Bis dass der Tod uns scheidet?

Langsam folgte ich Thabo's Blick, doch als ich sie sah, war es bereits zu spät und zwei lange Giftzähne bohrten sich in seine Wade. Fast gleichzeitig schnellten ein Pfeil und ein Speer in ihren Körper, doch Thabo's schmerzverzerrtem Gesicht zufolge, hatte sie schon zu fest zugebissen.

Geschockt starrte ich erst auf die nun reglose Schlange, bevor ich den Kopf hob, um Thabo's Blick einzufangen. Dann ging ein Ruck durch meinen Körper und ich stürzte vor. "Wir müssen nach Hause, bevor das Gift dein Herz erreicht!", rief ich und zerrte ihn mit, den Blick auf das Haus gerichtet. Es war einen guten Kilometer von hier entfernt, aber jetzt, wo er kaum auftreten konnte, würde die Strecke länger dauern als sonst. Zu lange. Wenn das Schlangengift sein Herz erreichte, wäre er tot. Ich schluckte die aufkommenden Tränen hinunter und zwang mich zur Beruhigung. Niemand hatte gesagt, dass wir es nicht rechtzeitig schaffen konnten. Ich schob meinen Arm unter Thabo's Schulter und stützte ihn vorwärts, so schnell es ging. "Beeilung!", sagte ich verzweifelt. Auf seiner Stirn bildete sich kalter Schweiß. Das Gift wirkte ja stärker als gedacht!

Thabo verzog das Gesicht, als er den verletzten Fuß aufsetzte, der jetzt schon angeschwollen war. Die lilaweiße Haut zog sich so stramm, dass man meinen könnte, sie würde gleich platzen. Doch zuhause hatten wir das Gegengift, mit dem er schon in wenigen Stunden wieder wohlauf sein würde. "Rhona, das schaffen wir niemals." Seine Stimme bebte, doch ich konnte nicht ausmachen, ob vor Angst oder wegen des Gifts. Wir hatten ungefähr 20 Meter zurückgelegt und es waren wahrscheinlich mehr Minuten vergangen, als mir lieb war. Trotzdem würde ich ihn nicht sterben lassen. "Wir schaffen das", entgegnete ich kühl. "Rhona, ich-" Ich versiegelte seine Lippen mit einem Kuss, um ihn zum Schweigen zu bringen. Dann sah ich in seine zittrigen, goldbraunen Augen. "Du wirst nicht sterben." Ich war überrascht, wie ruhig und selbstsicher meine Stimme klang. Ich machte das echt gut. Eine Träne bahnte sich den Weg über seine Wange und hinterließ einen nassen Streifen in seinem Gesicht. Ich wischte sie mit dem Daumen weg, ehe ich ihn weiterzog. Jetzt zählte jede Minute.

50 verschwiegene Meter weiter begann Thabo, vollkommen unkontrolliert zu zittern. Der lila Faden, der unter der Haut an seinem Bein hochkroch, war schon viel zu weit vorgedrungen und bereits unter seiner Hose verschwunden. Ich schätzte, dass er sich gerade unterhalb seines Bauchnabels herumschlängelte.

"Komm schon", zischte ich ermutigend und zerrte Thabo hinter mir her. Er zitterte immer noch und seine Augen waren auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne gerichtet. Ich legte prüfend die Hand auf seine Stirn. Wie erwartet, war sie bereits ziemlich kühl.

Oh nein... Ich wusste, wie es nun weitergehen würde: Seine Körpertemperatur würde immer weiter sinken und das Zittern würde schlimmer werden, bis er das Bewusstsein verlor. Dafür musste der Faden bloß seinen Bauchnabel erreichen. Schon jetzt befand er sich in einer Art Dämmerzustand und wir hatten noch mindestens die Hälfte des Weges zurückzulegen.

Tief im Innern wusste ich, dass wir es nicht schaffen würden, aber mein Verstand wollte diesen Gedanken einfach nicht wahrhaben. Dafür liebte ich Thabo zu sehr.

