Eine Chance zur Erklärung?

Planlos renne ich immer weiter durch diese dunklen Tunnel und werde dabei das Gefühl nicht los, als wenn es sich um ein endlos verzweigtes Labyrinth von Gängen handelt. Wo bin hier bloß gelandet?! Leider ist der Ferox mir dicht auf den Fersen, was mir mein Unterfangen extrem erschwert. Und da hatte ich wirklich gedacht, sportlich zu sein, doch anscheinend reicht meine Sportlichkeit nicht aus, um diesen Kerl abzuhängen. Mist!

Nach einer gefühlten Ewigkeit kann ich vor mir einen Lichtschein erkennen. Unwillkürlich beschleunigen sich dadurch meine Schritte, bis ich mich schließlich in einer riesigen und relativ hellen Halle befinde, deren Wände komplett aus Felsen bestehen. Zudem herrscht in diesem Bereich ein reges und lebhaftes Treiben. Genau das ist die Vorstellung, die ich immer von dieser Fraktion hatte, gesellig, lustig und ausgelassen. Irgendwie passt da mein überlauniger Verfolger so gar nicht ins Bild.

Liebend gern würde ich einfach nur für einen kurzen Moment die tolle Atmosphäre genießen, die sich mir gerade bietet, wäre da nur nicht dieser hartnäckige Miesepeter. Und leider ist es für mich in der aktuellen Lage sehr von Nachteil, dass sich hier so viele Leute aufhalten. Das bedeutet nämlich, dass ich irgendwie durch die Menschenmasse gelangen muss, um mich durch den nächstgelegenen Ausgang verdrücken zu können.

Obwohl, vielleicht kann ich mir diesen Umstand sogar zu Nutzen machen. Immerhin bin ich relativ klein. Eventuell kann ich einfach in der Menge untertauchen, ohne beachtet zu werden. Auf jeden Fall ist es einen Versuch wert. Eilig mische ich mich mitten ins Gedränge und das keine Sekunde zu spät, denn bei einem letzten Blick zurück, kann ich noch erspähen, wie der Typ nun ebenfalls aus dem Gang tritt.

Da ich mir absolut sicher bin, dass er nach mir Ausschau halten wird, versuche ich meinen Weg leicht geduckt fortzusetzen, wobei ich darauf achte, in Deckung zu bleiben. Erleichtert stelle ich fest, dass alle Umherstehenden so in ihren Gesprächen, Trinkspielen und sonstigen Aktivitäten beschäftigt sind, dass sie mir keinerlei Beachtung schenken, bis eine wütende Stimme über den Lärm und die Musik hinweg hallt.

"Haltet sofort die verdammte Ken auf und bringt sie zu mir!!", befiehlt er in einem strengen Ton, der mich leicht zusammenzucken lässt. Sofort liegt die komplette Aufmerksamkeit auf ihm.

„Welche Ken?", höre ich einige Personen murmeln und erhalte somit die Bestätigung, dass mich bisher niemand bemerkt hat. Diese Chance will ich mir nicht entgehen lassen. Zügig husche ich unbeirrt weiter. Doch als ich bereits mein Ziel vor Augen habe, ertönt erneut seine Stimme.

„Diese Ken!" Bevor ich in irgendeiner Form reagieren kann, werde ich an beiden Armen gepackt und zu dem muskelbepackten Kerl geschleift, der vor dem Eingang stehen geblieben ist. Na toll, jetzt sind alle Augenpaare auf mich gerichtet. Allerdings steht mein größtes Problem im Moment direkt vor mir, zu dem ich unaufhaltsam näher geschleppt werde. Er durchbohrt mich regelrecht mit seinem stechenden Blick, so dass ich schwer schlucken muss. Was habe ich mir da nur eingebrockt?

Und da dachte ich wirklich, dass er auf dem Dach schon grimmig aussah. Aber wenn ich ihn jetzt so betrachte, war er vorhin im Vergleich dazu die Freundlichkeit in Person. In diesem Moment wird mir klar, dass ich mir unbedingt irgendetwas überlegen muss. Gehirn lass mich bitte nicht im Stich! Wir sind bereits fast bei ihm angekommen, als mir endlich die rettende Idee in den Sinn schießt. Warum habe ich daran eigentlich nicht sofort gedacht?

Wahrscheinlich liegt das daran, weil ich nie so eine gute Ken war. Und das ist der beste Beweis dafür. Ok, du schaffst das. Entschlossen richte ich mich etwas auf, zu mindestens soweit es durchführbar ist. Selbst als ich direkt vor ihm stehe, werde ich nicht losgelassen. Bevor er die Gelegenheit hat, etwas zu sagen, komme ich ihm zuvor.

"Ich möchte bitte mit einem der Anführer sprechen." Wie gut, dass ich in Fraktionslehre aufgepasst habe. Nur deswegen weiß ich, dass ich darauf einen Anspruch habe. Allerdings scheint dieser ungehobelte Klotz davon nichts zu verstehen. Auch wenn ich es für ausgeschlossen gehalten hatte, verzieht sich seine Mimik noch mehr. Ok, er ist eindeutig stinksauer! Merkwürdigerweise dreht er sich aber plötzlich wortlos um und verschwindet in einem Tunnel. Als ich dann hinter ihm her geschleift werde, wird es mir echt mulmig zumute.

