6▪️Ein Typ halt
▪️23. Juni 2016▪️
Natürlich habe ich Harrys Angebot von Heute Nacht, ihn als kostenlosen Stadtführer zu nehmen, nicht angenommen.
Auch habe ich nicht den ganzen Tag am Strand gesessen und meine Reiseführer gewellst oder überhaupt dort rein geschaut.
Ich bin noch ziemlich motiviert in den Tag gestartet. Ich war duschen. Habe meine Strandtasche gepackt und sogar dafür gesorgt das ich für jedes Wetter gerüstet.
Ich wollte so viel sehen. So viel planen. So viele Punkte wie möglich abhaken. So viel erleben.
Ein kleiner Blick auf dem Kalender hat mich allerdings wieder auf den Boden der Tatsachen gebracht. In nicht mal vierundzwanzig Stunden, werde ich 21 und ich wünschte ich könnte die Zeit zurück drehen. Nur die Vorstellung diesen Geburtstag ganz alleine in einem Fremden Land zu verbringen, führt dazu das es mir eiskalt den Rücken runter läuft. Ich sollte nicht hier sein. Ich solle in London bei Jen und Juls sein. Ich sollte mich heute abend mit den beiden betrinken. Sie sollten mich trösten, mir gut zureden. Mich auf anderen Gedanken bringen.
Es war eine scheiß Idee von Granny mir diese Reise auf zu zwingen. Sie hätte es besser wissen müssen. Sie hätte wissen müssen, dass es mir in den ersten Wochen nach ihrem Tod schlecht geht und ich meine Freundinnen um mich brauchen. Sie hätte mich niemals dazu nötigen dürfen, kurz nach ihrem Tod das Land zu verlassen. Sie wusste ganz genau, dass ich es durchziehen würde. Das ich nicht will, dass sie von mir enttäuscht ist, auch wenn sie das antreten oder nicht antreten dieser dämliche Reise überhaupt nicht mehr mitbekommt. Was hat sie sich dabei gedacht? Sie wollte das ich Spaß habe. Das ich Dinge tue die ich noch nie gemacht habe und vielleicht auch total absurd sind. Das ich dadurch auf andere Gedanken komme. Das es allerdings überhaupt nicht funktioniert und ich all diese Sachen überhaupt nicht durchziehen kann, daran hat sie nicht gedacht.
Sie kannte mich am besten. Hätte sie es nicht wissen müssen, dass all die Dinge für mich unmöglich sind? Oder hätte ich einfach meinen eigenem Kopf durchsetzen sollen und das ganze Vorhaben einfach so lange verschieben sollen, bis ich wenigstens etwas über dem Tod hinweg bin? Aber wäre es dann besser gewesen? Hätten sich meine Augen nicht auch jedes Mal mit Tränen gefüllt, wenn ich nur den Zettel mit ihrer Schrift in den Händen halte? Wäre es wirklich alles so viel einfacher gewesen?
Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich hätte ich alles immer und immer wieder aufgeschoben und wäre letztendlich überhaupt nicht geflogen. Hätte den ganzen Zettel einfach unterm Tisch gekehrt.
Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich dann ein super schlechtes Gewissen gehabt hätte.
Egal wie man es dreht und wendet, zufrieden bin ich weder jetzt noch wäre es wenn ich es vor mich hin geschoben hätte.
Dennoch hätte ich zu mindest meinen Geburtstag abwarten sollen, bevor ich mich auf diese ganze Reise eingelassen hätte. Ich hätte einfach noch in London bleiben sollen. In der sicheren Gesellschaft von Jen und Juls. Umgeben von den letzten liebenden Menschen die mir geblieben sind. Dort hätte ich morgen sicherlich meine einundzwanzig gefüllte Cupcackes bekommen. Wir würden den ganzen Tag im Schlafanzug rumgammeln. Würden unsere Gesichter mit Masken zukleistern. Uns abends chick rausputzen und in irgendeinem teuren Club gehen. Wir würden ausgiebigen feiern, für eine Nacht den Alltag vergessen und Pläne schmieden was wir an Jens einundzwanzigst Geburtstag anstellen. Vielleicht würden zu mindest eine von uns jemanden kennen lernen, Spaß haben und für ein paar Stunden der Realität entfliehen.
Plötzlich kommt es mir alles so lächerlich vor. Ich sitze hier und bemitleide mich selber. Sicher ist es schlimm, dass ich meine Granny verloren habe. Vielleicht hätte ich auch erst ein paar Tage nach meinem Geburtstag fliegen sollen, aber ich bin hier und sollte endlich meinen Hintern hoch bekommen - immerhin mache ich genau das was meine Großmutter verhindern wollte: mich in einem Loch verkriechen und in selbstmitleid versinken.
