und es mir aus der Hand reißen. Es ist kein treibender Hunger, der aus seinem Blick spricht, sondern eher eine beinahe verzweifelte Begierde, wie ein Tier, dem man ein Leckerli vor die Nase hält und dennoch außer Reichweite lässt. Stumm betrachte ich ihn, dann den Teller vor mir, auf dem sich noch gut 8 Scheiben der einfachen Mahlzeit befinden. Die werde ich bestimmt nicht mehr alle essen, also...

"Willst du eines?"

Die Katzenohren schnellen augenblicklich in die Höhe und ein freudiges, beinahe schon überwältigtes Glitzern erscheint in seinen Augen. Die ohnehin schon abgerundeten Pupillen werden kugelrund und erinnern mich an jene von Attila, wenn man ihm einen Schinken hinhielt - wobei er ironischerweise am Ende selbst als ein Snack fungierte. Bei dem Vergleich entfährt mir ein tonloser Seufzer, doch ich verdränge diese deprimierenden Gedanken sofort wieder. Ich bin zu müde, um mir über tote Haustiere den Kopf zu zerbrechen.

"Darf ich?", fragt Jacy freudig nach, greift im nächsten Moment aber schon nach einem Brot und verschlingt es mit wackeren drei Bissen. Er schnappt dabei nach, wie ein Raubtier, das die Beute überkopf verschlingt, seine weißen Zähne blitzen sauber und hell neben dem dunklen Dreck seiner übrigen Existenz hervor.
Etwas schockiert starre ich den offensichtlich sehr hungrigen Kater an, der sich nun genüsslich über die Lippen leckt, was seine kätzische Seite nur noch mehr unterstreicht. Auch Olivia guckt etwas belämmert, fängt sich aber schneller als ich und erhebt sich schwerfällig aus ihrem Stuhl.
"Ich glaube, ich mach noch ein paar...", murmelt sie mehr zu sich selbst, als zu jemanden Bestimmten, und verschwindet hinter der Küchentheke. Büchstäblich; bis auf ihr krauses Haar kann man nichts mehr von ihr sehen, dazu wurde die Theke zu hoch gebaut, gleich eines Bartresens.

"Das schmeckt gut", schnurrt Jacy entzückt und beugt sich so weit über den Tisch, sodass sein Oberkörper beinahe zwischen mir und dem Tisch liegt, und langt nach einem zweiten Brötchen. Unauffällig versuche ich etwas zurückzurutschen, um mehr Abstand zu dem Kater zu gewinnen, doch der Stuhl klebt am Parkettboden und gibt somit ein lautes Quietschen von sich, als ich ihn gewaltsam bewege. Jacy zuckt augenblicklich zurück, ob wegen der Erkenntnis seiner Lage oder reinem Schreck, vermag ich nicht zu sagen. Sein Blick klebt an mir, als hätte ich gerade etwas Schockierendes getan, doch ich halte das Gesicht abgewandt und vermeide jeglichen Augenkontakt.
Ohne ein Wort greife ich nach einem zweiten Brot und nage mehr daran, als dass ich wirklich beiße. Es ist immer noch seltsam und unangenehm, sich in solch unmittelbarer Nähe einer Mutation zu befinden, auch wenn es anders ist als noch vor einem Tag; seine wenigen Stunden Abwesenheit haben mir nur allzu deutlich gezeigt, was für einen gewaltigen Vorteil er eigentlich tatsächlich bildet, weshalb ich es nicht wage, ihn allzu sehr von mir zu stoßen. Besser er ist zu nahe, als dass er wieder abhaut.

"Darf ich eine Frage stellen?", kommt es da plötzlich von ihm, und ich werfe ihm einen kurzen Blick zu. Er jedoch hat den Kopf gesenkt und betrachtet scheinbar mit großem Interesse das unangetastete Tomatenbrot in seiner Hand.
Ich schlucke - gesittet, wie ich bin - zuerst hinunter, ehe ich antworte.

"Ist das deine Frage des Tages?"

"Ich habe zwei Fragen. Es ist nach zwölf."

Ich sehe auf die Uhr an der Wand. 0:20 Uhr.

"Das Abhauen gibt einen Minuspunkt."

