Kapitel 031
"Wir fahren jetzt ins Krankenhaus", beschloss ich direkt und stand auf. "Nein!", erwiderte Louis und zog sich an mir hoch. "Kein K-Krankenhaus", wimmerte er und hielt sich den Kopf. "Lou... Bitte lass dir helfen. Was ist, wenn du eine Blutung im Gehirn hast? Ich sehe dir nicht beim Sterben zu, das kannst du vergessen."
"Warum bist du denn jetzt so dramatisch?", murrte er leise und sah mich mit schmerzverzerrtem Gesicht an. "Ich werde kein Krankenhaus betreten. Vergiss es", nuschelte er dann noch und drehte seinen Kopf weg. "Das ist nicht dein Ernst... Louis... Du musst dich behandeln lassen. Es kann doch so nicht weitergehen. Hast du die Kopfschmerzen schon den ganzen Abend?"
"Was weißt du schon. Ich schaffe das."
"Louis, das ist kein dummer Spaß. Du bist ziemlich schlimm hingefallen. Verdammt, du hast eine riesige Platzwunde und wer weiß was mit deinem Kopf passiert ist. Nur weil nichts gebrochen ist, heißt es nicht, dass alles in Ordnung ist", stellte ich klar und lief in den Flur, um mein Handy zu holen.
"Was machst du?", fragte Louis ziemlich aufgebracht, lief mir hinterher und hielt mich schlussendlich an meinem Arm fest. "Ich würde gerne Gemma anrufen. Sie soll herkommen und auf Sophie aufpassen. Ich kann sie nicht alleine lassen, wenn wir ins Krankenhaus fahren."
"Du kannst alleine fahren, ich komme nicht mit. Vergiss es."
Ich atmete tief durch und löste mich aus seinem Griff. "Wir werden ins Krankenhaus fahren", stelle ich klar und holte mein Handy. "Nein!", rief Louis und kurz hatte ich Sorge, dass Sophie von unserer Auseinandersetzung aufwachen würde.
Ich legte mein Handy zurück auf die Kommode und drehte mich zu ihm um. "Louis, was ist bitte in einem Krankenhaus passiert, dass du dein eigenes Leben aufs Spiel setzt?!"
"Du hast doch absolut keine Ahnung", schnauzte er. "Dann erkläre es mir Louis. Du bist mir wichtig, ich kann mir das einfach nicht länger ansehen. Du hättest vielleicht schon seit Stunden im Krankenhaus sein müssen.
"Lass mich in Ruhe, Harry. Du- Lass es einfach und bemuttere jemand anderen", antwortete er giftig und griff nach seiner Jacke. Von seinen Worten vollkommen aus der Bahn geworfen schaffte ich nur noch ein 'Wo willst du hin?' zu fragen, bevor ich mich unglaublich zusammenreißen musste nicht anfangen zu weinen.
Es schmerzte so sehr, wenn er so sprach. Wo war mein Louis hin? Das hier war doch nicht mehr normal. Hatte er so Angst?
"Zu Daniel. Der will mich immerhin nicht zu Sachen zwingen, die ich nicht machen möchte."
Ich hielt die Luft an und sah traurig in Louis' Richtung. "Du weißt ganz genau, dass ich dich nie zu irgendwas zwingen würde. Niemals. Ich würde nicht ein einziges Mal auf die Idee kommen und dich zu etwas zwingen. Dein Wohl liegt mir am Herzen. Louis ich lie-" Ich schüttelte meinen Kopf leicht und fuhr mir verzweifelt durch die Haare.
"Jetzt geht es um dein Leben Louis. Dein Leben", wimmerte ich und konnte nicht verhindern, dass mir die Tränen in die Augen stiegen.
Er erwiderte daraufhin nichts und zog sich schweigend die Jacke an.
"Dann... Dann geh, wenn du es für richtig hältst", erwiderte ich leise und machte ihm den Weg frei. "Fahr vorsichtig", fügte ich noch hinzu. "Harry..." - "Nein, ich hab's verstanden. Tut mir leid, dass mir dein Leben wichtig ist", wisperte ich verletzt und strich mir über die Augen. Vielleicht wehrte er sich nicht mehr, wenn ich einfach bei seiner absurden Idee das alles zu ignorieren mitmachte?