„Hallo, hast du mich verstanden?", versuche ich so lässig wie möglich zu klingen, um mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich diese Situation verunsichert. Auch dieses Mal erhalte ich darauf keine Reaktion von ihm. Gerade als ich versuche mir einzureden, dass er mich nur zu einem Anführer bringen lässt, bleibt er abrupt stehen, dreht sich zu uns und sorgt mit einem kleinen Kopfwink dafür, dass die beiden Aufpasser meine Arme freigeben.

Nun endgültig beunruhigt, schaue ich mich nach einer Tür oder einem anderen plausiblen Grund um, warum er angehalten hat, doch ich kann nichts erkennen und bemerke schließlich leicht panisch, dass die zwei Ferox lautlos verschwunden sind und mich alleine mit diesem kranken Psycho irgendwo in einem menschenleeren Gang zurückgelassen haben! Unbeobachtet und völlig auf mich alleine gestellt! Hilfe! Das ist vermutlich der beste Ort um jemanden unbemerkt verschwinden zu lassen.

"Was bildest du dir eigentlich ein?!", fährt er mich unvermittelt an und bestätigt mir damit die Vermutung, dass er nicht alle Tassen im Schrank hat.

"Du hast nichts bei den Ferox zu suchen. Und vor allem hast du hier keine Forderungen zu stellen." Mit jedem Wort wird er lauter. Er sollte sich wirklich mal untersuchen lassen!

"Es gibt aber etwas Wichtiges, was ich dringend mit einem der Anführer besprechen muss.", versuche ich es aufs Neue. Leider erreiche ich damit nur, dass er bedrohlich auf mich zuschreitet. Der ist echt total gestört!

"Ich wiederhole mich nur sehr ungern. Deswegen ein letztes Mal zum Mitschreiben: Du bist nichts weiter als eine kleine dumme Ken, die rein gar nichts zu melden hat. Aus diesem Grund bugsiere ich dich unverzüglich zu deiner erbärmlichen Fraktion zurück. Sollen die sich mit dir herum ärgern." Mit diesen Worten packt er mich grob am Handgelenk und will mich hinterher ziehen. Doch ich wehre mich mit aller Kraft.

"Nein, warte! Ich muss unbedingt mit einem Anführer sprechen. Dieses Recht ist im Fraktionsgesetz festgelegt.", werde ich nun ebenfalls lauter, um meinen Anspruch einzufordern. Augenblicklich dreht er sich erneut zu mir um, allerdings hält er mich weiterhin fest und betrachtet mich schließlich wie ein Raubtier seine Beute.

"Du bestehst also wirklich darauf mit einem Anführer zu sprechen?" Obwohl er dabei leicht spöttisch klingt, nicke ich entschlossen zur Bekräftigung.

„OK, ich höre. Du hast genau zwei Minuten Zeit."

"Was?" Jetzt bin ich komplett verwirrt.

"Ich bin Eric, einer der Ferox Anführer. Deine Zeit läuft.", erklärt er mir triumphierend, wobei er mich mit Argusaugen beobachtet. Wahrscheinlich um sich an der niederschmetternden Erkenntnis zu ergötzen, die mich durch diese Offenbarung trifft. Oh nein! Schlimmer hätte es nicht kommen können! Dabei sieht der Kerl doch so jung aus. Soll das wirklich ein Anführer sein? Warum musste ich es mir ausgerechnet mit ihm verscherzen?!

Als sich zu allem Überfluss der rechte Mundwinkel von meinem Gegenüber zu einem selbstgefälligen, überheblichen Grinsen hebt, ist mir klar, dass ich endgültig verloren habe. Ganz egal, was ich ihm erzählen würde, er würde mir niemals helfen. Enttäuscht will ich mich geschlagen geben, doch da ertönt hinter mir eine weitere Stimme.

"Eric! Was ist denn hier los?" Sofort drehe ich mich um und kann erkennen, wie ein dunkelhäutiger Mann langsam nähertritt.

„Du bist schon wieder zurück?!" Mir entgeht nicht der Unmut, mit dem er diese Feststellung äußert. Ganz offensichtlich ist er über das Auftauchen des anderen Ferox überhaupt nicht erfreut. Das bestätigt mir auch die Tatsache, dass er sich etwas verspannt und sich sein Griff um mein Handgelenk noch mehr verfestigt, so dass es langsam anfängt zu schmerzen.

„Es ist alles in Ordnung. Ich habe mich bereits um das kleine Problem gekümmert!" Ich kann deutlich seinen herablassenden Blick auf mir spüren, allerdings beachte ich ausschließlich den Neuankömmling, der eine beeindruckende Autorität ausstrahlt.

„Achso, ist das wirklich so?!", sagt dieser, als er bei uns angekommen ist, an Eric gewandt, bevor er seine komplette Aufmerksamkeit auf mich lenkt. Dabei ist sein Ausdruck nicht feindselig, wie bei dem jüngeren Typen, sondern skeptisch, prüfend und vielleicht sogar etwas neugierig.