Jacys Mund klappt schon auf, um zu widersprechen, doch mein scharfes Starren bringt ihn tatsächlich zum Schweigen. Stattdessen senkt er wieder den Blick, ohne dem geringsten Anzeichen von Gegenwehr - was mich für einen Moment tatsächlich verwirrt.
Ist er... hat er etwa Schuldgefühle? Ist er deshalb so seltsam zurückhaltend? Sehr unterwürfig war er davor ja nicht, und dass er in den paar Stunden seiner Abwesenheit eine sinneswandelnde Erleuchtung hatte, wage ich zu bezweifeln. Die einzige Erklärung lässt sich auf Gewissensbisse zurückführen. Ich weiß aus Erfahrung, dass solch eine nagende Schuld durchaus lästig werden kann.
Seufzend beiße ich ein winziges Stück von meinem Brot ab, wobei mir beinahe die Tomate verrutscht.

"Frag schon. Was willst du wissen?"

"Wie seid ihr entkommen?", kommt es sofort retour. Anscheinend liegt ihm diese Frage schon länger auf der Zunge, was ich ihm, ehrlich gesagt, nicht verübeln kann. Ich hätte ja selbst nie gedacht, eine weitere Jacy-lose Begegnung mit einer wütenden Mutation zu überleben.
Ich will schon anfangen zu erklären, ihm von der Fledermaus und meiner sowie Sams waghalsigem Körpereinsatz erzählen; doch ich stutze.

Zwei unterschiedliche Szenen tauchen vor meinen inneren Auge auf, spielen parallel zueinander wie zwei synchron geschaltene Filme, und lassen meinen müden Herzschlag plötzlich höher schlagen. Die Erinnerung der letzten Stunden ist noch frisch und greifbar, doch ebenso haben sich die letzten Tage unvergesslich in mein Gedächtnis eingebrannt.
Sam hat die Fledermaus erstochen... Er denkt wohl, er wäre übermenschlich, der Held, der Erste. Ich habe jedoch auch schon mal eine Mutation erdolcht. Durch die Rippen, mit einem Küchenmesser, mit einer todesähnlichen Ohnmacht als Folge. Allerdings war das Ding nicht tot, sondern...

Ich verschlucke mich, huste und ringe nach Luft. Meine Gedanken überschlagen sich, die Müdigkeit erschwert das logische Denken noch zusätzlich und lässt meinen Schädel schmerzen.

Es ist nur eine Vermutung, eine grobe Annahme. Doch wenn diese stimmt... Dann will ich ein Patent dafür.
"Olivia!", japse ich überdreht und springe ruckartig auf. Mein Kreislauf jedoch lässt auf sich warten, weshalb ich mich für einige Momente auf die Tischplatte stützen muss, ehe die schwarzen Flecken aus meinem Sichtfeld verschwinden. Soll von einem gesunden Blutdruck zeugen, hab ich mal gehört.
"Meinetwegen kann auch sie mir erzählen, was passiert ist, ich will nur wissen...", murmelt Jacy etwas beleidigt, wird von meinem Zwischenruf jedoch unterbrochen. Hektisch stürze ich auf die Jamaikanerin zu, welche verwirrt um die Ecke des Tresen linst.
"Olivia! Hol Sam!", haspel ich aufgeregt. Wenn das nur stimmt, was ich denke...

"Also, von dem will ich es nicht unbedingt hören", wendet Jacy ein, jedoch ignoriere ich ihn.
"Wieso?", fragt die kleine Dunkelhäutige irritiert, legt aber bereits das Messer beiseite, mit welchem sie gerade die weiteren Tomaten aufgeschnitten hat. Ich lege ihr bedeutungsschwer eine Hand auf die Schulter, Nervosität und Aufregung lassen meine Handflächen kribbeln. So aufgeregt war ich nicht einmal als Kind an Heiligabend.

"Olivia, ich glaube, ich habe die Lösung!"

× × ×

Zwischenfrage:

Was haltet ihr von dem aktuellen Tagesgeschehen?

Ist Jacys Kurzurlaub berechtigt?
Oder Mercys leichte Aggressionen?
Oder Sams... ähm... Existenz?

Kritik, Meinungen, Beschwerden, Anregungen?

× × ×

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