Kapitel 014
Ich versteifte mich und sah zu ihm, als er sich leicht von mir drückte. Seine Wangen waren immer noch gerötet, doch sein Blick war nach unten gerichtet. "Du..." Tief atmete ich durch und ging einen Schritt nach hinten. Ich strich mir durchs Gesicht und ließ die Hände an meinen Wangen liegen.
"Tut mir leid. Das- Ich- Also geplant war das nicht."
Ich schüttelte meinen Kopf und zuckte bei dem kalten Wind zusammen. "Können wir drinnen weiterreden?" Louis schaute mich überrascht an und nickte anschließend. "Wir können in die Küche..."
Er schloss die Tür wieder auf und legte den Schlüssel zurück in die Schale. Ich streifte meine Vans ab und stellte sie zu den anderen. Louis war bereits in der Küche an der Arbeitsplatte angelegt und hatte seine Arme vor seiner Brust verschränkt. Die Tüte mit den Plätzchen hatte er auf den Küchentisch gestellt.
Noch etwas überfordert von seinem Geständnis lehnte ich mich gegen den Tisch und schaute ihn geradewegs an. "Du hast also Gefühle... für mich?" Wie dämlich sich diese Frage anhörte. Er hatte es mir doch gerade gestanden.
Louis nickte leicht und wollte sich wieder dafür entschuldigen, doch ich unterbrach ihn direkt. "Entschuldige dich bitte nicht dafür, lass das." - "Es ist aber nicht angebracht. Ich- Wenn ich gewusst hätte das du Williams Mann warst... Dann-" Er wurde immer leise, weswegen ich ihn nicht mehr verstand. Louis wendete er den Blick ab und schaute nach unten auf den Boden.
Mehr als nur verwirrt sah ich ihn an und zog meine Augenbrauen zusammen. "Was meinst du damit, wenn du es schon eher gewusst hättest?" Louis spielte an dem Saum seines viel zu großen Pullis und zog anschließend die Ärmel über beide Hände. Gerade sah er mehr als nur hilflos aus.
"Da gibt es diese Bar... Ich glaube der Typ, dem sie gehört heißt Liam? Ich bin mir nicht so sicher." Ich nickte leicht und war gespannt auf was er hinauswollte. "Bevor ich wusste wer du warst- also" Er räusperte sich kurz und schaute mich weiterhin nicht an. Louis war es einfach viel zu unangenehm darüber zu sprechen, weswegen ich seufzte und mich gerade hinstellte. "Du musst nicht darüber sprechen, wenn du dich nicht wohl fühlst." Schließlich wollte ich ihn nicht zwingen. Ich war derjenige der hergekommen ist und reden wollte. Nicht er.
Louis sah mich mit einem Blick an, welchen ich nicht deuten konnte. Anschließend schüttelte leicht seinen Kopf und fing an Tee zu kochen, während er weitersprach. "Es war der erste Abend hier in London, es war noch alles ein bisschen zu viel für mich. Zu hören, dass man noch so viele Geschwister hat und sie schlussendlich alle zu sehen und gesagt zu bekommen, dass sowohl die Mutter als auch dein Bruder verstorben ist... Es war schwer. Naja, ich wollte dann etwas raus und bin auf diese Bar gestoßen." Louis drehte sich zu mir und reichte mir eine der beiden Tassen. Dankend nahm ich sie entgegen und stellte sie neben mir auf den Tisch.
"Die Stimmung war so krass, ich mein, sowas hat man nicht oft in einer Bar. Alle schienen glücklich und hatten ein Lächeln im Gesicht. Bis ich realisiert habe, dass dort jemand singt. Ich war einfach verstreut und in Gedanken."
So langsam beschlich mich ein Verdacht, weswegen ich nickte. "Du hast gesungen. Und kein Wunder, dass alle so glücklich waren. Deine Stimme ist wirklich unglaublich. Es war schön dir zuzuhören. Naja, jedenfalls war ich dann die nächsten Abende auch dort und habe dir einfach zugehört..." Louis drehte sich weg und stütze sich an der Arbeitsplatte ab.
