10▪️ Ablenkungsmanöver

Eine dreiviertel Stunde später, bin ich noch lange nicht soweit, dass ich mit Harry irgendwo hingehen kann. Meine Haare sind noch immer in einem Handtuch gewickelt, eigentlich genauso wie auch mein Oberkörper. Einzig Unterwäsche habe ich schon an. Ich war noch nie die Pünktlichkeit in Person - selbst zu einer meiner Abschlussprüfung bin ich zu spät gekommen und hatte wirklich Glück, dass mich mein Lehrer noch hat mitschreiben lassen.

Ich seufze. Ich bin mir gar nicht mehr so sicher, warum ich mich überhaupt hab von Juls, Jen und Harry überreden lassen, den heutigen Tag mit letzterem zu verbringen, wo ich ihn noch nicht einmal wirklich kenne. Natürlich, hat er mich heute Nacht oder gestern Abend vor einen riesen Fehler bewahrt, weswegen ich ihm auch wirklich dankbar bin, dass allerdings ist noch lange kein Grund meinen Geburtstag mit ihm zu verbringen. Zum einen weiß ich überhaupt nicht, wie ich den ganzen Tag mit all den Erinnerungen an meinen bisherigen Geburtstagen, relativ Tränenfrei überwinden soll - da kommt so ein fremder Typ wie Harry gar nicht gut, und zum anderen bin ich einfach nicht bereit heute Geburtstag zu feiern. Schon gar nicht so ganz ohne Granny.

Meine Geburtstage waren bisher immer etwas Besonderes. Den ganzen Tag, so ziemlich jede Minute, habe ich mit Granny verbracht. Meine Großmutter hat aus dem Tag etwas Einzigartiges gemacht. Hat mich mit kleinen aber feinen Dingen überrascht, hat zugelassen das dieser Tag eine einzige Zuckerbombe wird, wo wir die restlichen Tage des Jahres (Abgesehen von der Weihnachtszeit) eigentlich so ziemlich drauf geachtet haben, dass nur Gesundes auf dem Tisch gelangt. Natürlich war auch mal ein Schokoriegel drin oder ein paar Weingummis, aber im Großen und Ganzen, war es relativ selten. Während Granny penibel daran festgehalten hat, dass Täglich frisch gekocht wird, hat sie an meinen Geburtstagen auch mal Pizza bestellt oder ist mit mir zum nächsten Türkischen oder Chinesischen Imbiss gefahren. Ich habe es genossen sie den ganzen Tag für mich zu haben und auch wenn ich die letzten drei Geburtstage mit Juls und Jen im Schlepptau auch ganz angenehm fand, waren mir die Jahre davor, alleine mit Granny viel lieber.

Während ich mir meine Shorts anziehe überlege ich kurz ob ich Harry nicht doch einfach Absage. Jen und Juls würden es niemals erfahren und ich könnte den gesamten Tag einfach im Bett bleiben. Schnell verwerfe ich den Gedanken wieder, es wäre vor allem Harry gegenüber nicht fair, wenn er schon den Tag damit verbringen will, mich Trauerklos durch Panama zu führen. Ich habe mein Oberteil noch nicht an, da klopft es schon an der Tür. Ich wickle das Handtuch an meinem Oberkörper noch einmal fest und gehe zur Tür. Vielleicht ist es ja endlich das Päckchen von dem die Mädels die ganze Zeit geredet haben. Als ich dir Tür öffne ist es aber natürlich jemand vom Hotelpersonal. „Ich brauche noch einen Augenblick.", lasse ich Harry wissen. Er zuckt mit den Schultern. „Damit kann ich leben. Ich habe schon gedacht, dass du es dir anders Überlegt hast, als du noch nicht auf dem Flur gewartet hast, weil ich auch etwas spät dran war." Ich schüttle den Kopf. „Nein, nein. Ich habe noch ein wenig länger mit den Mädels geskypt und mir auch etwas zu lange Zeit beim Duschen gelassen.", erkläre ich mein zu spät kommen.

Eine Peinliche Stille entsteht bis ich mich räuspere. „Magst du so lange rein kommen? Ich versuche mich auch zu beeilen." „Klar, gerne." Nachdem Harry mein Zimmer betreten hat, schließe ich dir Türe und bereue es gleich wieder ihn rein gelassen zu haben, als mir bewusst wird, dass in diesem Zimmer das reinste Chaos herrscht. „Sorry wegen der Unordnung." Schnell nehme ich den Laptop vom Stuhl und schiebe die Klamotten in eine Ecke. Als ich mich umdrehe sieht der Lockenkopf mich nur grinsend an. „Du bist nicht nur Unpünktlich, sondern auch nicht die Ordentlichste, mh?" Ich zucke nur mit den Schultern und verschwinde kommentarlos im Badezimmer. „Setz dich einfach, wenn du willst.", rufe ich und schüttle den Kopf. Setz dich einfach, wenn du willst. Ich war auch schon mal einfallsreicher.

