Der Kuss
Erics POV
Endlich habe ich Lilly eingeholt. Sie ist ja regelrecht fluchtartig vom Motorrad gesprungen und durch den Gang hierher gerannt. Selbst als ich sie gerufen habe, hat sie in keinster Weise darauf reagiert. Inzwischen haben wir den Anfang der Treppe erreicht. Ich halte sie fest und drehe sie zu mir.
„Du hast doch wirklich keinen Grund, um vor mir zu flüchten!", meine ich spöttisch.
„Ich flüchte ja auch nicht, ich möchte nur vor meinem Vater zu Hause sein.", meint sie darauf leicht genervt und will sich von mir losreißen, doch ich halte sie weiter fest. Schließlich bin ich für heute noch nicht fertig mit ihr. Wenn ich das schon alles organisiert habe, muss für mich auch etwas dabei herausspringen. Vor allem weil dieser ganze Romantik-Quatsch so ganz und gar nicht zu mir passt.
Um sie zu beruhigen, teile ich ihr meine Beobachtung mit.
„Du kannst dir etwas Zeit lassen. Dein Vater ist noch nicht da." Dabei gehe ich einen Schritt auf sie zu, um die Differenz zwischen uns zu verringern. Ich muss wirklich zugeben, dass es mir heute sehr gefallen hatte, sie so nah bei mir zu haben.
„Und woher willst du das bitte wissen?", fragt sie sofort nach. Da ist sie wieder, ihre aufmüpfige Art. Das muss ich ihr wirklich noch austreiben. Ich bin schließlich Eric, mir gibt man keine Widerworte!
„Sein Auto steht nicht in der Garage.", sage ich einfach. Wenn sie nicht so schnell abgehauen wäre, hätte sie das ebenfalls bemerkt. Das scheint sie allerdings nicht sonderlich zu beruhigen.
„Na gut, aber trotzdem kann er jeden Moment zurückkommen. Also, lass mich jetzt bitte los." Das klingt fast wie eine Forderung. Eigentlich sollte sie mich bereits so gut kennen, um zu wissen, dass sie so bei mir nicht weiterkommt. Ich mache nur das, was ich möchte. Und jetzt will ich etwas ganz Bestimmtes!
„Du darfst gleich gehen. Allerdings hast du etwas Wichtiges vergessen.", sage ich deswegen. Das Wichtigste vom ganzen Abend! Sie scheint inzwischen sichtlich genervt. Aber das ist mir egal. Ich finde sogar, dass sie dabei echt sexy wirkt.
„Und das wäre?", höre ich schon ihre genervte Frage. Hat sie das wirklich vergessen? Das enttäuscht mich ein wenig. Na gut, ich kann es nicht vergessen. Immerhin ist es ein wichtiger Teil von meinem Plan. Und den werde ich nun auch umsetzen.
„Deine Wettschulden!", hauche ich. Mit diesen Worten bin ich bei ihr, drücke sie gegen die nächste Wand und presse meine Lippen auf ihre. Darauf habe ich nun schon den ganzen Abend gewartet. Sie hat unglaublich weiche Lippen. Im ersten Moment erwidert sie meinen Kuss nicht. Offensichtlich ist sie etwas überrumpelt von meiner Aktion.
Doch nach ein paar Sekunden fängt sie sich und bewegt ihre Lippen auf meinen mit so einer Intensität, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Meine Hände legen sich fast wie automatisch an ihre Wangen, während sie ihre Hände in meinen Nacken platziert und mich so etwas näher zu sich zieht. Dabei vertieft sie den Kuss noch mehr. Wow, woher kann sie nur so gut küssen.
Als sie dann schließlich ihren Mund leicht öffnet und ihre Zunge mit ins Spiel bringt, kann ich nicht mehr anders und blende einfach alles um mich herum aus und konzentriere mich ausschließlich auf sie und ihre Lippen. Meine Hände fangen langsam an über ihren Körper zu gleiten. Ich will sie jetzt nur noch schmecken und spüren. Mein Verstand hat sich komplett aus geschalten. Dafür beherrscht mich nun ein anderes Körperteil.
Im nächsten Moment werde ich allerdings von ihr weggedrückt. Sie grinst mich frech an.
„Damit dürfte ich meine Schulden wohl getilgt haben." Bevor ich auch nur in irgendeiner Weise darauf reagieren könnte, löst sie sich von mir und verschwindet. Ich bleibe ein wenig verwirrt zurück. Was war das denn gewesen? Was macht diese Frau mit mir? Und warum schmeckt sie so verdammt gut?
