39▪️ Gescheiterte Aussprache

Ich schiebe die Hähnchensreifen meines Salates hin und her. Seit einer gefühlten Ewigkeit sitzen Harry und ich nun schon hier am vereinbarten Treffpunkt und warten auf auf meine vermeintlichen Eltern.

„Dafür das du Hunger hattest, isst du wie ein Spatz.“, stellt Harry fest, woraufhin ich nur mit den Schultern zucke und ein Hm von mir gebe. Mittlerweile glaube ich, dass es eine ganz schlechte Idee war, so spontan diesen Treffen zu zustimmen. Zum einen fühle ich mich absolut nicht drauf vorbereitet und zum einen glaube ich grade wirklich, die beiden wollen gar nicht - denn sonst wären sie schon längst hier. Sie müssten kurz nach uns los gefahren sein, also hätten sie auch quasi direkt hinter uns sein müssen. Allerdings haben wir sie weder unterwegs, noch auf dem Parkplatz gesehen. Jedoch haben sie ja auch nicht wirklich fest zugesagt, als Harry zu ihnen meinte, dass wir nun hier her fahren und sie gerne nach kommen können.

„Glaubst du sie kommen überhaupt?“, will ich von Harry wissen, der mittlerweile sein Sandwich aufgegessen hat und ich noch immer fast meinen ganzen Salatteller vor mir stehen habe. Er nickt. „Sie sind so interessiert daran, dass ich echt nicht glaube das sie sich diese Chance entgehen lassen.“ Ich ziehe kurz die Augenbrauen hoch. Harry glaubt einfach viel zu sehr an das gute in den beiden.

Schon auf der Fahrt hierher, hat er quasi geschwärmt wir toll es doch ist das die beiden sich ganz nach mir richten. Hat mir schmackhaft machen wollen, dass es eine super tolle Idee ist, sich nun doch mit den beiden auszusprechen. Hat mich gefragt ob mir aufgefallen sei, wie ähnlich ich vor allem der Frau sehe und wollte mir so wohl eher den ganzen Unmut nehmen - na geklappt hat es eher weniger.

Genervt seufze ich, lass die Gabel fallen und schaue auf die Uhr. „Seit wann sitzen wir hier schon?“ Harry schaut ebenfalls auf meine Armbanduhr. „Etwa eine halbe Stunde,  aber bevor du nun etwas sagst: Lass ihnen noch ein wenig Zeit. Weder wissen wir wo sie am Friedhof geparkt haben, noch wo sie hier einen Parkplatz gefunden haben.“, versucht er mich zu überzeugen. Wie kann er sich denn so sicher sein, dass sie überhaupt kommen? Leicht zucke ich nur mit den Schultern und nehme meine Gabel wieder in die Hand. „Schatz jetzt sei doch nicht so negativ gestimmt. Wenn wir uns hier schon mit Ihnen treffen, dann gib ihnen doch wenigstens eine klitzekleine Chance.“, bittet er mich. Ich stecke mir eine Scheibe Gurke in den Mund. „Und wenn es ein Reinfall wird?“, hake ich nach, nachdem ich mein Mund leer gemacht habe. Er zieht mich zu sich und drückt mir einen Kuss auf die Schläfe. „Dann ist es so und du kannst die Sache abhaken, aber du darfst auch nicht zu negativ an die Sache. Gib den beiden eine ganz kleine Minichance und dann sieh einfach weiter.“ Ich nicke und esse ein wenig weiter, wobei ich eigentlich schon gar keinen Hunger mehr habe, weswegen ich etwas Gemüse und Mozzarella Aufspieße und es meinen Freund hinhalte, der es ohne groß drüber nachzudenken nimmt.

Eine viertel Stunde voller schweigen später, stößt Harry mir gegen meinen Ellenbogen. „Schau mal wer da kommt.“ Er zeigt in eine Richtung aus der das Pärchen vom Friedhof kommt. Ich beiße mir auf die Lippen. Wirklich damit gerechnet, dass die beiden noch auftauchen habe ich ehrlich gesagt nicht. „Hier seid ihr. Wir haben schon befürchtet gehabt euch nicht mehr zu finden. Oder das ihr vielleicht schon wieder gegangen seid.“, gibt die dunkel Haarige von sich und sieht mich Lächelnd an. „Dürfen wir uns zu euch setzten?“ Harry nickt und kommentiert das ganze mit einem natürlich. Der blonde kurz haariege zieht seiner Frau den Stuhl mir gegenüber zurück und setzt sich schließlich neben ihr.