Wie oft hatte ich schon solche Diskussionen erlebt? Ich war es so satt mich auf diese Art und Weise zu streiten... Sowas endete doch nie gut.
Ich wollte ins Wohnzimmer zurück und drehte mich noch kurz zu ihm um, da stand er schon an der Haustür und drückte die Türklinke herunter. "Willst du wirklich gehen?", fragte ich so, dass er es noch verstehen konnte.
"Louis... Bitte geh nicht", ergänzte ich noch und versuchte so ruhig wie möglich zu bleiben. Es war falsch, dass ich vor wenigen Minuten so laut geworden bin. Es war überhaupt nicht meine Art, aber ich hatte unglaublich Angst um ihn. Da konnte ich einfach nicht so ruhig bleiben.
Es schien ihm so egal zu sein...
Als er die Tür stumm öffnete ließ ich meine Schultern fallen und ging einfach ins Wohnzimmer. Ich konnte mir die Tränen nicht mehr verkneifen und fing an zu weinen. Was war, wenn ihm etwas passierte? Was machte ich eigentlich hier? Warum lief ich ihm nicht hinterher?
Als ich in den Flur ging stand Louis dort und lehnte sich gegen die Wand. Seine Augen glitzerten und als Louis mich sah blinzelte er leicht. Schnell ging ich zu ihm herüber und er blickte mir für einen Moment tief in die Augen, bis er seinen Kopf gegen meine Brust lehnte und anfing zu weinen.
"Louis..."
Vorsichtig legte ich meine Arme um seinen zitternden Körper und drückte ihn behutsam an mich. "M-Mein Kopf... Es tut so w-weh", schluchzte er. "Und... Und es t-tut so weh mit d-dir zu streiten", schniefte Louis als er zu Luft kam und sich halbwegs beruhigte.
Als er sich etwas von mir entfernte und ich meine Lippen an seine Stirn legte brach er erneut in Tränen aus. Er weinte so stark, dass ich kurz Sorge hatte er würde in meinen Armen zusammenrechen, weswegen ich ihn schlussendlich zum Sofa zog.
Sanft drückte ich ihn auf das Polster und nahm neben ihm Platz. "Lass dir helfen Louis... Je mehr Zeit wir uns lassen-" Ich wollte da ehrlich gesagt gar nicht drüber nachdenken.
"Kann ich n-nicht."
"Warum kannst du nicht? Ich bin doch die ganze Zeit bei dir. Ich werde dich nicht eine Sekunde allein lassen. Niemals", erklärte ich ihm und fuhr ihm durch die verwuschelten Haare. So wie er seine Fingernägel in die Handinnenflächen grub musste sein Kopf unheimlich schmerzen oder war es die Panik?
Und dann auch noch die ganze Aufregung...
"Das hat William auch gesagt", schniefte er und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Ich wurde hellhörig und strich weiter durch seine Haare. Ich dachte das es ihm nur herausgerutscht war, doch Louis fing tatsächlich an über seinen Bruder zu sprechen.
"Er... William hat mich damals angerufen, meinte er wäre mein Bruder und ich könnte unsere Mutter mit einer Knochenmarkspende retten. Er war der perfekte Spender, durfte aber wegen seinem Lungenkrebs nicht und- Ich habe nicht zugestimmt."
Ich atmete tief durch und nickte langsam. Ich wusste nicht ganz, worauf er hinauswollte, aber wenn es ihn so sehr davon abhielt in ein Krankenhaus zu gehen konnte es wirklich nur etwas Schlimmes sein.
"Ich wollte keinen Eingriff für eine Person machen lassen, welche mich einfach zurückgelassen hat. Sie hat sich doch einfach nur für einen Zwilling entschieden und den anderen zurückgelassen. Mama hat mich allein gelassen. Erst später wusste ich, warum sie das getan hatte."
Fest biss ich mir auf die Lippe und nickte leicht. Jay hatte es nie leicht gehabt und diese Entscheidung zu treffen hatte ihr das Herz gebrochen.