Ich muss mich jetzt wirklich zusammenreißen. Das ist doch bei weitem nicht die erste Frau, die ich küsse. Und noch keine hat mich so aus dem Konzept gebracht. Warum sollte es bei ihr anders sein?! Vielleicht lag es einfach nur daran, dass ich nicht damit gerechnet hätte, dass sie gleich so ran geht. Ja, das wird es bestimmt sein. Das hatte ich schließlich wirklich nicht erwartet. Dass sie den Kuss erwidert, hatte ich schon gehofft, aber gleich so! Das hat mich sehr überrascht!
Außerdem darf ich meinen Plan auf keinen Fall aus den Augen verlieren. Der Kuss war schließlich nur ein Teil von meinem Plan, mehr nicht! Sie soll sich bei mir wohl fühlen! Mir vertrauen! Sich mir öffnen! Und sich im besten Fall in mich verlieben! Dass sie so gut küssen kann, ist dabei für mich nur zum Vorteil. Dann macht eine Scheinbeziehung doch gleich viel mehr Spaß!
Unwillkürlich muss ich daran denken, wie es wohl erst im Bett mir ihr ist, wenn sie beim Küssen schon so loslegt. Nur gut, dass mein Plan den Sex mit ihr nicht ausschließt. Wenn also alles gut läuft, werde ich es früher oder später noch erfahren! Allerdings ist es jetzt Zeit mein Gehirn endlich wieder anzustellen, um mir meine nächsten Schritte gut zu überlegen. Und mir fehlt auch noch eine gute Idee, um Mitkonkurrenten, wie zum Beispiel Zeke, aus dem Rennen zu schmeißen.
Da ich so in meine Gedanken versunken bin, bemerke ich nicht, dass sich mir jemand nähert. Erst seine Stimme bringt mich zurück in die Gegenwart.
„Na, Eric. Dein Date ist wohl nicht so gut verlaufen? Oder warum bist du hier alleine unterwegs?", fragt mich Max.
„Doch, alles in Ordnung." Da fällt mir etwas ein. Es ist zwar nicht sehr fair, vor allem Lilly gegenüber. Aber mein Plan ist mir wichtiger als Irgendwer oder Irgendwas sonst!
„Ich bin hier, weil ich mit dir sprechen muss.", sage ich deswegen.
„Ist das jetzt so wichtig? Die Besprechung heute war wirklich anstrengend und ich möchte mich eigentlich nur noch ausruhen." Max dreht sich bereits um und will mich offensichtlich einfach hier stehen lassen. Das liegt scheinbar an den Genen!
„Warte! Es ist wirklich wichtig! Und es dauert auch nicht lange. Es geht um Lilly!"
Zeitsprung: der nächste Tag, nachmittags nach der Schule
Lillys POV
Sehr schön! Dieser nervige Schultag ist zum Glück vorbei. Ab heute habe ich auch kein Hausarrest mehr. Außerdem kann ich nachher zum ersten Mal in der Kantine mitessen. Darauf freue ich mich schon total. Dann kann ich vielleicht noch ein paar neue Leute kennen lernen. Und ich werde Zeke wiedersehen. Seitdem mich Eric nach der Fahrt mit der Seilbahn von ihm weggezerrt hat, habe ich ihn nicht mehr gesehen.
Zudem wird mein Vater mich heute ja auch allen offiziell vorstellen. Ich bin mal gespannt, wie Zeke darauf reagiert. Schließlich habe ich ihm davon überhaupt nichts erzählt. Hoffentlich bleibt es dann bei unserer Abmachung mit dem Training. Das habe ich nämlich langsam wirklich dringend nötig. Bis zur Bestimmungszeremonie ist nicht mehr allzu viel Zeit. Und ich dahin muss noch einiges erreichen.
Zu allem Überfluss werde ich heute wahrscheinlich auch auf Eric treffen. Klar, wir hatten gestern ein wirklich schönes Date und der Kuss war der krönende Abschluss. Er kann unglaublich gut küssen. Allerdings will ich ihm nicht das Gefühl vermitteln, dass ich so leicht zu haben bin. Natürlich habe ich den Kuss erwidert, was ihn scheinbar sehr überrascht hatte. Schließlich sieht er ja echt gut aus und ich fühle mich in seiner Nähe irgendwie beschützt.
Vielleicht liegt das auch nur an seinen ausgeprägten Muskeln. Außerdem nehme ich Wettschulden ernst. Und wenn wir uns schon küssen, dann wenigstens richtig. Ich weiß ja auch nicht, wann ich das nächste Mal die Gelegenheit dazu bekommen werde. Aber trotz allem habe ich bei Eric immer dieses komische Gefühl, so als wenn er mit versteckten Karten spielen würde.