Davon überzeugt noch heute Abend etwas an meinem Verhalten zu ändern, verlasse ich mein Bett und begebe mich ins Badezimmer. Es ist total egal was wäre wenn ich nicht geflogen wäre oder was ich heute und morgen mit den Mädels gemacht hätte. Ich muss einfach versuchen das beste aus der scheiß Situation zu machen.
Frisch geduscht stehe ich vor dem Spiegel im Badezimmer und schminke mich dezent. Plötzlich habe bekomme ich doch Zweifel ob ich heute Abend nicht doch vielleicht hier in meinem Zimmer bleiben soll. Was soll ich den Abends alleine in eine Fremde Stadt? Wahrscheinlich verlaufe ich mich und versinken noch weiter in Mitleid.
Etwas verunsichert setze ich mich auf der Badewanne. Ehe ich überhaupt darüber nachdenken kann, verlasse ich das Bad und rufe Jen an. Grade als ich auflegen will, weil mir nach dem fünften Mal schnellen einfällt, dass es in England viel später ist als hier in Panama als sie sich mit einem verschlafenen Ja meldet.
"Habe ich dich geweckt?", frage ich sie leise. "Lia?", höre ich sie frage und bestätige es mit einem kaum hörbaren Mhm. "Ist irgenwas passiert?", fragt sie mich und hört sich direkt wacher an. "Nein, Sorry ich habe vergessen, dass wir vier Stunden Zeitverschiebung haben.", entschuldige ich mich. "Kein Problem. Ist denn irgenwas passiert?", hakt sie nochmal nach. "Nein, ich wollte einfach kurz eine bekannte Stimme hören.", lasse ich sie wissen. "Oh, geht's dir grade nicht so gut?", will sie wissen. Kurz überlege ich ob ich ihr die Wahrheit sagen soll oder doch besser ein wenig flunkere. Sie macht sich immer viel zu schnell sorgen. "Ich weiß nicht. Irgendwie habe ich grade einen kleinen Tiefpunkt. Wie geht's dir.", gebe ich von mir. Ich höre es im Hintergrund ein wenig rascheln. "Ich hab ebenfalls grade einen kleinen Tiefpunkt.", höre ich sie sagen. Ich runzel die Stirn. Super. Wochenlang heule ich mich bei meinen Freundinnen aus und stehe dann plötzlich da und habe keine Ahnung, was in deren Leben grade passiert. "Warum, was ist passiert?", frage ich meine beste Freundin.
"Kannst du dich noch an Pete erinnern?" Ich runzel die Stirn und versuche dem Namen einen Gesicht. "Ist das nicht der Sohn, von der Freundin deiner Oma? Der dich immer im Café deiner Großeltern besucht und ständig mit dir geflirtet hat?", hake ich nach und muss ein wenig grinsen. "Ja genau der.", höre ich sie zustimmen und merke am klang ihrer Stimme direkt das der Typ etwas ausgefressen hat. "Was hat er getan?" Sie seufzt. "Eigentlich gar nichts. Ich bin ja selber schuld. Seit Wochen kommt er immer zu meiner Schicht ins Café und ihr predigt mir genauso lange das ich ihm endlich ordentliche Signale schicken oder ihn auf ein Date einladen soll.", gibt sie nach einen Augenblick des schweigens von sich. "Okay, ich weiß allerdings noch immer nicht, was er gemacht hat.", erinnere ich sie. "Gestern Mittag war er auch im Café und hat mich für heute zum Grillen in den Park eingeladen. Er meinte das er sich dort mit einige seiner Freunde treffen würde.", gesteht sie mir. "Okay und es war ein grausames treffen? Müssen Juls und ich, wenn ich wieder komme, irgendwelche schnepfen in den Hintern treten?", frage ich sie und bin mir sicher das Juls den Job auch ohne mich super machen wird. "Nein, ich habe abgesagt. Ich hätte bis um fünf Uni gehabt und dann wollte ich zu meinen Großeltern, wegen der Bestellung und ja es hat einfach nicht in meine Tagesplanung gepasst.", erzählt sie mir. "Oh." "Ja oh. Juls hat mich dann aber dazu überredet einfach den letzten Kurs sausen zu lassen, dadurch früher zu meinen Großeltern zu fahren und dann doch in den Park zu gehen.", informiert sie mich. "Und deine Großeltern haben dich zu lange in Anspruch genommen?", frage ich sie und kann mir allerdings schon denken, dass der Ausgang dieser Geschichte in eine ganz andere Richtung geht. "Nein, meine Oma war ganz aus dem Häuschen, als mir raus gerutscht ist, dass ich mich mit Pete treffe. Wir haben noch nie so schnell die Bestellung fertig gehabt.", antwortet sie mir. "Okay. