Ablenkung

Mit einer Sehne aus Rofus' totem Körper reparierte ich meinen Bogen. Es kam mir falsch vor, meine tote Freundin, meine Gefährtin zu benutzen, nur damit ich weiterwandern konnte. Bis hierher hatte sie uns eine große Last abgenommen und was war mein Dank? Ich schnitt ihr das Bein auf, um meinen Bogen zu besehnen. "Bin ich selbstsüchtig?", flüsterte ich Rooba zu, die ich fest in meinen Armen hielt, obwohl sie natürlich nicht antworten konnte. Etwas weiter grub Thabo ein Loch, damit wir Rofus begraben konnten. Wir hatten keine schlimmen Wunden von dem nächtlichen Angriff davongetragen, lediglich ein paar tiefe Kratze zogen sich meinen Rücken entlang. Es war alles in Ordnung und gleichzeitig nichts. Wie viele Opfer waren nötig, damit wir zum Ziel gelangen konnten. Und konnte ich das beschützen, was ich in den Armen hielt? Dieses zarte, weiche, nach Palmmöl duftende Wesen, mein Kind? Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass ich die Mutter von diesem wunderschönen Baby sein durfte. Wie hatte ich dieses Geschenk Gottes verdient? Wenn ich Rooba in den Armen hielt, passte sich mein Herz dem ihren an und ich wurde ruhig. Ich sah nichts anderes mehr, nur dieses karamellfarbene Gesicht, die Stupsnase, die geschwungenen Wimpern, die dicken Thabo-Lippen, die großen Augen, das alles, das so perfekt miteinander harmonierte. Rooba konnte  gar kein Mensch sein. "Ich bin fertig!", rief Thabo, und ohne von meinem Baby aufzusehen stand ich auf und ging zu ihm herüber. Aber als ich ankam, verschlug es mir den Atem. Thabo hatte Rofus bereits hineingehievt und sie mit einem weißen Tuch zugedeckt, über das er Blumen gesträut hatte. Neben dem Grab hatte er Fackeln aufgestehlt. Ich krallte meine Finger in seinen stählernen Arm. "Oh Thabo", hauchte ich, "das ist... wunderschön." Er blickte nachdenklich auf seine Hände. "Sie hat diesen Abschied verdient." Ich nickte zustimmend. "Jetzt geht die Reise ohne sie weiter", sagte ich matter, als beabsichtigt. Thabo zuckte zusammen und Rooba begann zu weinen. "Mach das Loch zu", sagte ich, als es hinter meinen Augen zu brennen anfing. Schweigend schaufelte Thabo die ausgegrabene Erde und den Sand auf Rofus, bis sie nicht mehr zu sehen war. "Wir brauchen Wasser und Nahrung, bevor wir in die Wüste aufbrechen", sagte er. Ich hustete. "Tatsächlich?" Meine Stimme strotzte vor Sarkasmus, aber er tat, als hätte er mich nicht gehört. Wir waren wohl beide etwas gereizt. Stumm und mit schnellen Handgriffen schnallte ich unsere weinende Tochter an seinen Rücken. Das Schwanken seiner Bewegungen beruhigte sie jedes Mal. "Ich gehe auf die Jagd." "Was?", zischte Thabo entsetzt und hielt inne. Ich wiederholte, ohne mit der Wimper zu zucken. "Ich gehe jagen." Er schwieg einen Augenblick, ich hörte ihn schnauben, dann buddelte er umso heftiger weiter. Seine Nasenflügel bebten. "Nicht jetzt", sagte er zornig. "Mir geht es gut", entgegnete ich. "Sag nicht, dass es dir gut geht!" Ich drückte mit dem Finger gegen meinen frisch besehnten Bogen, dann schulterte ich meinen Köcher und versicherte, dass das Messer fest in meinem Gürtel steckte. "Ich hab schon schlimmeres durchgemacht", erwiderte ich schroff, dann straffte ich meine Schultern. Alles, was ich brauchte, war Ablenkung. Ablenkung von gestern Nacht, von Rofus' Tod, von der Wüste, die uns bevorstand. Wenn ich jetzt nicht ging, würden wir streiten. "Rhona, bitte, tu mir das nicht an." Thabos Stimme war weicher jetzt, aber ich hörte die Verzweiflung. "Ich komme doch vor um vor Sorge um dich." Rooba verstummte und steckte sich einen Daumen in den Mund, wie sie es in letzter Zeit öfter tat. Ich sah sie liebevoll an, dann seufzte ich. "Mir geht es wirklich gut." Als Antwort erhielt ich ein Knurren. Ich drehte mich um und stapfte ohne weiteres davon.

Die Verhältnisse hier waren anders als zuhause. Zuhause.  Kopfschüttelnd verzog ich das Gesicht. Zuhause gab es für jetzt nicht mehr, ich musste mir abgewöhnen, von meiner Hütte zu reden, als würde ich wiederkommen. Also, die Verhältnisse hier waren anders als in der Savanne. Es gab kaum Büsche oder Bäume, bloß ein wenig ausgedörrtes Gras. Ich hatte weniger Versteckmöglichkeiten, lediglich etwas Geröll. So dauerte es lange, bis ich auf die ersten Tiere stieß. Hasen. Ich legte verwirrt den Kopf schief. Es waren nicht die niedlichen Häschen, die damals bei uns in der Stadt gelebt hatten, nein, diese hier schienen riesig und dürr. Ich konnte ihre Rippen zählen. Die Ohren waren lang und sie sprangen kraftvoll und elegant durch den Sand. Ich legte mich bäuchlings auf den Boden, nahm einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn in die Sehne. Ich spannte, zielte. Es waren sieben Hasen und sie sprangen umher, rannten, schlugen Haken, als spielten sie miteinander. Als wollten sie mich austricksen. Ich nagte an meiner Unterlippe, ehe mir zwei Hasen auffielen, die miteinander kämpften. Sie standen auf den Hinterläufen und boxten sich auf brutalste Art und Weise. Und ehe sie's sich versahen, hatte einer von ihnen einen Pfeil im Auge und sackte in sich zusammen. Der andere nahm Reißaus; nur nicht schnell genug. Ich traf ihn im Genick. Schließlich rappelte ich mich auf und rannte über die Steine, hin zu meiner Beute, bevor andere Räuber sich an ihnen vergreifen konnten. Als die toten Hasen an meinem Gürtel baumelten, atmete ich tief durch. Ich spürte, wie es besser wurde, wie sich die Anspannung in meinem Körper löste. Es tat so gut, etwas vertrautes zu tun, wobei meine Konzentration gefördert wurde. Es hielt mich fit. Zufrieden mit mir selbst lief ich weiter. Die Sonne stand hoch am Himmel, doch der Wind kam heute von Osten, vom Meer und machte es angenehmer zu atmen. Ich hatte nicht das Gefühl, meine Kehle würde brennen, so wie es gestern der Fall gewesen war. Ich fuhr über meinen Hals; ich hatte Durst. Sicher war Thabo auf der Suche nach Wasser. Selbst wenn es im Moment brenzlig zwischen uns war, so waren wir noch immer ein eingespieltes Team. Besorgte ich das eine, holte er das andere. Das war gut so und es würde immer bleiben.

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Ich wusste gar nicht, dass es so lange her war :0 Na ja, aber kommentieren tun die wenigsten, da vergisst man sowas schon mal schnell. ^^ Aber hier ist euer neues Kapitel, ich würde mich sehr über ein Lebenszeichen eurerseits freuen ♥

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