Im schnell Tempo ziehe ich mir mein Oberteil an, stöpsle den Föhn in die Steckdose und nehme das Handtusch von Kopf, welches ich direkt über die Wanne lege, bevor ich den Kopf nach unten mache und mir meine Haare zu Mindes an föhne. Vorm Spiegel zupfe ich mir noch ein paar Strähnen zu Recht bevor ich das Badezimmer verlasse. Harry steht am Fenster und schaut hinaus. Ich schlüpfe in meine Schuhe. „Ich bin echt neidisch. Du hast ja einen Himmlischen Ausblick." Ich zucke ein wenig zusammen, weil ich nicht damit gerechnet habe, dass er mich gehört hat. „Dafür ist dein Zimmer mindestens doppelt so groß wie dieses hier und du hast einen Fernseher.", gebe ich von mir. Er dreht sich zu mir um. „Ich würde mein Zimmer mit einem Ausblick wie diesen jederzeit tauschen." Ich ziehe die Augenbrauen hoch. „Ernsthaft? Wieso hast du denn dann nicht einfach ein Zimmer mit so einem Ausblick verlangt?" Er zuckt mit den Schultern. „Genau das habe ich mich grade auch gefragt." Ohne drauf ein zu gehen nicke ich bloß und schlüpfe auch in den letzten Schuh hinein, bevor ich mir meine Handtasche nehme und meine Jacke schnappe.

„Ich denke ich bin dann auch so weit." Direkt setzt sich mein heutiger Begleiter in Bewegung, geht an mir vorbei und öffnet die Tür. Bevor er das Zimmer verlässt schaut er mich noch mal Fragend an. „Hast du alles? Handy? Schlüsselkarte? Kopfschmerztabletten? Portmonee?" Kurz überlege ich und gehe noch mal ins Badezimmer, weil ich dort meine Schlüsselkarte liegen gelassen habe und anschließend zum Bett gehe und mein Handy einstecke. Lachend schüttelt Harry den Kopf. „Ich habe es irgendwie geahnt." „Genau, wahrscheinlich hast du mein Handy auf mein Bett liegen gesehen und hättest mich nun stundenlang suchen lassen.", kommentiere ich etwas zickig, allerdings hebt er nur lachend abwehrend die Hände. „Tut mir Leid, sollten wir nach diesem Tag noch einen weiteren gemeinsam verbringen, werde ich nicht nachfragen, ob du alle sieben Sachen beisammen hast."

„Wirst du nicht müssen. Immerhin fliege ich in den nächsten Tagen wieder zurück nach England.", bemerke ich und verlasse das Zimmer. Harry folgt mir und zieht die Türe hinter uns zu. „Steht es denn schon fest?" Ich nicke. „Auf jeden Fall. Ich weiß gar nicht, was ich mir bei diesem ganzen Mist gedacht habe." Gemeinsam treten wir in den Fahrstuhl. „Du wirst ja wohl einen Grund gehabt haben, weswegen du die Reise begonnen hast. Da es so ungeplant war, denke ich mal nicht das du einfach nur Urlaub machen wolltest." Überrascht schaue ich ihn an. „Gut kombiniert." Erst sieht es so aus, als wolle er noch etwas dazu sagen, schließt aber direkt wieder den Mund.

„Okay Geburtstagskind, was hältst du davon wenn wir erst einmal Frühstücken? Oder lässt das dein Kater nicht zu?", will Harry wissen als wir den Aufzug verlassen. „Also wenn du nicht grade Fisch essen gehen willst, bin ich dabei." „Du bist das Geburtstagskind. Du entscheidest." Mit hochgezogenen Augenbrauen schaue ich ihn an, irgendwie kommt er mir grade vor wie Juls. „Schau nicht so, ich habe gesagt, dass ich dein leider in ein Yippi ändern will, angefangen damit dass du einige Entscheidungen treffen darfst." „Ohoh einige? Dann würde ich gern zurück ins Bett." Entschlossen schüttelt er den Kopf. „Keine Chance. Lieber hier im Restaurant zum Buffet oder eine Kleinigkeit beim nächsten Bäcker?" Ich zögere kurz mit meiner Entscheidung. Eigentlich wäre ich ja für das Buffet, aber irgendwie habe ich etwas Angst, dass wir Micha, wenn es denn sein Name war, dort treffen und das will ich ganz sicherlich so lange nicht, bis ich genau weiß, was ich gestern und heut Nacht alles so getrieben habe.

