Fingerspitzengefühl
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Seoul wurde in Dunkelheit getränkt, als Hyungwon nach Hause kam. Seine Schuhe, die von dem langen Tag schmerzten, streifte er sofort ab, tappte mit Socken über den Holzboden. Das Rascheln der Taschen, in denen sich das gekaufte Essen befand, war durch die ganze Wohnung zu hören.
Diese ließ er dann auf dem kleinen Tisch in der Küche nieder, hatte Changkyun gar nicht bemerkt. Er war so in Gedanken versunken, packte das Essen aus den Tüten. Als es ihm auffiel, dass er auch für seinen Mitbewohner Reis gekauft hatte, stolperte er nochmal zurück ins Wohnzimmer, in dem Changkyun auf dem Sofa saß. Vor sich ausgebreitet lagen die drei Bücher, die er sich von Jooheon geliehen hatte. Er schien so konzentriert, als hätte er Hyungwon überhaupt nicht bemerkt. Auch als er direkt vor ihm stand, auf die Bücher lugte und kicherte, sah Changkyun nicht von den Zeilen auf.
,,Was ist denn mit dir los?", grinste der blonde Hochgewachsene, stupste den Jüngeren mit dem Zeh gegen's Schienbein um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. ,,Hmm", brummte sein bester Freund nur. ,,Seit wann lernst du so viel?"
Die Verwunderung leuchtete stark in Hyungwons Gesicht, er wollte unbedingt mehr über diese Sache erfahren. Er hoffte etwas aus dem 22-Jährigen heraus zu bekommen. ,,Seit heute."
,,Fängt der Grund etwa mit K an und hört mit Ihyun auf?", neckte der Blonde, grinste als hätte er den besten Witz der Welt gemacht. Doch Changkyun ließ das nur kalt, er beachtete das Necken seines Freundes nicht.
Seit Stunden saß er schon da, durchforschte die Bücher und versuchte sich einige Dinge einzuprägen. Hyungwon hatte recht, er hatte wirklich seit langer Zeit nicht mehr so gelernt.
,,Jooheon hat mir heute Bücher geliehen, ich möchte die Gebärdensprache lernen", gab er endlich zu, versuchte sich sein Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Kurz sah er zu dem Riesen auf, der nur überrascht den Mund öffnete.
,,Wow", platzte es aus ihm heraus, dann hielt er sich die schlanken Finger vor die grinsenden, vollen Lippen ,,darf ich dich zitieren?"
,,Hmpf", seufzte Changkyun, ahnte schon Schlimmes ehe Hyungwon sich räusperte und mit unglaublich tiefer Stimme sagte:,,Bevor ich die Gebärdensprache lerne, erfinde ich die Telepathie."
,,Das hab ich nie gesagt", log Changkyun, spürte die Wärme in seinen Ohren. Seine Wangen zierten ein zartes Rosa. Der große Bibliotheksarbeiter ließ sich neben dem Dunkelhaarigen auf dem Sofa nieder, vergaß völlig das Essen das in der Küche auf die beiden wartete.
,,Wenn du willst, helfe ich dir", schlug Hyungwon vor, nickte in die Richtung des Bücherchaos'. ,,Wie denn?", brummte der Tontechnik-Student ,,du kannst doch auch keine Gebärdensprache."
,,Dafür haben wir ja das Buch", lächelte sein Gesprächspartner aufmunternd.
Und so half Hyungwon seinem Mitbewohner dabei, diese unglaublich weitläufige Sprache zu lernen.
Er überprüfte, ob Changkyun die Zeichen richtig nachahmte. Falls es ihm schwer fiel, sahen sie sich zusammen Videos auf Youtube an.
♫
,,Ich hab' auch einen Kurs besucht, der ziemlich geholfen hat."
Aufmerksam lauschte Changkyun seinem Sitznachbarn, während sie die gerade beendete Vorlesung verließen und den Ausgang der Universität ansteuerten. ,,Und wo gibt es diese Kurse?"
,,An der Fachuniversität für Gehörlose. Da geht auch Kihyun hin, du kannst ihn ja mal fragen ob…" ,,Ne, ne, ne", unterbrach ihn der Dunkelhaarige sofort, schüttelte wild den Kopf. ,,Ich frag ihn doch nicht nach sowas. Es war schon peinlich genug dass…"
Etwas erschrocken hielt der junge Student inne, blieb sogar kurz stehen als er Kihyun auf dem Vorhof stehen sah.
