In neue Welten
Wir ließen das Gebiet des Löwen um die Mittagszeit hinter uns und beendeten damit das, was wir gekannt hatten. Bis hierher hatten wir stets den Weg gewusst, doch nun war auch das vorbei und wir konnten nur noch eine vage Richtung einhalten. Thabo wusste zum Glück, in welcher Richtung sich das Meer befand, weil er dort gewesen war, bevor er mich damals gefunden hatte. "Ich hab' ein komisches Gefühl im Bauch", sagte ich mit flattriger Stimme und griff nach seiner Hand. Die Hitze prallte auf meine Haut, meine Haare und flimmerte über dem Boden. Die Trockenzeit hatte die Savanne mit voller Wucht übermannt. "Wir können eine Pause machen, wenn du magst." Thabo lächelte mich schief an. "Nein", entgegnete ich, obwohl ich tatsächlich gern kurz angehalten hätte. Die Sache war aber, dass ich glaubte, mich im Unbekannten wohler zu fühlen. Vielleicht würde ich mir dort endlich vorkommen wie auf einer Reise und nicht wie auf der Flucht. Hier jedoch war die Gegend noch zu vertraut, um mir irgendwie Fröhlichkeit abzugewinnen. Alles was ich sah, bedrückte mich. Der Abschied lag wie ein Nebelschleier auf meinem Herzen, der erst verschwand, wenn frischer Wind ihn fort trieb. Und hier gab es keinen frischen Wind, noch nicht. "Rhona, es ist okay", sagte Thabo eindringlich. "Saug es lieber in dich auf, später bereust du es noch, es so überstürzt zu haben." "Solange du bei mir bist," - Ich hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen - "bereue ich gar nichts." Ich sah, wie ihm leichte Röte in die Wange stieg und ich spürte, wie meine Worte in seiner Brust und seinem Herzen prickelten. Das hob meine Stimmung etwas - normalerweise machte er die Komplimente. Aber jetzt war er dran. Er konnte mich auch nicht immer nur auffangen, wenn ich emotional abdankte. Es war auch meine Aufgabe, ihn zu erheitern, wenn er sich schlecht fühlte, was er im Augenblick ganz offensichtlich tat. Er fühlte sich schuldig für meine Trauer. Thabo hatte die Idee gehabt, auszuwandern und er behielt Recht, aber es bedrückte ihn, dass ich darunter litt. Und da mir das durchaus bewusst war, tat ich das einzige, was mir übrig blieb: Ich zeigte ihm, dass mir diese Reise wohltat. Ich zeigte ihm, dass es nicht um mich, sondern um ihn ging. Alles in meinem Leben war von Thabo abhängig. Das war mein Schicksal und ich liebte es. "Du musst das wirklich nicht tun", sagte er nach Minuten des Schweigens. "Was?", fragte ich entrüstet und blieb nun doch stehen. Es ärgerte mich, dass meine Botschaft nicht bei ihm ankam. "Das alles hier." Thabo blickte zu Boden. "Definiere 'alles'", gab ich fordernd zurück. "So.." Er atmete zittrig ein, hob den Kopf an und schaute angestrengt an mir vorbei. Irgendetwas brach ihn im Innern, doch ich konnte nicht verstehen, was es war. "Thabo", flüsterte ich, während ich sein Kinn nahm und ihn zwang, mir in die Augen zu schauen. "Ich tue alles. Freuwillig." Ich lächelte ihn vorsichtig an, aber er schüttelte den Kopf. "Thabo! Rede mit mir!" "Du musst nicht so... verständnisvoll mit mir umgehen!", brach es aus ihm heraus. Ich wich verwirrt einen Schritt zurück. "Thabo?", fragte ich, nachdem ich eine Weile sein verzerrtes Gesicht gemustert hatte. "Thabo, ich kenne dich nicht wieder. Du machst mir Angst. Hör auf so zu reden, bitte!" Er presste die Zähne aufeinander und schloss die Augen. "Was ist los mit dir?", redete ich weiter auf ihn ein. "Heute Morgen warst du noch ganz anders." "Weil ich dachte, dass ich damit klarkomme", erwiderte er kühl. "Aber?", bohrte ich weiter. "Aber das tue ich nicht. Zu sehen, wie du dich bemühst das hier zu überstehen und das auch noch meinetwegen, das... macht mich irgendwie krank." Seine Züge hatten sich inzwischen geglättet, aber er wirkte nach wie vor verletzt. "Ich mache das doch nicht nur deinetwegen. Ich mache es auch für Rooba und nicht zuletzt für mich!"
