·26·
👐
· humiliate ·
to make someone feel ashamed or lose respect for him/herself
× × ×
Ruckartig springe ich auf und mache einen großen Schritt auf den Kater zu, welcher von meiner plötzlichen Handlung so überrascht ist, dass er mit seinen Rasiermesserzähnen glatt den Strohhalm durchbeißt. Meine Handfläche kribbelt bereits voller Vorfreude, als ich weit aushole, um diesem Idioten einmal richtig eine reinzuhauen, dass er nicht mehr weiß, ob er nun Hund oder Katz' ist. Ich habe bereits seinen dämlichen Gesichtsausdruck vor Augen, wie er sich die rote Wange hält, höre schon das saftige Klatschen...
Allerdings habe ich einige Details in meinem hitzigen Rachedurst übersehen. So habe ich A) immer noch eine gerade eben geflickte Wunde am Rücken, die meine Aktion ganz und gar nicht gutheißt, und B) bis auf ein blutiges Stück Stoff keinerlei Kleidung vor meinem Oberkörper. Und das ist... Nun ja, eine fatale Kombination.
Denn während ich noch den Arm hochreiße, versetzt es meiner wehen Stelle einen glühenden heißen Stich, der mir widerum ein schrilles Jauchzen entlockt. Instinktiv ziehe ich beide Schultern zurück, um die aufgebaute Spannung zu lockern, das zerschnittene Shirt verrutscht dem einarmigen Halt. Ich fasse im schamhaften Reflex danach; ein erneuter Stich, dann segelt das heilige Tüchlein auch schon zu Boden.
Nichts da mit dramatischer Ohrfeige und wüsten Beleidigungen. Stattdessen stehe ich nun in der Mitte des Raumes - oben ohne.
Erstarrt verharre ich in meiner Position, beide Handflächen jeweils verkreuzt über meine Oberweite gelegt. Mein Blick ist krampfhaft auf den Boden fokussiert, doch so sehr ich mich auch konzentriere; die Hitze steigt, steigt ins Unermessliche und lässt meine Wangen brennen wie Ampellichter. Noch nie zuvor war mir etwas so peinlich.
"Fuck", entkommt es mir gepresst. Mehr gibt es dazu wohl nicht zu sagen.
Sam ist der erste, der sich fängt - und äußert dies, indem er anfängt, lauthals zu lachen.
Gerade noch wollte er mir an die Gurgel gehen, nun lacht er mich aus. Mein Verdacht schwankt zwischen 'schwangerer Transsexueller' und 'Schizophrenie'.
"D-hu bist so ein O-hopfer...", hustet er atemlos hervor und wischt sich allen Ernstes eine Lachträne aus dem Augenwinkel. Eine echte.
"Olivia!", zische ich leicht verzweifelt, und wie als habe sie nur auf ihren Einsatz gewartet, reißt die Jamaikanerin sich aus ihrer Schockstarre und stürzt hektisch vor. Nicht aber, dass sie den verlorenen Schutz vom Boden aufhebt; sie opfert sich selbst als Sichtbarriere und stellt sich breitbeinig vor mich, die Arme schützend zur Seite gestreckt, als würde sie sich in die Schussbahn werfen. Angesichts ihrer geringen Körpergröße ist diese Aktion zwar lieb gemeint, aber dämlich und absolut nutzlos.
"Das Hemd!", sage ich daher etwas genervt, und Olivias Mund formt sich zu einem stummen 'Oh'. Leise fluchend über ihre eigene Dummheit - was mir für den Bruchteil einer Sekunde sogar ein kleines Lächeln entlockt - bückt sie sich nach dem blutigen Fetzen und presst ihn mir sogleich gegen die Brust. Ich merke erst, dass ich die Luft angehalten habe, als ich erleichtert ausatme.
"Da gibt's ja eh nichts zu sehen", witzelt Sam unlustig, immer noch keuchend von seinem Lachanfall. Bittere Galle steigt mir in die Kehle und ich presse den Stoff stärker an mich.
"Warum trägst du dann Hosen, hm?", fauche ich angepisst. Dünnes Eis, Freundchen. Verdammt dünnes Eis.
"Hey, Volkswagen", trällert der Student fröhlich weiter, als hätte ich nichts gesagt,
"kaufst du deine BHs eigentlich in der Bikini-Abteilung für Kleinkinder?"
Darf ich noch einmal in Erinnerung rufen, wie sehr mich dumme Kommentare über meinen Körper aufregen? Ich bin ja sonst schon von hitziger Natur, doch bei diesem Thema gehe leichter in die Luft als sämtliche Fahrzeuge in Actionfilmen.