"Louis", murmelte ich und ging auf ihn zu. Zögerlich legte ich meine Hand an seine Schulter und drehte ihn zu mir. Doch er schüttelte nur mit dem Kopf und schloss seine Augen. "Es tut mir leid, wirklich... Ich- Oh Gott." Als er seine Augen öffnete glitzerten Tränen in ihnen Tränen und seine Wangen waren immer noch gerötet.
"Es ist doch alles-" - "Ich wollte dich damit nicht irgendwie bedrängen oder- Es tut mir leid, falls du jetzt uhm... Wenn du jetzt nicht mehr-" Ich schüttelte meinen Kopf und legte meine Hand über seinen Mund. "Wenn du mich ausreden lassen würdest, wüsstest du, dass du dich weder entschuldigen noch irgendwie erklären musst. Du kannst nichts für deine Gefühle."
Langsam ließ ich meine Hand sinken und sah ihn geradewegs in die Augen, welche mich an den Ozean erinnerten. Verhindern konnte ich es nicht, dass ich kurz an William dachte, aber Louis Augen waren ein Ticken blauer und hatten leichte braune Sprenkel. Sie waren wirklich unglaublich schön. Allgemein hatte Louis so einige Eigenschaften, die ihn als Menschen auszeichneten. Mit William war es nicht vergleichbar. Und ich konnte nicht leugnen, dass etwas an seiner Art war, was mich interessierte.
"Aber es ist unangebracht. Mehr als das, es ist falsch." Ich nickte leicht, weil ich diese Gedanken auch hatte. Doch sowohl meine Mutter als auch Gemma ließen keine Gelegenheit aus, um mir zu sagen, dass es das nicht ist. "Ich hatte die gleichen Gedanken. Aber-"
"Und was bringt mir das? Ich bin doch der Trottel, der sich verliebt hat. Du hältst mich jetzt bestimmt für komplett bescheuert, weil ich mir sogar Hoffnungen gemacht habe, aber als Lottie meinte das du dieser Harry bist... Dann..."
Mitfühlend sah ich Louis an und wischte die Tränen von seinen Wangen. Ohne lange nachzudenken zog ich ihn in eine Umarmung und legte meinen Kopf auf seinem ab. Sein Körper bebte, als er mehr weinte und sich mehr an mich drückte. Die Verzweiflung war spürbar und tat mir weh. Ich wollte nie, dass es jemanden schlecht geht. Vor allem nicht, wenn man sich verliebt hat.
"Was ist denn hier los?" Lottie stand in der Küche und als sie Louis' Schluchzten vernahm stockte sie in ihrer Bewegung und sah mich überrascht an. Ich schüttelte leicht meinen Kopf und formte mit meinen Lippen ein 'Später'. Doch Louis sah ebenfalls zu Lottie und spannte sich an. Ich drehte seinen Kopf zu mir und umarmte ihn wieder mehr. Lottie konnte sich jetzt ein Grinsen nicht mehr verkneifen und wackelte sogar mit ihren Augenbrauen. Empört sah ich sie an und schüttelte leicht mit meinem Kopf. Sie streckte mir jedoch nur die Zunge heraus, griff nach der Keksdose und verschwand wieder.
Es dauerte einen Moment, bis Louis sich wieder beruhigt hatte und mich mit roten Augen ansah. Mit seinen Ärmeln wischte er sich über die Augen und schaute geradewegs auf meine Brust. "Jetzt habe ich dich auch noch vollgeheult", wimmerte er und fing wieder an zu schluchzen. Mein Herz schmerzte bei dem Anblick. "Das ist doch egal, wirklich." Ich zog ihn zu der Sitzbank an der Wand, ließ mich gemeinsam mit ihm dort nieder und schob ihm meine Tasse hin.