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass da noch etwas echt schreckliches kommt.", stelle ich fest. "Da hast du nicht Unrecht. Ich bin nach Hause, habe mich fertig gemacht, ich habe mir sogar von Juls die komische beige Shorts und eine Leggins geliehen.", erzählt sie mir und hört sich mit jedem Wort trauriger an. Wie gerne würde ich sie grade einfach in die Arme schließen. Nach einem langen Seufzer, erzählt sie weiter. "Ich habe mich also total aufgebrezelt von Juls zum Park fahren lassen, bevor sie sich in den Abend mit Sascha, einen ihrer letzten One Night Stands - aber da läuft definitiv mehr als sie zu gibt, geschmissen hat. Erst bin ich etwas Planlos durch den Park gelaufen, bis ich eine Gruppe von Leuten entdeckt habe die gegrillt haben. Also habe ich mich ihnen genähert und bin direkt wieder umgekehrt, als ich Pete mit einer anderen gesehen habe.", erklärt sie zu ende.
"Oh nein Jen, dass tut mir so leid.", gebe ich entrüstet von mir. Das sie auch immer auf den Typ Arschloch treffen muss. "Ich bin doch selber schuld.", entgenet sie. "Nein auf keinen Fall. Wenn er wirklich Interesse an dir haben würde, dann hätte er sich an diesen Abend, nachdem er dich auch noch so dreist eingeladen hat, nicht gleich eine andere angelacht.", stelle ich streng klar. "Ich weiß, ja. Ich kann nur nicht glauben, dass ich schon wieder auf einen Typen reingefallen bin.", beschwert sie sich. Ich runzel etwas die Stirn, weil mir grade ein total idiotischer Gedanke kommt. "Du Jen, war es den eine eindeutige Sache zwischen den beiden?", frage ich sie. "Amilia." "Ich meine es ernst Jen. Haben sie sich geküsst oder sonst irgendwas in der Art?", präzisiere ich meine Frage. "Sie...äh.....also...es....ich...", erwidert sie. Diesmal seufze ich. "Hast du vielleicht voreilige Schlüße gezogen?" "Keine Ahnung. Sie sahen einfach so verdammt vertraut aus.", verrät sie mir. "Sprech ihn drauf an, wenn ihr euch das nächste mal seht.", schlage ich vor. "Damit er mir, wie damals Jona dir, einen Bären aufbinden kann. Nur damit ich später wenns ernst wird, heraus finden kann das er Fremdgeht?", will sie wissen. Ich schlucke. Das ist eine absolut andere Geschichte. "Nicht alle Kerle sind wie Jona.", gebe ich von mir. "Dann solltest du dir als erstes mal ein Beispiel daran nehmen.", kontert sie. "Mir ist einfach noch niemand anständiges über den weg gelaufen, dem ich hätte eine Chance geben können.", versuche ich mich raus zu reden. "Phil war die Woche öfters im Café und hat nach dir gefragt.", lässt sie mich wissen. "Phil ist ein Arbeitskollege. Können wir bitte über etwas anderes reden?" "Mit dem du ein paar mal aus warst, bevor das mit Granny passiert ist." Ich fahre mir durchs Haar. "Vielleicht. Können wir nun über etwas anderes reden. Bitte.", fordere ich mit Nachdruck. Ich mag mich jetzt einfach nicht über Kerle und Geschichten unterhalten, vor allem nicht, wenn ich selber zu einer Hauptperson werde. "Vielleicht was?", beharrt sie drauf. "Egal. Thema Wechsel. Bitte."