Er stand im Schatten eines großen Laubbaumes, trug seine Kopfhörer und blickte in der Welt umher, als sehe er ständig Neues, das er entdecken konnte. Kurz danach kamen sie an ihm an und während Jooheon ihn begrüßend in den Arm nahm, stand Changkyun nur etwas unbeholfen daneben. Einige Leute zogen laut quatschend an ihnen vorbei, Motorräder wurden lautstark neben ihnen geparkt und auch das Zwitschern der Vögel war in diesem Moment betörend für das absolute Gehör des 22-Jährigen.
Als Kihyun sich wieder von seinem besten Freund gelöst hatte, nickte er Changkyun flüchtig lächelnd zu. Dabei schoss dem Jüngsten sofort Suhos Sätze in den Kopf.
~'Außerdem wartet er immer am selben Fleck bis du zur Arbeit kommst'~
Changkyun konnte gar nicht anders, als beim Gedanken daran zu grinsen. Etwas in dem Gedanken verloren, merkte er nicht wie die beiden schon losgegangen waren. Er joggte ihnen hinterher, bis er sie aufgeholt hatte. Währenddessen waren die zwei Freunde schon dabei sich in Zeichensprache zu verständigen. Und zwar so schnell, dass es für einen Außenstehenden unmöglich war ihnen zu folgen. Nur einzelne einfache Zeichen erkannte der Bibliotheksarbeiter, konnte sich aber keinen Reim daraus machen. Er konnte ihnen dennoch folgen, da Joohron aus Gewohnheit laut mitsprach.
Statt sich jedoch länger darüber den Kopf zu zerbrechen, ging er nachdenklich neben Kihyun her, der seine Hände ununterbrochen als Kommunikationsmittel nutzte.
Es faszinierte den Dunkelhaarigen, ließ ihn sogar staunen. Es war etwas, das er noch nie wirklich wahrnehmen konnte.
>ich muss mehr lernen< dachte er sich als er merkte wie gut Jooheon darin war. Ob Kihyun wusste wie viel Mühe sich Changkyun gab? Ob er es schätzte?
Schließlich hatte er doch gesehen, dass der Rothaarige ihm einige Bücher zu dem Thema gebracht hatte. Also müsste er doch wissen, wie bemüht der Musiker war.
Er müsste doch auch einsehen, dass…
Die Röte schoss den beiden Jugendlichen in die Ohren, als sich ihre Hände berührten, kurz von anderen Passanten aneinander gedrückt wurden. Auch wenn Changkyun sich wünschte, manchmal wirklich wie ein Erwachsener behandelt zu werden, so fühlte er sich nun umso kindischer.
Eine einfache Berührung verpasste dem sonst so redefreudigen Studenten eine Gänsehaut. Er konnte sich nicht eingestehen, warum er sich so fühlte. In der Gegenwart eines Jungen mit den er nicht einmal viel Kontakt hatte.
Aber vielleicht war es genau dieser Punkt, der ihn verunsicherte.
Er wollte Kihyun kennenlernen, doch die Umsetzung war schwieriger als gedacht.
,,Auf jeden Fall hatte ich dem dann gesagt, dass ich das Praktikum in diesem Tonstudio gerne annehmen würde", erzählte Jooheon weiter, bewegte dazu passend seine Hände, führte beinahe einen Monolog und merkte erst spät, dass seine beiden Zuhörer gar nicht mehr aufmerksam waren. Auch sein sonst so konzentrierter bester Freund schien den roten Faden verloren zu haben, starrte nur etwas verloren auf den Boden.
Jooheon wusste, was los war wenn er dies tat und stupste dem 24-Jährigen an die Schulter. Sofort schockte der Gehörlose aus seiner Trance, lächelte entschuldigend.
,,Habt ihr mir beide nicht zugehört?", fragte Jooheon stutzig, Changkyun schüttelte nur langsam den Kopf während Kihyun sich nur auf die Unterlippe biss.
Als sie an einem kleinen Platz zum Halt kamen, beide Jooheon wieder ihre Aufmerksamkeit schenkten, beobachtete Changkyun die Situation gebannt.
Öfters hatte er die beiden in Gebärdensprache sprechen sehen, doch nun schien es ihm noch intensiver als je zuvor.
Die schnellen Bewegungen Kihyuns Hände faszinierten den jungen Studenten Mit Leichtigkeit klopfte sich Kihyun manchmal an die Brust, beinahe wirkte er wie ein Spiel seiner Finger.
Langsam bewegte er seine Lippen dazu, doch keine Worte verließen seinen Mund.
Jooheon konzentrierte sich, die Erzählung seines besten Freundes korrekt aufzufassen. Doch er war geübt darin und Kihyun wusste das.
Changkyun fühlte sich wie in Trance, während der Beobachtung des Braunhaarigen. Es kam ihm vor, dass er ihn das erste Mal in seiner Sprache 'sprechen' sah.