Ich runzel sie Stirn. Jetzt wo ich sie so nah vor mir habe, fällt mir erst einmal auf, wie ähnlich der Mann Granny überhaupt sieht. Die Augen, die Gesichtszüge. Stück für Stück werden die Zweifel, dass sie vielleicht doch gelogen haben ausgeräumt und ich fühle mich alles andere als wohl bei der ganzen Sache. Nur nebenbei bekomme ich mit, wie sie sich als Elisa und Adrian vorstellen und Harry sich als meinen Freund. Und ich? Ich würde nun am liebsten doch die Flucht ergreifen.

„Amilia es tut uns furchtbar Leid, dass deine Großmutter verstorben ist. Es ist sicherlich nicht leicht für dich.“, höre ich Adrian sagen. Ich schaue die beiden an. „Ich komme klar.“ Beide nicken synchron. „Wir haben nichts anderes erwartet. Deine Großmutter hat uns erzählt, was für eine tolle eigenständige Frau aus dir geworden ist. Sie war mächtig stolz auf dich.“, erzählt Elisa. Ich merke wie sich meine Augen mit Tränen füllen, nicke und schaue Harry an, der nur wortlos meine Hand nimmt und sie einmal drückt.

„Wie oft habt ihr sie noch gesehen?“,  will ich wissen und schaue die beiden Fragend an. „Vier mal. Beim ersten Mal hat sie uns dir Tür vor der Nase zu geschlagen und beim zweiten Mal hat sie uns gedroht, die Polizei zu rufen, wenn wir nicht auf der Stelle verschwinden.“, antwortet mir Elisa. „Beim dritten Mal war sie mit Ludger und Greta unterwegs und hat uns eine Chance gegeben, uns zu erklären und zu letzt waren wir bei euch Zuhause. Vier Tage bevor sie verstorben ist. Eigentlich hat sie von uns verlangt zu bleiben, dass wir uns dir stellen, aber wir waren ziemlich Feige und mussten außerdem noch etwas erledigen. Deine Grandma hat versprochen mit dir zu reden.“, erzählt Adrian weiter. „Das hat sie nicht.“ Beide nicken. „Nimm es ihr nicht übel. Für sie war es auch nicht einfach, dass wir plötzlich vor ihr standen.“

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Sie glauben doch nicht wirklich, dass diese winzige Tatsache etwas an das Bild meiner Großmutter ändern würde.

„Ich bin Grany nicht böse. Das wäre ich auch nicht, wenn ihr schon Jahre vorher bei ihr aufgetaucht wärt und sie mir davon nichts erzählt hätte. Sie hat all die Jahre alles dafür gegeben, dass es mir gut geht. Dass es mir an nichts fehlt und ich kenne Grandma ziemlich gut, dass ich mir ziemlich sicher bin, dass sie  es bloß nicht erzählt hat, weil sie selber erst mal damit klar kommen musste. Was habt ihr erwartet, dass sie oder ich euch mit offenen Armen empfangen, bloß weil euch plötzlich eingefallen ist, dass es in der Nähe von London noch zwei Menschen gibt die zu eurer Familie gehören?“,  will ich von ihnen wissen und komme grade aus irgendeinem Grund richtig in Fahrt.

„Nein natürlich nicht. Amilia wir...“ -  „Was ihr?“, unterbreche ich den blonden, gebe ihn allerdings keine Möglichkeit sich zu erklären. „Ihr habt gedacht: Ach nach all den Jahren, in dem man absolut kein Lebenszeichen von euch gehört hat, tauchen ihr einfach mal wieder auf, Grandma und Amilia werden uns schon mit offenen Armen empfangen und einfach vergessen, dass ihr so lange einfach verschwunden wart?“ Gequält schauen die beiden mich an. „Uns war schon klar, dass es nicht einfach wird, aber.... Wir haben einfach gehofft, dass ihr bereit seit zu verzeihen. Wir haben Fehler gemacht, dass steht außer Frage, aber es ist schon so verdammt viel....“ - „Granny hat euch für Tod erklären lassen, weil ihr einfach so, ohne etwas zu sagen verschwunden seid. Ihr habt keinerlei Hinweise hinterlassen. Ihr habt euch nicht einmal gemeldet. Das soll einfach so verziehen werden? Habt ihr euch in all der Zeit auch nur einmal gefragt wie es Grandma mit all dem gegangen ist?“, falle ich Adrian erneut ins Wort.

