Kapitel 1

Nachdem meine beste Freundin eines grausamen Schicksals erlegen war - oder kurz gesagt: ich sie töten musste - hatte ich mich vor der Schule geweigert. Also hatten mir meine Eltern einen Privatlehrer besorgt. Wie jeden Tag mussten sie bis sechs arbeiten und der Lehrer kam von 9 bis 15 Uhr. Gewöhnlich. Heute hatte ich ihn aber angerufen und gesagt, mir ginge es nicht gut. Was selbstverständlich eine Lüge war, aber wer sollte es schon rausbekommen, ein armes blindes Mädchen würde doch niemanden anlügen. Wenn ich nicht lache.
So ging ich jetzt durch die Straßen meiner Stadt und dachte mir, wie ich meine Eltern zu einem Umzug überreden könnte. Ich hielt es hier einfach nicht mehr aus. Die Stadt raubte mir die Luft und zerdrückte mich.
Obwohl es ziemlich bewölkt war, hatte ich eine Brille aufgesetzt, um die Leute nicht abzuschrecken. Erstens waren meine Augen weiß, und das war auffällig. Auch wäre es auffällig, wenn ein Blinder ohne einen Gehstock so sicher herumstolzieren würde. Aber dieses blöde Ding hatte ich von Anfang an gehasst und würde es nicht benutzen. Außerdem waren meine Eltern nicht mal in meiner Nähe, also sollte mir alles egal sein, was meine geheime Identität als Killerin in diesem Moment verraten könnte. Ich durfte mich benehmen, wie es mir passte.
Ich sah einen Jungen so etwa in meinem Alter auf mich zukommen. Er rempelte mich an, weil er den Abstand zwischen uns schlecht eingeschätzt hatte, und blieb stehen.
"Oh, sorry. Bin wohl doch fetter als ich dachte.", grinste er.
Ich will gleich vermerken, dass er eigentlich ganz und gar nicht fett war. Er sah sogar ziemlich hübsch aus.
Und obwohl ich zu Fremden für gewöhnlich so war, wie ich wirklich war - also hochnäsig und gehässig -, lächelte ich ihn schief an.
"Schon in Ordnung."
Als er mich anblickte, hob er eine Augenbraue und sah mich leicht belustigt an.
"Wow, Vampire am Laufen.", sagte er.
Mein Lächeln verschwand und ich sah ihn mit meinem ich-bin-ganz-und-gar-nicht-begeistert-Blick an.
"Bist du so gepicht darauf, meine Augen zu sehen?", fragte ich ihn herausfordernd.
Er hatte doch nicht so gute Manieren, wie zuerst gedacht.
"Mir ziemlich egal, solange du mich nicht in einen Stein verwandelst.", zuckte er grinsend die Schultern.
Na so was beherrschte ich zum Glück nicht. Zu seinem Glück. Sonst hätte ich es wahrscheinlich schon angewendet.
Ich überlegte, ob es mir schaden würde, wenn er erfuhr, dass ich eiiiiigentlich blind war.
"Na dann probieren wir es doch aus.", entgegnete ich mit finsterer Stimme.
Ich zog die Brille von den Augen und sah ihn fest an. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich augenblicklich.
"Oh. Eh... Ehm. Tut mir leid. Ich habe nicht gedacht... Du sahst nur... Tut mir leid."
"Oh. Mein Versteinerungsblick funktioniert ja gar nicht. Das ist aber schade."
"Ne, es tut mir wirklich leid.", erwiderte er und es klang aufrichtig.
Ich setzte die Sonnenbrille wieder auf und seufzte.
"Schon gut. Ist eine Schutzreaktion, weißt du."
Warum erklärte ich ihm eigentlich mein Verhalten? Ich musste mich vor ihm gar nicht rechtfertigen!
"Ist klar. Kann ich dir irgendwie helfen?"
Er - mir? Ist ja lustig.
"Nope, ich komme schon klar."
"Okay, dann... Mach's gut."
Er hob kurz die Hand, drehte sich um und ging seinen Weg weiter. Ich sah ihm noch kurz nach, drehte mich auch um und fuhr meinen eigenen Weg fort. Irgendwas hatte dieser Junge an sich. Eine bestimmte Ausstrahlung oder so. Und obwohl er so gestresst hat, erkannte ich, dass wir eigentlich klarkommen würden. Aber was kümmerte er mich schon.

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