Deswegen will ich mich ihm nicht völlig öffnen, zu mindestens jetzt noch nicht. Dieses Gefühl habe ich bei Zeke überhaupt nicht. Er ist so offen und ehrlich, dass ich ihm alles anvertrauen würde. Aber ich denke, es macht jetzt wenig Sinn, mir zu viele Gedanken darüber zu machen. Es ist bestimmt das Beste, dass ich alles Weitere auf mich zukommen lassen werde.
Meinen Vater habe ich gestern gar nicht mehr gesehen und heute früh nur ganz kurz, bevor ich in die Schule gehen musste, aber da war er scheinbar nicht gut drauf oder einfach sehr müde. Und als ich jetzt nach Hause gekommen bin, habe ich nur einen Zettel von ihm gefunden. Darauf stand, dass er noch ein bisschen Arbeit in seinem Büro zu erledigen hat und wir uns erst zum Abendessen in der Kantine sehen werden. Und ich soll pünktlich da sein.
Kurze Zeit später mache ich mich auf den Weg zum Speisesaal. Als ich dort ankomme, ist es bereits recht voll. Allerdings kann ich meinen Vater nirgendwo erspähen. Dafür aber Zeke, der mich sofort zu sich winkt. Also gehe ich zu ihm und werde von ihm sofort in eine überschwängliche Umarmung verwickelt.
„Hey, du lebst ja doch noch! Ich wollte schon eine Vermisstenanzeige aufgeben!"
„Warum denn das? Es war schließlich nur ein Tag, an dem wir uns nicht gesehen haben.", sage ich grinsend und setze mich neben ihn.
„Ein Tag und trotzdem habe ich dich so sehr vermisst." Dabei legt er einen Arm um mich und rückt etwas näher zu mir.
„Außerdem wusste ich ja auch nicht, was Eric mit dir angestellt hatte. Er schien wirklich sauer zu sein."
„So schlimm ist er doch gar nicht.", meine ich nur.
„Was?", fragt Zeke schockiert.
„Scheinbar kennst du ihn nicht sehr gut." Bevor wir uns allerdings wieder unterhalten können, betreten Eric und mein Vater gemeinsam den Speisesaal. Sofort liegen die Blicke der beiden auf mir. Während Eric sich mit einem finsteren Ausdruck an einen fast leeren Tisch setzt, geht mein Vater zu einem kleinen Podest und bittet um Ruhe. Sofort verstummen alle Gespräche. Dann beginnt er mit seiner kleinen Rede.
„Liebe Ferox. Ich möchte euch gar nicht lange von eurem wohlverdienten Abendessen abhalten. Allerdings möchte ich euch gerne ein neues Mitglied unserer Fraktion vorstellen, und zwar meine liebe Tochter." Nach diesen Worten geht ein Rauen durch die Reihen. Auch Zeke neben mir ist offensichtlich verwundert.
„Wie krass ist das denn?", höre ich ihn sagen. Doch ich konzentriere mich nur auf Dad.
„Komm bitte zu mir, Lilly." Also erhebe ich mich und gehe zu ihm. In meinem Rücken spüre ich die Blicke von der ganzen Fraktion. Als ich bei ihm angekommen bin, legt er den Arm um meine Schulter. Ich schaue zu Zeke, der mich mit einem undefinierbaren Blick betrachtet. OK, vielleicht hätte ich ihn lieber vorwarnen sollen, aber dafür ist es jetzt definitiv zu spät.
„Willkommen bei den Ferox, meine Kleine!" Danach fangen alle an zu klatschen. Aber ich ärgere mich nur darüber, dass er mich gerade wirklich Kleine genannt hat und das vor der ganzen Fraktion. Noch peinlicher geht es echt nicht mehr! Dazu sehe ich jetzt auch noch Eric, der sich scheinbar köstlich darüber amüsiert. So ein Idiot! Deswegen flüstere ich meinen Vater zu.
„Musstest du mich unbedingt so nennen?"
„Ja!", ist seine knappe Antwort.
Nun bin ich mir sicher, dass hier irgendetwas nicht stimmt kann. Ich schaue ihn von der Seite an. Da höre ich bereits seine Stimme.
„Du wirst dich jetzt mit zu mir und Eric an den Tisch setzen und später haben wir noch einiges zu besprechen." Nun verstehe ich gar nichts mehr. Warum ist er so sauer?
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