Kapitel 6 - Mädelsabend
Nachdem Ron aus dem Gemeinschaftsraum geflohen ist, weiß ich nichts mehr mit mir anzufangen. In die große Halle will ich nicht zurück, weil ich da bestimmt auf Ron treffen würde. Außerdem habe ich jetzt noch weniger Hunger.
Also mache ich es mir mit einem Buch bequem und warte auf die anderen Gryffindors, die nacheinander eintrudeln.
Als Ginny durch den Eingang klettert sehe ich in ihrem Blick, dass sie über mich und Ron Bescheid weiß. Innerlich seufze ich auf, ich weiß genau was jetzt kommt.
„Hermine, wir müssen reden!"
Bestimmt schleift Ginny mich in unseren Schlafraum und setzt sich auf ihr Bett.
„Okay, erzähl mir alles! Ron hat mir nur gesagt, dass es nicht so toll gelaufen ist. Was war denn los?" fragt sie.
Oh Merlin, am liebsten würde ich einfach nie wieder über das Gespräch mit Ron nachdenken, aber ich weiß, dass Ginny keine Ruhe geben wird. Sie ist extrem neugierig und wenn sie sich mal etwas in den Kopf gesetzt hat, kann sie niemand mehr davon abbringen. Ich schätze, nur so konnte sie in einem Haus mit sechs älteren Brüdern überleben.
Also ergebe ich mich in mein Schicksal. Deprimiert spiele ich an der Krawatte meiner Schuluniform herum und überlege, wie ich anfangen soll.
„Also Ron wollte mit mir über uns reden und eigentlich war alles gut, aber dann hat er mich geküsst und...ich weiß doch auch nicht, wieso, aber ich habe alles ruiniert!" Ich stütze verzweifelt meinen Kopf in meine Hände.
„Ginny, ich bin so verwirrt. Ich wünsche mir so, dass alles klappt mit mir und Ron, aber ich habe ihm gesagt, dass ich nur mit ihm befreundet sein will."
Ginny setzt sich neben mich und ich schaue zu ihr hoch. Ich bin mittlerweile den Tränen nahe, vor allem weil ich so frustriert über mich selbst bin.
„Hermine, ganz ruhig. Alles ist gut! Du weißt, ich bin immer für dich da. Und ich bin ganz sicher, dass mit Ron schon bald wieder alles normal läuft. Du kennst ihn doch, er ist kein nachtragender Typ."
Ich schüttele den Kopf. Ginny will mich nur aufheitern, aber das Problem ist ja, dass ich selbst nicht weiß, was ich überhaupt will.
„Ginny, das ist nicht das Problem. Ich..."
Plötzlich kann ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. „Ich will das, was du mit Harry hast! Wenn ich euch zwei ansehe, dann weiß ich genau, dass ihr alles füreinander tun würdet. Er weiß alles über dich und du weißt alles über ihn. Ihr ergänzt euch perfekt und ich habe euch noch nie streiten gesehen!"
Ich bin noch nicht fertig mit meiner Aufzählung, aber Ginny unterbricht mich und sieht mich erstaunt an: „Aber das ist bei Ron und dir doch auch so! Alles, was du gerade gesagt hast, trifft auf euch beide auch zu."
Ich lächele sie traurig an.
„Nein Ginny, Ron und ich, wir kennen uns zwar gut, aber wir sind ja auch schon seit acht Jahren befreundet. Und ja, natürlich würde ich alles für ihn tun, aber das würde ich für dich und Harry auch. Aber du und Harry, das ist etwas ganz Besonderes. Ihr könnt es kaum ertragen, zwei Minuten voneinander getrennt zu sein. Wenn ihr euch anschaut, dann kann jeder erkennen, wie verliebt ihr seid. Harry hat für niemanden Augen außer für dich und für dich gab es auch immer nur ihn. Du hast das ganze letzte Jahr so viel gearbeitet, nur um alle Fächer mit ihm zusammen zu haben. DAS ist es, was ich will. Ich will mir sicher sein, dass Ron der Richtige ist. Aber wenn ich euch zwei sehe und dann die Gefühle, die ich für Ron habe, damit vergleiche, dann..."
Ich kann nicht weiter sprechen, der Kloß im Hals schnürt mir die Kehle zu.
Jetzt, da ich zum ersten Mal ausgesprochen habe, was mir eigentlich schon viel länger durch den Kopf geht, fühle ich mich gleichzeitig besser und schlechter. Besser, eben weil ich es endlich ausgesprochen habe. Und schlechter, weil mir nun mehr und mehr klar wird, dass Ron und ich wahrscheinlich nie das werden, was ich mir so sehr gewünscht hätte.
Ginny schaut mich an und ich hoffe, sie ist nicht sauer auf mich. Es ist immerhin ihr Bruder, um den es hier geht und von dem ich mich gerade getrennt habe. Obwohl „getrennt" in unserem Fall irgendwie nicht das richtige Wort ist. Immerhin waren wir nie offiziell zusammen, oder?
„Ginny, ich hoffe, du bist nicht böse auf mich. Ron ist mein bester Freund und ich wollte ihn nie verletzen. Ich weiß doch auch nicht, warum ich nicht einfach glücklich mit ihm sein kann!"
Verzweifelt raufe ich mir die Haare.
„Ach Quatsch Hermine, ich bin doch nicht sauer auf dich! Was zwischen dir und Ron ist, geht mich sowieso nichts an, das ist nur eure Sache. Und du bist meine beste Freundin, ich werde immer auf deiner Seite stehen! Aber willst du wissen, was ich glaube?" Sie sieht mich fragend an.
„Ja klar" murmele ich.
Mit sanfter Stimme fährt Ginny fort: „Ich glaube, du und Ron, ihr habt in der Schlacht um Hogwarts etwas gefühlt und danach verzweifelt versucht, daran festzuhalten. In dieser Nacht waren alle Gefühle intensiviert, jeder von uns hat befürchtet, den Kampf nicht zu überleben. Und in diesem Moment, für eine kurze Zeit, habt ihr euch gebraucht. Um Kraft zu tanken. Damit ihr nicht aufgebt, sondern weiter kämpft und die Hoffnung nicht verliert. In dieser Nacht war er der Richtige für dich und du die Richtige für ihn. Aber dieser Moment ging vorbei: Wir haben die Schlacht gewonnen. Und danach brauchtet ihr euch nicht mehr auf diese Weise."
Vollkommen verblüfft schaue ich sie an.
In diesem Moment erkenne ich glasklar, dass sie Recht hat. Ich habe so lange versucht, die Gefühle dieser Nacht wiederzufinden, aber es war einfach nie mehr dasselbe.
Ich weiß, dass Ron wichtig für mich ist und dass das umgekehrt auch der Fall ist. Aber die große Liebe, von der man in Büchern liest und die jedes kleine Mädchen sich insgeheim erhofft? Das ist er nicht. Nicht für mich. Das habe ich glaube ich schon in den ganzen letzten Monaten bemerkt, aber erst heute, nach diesem letzten Kuss und mit Ginnys Hilfe kann ich mir das wirklich eingestehen.
„Danke Ginny. Für alles. Für deine Freundschaft, deine Ratschläge und dafür, dass du immer für mich da bist!" Vor lauter Emotionen ist meine Stimme nur noch ein Flüstern. Ich umarme sie und langsam, ganz langsam, wird mein Herz wieder leichter.
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