"William war so unglaublich sauer. Er kannte mich nicht und dennoch hat er mich angeschrien. Er war der Meinung, dass ich mit dieser Entscheidung unsere Mutter töten würde. Natürlich bin ich dann gefahren. Ich wollte nicht an ihrem Tod schuld sein. Als ich dann mit ihm gesprochen hatte war ich kurz raus an die frische Luft und wollte nachdenken. In der Zeit hat er sich einfach als mich ausgegeben..."
Louis unterbrach seine Erzählung und atmete tief durch, wobei er zusammenzuckte und schmerzerfüllt stöhnte. Besorgt fuhr ich mit meiner Hand über seinen Rücken und biss mir auf die Innenseite meiner Wange.
"Er hat alles in meinem Namen unterschrieben und den Eingriff, nach dem ich getestet wurde, bewilligt. Dabei hatte ich nicht zugestimmt. Es fühlte sich falsch an und es ist doch mein Körper. Ich darf entscheiden. Ich allein. Als sie auf mich zukamen und mich ins Behandlungszimmer brachten. Zuerst dachte ich sie wollten nochmal mit mir sprechen... Alles war so steril und schon aufgebaut. Diese Nadel... Ich bin dann abgehauen."
Geschockt legte ich meinen Arm um ihn und zog ihn vorsichtig an mich. "Es- Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber es tut mir unglaublich leid Louis." Ich wusste das William gerne alles so drehte damit er das bekam was er wollte, aber das? Das ging zu weit. Viel zu weit.
Wie konnte er so etwas tun? Ich war mit so einem Menschen verheiratet? Ich hatte mit diesem Mann ein Kind? Das- Ich schämte mich plötzlich, dass ich ihn so geliebt hatte.
Wochenlang habe ich einem so gefühlskalten Menschen nachgetrauert...
"H-Harry?", fragte Louis nach einem Moment und drückte sich leicht von mir. "Es tut mir so leid", flüsterte ich erneut und strich mit meinen Fingern seine Tränen weg. "Das hätte nicht passieren dürfen. William- Er hatte kein Recht dazu."
Kein Wunder, das er so wenig Vertrauen in Ärzte hatte und Krankenhäuser mied. "Ich will nicht", murmelte mein Freund unter Tränen und lehnte sich wieder mehr an mich. "Lou, wir müssen aber ins Krankenhaus. Wenn du schon über solche Schmerzen klagst", fing ich an und küsste seine Schläfe.
"Du wirst alle Entscheidungen selbst treffen, aber wir müssen wirklich los. Ich möchte nicht riskieren das noch etwas schlimmeres passiert. Louis, ich will dich nicht verlieren", sprach ich mit zittriger Stimme.
So langsam bekam ich wirklich Angst und das wollte ich nicht. Ich wollte nicht Angst um sein Leben haben. Louis sollte es doch gut gehen.
Schlussendlich hatte ich es geschafft und konnte ihn überzeugen. Gemma konnte ich auch noch erreichen und so passte sie auf während wir ins Krankenhaus fuhren. Auf dem ganzen Weg dachte ich darüber nach wie grausam Williams Handlungen waren.
Ich wusste, dass er seine Mutter über alles liebte, aber wie kann man jemand anderen die Schuld an ihrem Tod geben? Es war doch der Krebs, der sie letztendlich umgebracht hatte. Nicht Louis.
Die ganzen Dinge, die ich über William noch nicht wusste und auch erst jetzt realisierte... Was war er nur für ein Mensch...?
Wie konnte ich so blind sein?
Als ich das Auto zum Stehen brachte war Louis sehr angespannt, doch mit sanften Küssen und sehr viel Überzeugungskraft schaffte ich es ihn davon zu überzeugen aus dem Auto zu steigen. Gemeinsam liefen wir Hand in Hand in die Notaufnahme und ich war froh, dass wir nach kurzer Wartezeit angenommen wurden.
Als ich Louis für das CT und das Röntgen gehen lassen musste gab ich ihm meine bunte Strickjacke mit. So hatte er wenigstens meinen Geruch bei sich.
Es vergingen gefühlte Stunden bis ich aufgerufen und zu Louis gebracht wurde.
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25/04/2021
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