"Weißt du, was der Unterschied ist zwischen Luftpolsterfolie und deinen BHs? Beim ersten macht es Spaß, den Luftraum zu zerquetschen!"
Er kichert wie ein Grundschulmädchen und macht dazu die typische Grapsche-Bewegung, was ihn nur umso mehr erheitert. Ich kann meine eigenen Zähne knacken hören, als ich die Kiefer fest aufeinanderpresse.
"Hey, hey, ich hab noch einen guten, da werden dir die Brüste wegfliegen! Ach warte... den kennst du ja anscheinend schon!"
Ich atme scharf ein, mein Bein zittert verlangend. Gleich ist er unfruchtbar. Gleich... gleich...
"Tolle Titten, Mercy, hast du die vom deinem Vater?"
Mein Fuß trifft spitz und gerade, und was noch viel wichtiger ist: sein Ziel.
Blöd für Sam, dass er gerade so beschäftigt damit war, vor Lachen zu weinen, dass er den Tritt nicht kommen sah. Doch nun ist die Freude ganz auf meiner Seite; es ist ein Hochgenuss für mein verletztes, getretenes Ego, ihn in sich zusammenfallen zu sehen wie ein umgestupstes Kartenhaus. Sein schadenfrohes Lachen wird zu einem dünnen, leidvollen Wimmern und wirkt wie Musik in meinen Ohren, lockt mich näher heran wie der Singsang einer Sirene. Erneut winkel ich den Fuß an; dieser Zorn ist anders. Er reizt nicht nur meine Nerven, er trifft mich wirklich, verletzt mich, auch wenn ich es nie zugeben würde. Ein wutgeladenes Knurren entkommt mir, doch ehe ich noch etwas Dummes anstellen kann - was ich im Nachhinein bestimmt bereut hätte, denn körperlichen Schaden will ich eigentlich niemandem zufügen - legt sich eine kleine Hand auf meine Schulter und zieht mich sanft, aber bestimmt rückwärts. Sofort gebe ich nach und stolpere weg von Sam.
"Okay... Okay", macht Olivia. Ihr Blick gleitet zwischen Sam, Jacy und mir hin und her, als wüsste sie nicht so recht, wen sie als erstes ansprechen soll.
"Du", sagt sie schließlich, und deutet auf den keuchenden Sam am Fußboden,
"bist ein Idiot. Wir unterhalten uns jetzt mal kurz."
Vom dem Studenten kommt nicht mehr als ein heiseres Knurren, aus welchem ich vage Schimpfwörter herauszuhören meine.
"Du", fährt Olivia unbeirrt fort, und wendet sich mit einem warnenden Widersprich-mir-jetzt-ja-nicht-Blick an mich,
"ziehst dir etwas Frisches an und kommst mal von deinem Blutrausch runter. Und du",
ihre Stimme wird plötzlich trocken und knurrig, als sie sich zu Jacy umdreht. Ich habe ihn beinahe schon wieder vergessen, doch als ich ihn nun betrachte, muss ich trotz schäumender Wut beinahe auflachen.
Der Kater sieht dermaßen verstört aus, als habe man ihm eben die Bienchen und Blümchen erklärt. Oder schlimmer noch: Ein kleines Kind, das ungefragt ins Elternzimmer platzt und dort einen Crashkurs der Reproduktion erlebt. Anders kann ich den teils entsetzten, teils angeekelten, teils verwirrten Blick nicht beschreiben.
"Du wirst ihr helfen, was zum Anziehen zu finden. Das Zeug liegt nämlich noch alles im Auto", beendet Olivia ihre Kommandierung. Sie wirkt recht zufrieden mit ihrem Plan, den sie sich womöglich gerade aus dem Ärmel geschüttelt hat. Auch wenn mir die Idee missfällt, mit dem Kater alleine zum Auto zu gehen, ist es doch nichts, wogegen ich mich mit allen Mitteln sträuben würde. Zumindest nicht jetzt, wo ganz andere Dinge durch meine Gedanken jagen.
Jacy scheint jedoch durchaus etwas dagegen zu haben.
"Warum ich?!", murrt er und gestikuliert etwas mit den Händen, wobei ein paar Tropfen der Cabrisonne durch die Luft fliegen. Sofort lässt er Arme und Ohren sinken, als trauere er diesen drei Millilitern ernsthaft hinterher.