Wir schafften es noch ungefähr 100 Meter, bevor sein Zittern schlimmer wurde und er zusammenbrach. Ich zog ihn wieder hoch, doch nach weiteren zehn Metern lag er schon wieder am Boden und ich wusste, dass er nicht mehr aufstehen würde. Das Gift hatte sich zu weit ausgebreitet. Ich kniete mich neben ihn und streichelte über seine eiskalte Stirn. Seine traurigen Augen hatten sich in meinen verloren.

Ich hatte die Wahl: ihn in den Tod zu singen oder zu handeln und alles auf die Karte zu setzen. Natürlich entschied ich mich für letzteres. Ich legte meine Lippen auf die seinen, mit dem Wissen, dass dies der letzte Kuss sein könnte. Er schmeckte kalt und salzig, doch ich inhalierte den Geschmack seiner Lippen förmlich.

Als ich schließlich von ihm abließ, kämpfte ich mit den Tränen. Dafür lag auf seinen Lippen ein schwaches Lächeln. "Es wird alles gut", sagte ich und wischte eine Träne weg. "Es wird alles gut, hörst du?" Ich streichelte seine kurzen Kraushaare. Er nickte kaum merklich. "Ich liebe dich", brachte er nich hervor, ehe seine Augen zuklappten. "Ich liebe dich auch", schluchzte ich und hoffte, dass er es noch hören konnte. Dann rappelte ich mich auf und rannte so schnell wie nich nie in meinem Leben. Noch schneller sogar, als bei dem großen Feuer. Meine Beine flogen förmlich über den unebenen Boden der Savanne. Den Bogen hielt ich vor meinen kugelrunden Bauch, ein Pfeil war eingelegt. Denn wenn mir etwas in die Quere kommen sollte, ich schwörte, ich würde es umbringen. Sofort. Auf der Stelle. Thabo musste leben. Für Rooba. Und nicht zuletzt für mich. Noch nie hatte ich jemanden so geliebt wie ihn, nicht mal Mamai. Und ich brauchte ihn zum Atmen, ich brauchte ihn zum leben, denn wenn er heute sterben würde, dann würde meine Welt aufhören, sich zu drehen. Wenn er heute sterben würde, würde ich zu der toten Schlange gehen und mir ihre Giftzähne direkt ins Herz bohren.

Ich stolperte ein paar Male, da die Tränen mir die Sicht versperrten, doch ich rappelte mich immer wieder auf und rannte weiter. Möglich, dass ich eine Fehlgeburt riskierte, aber das war mir im Moment egal. Jetzt war mir alles egal.

Ich versuchte, nicht an die Tiere zu denken, die mit ihren langen Reißzähnen über Thabo herfallen könnten, nein, ich versuchte, an seine Lippen zu denken. In Gedanken klammerte ich mich an unseren Kuss, der für mich die Welt bedeutet hatte.

Wahrscheinlich war ich nur eine bis zwei Minuten unterwegs gewesen, doch als ich die Hütte erreichte, kam es mir vor wie eine halbe Ewigkeit. Ich warf die Krüge umher, bis ich den Lederbeutel mit Medizin in den Händen hielt. Hektisch nahm ich eine Ampulle und das Fläschchen mit dem Gegengift hervor, bevor ich wieder hinausrannte und mich auf Rofus' Rücken warf. Ich lehnte mich vor und griff nach ihrer kurzen, zotteligen Mähne, während sie lospreschte und der Wind um meine Ohren pfeifte.

Als wir Thabo erreicht hatten, sprang ich von ihrem Rücken und warf mich neben ihn auf den Boden. Mit zittrigen Fingern füllte ich die Ampulle mit dem Gegengift und versenkte dann die Spitze der Spritze in seine Wehne, ehe ich den Kolben hinunterdrückte.

Ich schickte noch kurz ein Stoßgebet an Gott, ehe ich weinend über ihm zusammenbrach und alles vor meinen Augen verschwamm.

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Da der siebte Kommi leider etwas zu spät kam, musster ihr bis heute ausharren. Aber ich hoffe trotzdem, dass ihr es mögt! :) ♥ Wenn dem so ist, wäre es super lieb, wenn ihr kommentiert und votet!

Ab 6 Kommis geht es weiter! ;)

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