Ich nahm seine Hände in meine und sah lächelnd in sein schönes Gesicht. Thabo schloss die Augen, während er seinen Kopf in den Nacken legte. "Ich bin ein Vollidiot", murmelte er. Ich trat von einem Fuß auf den anderen und schüttelte lachend den Kopf. "Nein, du bist schon in Ordnung", beschwichtigte ich ihn. "Versprich mir, dass wir das gemeinsam durchstehen." Thabo hatte seine Stirn an meine gelehnt. "Aber natürlich", hauchte ich an seine Lippen, bevor ich ihn küsste. Es war ein kurzer Kuss, aber er drückte all das aus, was wir fühlten: Gegenseitige Verantwortung, Zuverlässigkeit, aber auch eine leichte Bedrückung, wenn nicht sogar Angst. Dann glitt seine Hand meinen Arm hinab, bis seine Finger sich mit meinen verschränkten. So würde es immer sein: Wir zwei heute, wir zwei Morgen, wir zwei in aller Ewigkeit.
Unsere erste Rast legten wir am späten Nachmittag ein. Thabo und mir ging es gut, doch Rooba brauchte ihre Milch und auch Rofus zeigte erste Erschöpfungen. Wir entluden ihr Gepäck und ließen sie grasen, gaben ihr Wasser. Wir selbst nahmen eine karge Ration Getreide zu uns, die wir mit einem trockenen Streifen Antilopenfleisch kombinierten. Kohlenhydrate für Energie, Proteine und Eiweiße für die Knochen. Wir würden bis zum Abend durchhalten. "Wenn du willst, nehme ich Rooba jetzt auf den Rücken", bot ich mich an, als wir allmählich anfingen, unsere Sachen zusammenzuraffen. "Ich schaffe das schon. Sie wiegt nicht viel." Thabo lächelte sein goldenes, strahlendes Lächeln, das mit der Abendsonne verschmolz. Was auch immer am Mittag in ihn gefahren war - Er war wieder ganz der Alte. Und ich würde ihn nicht wieder darauf ansprechen. Wir alle haben unsere Vergangenheit. "Ich nehme sie gerne", entgegnete ich und begann kurz darauf, die Stränge an meinen Rücken zu binden. Thabo schüttelte kichernd den Kopf, als er Rooba festschnallte. "Du bist stur." Sein warmer, trockener Atem kitzelte in den Haaren meines Nackens und brachte mich mehr zum Grinsen als seine Worte. Ich drehte mich zu ihm um, gab ihm einen Kuss und legte meine Hand in meine. Dann fasste er das Tau, an das Rofus gekettet war, und zog sie weiter. "Wo werden wir übernachten?", fragte ich nach einer Weile. "Irgendwo in der Savanne", gab Thabo zurück. "Wann?" Er legte den Kopf schief. Seine Schultern hoben und senkten sich mit seinen großen, regelmäßigen Schritten. "Wenn es Nacht ist", sagte er dann. Es klang entschieden und ich fügte mich ihm. Ausnahmsweise kannte er die Gegend besser als ich und wenn er meinte, dass wir noch lange laufen mussten, dann war das eben so. Ich hatte nichts gegen seine Entscheidungen. Ich würde laufen, solange er lief, schlafen, solange er schlief, trauern solange er trauerte. Atmen, solange er atmete.
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Wie findet ihr's? Schreibt es in die Kommis! ♥
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