"Weil ich das jetzt so gesagt habe! Aus, Schluss!", sagt Olivia außerordentlich streng. Zuvor hat sie ja nur mit ihm gesprochen wie mit einem Babykätzen, weshalb ich ihr den bestimmten Ton doppelt anrechne.
Jacy seufzt, nickt aber ergeben und mault ein missmutiges Meinetwegen.
Ohne einen weiteren Blick auf Sam zu werfen, der vermutlich schon langsam wieder zum Leben erwachen sollte, schreite ich auf Jacy zu, den Blick konzentriert hinter ihn geheftet. Der Kater betrachtet mich stirnrunzelnd, als ich in einigem Abstand vor ihm stehenbleibe.
"Darf ich durch? Bitte?", frage ich gepresst, als die Wut sich bei Sams leise gemurmelten Verwünschungen wieder in mir aufstaut. Gleich liegt er wieder. Gleich...
Jacy macht einen großen Schritt zurück, und ich eile mit erhöhtem Tempo aus dem Raum, bevor ich es mir noch anders überlege.
Meine Aggressionen drohen mich zu übermannen und der Drang, gegen irgendetwas zu boxen, steigert sich mich jedem zurückgelegten Meter, mit jedem Stechen der Wunde, jedem nachhallenden Echo von Sams Worten. Doch dazu müsste ich das Hemd loslassen, und den Fehler mache ich bestimmt nicht zweimal.
Die Garage steht offen, wie wir sie zurückgelassen haben, ebenso ist das Auto nicht zugesperrt. Man weiß ja nie, falls man mal schnell flüchten muss.
Ich gehe voran, ohne mich nach dem Kater umzudrehen. Im Grunde ist es mir im Moment egal, ob er mir folgt oder nicht; vermutlich hätte ich mit einer tollwütigen Mutation um die Wette gekeift und so immerhin meinen Zorn freien Lauf lassen können, wäre eine aufgetaucht.
Es lässt sich aber keine blicken. Schade.
Jacy läuft so lautlos hinter mir, dass ich erschrecke, als ich mich bei Auto dann doch einmal umdrehe. Er zuckt ebenfalls zurück und schaut hastig zu Boden, als habe er etwas Verbotenes gemacht. Misstrauisch mustere ich ihn.
"Was?"
Seine Ohren zucken hoch, doch sein Blick bleibt gesenkt.
"Was hast du gemacht?", frage ich mit wachsedem Ärger, der geladene Zorn droht umzuschwappen. Das passiert mir gerne; ich bin auf eine Sache wütend, und projiziere sie dann auf etwas Anderes, eigentlich vollkommen Harmloses. Jacy hebt nun doch den Kopf, wirkt aber trotzdem immer noch zurückhaltend. Meine Zunge will sich schon lockern, da kommt, wie aus dem heiteren Himmel gegriffen, plötzlich ein:
"Tat es weh?"
Perplex blinzle ich ihn an.
"Als ich vom Himmel gefallen bin? Ein wenig, ja."
Nun ist es Jacy, der verwirrt schaut. Ich verdrehe seufzend die Augen, wende mich von ihm ab und dem Kofferraum des Wagens zu.
"Das ist nur so ein schlechter Anmachspruch. Nicht so wichtig."
Das Fragezeichen auf seinem Gesicht wird nur noch größer.
"Was ist ein Anmachspruch?"
Ich setze schon zur Antwort an, halte dann aber inne. Zum einen, weil ich gerade merke, dass man für den verklemmten Hebel des Kofferraums zwei Hände benötigt - und ich bereits mit einer meine liebe Not habe, den blutigen Fetzen oben zu halten - und zum anderen, weil die nervige Fragerei die verstaube Glühbirne über meinem Kopf wieder anwirft. Von meiner verdrehten Haltung aus, die sowohl das Tuch stabilisiert, als auch die Schmerzen minimiert, linse ich hinüber zum Kater.
"Ist das deine Frage für heute?"
Die offene Neugierde in seinem Gesicht verschwindet und eine andere, nicht deutbare Emotion nimmt darin Platz. Er kreuzt die Arme vor der Brust und mustert mich, auf eine Weise, die ich zuvor noch nicht an ihm gesehen habe. Abwertend, irgendwie. Ist er beleidigt?
"Du hast gesagt, ich darf fragen, wenn ich etwas nicht verstehe. Das hat nichts mit dem Deal zu tun."
Da hat er leider recht. Aber so leicht gebe ich nicht klein bei.