"Mach dir keine Gedanken, es ist alles gut", flüsterte ich und strich ihm immer wieder über den Rücken. Kaum zu glauben, dass er sechs Jahre älter war. Momentan erinnerte er mich eher an einen verzweifelten Teenager. Irgendwie süß, dass er sich Gedanken über meinen nun nassen Pulli machte.
"Nichts ist in Ordnung", schniefte er und legte seine Hände um die Tasse. Ich atmete tief durch und schloss für ein paar Sekunden meine Augen. Ein ganz kleiner Teil von mir wollte Louis die Chance geben. Ich konnte ihn jetzt nicht vor dem Kopf stoßen und ihn mit seinen Gefühlen stehen lassen. Doch was würde William denken? Ja, er wollte das ich jemanden neuen finde. Aber sein Bruder? Ein Jahr nach seinem Tod?
Ich dachte an die Worte meiner Mutter zurück.
Denk dran was er zu dir gesagt hat. Denk daran, was er sich für dich gewünscht hat, was er sich für euch gewünscht hat.
Hätte er sich es auch noch gewünscht, wenn er wusste das es vielleicht um seinen Bruder gehen könnte? Als ich meine Augen wieder öffnete blickte ich auf den goldenen Ring, welcher meine Hand zierte. Der Kampf in meinem Inneren war unerträglich. Was war das Richtige?
Ich wusste es nicht.
Verzweifelt biss ich mir auf die Lippe und sah zu Louis, welcher sich mittlerweile beruhigt hatte und an dem Tee nippte. "Louis?" Meine Stimme klang auf einmal nicht mehr so fest wie vorher. Unsicher sah ich ihn an. Mein Herz schlug heftig in meiner Brust und ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinen Inneren aus. War es falsch? Was war mit meiner Tochter...? Was wäre mit ihr? Für was würde sie mich halten?
Louis' Stimme holte mich aus meinen Gedanken zurück. Angespannt sah er mich an und wartete darauf, dass ich weitersprach. "Ich kann dich nicht einfach so stehen lassen, das geht nicht. Nur kann ich dir auf der anderen Seite nichts versprechen. Ich kämpfe immer noch mit dem Tod von William. Auch wenn es an manchen Tagen nicht so aussehen mag, aber nachts... Da kann ich kaum an etwas anderes denken. Nehm es mir nicht übel, wenn ich zögere oder einfach etwas länger bei manchen Entscheidungen brauche."
Er sah mich mit großen Augen an. "Ich- Ich verstehe nicht ganz", wisperte er.
Oh Gott, hoffentlich bereue ich es nicht, wenn ich es jetzt ausspreche. Aber so wie Gemma und auch Lottie schon drauf sind, werden die beiden eh nichts unversucht lassen. Was hatte ich schon zu verlieren? Aber ich wollte ihn auch nicht enttäuschen. Louis sollte sich nicht wie die 2. Wahl fühlen. Das könnte ich niemals mit meinem Gewissen vereinbaren, wenn er sich so fühlen sollte.
"Ich kenne dich zu wenig, um jetzt einfach auf deine Gefühle einzugehen und belügen will ich dich nicht. Aber vielleicht sollten wir mal etwas zu zweit machen, alleine und schauen, wie wir uns so verstehen?"
Von mir selbst überrascht atmete ich erstmal tief durch und blickte auf die Tischplatte. Warum war ich denn jetzt so extrem aufgeregt? Meine Hände wurden ganz schwitzigen, weswegen ich sie an meiner Hose abwischte. Nervös griff ich nach der Tüte mit den Plätzchen und öffnete die Schleife.
"Du verarscht mich doch", murmelte Louis und als ich aufsah, schüttelte er mit seinem Kopf. "I-ich habe über jedes mögliche Szenario nachgedacht und nicht im Entferntesten bin ich auf die Idee gekommen, dass du so reagierst."