"Max, dieses Mädchen von den Ken hat sich in unser Hauptquartier verlaufen und einen ziemlichen Aufstand veranstaltet. Doch ich habe inzwischen alles unter Kontrolle und werde sie wieder zu ihrer Fraktion zurückbegleiten.", ringt sich Eric zu einer längeren Erklärung ab. Also, wenn er sich so verhält, dann muss dieser Max bei den Ferox scheinbar eine höhere Position innehaben als er selber. Oder er hat mich nur belogen und ist in Wirklichkeit gar kein Anführer. Auf jeden Fall ist das meine Chance.

"Max, ich nehme an, dass ich mit meiner Vermutung richtig liege und du einer der Ferox Anführer bist. Es gibt da eine wichtige Angelegenheit, die ich unbedingt mit einem Anführer besprechen muss.", versuche ich so höflich wie möglich zu klingen. Er mustert mich einmal von oben bis unten, bevor sich etwas in seiner Mimik verändert. Dann deutet er ein kurzes Nicken an.

"Ist gut. Aber das sollten wir nicht hier besprechen. Kommt mit in mein Büro." Mit diesen Worten dreht er sich um und geht los. Erleichtert atme ich aus, bevor mich Eric ein weiteres Mal durch die Gänge zieht.

"Ob du es glaubst oder nicht, ich kann sehr gut alleine laufen. Du brauchst mich also nicht länger hinterher zu schleifen. Außerdem habe ich jetzt keinen Grund mehr, um abzuhauen." beschwere ich mich. Doch er ignoriert mich einfach und ändert nichts an seinem Schraubstockgriff. Allmählich spüre ich meine Hand nicht mehr.

Er lässt mich erst los, als Max die Tür zu seinem Büro geöffnet hat, um mich dann auf seine speziell freundliche Art in den großen Raum zu schubsen. Hilfe, was hat der denn bloß für Probleme? Kurz reibe ich mir über mein schmerzendes Handgelenk. Währenddessen hat sich Max auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch positioniert und fordert mich ebenfalls mit einer Handbewegung auf, auf der anderen Seite Platz zu nehmen. Eric bleibt mit vor der Brust verschränkten Armen an der Tür stehen und schaut mich unermüdlich mit einem grimmigen Blick an.

"Also, was gibt es denn so Wichtiges zu besprechen?", wendet sich Max interessiert an mich.

"Mein Name ist Lilly und leider ist meine Mutter vor knapp zwei Wochen gestorben. Meinen Vater kenne ich nicht, weiß aber, dass er ein Ferox ist.", beginne ich mit meiner Erklärung und muss bei der Erinnerung an Mum kurz stocken, um meine Fassung nicht zu verlieren.

"Und? Was kümmert uns deine Familiengeschichte?", unterbricht mich dieser unsympathische Spinner.

"Das wollte ich gerade erzählen.", werfe ich ihm einen wütenden Blick zu, bevor ich mich wieder Max zuwende.

"Da ich immer versucht habe eine gute Ken zu sein, weiß ich, dass das Gesetz der Fraktionen mir das Recht einräumt, beim Verlust eines Elternteils bis zur Bestimmungszeremonie bei dem anderen Elternteil zu leben, selbst wenn dieser einer anderen Fraktion angehört."

"Von so einem Quatsch habe ich noch nie gehört!" Wieder Eric. Allerdings konzentriere ich mich nur auf den Anführer vor mir. Er schaut mich jetzt überrascht an.

"Ja, das stimmt. Diese Reglung gibt es wirklich, obwohl sie nur sehr selten in Anspruch genommen wird", meint er nachdenklich.

"Was? Willst du etwa dieser kleinen Göre erlauben, bei den Ferox zu leben?! Die hat hier absolut nichts verloren", empört sich Eric. Ich hasse es, dass er mich die ganze Zeit klein nennt. Es stimmt schon, ich bin nur 1,60 m groß, doch das gibt ihm nicht das Recht, mich so zu betiteln.

"Also, ich persönlich finde es durchaus sehr mutig, einfach in unser Hauptquartier zu marschieren und sich dabei ausgerechnet mit dir anzulegen, Eric. Vielleicht passt sie ja ganz gut zu uns.", geht Max auf seinen Einwand ein. Kurz schiele ich zu diesem, um festzustellen, dass er über den Verlauf, den dieses Gespräch gerade nimmt, als andere als glücklich ist. Bevor ich ihm vor Übermut ein schadenfreudiges Grinsen schenken kann, spricht Max weiter.

"Gut Lilly, ich will versuchen, dir zu helfen. Wer ist denn dein Vater?"

"Leider kenne ich seinen Namen nicht." Natürlich vernehme ich sofort ein verächtliches Schnauben von Eric, lasse mich davon aber nicht beirren.

"Allerdings weiß ich, dass er sogar mit meiner Mutter verlobt war. Ihr Name war Katharina Fenn."

"Was?! Kathi!! Sie ist tot!!"

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