Bockig kreuze ich ebenfalls die Arme, so gut das eben mit meiner instabilen Bekleidung möglich ist.
"Der Deal scheint ohnehin für die Katz' zu sein, wenn du dich nicht daran hältst!", gebe ich in unbeabsichtigt vorwurfsvollem Ton von mir. Immerhin habe ich einen Wortwitz eingebaut, der gleicht das ganze wieder aus.
"Ich bin doch eh wieder zurü..."
"Das ist verdammt noch mal zu spät!", fahre ich dazwischen. Meine Stimme überschlägt sich leicht und eine weinerliche Note schleicht sich bei mir ein, bevor ich verhindern kann.
Oh nein.
Bitte nicht.
Bitte keinen Nervenzusammenbruch. Nicht jetzt. Nicht vor Jacy.
Aber natürlich fragt man mich vorher nicht, ob ich damit einverstanden bin. Die Emotionen kommen einfach, ballen sich über den Tag hinweg zusammen und überrollen mich nun in Form einer unkontrollierbaren Welle aus Frust, Wut und Verzweiflung, die mir beinahe die Selbstbeherrschung raubt. Schon beginnen meine Augen verräterisch zu brennen und ein Schluchzer bahnt sich unaufhaltsam den Weg aus meiner Kehle. Ganz leise nur, fast wie ein Schluckauf, aber dennoch hörbar. Scheiß Psyche aber auch. Die hält ja wirklich gar nichts aus.
"Tut mir leid."
Stumm sehe ich zu dem Kater auf. Dieser wirkt etwas planlos, nicht zu sagen restlos überfordert mit einem emotionalen Mädchen. Leicht verlegen kratzt er sich am Hinterkopf, Schmutz rieselt über seine breiten Schultern zu Boden. Ein Bad würde ihm auch einmal ganz gut tun.
"A-aber Sam war gemein..."
"Und?", unterbreche ich ihn abermals. Meine Stimme klingt dünn und erstickt, bringt ihn aber dennoch zum Schweigen.
"Sam war auch zu mir gemein. Vorher schon, und jetzt gerade auch. Ich beleidige ihn, ich zahle es ihm zurück; das war's. Mehr kann man eh nicht machen. Ein 'Tut mir leid' heilt meine Schulter jetzt auch nicht schneller."
Auch wenn die Angelegenheit für mich ebenso alles andere als simpel ist, tue ich es doch bloß mit den lockeren Schulterzucken ab und mache mich wieder an das Öffnen des Kofferraums. Im Endeffekt ist es ja wirklich die Wahrheit; umbringen kann ich ihn ja wohl schlecht, und ihn zurückzulassen würde einem Mord gleichkommen. So kann ich eben nur hoffen, dass er sich bei der besten Gelegenheit selbst abseilt oder die Klappe hält.
"Aber eure Streitereien sind immer so...", Jacy gestikuliert ein wenig, während er nachdenkt,
"...so unnötig."
Stirnrunzelnd sehe ich erneut auf.
"Warum unnötig?"
"Naja", beginnt er und lehnt sich dabei schräg gegen das Auto,
"ihr streitet euch über die Größe deiner Brüste, dabei sind sowieso alle Menschen gleich hässlich."
Diese offene Aussage bringt mich tatsächlich für einen Moment aus der Fassung. Das war zu viel Ehrlichkeit auf einmal.
"Du findest alle Menschen hässlich?"
"Natürlich. Ihr habt weder Fell, noch Federn, noch sonst irgendetwas am Körper. Das ist einfach nur ekelig."
Stumm betrachte ich den Kater. Eine kleine Seite regt sich in mir; es ist schwer, dies zu erklären, doch als Opfer der Oberflächlichkeit habe ich selbst eine Abneigung gegen diese Denkensweise entwickelt. Es ist nicht etwa Wut, die mich treibt, sondern ein Wunsch des Belehrens und Erklärens, welcher sich vor allem bei großen Geschwistern sehr deutlich ausprägt. Jacy ist wie ein Kleinkind, das sich seine Meinung erst bilden muss, und dessen Denkensweise man noch leicht formen kann - so hoffe ich zumindest.
"Es zählt nicht nur das zum Schönen, was wir gewohnt sind. Auch etwas Neuartiges kann schön sein. Oder zumindest nicht gleich hässlich."
Ratlose Blicke.
Ich seufze und hätte ebenfalls gerne mit den Händen meine Worte unterstrichen, müsste ich nicht das Hemd festhalten.
