Das neue Heim
"Was?! Kathi!! Sie ist tot!!"
Jetzt ist es mucksmäuschenstill im Raum, selbst Eric bringt kein Wort heraus. Wir starren beide nur Max an. Er hat meine Mum gerade Kathi genannt, also musste er sie gekannt haben. Aber was genau bedeutet das? Und warum scheint ihn diese Information zu erschrecken? Kann es vielleicht sein, dass er ihr Verlobter war?
"Du kanntest meine Mutter also?" Damit breche ich die Stille.
"Ja, und nicht nur das. Ich war mit ihr verlobt." Also, doch.
"Und dann bist du auch mein ..." Ich unterbreche mich selbst, weil ich mich nicht traue, diese Wörter auszusprechen.
"Ja, so sieht es aus. Warum hat sie mir nur nie etwas von dir erzählt? Das verstehe ich einfach nicht." Dann stimmt es also wirklich. Max ist mein Vater.
Nun steht Max von seinem Stuhl auf und kommt um den Schreibtisch herum auf mich zu. Vor mir kniet er sich auf meine Höhe und nimmt mein Gesicht in seine Hände.
"Jetzt lass dich erst mal richtig ansehen." Wow, solche Gefühlsregungen hätte ich echt nicht von ihm erwartet.
Er betrachtet mich eingehend.
"Du siehst deiner Mutter wirklich verblüffend ähnlich, aber die Augen hast du eindeutig von mir.", meint er dann stolz. Ja, das stimmt. Ich habe dieselben dunkelblauen Augen wie er. Die Tatsache, dass er mein Vater ist, erklärt dann auch endlich meinen leicht gebräunten Teint, wohingegen meine Mutter ein sehr blasser Typ war.
Irgendwie bin ich gerade von der ganzen Situation etwas überfordert. Natürlich hatte ich mir schon sehr lange gewünscht, meinen Vater endlich kennen zu lernen, vor allem in den letzten zwei Wochen. Aber dass es plötzlich so schnell geht und er jetzt vor mir sitzt, damit hätte ich absolut nicht gerechnet.
"Und was passiert nun mit mir?", frage ich deswegen unsicher.
"Du wolltest doch dein Recht in Anspruch nehmen. Wenn du das immer noch möchtest, kannst du gerne zu mir kommen." Mehr als stumm zu nicken, kann ich gerade nicht. Ganz langsam realisiere ich die Geschehnisse, die sich in den letzten Minuten ereignet haben. Ich habe meinen Vater gefunden und ich darf wirklich bei den Ferox bleiben. Das ist so cool und wird bestimmt total spaßig.
"Wie alt bist du jetzt eigentlich, meine Kleine?", erkundigt er sich.
"Ich bin letzten Monat 16 geworden."
"Da hast du dieses Jahr also noch deine Bestimmungszeremonie?!", schlussfolgert er richtig.
"Ja, genau."
"OK, das ist ja nicht mehr lange bis dahin. In der Zeit kannst du selbstverständlich in meinem Gästezimmer wohnen"
"Wirklich? Das wäre echt total super." Jetzt kann ich meine Begeisterung nicht mehr zurückhalten. Voller Freude strahle ich Max, nein, ich meine natürlich meinen Vater an.
"Das heißt also, dass ich nicht mehr zu den Ken zurückmuss und auch nicht zu meiner Tante. Ich darf wirklich hier bei den Ferox leben?" Es fällt mir im Moment recht schwer, mein Glück zu erfassen. Als mein Vater daraufhin zurück grinst und nickt, bin ich so unglaublich happy. In meinem Übermut falle ich Max um den Hals. Doch das scheint ihn in keinster Weise zu stören, denn er erwidert die Umarmung sofort.
Allerdings werden wir von einem Räuspern unterbrochen. Ach, Eric, den hatte ich ja total vergessen.
"Eric, bitte besorge passende Kleidung für Lilly. Wir können sie ja schließlich nicht in dem Blau der Ken bei uns herumlaufen lassen. Immerhin gehört sie ab sofort zu den Ferox. Bring die Sachen dann bitte gleich zu meiner Wohnung. Ich werde mit Lilly schon dorthin gehen.", weist mein Vater ihn an.
"Max, wir müssen uns aber vorher noch mal kurz unterhalten.", fängt Eric an, doch er wird gleich von meinem Vater unterbrochen.
"Das kann warten. Erst möchte ich Lilly ihr neues Zuhause zeigen." Jetzt kann ich mir ein Grinsen nicht mehr verkneifen. Es ist echt praktisch zu wissen, dass mein Vater hier eindeutig mehr zu sagen hat, als der mir immer unsympathisch werdende Eric. Mit einem letzten bösen Blick, den er mir zu wirft, verlässt er schließlich den Raum.
Daraufhin bringt mein Vater mich zu seiner Wohnung. Während wir durch die endlosen Gänge laufen, wird mir bewusst, dass sie sich alle verdammt ähnlich sehen. Ich hoffe, dass ich mich hier möglichst bald selbst zurechtfinden kann. Bisher fällt es mir noch extrem schwer mich zu orientieren. Ein paar Minuten später schließt Max die Tür zu seiner Wohnung auf und lässt mich eintreten.
"Willkommen in deinem neuen Heim."
Es ist eine sehr große Wohnung, die wirklich gemütlich eingerichtet ist. Zuerst schaue ich mich ein bisschen in der großzügigen Wohnküche um. Hier sieht alles ordentlich und sauber aus und wirkt recht modern. Anschließend führt mich mein Vater in mein neues Zimmer.
"Wenn du noch etwas benötigst, können wir es morgen gerne zusammen besorgen.", biete er mir an.