Kurz wechseln die beiden einen mir nicht einzuordneten Blick aus. „Amilia wir waren jung und...“ - „Ihr wart genauso alt wie ich jetzt auch. Warum seid ihr abgehauen? Wo wart ihr all die Jahre?“ „Schatz vielleicht solltest du die beiden auch mal einen Satz beenden lassen und ihnen nicht andauernd dazwischen gretschen. Vielleicht erhältst du dann auch mal eine Antwort auf deine viele Fragen.“, mischt sich nun Harry ein. Ich schaue zu ihn und beiße mir auf die innenseite meiner rechten Wange. Eigentlich hat Harry schon recht, aber will ich überhaupt irgendwelche Antworten?

Ich gebe nach, nicke und schaue die beiden wieder an. „Wir hatten Pläne. Wollten reisen.  Hier ein Job erledigen. Dort ein wenig jobben. Eben die Welt sehen.“ Ich runzel die Stirn. „Dann wurde ich Schwanger und wir mussten unsere Pläne auf Eis legen.“  „Tut mir Leid, dass ich Geboren wurde. Vielleicht hättet ihr besser auf die Verhütung achten sollen.“, gebe ich bissig von mir. „Nein, glaub mir so meinte ich das nicht. Wir haben zu keiner Zeit bereut dich bekommen zu haben. Wir bereuen es nur, dein gesamtes bisheriges Leben verpasst zu haben.“, stellt meine Mutter klar und hört sich dabei verdammt ehrlich an.

Ich hole luft. „Ihr seid also verschwunden um zu reisen? Um die Welt zu sehen.“, hake ich nach, nur um das alles auch richtig zu verstehen. Beide senken den Blick und nicken kaum merkelich. „Wow, Granny und ich scheinen euch ja echt wichtig gewesen zu sein.“, bemerke ich und schaue dann Harry an. „Ich glaube wir sollten jetzt doch besser gehen.“ Er nickt und rückt seine Stuhl zurück. „Amilia, das stimmt so nicht. Wir waren jung und dumm. Heute glauben wir, dass wir nur vernünftig mit deiner Großmutter hätten reden müssen und sie uns dann schon hätte ziehen lassen,aber sie hatte uns so oft eine Standpaucke gehalten, dass wir nun Verantwortung übernehmen müssten, dass wir uns einfach nicht getraut haben. Wir wollten sie eigentlich aus Thailand aus anrufen. Wir haben gedacht, dass sie uns nichts kann wenn wir sie vor vollendete Tatsachen stellen, dass sie ein wenig sauer ist, es uns dann aber schon wi der verzeiht, aber dann haben wir ein schlechtes Gewissen bekommen, also wollten wir einfach ein paar Monate unser Ding durchziehen und wieder zurück kommen.“

„Seid ihr aber nicht.“, gebe ich trocken von mir uns könnte einfach nur kotzen, weil sie einfach so verdammt egoistisch waren. Beide schütteln den Kopf. „Es wurde immer schwerer. Wir haben die Artikel im Internet gelesen, dass deine Grandma uns sucht und auf Hinweise der Bevölkerung hofft.“, höre ich meinen Vater sagen und sehe im Augenwinkel, dass Harry den Kellner bezahlt. „Könnt ihr euch eigentlich auch nur ansatzweise vorstellen, was ihr Grandma damit angetan habt? Auf der einen Seite wart ihr, einfach so vom Erdboden verschluckt und auf der anderen Seite hatte sie mich, um die sie sich kümmern musste. Der sie irgendwann erklären musste, warum andere Kinder Mutter und Vater haben nur ich nicht. Und auf der sie sich keine Antwort hatte.“ Resigniert nicken beide. „Es tut uns Leid.“

Ich zucke mit den Schultern und stehe auf. „Das kommt ein paar Jahre zu spät.“

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