"Was hast du für deinen Morgigen großen Tag geplant?", fragt sie mich. "Keine Ahnung.", antworte ich ehrlich. "Also wenn ich mit Pete über das heutige reden soll, wenn er das nächste mal ins Café kommen sollte, dann finde ich solltest du heute Abend noch aus gehen. Geh in irgendeine Bar und lass dich von irgendwem auf ein Drink einladen. Versuch einfach mit Spaß und neuen Leuten ins Neue Lebensjahr zu rutschen, wenn Juls und ich schon nicht dabei sein können.", schlägt sie euphorisch vor, während ich eine Wasserflasche öffne um etwas zu trinken. "Ich kenne hier überhaupt niemanden." "Dann wird es Zeit. Ich bin echt so gespannt ob dich jemand anspricht wenn du den Punkt mit den Kaugummis abhaken willst.", höre ich sie sagen und verschlucke mich an meinem Wasser. "Du hast dich Aufgabe doch nicht schon erledigt.", will sie von mit wissen. "Doch. Als so halb. Ein paar Kaugummis fehlen noch.", gestehe ich. "Hat dich jemand angesprochen?" "Ja.", antworte ich bevor überhaupt darüber nachdenken kann. "Wer?" "Son Typ.", antworte ich ihr. "Geht's etwas präziser?" "Ein Typ halt. Längere Haare, ein Haufen Tätowierungen und er ist auf der durch reise.", erzähle ich ihr. "Auf der durch reise wohin?" "Argentinien.", lasse ich sie wissen. "Du weißt aber Bescheid.", erwidert sie. "Stimmt überhaupt nicht. Wir sind uns halt hier im Hotel noch mal begegnet und haben uns nur ein wenig unterhalten, als wir zusammen etwas gegessen haben.", erkläre ich. "Ist er nett?", fragt sie mich. "Ich denke schon. Ich kenn ihn halt nicht, wirklich.", gebe ich als Antwort. "Vielleicht gibt es ja die Möglichkeit ihn ausfindig zu machen und zusammen mit ihm in deinem Geburtstag rein zu feiern u...." - "Nein schon gut. Du hast recht. Ich sollte in eine Bar gehen, neue Leute treffen und so rein feiern.", unterbreche ich sie. "Bist du sicher?" "Klar auf jeden Fall.", versichere ich ihr, auch wenn ich grade beschlossen habe bloß in die Hotel Bar zu gehen, mich zu betrinken und dann wieder in mein Bett zu verschwinden. "Hab Spaß.", entgenet sie. "Danke. Drück du Juls von mir." "Werde ich. Wir rufen dich morgen früh an. Ich würde ja noch eine viertel Stunde warten und dir dann gratulieren, aber das wäre für dich vier Stunden zu früh."
Ein schlechtes Gewissen, macht sich in mit breit. "Sorry, dass ich dich geweckt und genervt habe.", entschuldige ich mich. "Lia, dass ist überhaupt nicht schlimm. Konnte ich dich den wenigstens aus deinem tief holen, in dem du vorhin noch gesteckt hast?", will sie wissen. "Ja auf jeden Fall. Es tat gut mit dir zu quatschen.", gebe ich ehrlich von mir. "Okay, dann hab Spaß und trink für Juls und mich einen Tequila mit.", fordert sie von mir. "Natürlich, ich versuche es."
Nach einen klein Ciao legen wir auf. Diesmal ziemlich sicher, gleich nach unten zu gehen, streiche ich mir meine Shorts und meine Tunika glatt, schlüpfe in meinen Schulen und nehme meine Handtasche.
Keine fünf Minuten später betrete ich staunend die Hotel Bar. Ich war noch nicht in vielen Hotel eigenen Bars, aber so hell und modern hätte ich es nun nicht erwartet. Helle Polstermöbel, sowohl ein und auch zwei und drei Sitzer, bilden mehrere Sitzgruppen. An der etwas dunkler gehaltene, lange, Bar stehen ebenfalls gepolsterte Barocker im Beige, Weiß und Schwarz. Kaum sitze ich auf einen der Hocker steht schon der Barkeeper grinsend vor mir. "Kann ich dir etwas bringen?", will er direkt von mir wissen. Ich puste meine Wangen auf. "Was habt ihr denn an Cocktails da?" "Alles was dein Herz begehrt.", lässt der schwarzhaarige mich wissen. Was ein Schleimer. "Mhm......", unentschlossen schaue ich an die beleuchtete Tafel, wo alle Cocktail aufgeführt sind. Eigentlich hat Juls immer für uns alle bestellt. Und ich habe keine Ahnung mehr, was genau das war. "Vielleicht sollte ich dir etwas aussuchen? Vielleicht etwas Fruchtiges, mit nicht ganz so viel Alkohol für den Anfang?", schlägt er vor. Ich nicke. "Klingt gut und dann hätte ich vorab gerne ein Tiquila.", lasse ich ihn wissen und erinnere mich an Jen's Worte, je einen für sie und Juls mit zu trinken.
"Oder gleich drei, für meine Freundinnen in London gleich mit. Dann habs ich es wenigstens hinter mir."
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