Plötzlich begann Jooheon Kihyuns Deutungen für Changkyun zu übersetzen. ,,Er sagt, er hatte letztens eigenartige Momente in seiner Uni. Manche fragten ihn, ob er ihnen den Weg zu einigen Vorlesungen zeigen konnte. Sie konnten jedoch keine Gebärdensprache und er musste sie hinführen."
Kihyun nickte zur Bestätigung der Übersetzung, zuckte dann Lippen zusammen pressend mit den mageren Schultern. Changkyun konnte nicht anders, als einfach zu lächeln. Schon seit sie unterwegs in die Stadt waren hatte er kein Wort mehr verloren, was unüblich für den sonst redefreudigen Jugendlichen war. Doch er wollte die beiden bei ihren Unterhaltungen nicht unterbrechen, er mochte es Kihyun dabei zuzusehen.
Doch ständig schlich sich der Gedanke in seinen Kopf, dass er doch länger Zeit mit ihm verbringen wollte. Er wollte den bildhübschen Braunhaarigen kennenlernen und ihm auch die Chance geben, ihn selbst besser kennenzulernen.
Die Interesse war groß, doch keiner traute sich mit der Sprache rauszurücken.
Etwas unsicher also, auch weil Jemand drittes im Bunde war, kratzte sich Changkyun am Hinterkopf, ehe aus ihm heraus platzte:,,H-hast du eigentlich Lust bei mir zu essen?"
Kurz hielten alle beide inne, bis Jooheon grinsend auf den Boden blickte und Kihyun etwas verdutzt seinen Gegenüber musterte. Noch immer wechselte sein Blick zwischen den Lippen des 22-Jährigen und seinen Augen. Schlussendlich begann der schweigsame Jugendliche zu lächeln und nickte dann vorsichtig. Das warme, beinahe in ihm aufqualmende Gefühl war betörend für Changkyun. Er freute sich, doch irgendwie wusste er nicht was er sagen sollte.
Er hätte auch bestimmt nicht gewusst, was er tun sollte wenn Kihyun nein gesagt hätte.
♫
Als Yoo Kihyun Changkyuns Wohnung betrat war es mucksmäuschenstill. Hyungwon war nicht zuhause und Changkyun führte den neuen Ankömmling erst einmal durch die kleine Wohngemeinschaft, erklärte ihm dabei dass sein Mitbewohner noch bei der Arbeit wäre. Den letzten Halt machten sie in dem Zimmer des jungen Studenten.
Sofort fiel Kihyuns Blick auf das Keyboard in der Ecke, ein erstauntes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Als Changkyun dies bemerkte, stürmte er sofort erfreut auf das Instrument zu, steckte den Kabel in den Strromstecker um loszuspielen.
Völlig in seinem Element, hatte er total vergessen dass sein Besuch sein wunderbares Musikstück gar nicht hören konnte.
Mit Leidenschaft ließ er seine Finger über die Tasten gleiten, spielte als würde er ein Konzert geben. Er liebte die Musik, er konnte sich ein Leben ohne nicht vorstellen. Er wollte sich auch ein Leben ohne Musik gar nicht vorstellen.
Doch plötzlich traf es ihn wie ein Blitz, er hätte sich selbst ohrfeigen können, als ihm einfiel dass Kihyun doch gar nicht in den Genuss seines kleinen Keyboard-Konzertes kommen konnte.
Er entfernte sofort die Hände von den weiß glänzenden Tasten, drehte sich einmal um die eigene Achse. Er ging davon aus, Kihyun würde sich unangenehm fühlen und wie angewurzelt in seinem Zimmer stehen. Doch was er sah, verschlug ihm beinahe die Sprache.
Kihyun hockte vor einer der kleinen Boxen, die ans Keyboard angeschlossen waren. Wie in Trance, als würde er schlafwandeln, strich er mit den Fingern über das Netz. Als würde es ihn faszinieren, wie die Box vibrierte, wenn Changkyun spielte. Es schien so, als könnte er durch die Vibrationen zumindest etwas von der Melodie haben.
Das Lächeln konnte der Dunkelhaarige gar nicht verkneifen und somit begann er weiter zu spielen, dabei Kihyun zu beobachten. Er schien verwundert, gar überrascht über die Vibrationen, die die Box wiedergab. Nach einigen Minuten beschloss Kihyun sich jedoch neben Changkyun auf die kleine Bank zu setzen, betrachtete das schnelle, leichte Spiel der schlanken Finger.
Und als sich auch ihre Blicke trafen, schien es beiden wie ein ewiger Moment.
Ein Moment der Ruhe, in dem beide innehielten.
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