"Bäcker.", gebe ich entschlossen von mir und folge ihn aus dem Hotel. „Dafür hätte ich mich nach heute Nacht auch entschieden, wobei ich bezweifle das der Barkeeper heute Morgen hier herum lungert." Ich bleibe stehen und schaue ihn fassungslos an. Bin ich etwa ein so offenes Buch? „Was ist los?" Er dreht sich zu mir um und sieht mich fragend an, aber ich schüttle nur leicht den Kopf und gebe ein leises nix, schon gut von mir. Es ist schon irgendwie gruselig. Er kennt mich doch überhaupt nicht und dennoch macht es den Anschein als würde er es doch tun. Schweigend setzten wir unseren Weg fort. „War ich heute Nacht eigentlich schlimm?", will ich von ihm wissen und hoffe so meine Erinnerungen etwas auf zu frischen. „Definiere schlimm." Na super. „Keine Ahnung?" „Ich fand nicht, wobei ich dir nicht sagen kann was du getrieben hast, bevor ich dazu gestoßen bin.", erwidert er. „Was habe ich denn so erzählt?" „An der Bar hast du immer drauf behaart, dass dieser Typ gar nicht so ein schlechter Kerl ist und das du erst ein paar Stunden zuvor mit deiner besten Freundin darüber gesprochen hast, dass nicht alle Typen immer Arschlöcher sein müssen. Dass du hier den lebenden Beweis hast." Na das ist ja nicht ganz so schlimm wie ich befürchtet habe. „Ich war also ziemlich angetan von dem Typen. Wie hast du es geschafft, dass ich dann nicht mit ihm mitgegangen bin?" „Ich hatte einfach passende Argumente."

Die Füße hin und her bewegend sitze ich auf meinen Stuhl an der Bar. „In dreißig Minuten hab ich Feierabend. Bleibt es dabei, dass du nachher noch mit kommst?", will Micha von mir wissen. Ich nicke. „Immerhin hast du mir eine spezielle Nachtführung versprochen." „Eine spezielle Nachtführung?", hakt Harry neben mir nach. Er kam irgendwann zwischen einem weiteren Micha Spezial und diesen Sonnen Dingsda irgendwas. „Mhm, er wohnt irgendwo in der Altstadt." „Die solltest du dir allerdings eher im hellen ansehen, anstatt jetzt im Dunkeln." Ich ziehe eine Augenbraue hoch. „Isch glaube die ist au im dunklen ganz wunderbar." Er legt sein Kopf schief. „Du hast also vor mit zu ihm zu gehen." „Seeehr gut kombiniert." „Und dann, will er dir seine Briefmarken Sammlung zeigen?" Überrascht schaue ich ihn an. „Meinst du er hat eine?" Harry verdreht die Augen. „Du solltest dir vielleicht noch mal ganz genau überlegen, ob du mit zu ihm gehst." Meine Augen weiten sich. Der will mir doch nicht ernsthaft vorschreiben, was ich nicht machen darf und was ich darf... Oder umgekehrt.....

„Du kennst mich nicht. Du hast mir keine Vorschriften zu machen.", stelle ich klar. Abwehrend hebt er die Hände. „Will ich auch gar nicht. Ich finde nur, du solltest im Dunkeln und dann auch noch betrunken nicht mit jemand mitgehen, den du kaum kennst. Du hast dich ja heute noch nicht mal mit mir getroffen. Nüchtern und im Hellen." „Da haste recht." „Siehst du. Im hellen und im nüchternen Zustand, kannst du dir Altstadt viel mehr bewundern und ihm vielleicht klipp und klar sagen, falls du die Briefmarkensammlung nicht sehen willst."

Ich runzle die Stirn als mich dir Erinnerung an unserem Gespräch allmählich überrollt. „Was meintest du eigentlich ständig mit der Briefmarkensammlung?", will ich von ihm wissen. „Kommen die Erinnerungen allmählich wieder?" Ich nicke und sehe wie er noch angrinst. „Was hätte ich dir denn sonst sagen sollen? Dir war doch klar, dass dieser Typ mit dir in die Kiste springen wollte, oder?" Fragend sieht er mich an. „JETZT ja. Ob das bei unserem Gespräch auch so war, kann ich dir leider nicht sagen.", gebe ich von mit. „Dein Kater scheint ja echt übel zu sein." „Nein, wenn man von dem Filmriss absieht, dann geht's mir mittlerweile eigentlich schon wieder ganz gut. Allerdings habe ich auch schon Schmerzmittel intus." „Auf nüchternen Magen?" „Natürlich, da hilft es eh viel besser und außerdem sind wir doch, hoffentlich, gleich beim Bäcker." Kaum habe ich das Wort Bäcker ausgesprochen, stehen wir auch schon davor.