"Danke" Mehr kann ich nicht sagen, da es im nächsten Moment schon es an der Tür klopft. Es ist Eric mit einem Stapel schwarzer Kleidung, wobei er jetzt noch genervter aussieht als vorhin bereits.
"Können wir nun diese sehr wichtige Angelegenheit besprechen.", fragt er Max mit einem ungeduldigen Unterton.
"Ja, was gibt es denn so dringendes?", will mein Vater wissen.
"Das möchte ich gerne unter vier Augen mit dir klären.", fordert Eric mit einem Kopfwink in meine Richtung.
"Lilly bist du so lieb und lässt uns kurz alleine. Du kannst dich ja inzwischen umziehen und dir dein Zimmer etwas genauer ansehen." Somit komme ich seiner Bitte nach und begebe mich mit der Kleidung in mein Zimmer. Hoffentlich hat Eric wenigstens was Passendes besorgt. Schließlich hat er mich noch nicht mal nach meiner Größe gefragt.
Doch bevor ich mich umziehe, hole ich aus der Innentasche meines blauen Blazers das Tagebuch meiner Mutter heraus. Ich betrachte es und fahre dabei mit dem Finger über das kleine schwarze Büchlein. Es ist das letzte, was ich von Mum habe. Augenblicklich werde ich todunglücklich und spüre wieder dieses tiefe Loch, was sie hinterlassen hat und in das ich in den letzten Tagen so oft versunken bin.
Allerdings reiße ich mich dieses Mal zusammen und verstaue meinen kostbarsten Besitz unter dem Kopfkissen von meinem neuen Bett, um nicht in Tränen ausbrechen zu müssen. Anschließend ziehe mich um.
Nur kurze Zeit später bin ich damit fertig und überrascht muss ich feststellen, wie gut die Kleidung passt und dass sogar ein paar ganz stylische Sachen dabei sind. So viel Geschmack hätte ich Eric nun wirklich nicht zu getraut. Da hätte ich eher darauf getippt, dass er mir irgendwelche Kartoffelsäcke anschleppt. Aber vielleicht hat er das auch nur wegen Max unterlassen.
Dann schaue ich mir mein Zimmer etwas genauer an. Es ist echt toll und das allerbeste ist, dass ich sogar ein eigenes kleines Badezimmer habe. Super! Nachdem ich mir nun alles ausgiebig angesehen habe, wird es mir etwas langweilig. Ich möchte doch so gern noch mein neues Heim, also das Hauptquartier, ein wenig erkunden. Vor allem muss ich unbedingt ein weiteres Mal in die Grube. Dort kann man bestimmt echt viel Spaß haben.
Irgendwann halte ich es einfach nicht mehr aus, nur faul herum zu sitzen. Die müssten doch mit ihrem 'kurzen' Gespräch langsam mal fertig sein. Also gehe ich zur Tür und lausche daran. Es ist nichts zu hören, deswegen entschließe ich mich die Tür einen Spalt breit zu öffnen und hinaus zu spähen. Im Wohnbereich kann ich niemanden sehen und trete somit einen Schritt aus dem Zimmer heraus.
Allerdings höre ich dann Stimmen aus Richtung der Wohnungstür. Das ist eindeutig Eric.
"Max, du bist zwar der oberste Anführer, aber unsere Regeln gelten auch für dich. Und da du nicht mal genau weißt, ob sie wirklich deine Tochter ist, kannst du das nicht einfach alleine entscheiden.", meint er nicht gerade sehr freundlich.
"Ich werde mich um alles kümmern und du kannst dir sicher sein, dass ich mich dabei genauesten an die geltenden Gesetze und Regeln halten werde.", versichert mein Vater.
"Gut, ansonsten muss ich die anderen Anführer informieren." Klingt das nur für mich wie eine Drohung?
Danach kann ich deutlich vernehmen, wie die Tür ins Schloss fällt und im nächsten Moment steht auch schon Max vor mir.
"Es tut mir leid, dass du wegen mir Schwierigkeiten bekommen hast.", entschuldige ich mich bei ihm. Schließlich wollte ich niemanden zur Last fallen.
"Ach, mach dir keine Sorgen, meine Kleine. Es ist alles in Ordnung. Aber in einem Punkt hat Eric Recht: Ohne den Beweis, dass ich wirklich dein Vater bin, werden weder die Anführer der Ferox noch Jeanine Matthews deinem Wechsel zu stimmen."
"Ja, das verstehe ich." Ohne mit der Wimper zu zucken, reiße ich mir ein paar Haare heraus.
"Reicht das?" Mit diesen Worten strecke ich sie ihm entgegen.
"Ja, natürlich." Nachdem er die Haare in eine Plastiktüte gesteckt hat, kommt er nochmal zu mir.
"OK, ich werde jetzt schnell los gehen, um alles zu klären. Du bleibst in der Zeit ausschließlich in dieser Wohnung und wartest auf mich. Ich hoffe, dass es nicht zu lange dauern wird. Im Kühlschrank ist was zu essen"
"Aber ich wollte mich eigentlich noch etwas im Hauptquartier umsehen.", versuche ich ihn umzustimmen.
"Nein, das geht jetzt nicht! Du bleibst hier. Haben wir uns da verstanden?" Dabei packt er mich ein wenig unsanft an den Armen und rüttelt mich einmal kurz. Ich verstehe absolut nicht, was plötzlich los ist. Warum fährt er mich auf einmal so an? Darum nicke ich einfach kurz, doch nur um ihn zu beruhigen. Von meinem Plan werde ich mich nicht abbringen lassen.
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