"Na", versuche ich zu erklären,
"kommt es beispielsweise nicht immer auf das an, was wir auf den ersten Blick sehen, weil wir es automatisch mit unseren Idealen vergleichen. Etwas muss nicht perfekt sein, um schön zu sein. Manchmal ist zu viel Perfektion wieder schlecht, es wird langweilig. Exotisches dagegen bleibt interessant."
Jacy scheint ernsthaft über meine Worte nachzudenken. Hoffe ich zumindest für ihn, denn solch philosophischen Kram gebe ich nur selten von mir.
"Das heißt...", sagt er langsam, als müsse er noch nach den passenden Worten suchen,
"wirken deine Brüste klein, sind es aber eigentlich gar nicht?"
"Du musst... Nein... Stop."
Ich hole tief Luft, unter anderem auch deshalb, weil mir schon wieder die Schamesröte ins Gesicht schießt.
"Keine Brüste. Hier geht es ums Gesamte."
"Aber sie sind ja wirklich nicht so..."
"Aus!", rutscht es mir schärfer als beabsichtigt heraus. Es wirkt zwar, als würde Jacy wie ein Kind darüber reden, das noch keine Ahnung von Sexualität und den ganzen Hormon-Pubertäts-Chaos hat, dennoch bin ich nicht ganz so einverstanden damit, meine mangelnde Oberweite als Beispiel herzuhalten.
"Die Haut. Zum Beispiel die Haut", rede ich schnell weiter.
"Du hast Fell, ich habe keines. Aber nur wegen dem Fell bist du für mich jetzt nicht... hässlich."
Vielleicht komisch und unhygienisch, aber nicht automatisch hässlich. Aber das muss ich ihm jetzt nicht unbedingt sagen.
Unbewusst habe ich eine Hand ausgestreckt, wie um einen direkten Vergleich anzustellen. Jacy betrachtet zuerst meinen, dann seinen Arm, als würde ihm dieser Unterschied erst jetzt auffallen.
"Du bist ganz schön blass", meint er fast schon ein wenig irritiert. Ich zucke gleichgültig mit den Schultern. Mit etwas nobler Blässe kann ich leben.
"Das liegt in der Genetik. Olivia zum Beispiel hat die Gene eines Volkes, das eher dunklere Haut hat. Hier findet man das schöner, wogegen man dort blasse Haut als Schönheitsideal ansieht. Jede Kultur hat ihre eigenen Ansichten."
Ich meine es bei Jacy beinahe rattern zu hören, so intensiv hört er meiner Erklärung zu. Immer wieder wechselt sein Blick zwischen mir und sich selbst, als analysiere er jeden noch so kleinen Unterschied, jedes Merkmal, jede Macke. Und da gibt es ganz schön viel, denn wir gleichen uns in kaum bis gar keinem Punkt.
"Wollen die Menschen immer das, was sie nicht haben?"
Die Frage trifft mich unerwartet, doch es gibt ohnehin nur eine bekannte Antwort darauf.
"Ja. Das liegt in ihrer Natur."
Jacy wirft mir einen Blick zu, der mich kurz aus der Bahn wirft. Emotionen spiegeln sich darin, in einer Kombination, die mehr Widersprüche als Sinnhaftigkeit zeigen.
Unglauben? Schock? ...Hoffnung? Auf was hofft er denn?
"Es liegt in ihrer Natur?", fragt er nochmals nach. Geistesabwesend streicht er sich über seinen eigenen Unterarm, getrockneter Schmutz bricht und rieselt von seinem verklumpten Fell. Gott, sieht das widerlich aus.
"Ja. Es ist menschlich, nach Unmöglichem zu streben. Umso wichtiger ist es, diesen Vorurteilen oder... Trieben entgegenzuwirken, weil sie unsinnig sind. Sie bringen mehr Schaden als Vorteile."
Jacy nickt stumm, wirkt jedoch in Gedanken, als höre er mir nur mehr mit halbem Ohr zu.
Dieses Gespräch war mehr als nur seltsam für mich, aber es hat eine nette Nebenwirkung: Ich bin ruhig. Die Erklärung eines so komplexen Themas wie Oberflächlichkeit hat mich von meiner emotionalen Welle abgelenkt und einer angenehmen Ruhe Platz gemacht. Es tut gut, wieder Kontrolle über die eigenen Gefühle zu haben.
"So", meine ich nun laut, und die gedankenvolle Blase platzt augenblicklich. Aus der nachdenklichen Stille wird eine unangenehme.
"Könntest du mir jetzt bitte helfen, den Kofferraum aufzumachen?"
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