Gemeinsam betreten wir den Laden. Kurz schaue ich in die Theke und entscheide mich direkt für ein einfaches Croissant, ich glaube das sollte fürs erste erst einmal reichen. „Was nimmst du? Ich lade ich ein." Mit großen Augen schaue ich Harry an und schüttle den Kopf. „Kommt überhaupt nicht in Frage, du hast doch die Tage schon das Essen beim Griechen bezahlt.", erwidere ich. „Na und. Heute hast du Geburtstag." Ich verdrehe die Augen. „Das ist doch völlig egal ob ich Geburtstag habe oder nicht, ich kann auch selber zahlen." Er zuckt mit den Schultern. „Ich habe nie etwas anderes behauptet, aber du willst mit mir doch nicht wirklich darüber diskutieren ob ich dir dein Frühstück zahlen darf oder nicht?" Herrgott noch mal. „Ich nehme ein einfaches Croissant und einen großen Kaffee.", gebe ich mich geschlagen, denn ich glaube bei dieser Diskussion würde ich den Kürzeren ziehen. Während Harry, zu meiner Überraschung, auf fast perfekten Spanisch unsere Bestellung auf gibt, schaue ich mich in die kleine Bäckerei um. Es ist alles sehr spärlich eingerichtet und hinterlässt bei mir eher einen weniger wohlfühlenden Eindruck. „Wollen wir hier Essen oder unterwegs?", will Harry von mir wissen. Ich mache dicke Backen und schaue mich noch einmal kurz um. So ungemütlich wie es hier ist, würde ich eigentlich eher unterwegs essen wollen. Ich zucke mit den Schulter. „Entscheide du.", antworte ich. „Dann unterwegs, immerhin wollen wir heute noch etwas sehen.", beschließt er und ich bin ganz froh drüber. „Brauchst du für dein Kaffee Milch oder Zucker?" Ich schüttle den Kopf. „Nope einfach nur schwarz."

Harry legt etwas Geld auf den Tresen und reicht mir dann meinen Kaffee und meine Tüte mit dem Croissant, bevor er seine Sachen nimmt und dann die Türe öffnet. „Eigentlich habe ich damit gerechnet, dass du deinen Kaffee mit Milch trinkst. Immerhin hast du die Tage so viel Milch in dein Zimmer geschleppt.", bemerkt er als wir nebeneinander her gehen. „Die Milch war ja nicht für mein Kaffee.", gebe ich von mir. Fragend schaut er mich an. „Sondern?" „Das ist eine lange Geschichte." Ich hoffe einfach das er nicht weiter Nachfragt. „Ich kann mir die gar nicht so lang vorstellen. Ich habe bei dir im Zimmer weder ein Kühlschrank gesehen, wo du sie verstauen konntest noch eine Herdplatte wo du mit ihr hättest Pudding oder Milchreis kochen können." Ich schüttle zum wiederholten Mal den Kopf. „Das hatte ich auch nicht vor. Ich wollte vielleicht darin Baden.", gebe ich leise zu, weil ich einfach keine Lust habe weiterhin hier rum zu drucksen. Harry verschluckt sich an seinem Getränk. „Ernsthaft Amilia, du überrascht mich immer wieder.", gibt er lachend von sich. „Du hättest ja nicht fragen brauchen.", zicke ich ein wenig. „Es war ja nicht böse gemeint." „Natürlich." „Ehrlich. Ich habe mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass du in der Milch gebadet hast.", erwidert er nun. „Habe ich auch nicht. Ich wollte es. Naja nicht wirklich, aber..... egal." Etwas verwirrt schaut er mich an. „Erklär es mir." Kopfschüttelnd beiße ich in mein Frühstück rein. „Lieber nicht.", murmle ich als ich das Stück runtergeschluckt habe.

„Wie ist denn der Plan nun für heute oder hast du gar keinen?", will ich von ihm wissen um von dem Thema weg zu kommen. „Wenn du damit einverstanden bist, gehen wir erst mal in Richtung Altstadt und dann geht's zum Panama Kanal?" „Klingt nach einem Plan."

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