"Hätte ich dich eher anschreien sollen?", witzelte ich, um die Stimmung zu heben und ich konnte Louis tatsächlich ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Auch wenn es nur ein kleines war. Ich nahm einen der verzierten Plätzchen aus der Tüte und hielt es Louis hin. Er nahm es entgegen und tunkte es in den Tee bevor es aß.
"Du-" Ich nickte und drehte mich etwas mehr zu ihm und sah ihn geradewegs an. "Du hast irgendwas an dir, dass muss ich zugeben. Aber ich weiß nicht, ob es auch genug ist und ob mein Herz da mitmacht. Aber ich will dir die Chance geben. Du bist ein Familienmensch, denkst an das Wohl der anderen und bist attraktiv. Tut mir leid, dass ich noch nicht mehr über dich sagen kann, aber ich denke es sind doch ganz gute Voraussetzungen, oder?"
Louis sah mich immer noch ungläubig an und biss sich auf die Lippe. "Und du bist dir sicher?" Ich schüttelte meinen Kopf. "Darf ich ehrlich sein? Ich bin mir wegen nichts sicher. Seit Williams Tod weiß ich überhaupt nicht ob irgendwas was ich mache richtig ist. Ich treffe alle Entscheidungen alleine und zweifle an so vielen Dingen. Aber... So kann es nicht weiter gehen, denke ich...", versuchte ich meine Gedanken zu erklären und strich mir durch meine Haare.
"Und du machst das jetzt nicht nur wegen deinem schlechten Gewissen und weil du eine Lücke füllen willst?"
Ich schüttelte meinen Kopf und nahm zögerlich seine Hand in meine. Sie war so viel kleiner und passte perfekt in meine. Wie zwei Puzzleteile. Komisch, dass ich jetzt an so etwas dachte.
"Ich mache das nicht aus Spaß Louis, dass kannst du mir glauben. So etwas wie die Liebe nehme ich nicht auf die leichte Schulter. Wenn ich was zum Vergnügen oder zum Füllen einer Lücke bräuchte, würde ich nicht hier, sondern an irgendeiner Bar sitzen und den nächstbesten Menschen aufreißen, aber dafür bin ich nicht gemacht. Ich bin kein Mann für Spaß und einer einzigen Nacht."
Louis nickte leicht und betrachtete unsere Hände für einen Moment.
"W-Wir können ja mit einem Essen anfangen. I-Ich bin zwar oft schusselig, aber kochen kann ich." Ich lachte leise und nickte. "Ja, das wäre eine gute Idee." - "Harry? Sei mir nicht böse, wenn ich die anderen da erstmal rauslassen will, auch Sophie. Wenn das okay ist."
Für einen Moment überlegte ich und schüttelte meinen Kopf. "Das kann ich leider nicht. Ich spreche mit Sophie über alles. Wenn sie fragt, dann werde ich ihr auch die Wahrheit sagen. Ich muss ja nicht direkt alles herausposaunen, doch wenn sie fragt, dann werde ich ihr wahrheitsgemäß antworten. Außerdem habe ich das Gefühl, dass Gemma und Lottie sicher schon was vorhaben... mit uns beiden..."
Louis schien nicht wirklich begeistert zu sein, drückte aber meine Hand nach einem Moment und nickte leicht. "Du hast ja recht", murmelte er und seufzte. "Schwestern sind anstrengend." Das war das Einzige, was er dazu sagte. "Und was ist mit dem Ring? Du- Du trägst ihn immer noch und so lange kann und will ich mir keine ernsthaften Hoffnungen machen. Du bist noch nicht über William hinweg."
Ich drehte meine Hand und betrachtete das goldene Schmuckstück, welches sich um meinen Ringfinger schlang. Langsam löste ich meine Hand aus Louis' und drehte den Ring bevor ich ihn abzog und für weitere Minuten still betrachtete. Schluckend legte ich meinen Kopf in den Nacken und schloss meine Augen.
William? Verzeih mir.
_______________
2245 Wörter 08/12/2020
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top