Kapitel 52 - Ende einer Ära
"Hermine! Hier drüben!"
Aus meinen Gedanken gerissen sehe ich mich suchend nach der Stimme von Harry um und entdecke ihn und Ginny kurze Zeit später unter den Schatten spendenden Ästen einer alten Eiche am Ufer des großen Sees. Winkend laufe ich in ihre Richtung und lasse mich dann mit einem Seufzer auf der Decke nieder, die die beiden auf der grünen Wiese ausgebreitet haben.
"Und? Wie war deine letzte Prüfung in Arithmantik?", fragt mich Ginny, während sie mich zur Begrüßung umarmt.
"Furchtbar!", antworte ich müde und reibe mir mit der Hand über meine Stirn, hinter der sich pochende Kopfschmerzen bemerkbar machen. "Ich bin mir ganz sicher, dass ich die letzte Frage falsch beantwortet habe. Und ob ich die erste Tabelle richtig ausgefüllt habe, bezweifle ich auch! Die Zahlenkombinationen waren einfach so kompliziert und ich hatte so wenig Zeit für die Berechnungen, vor allem weil die Zahlen so groß waren und..."
"Red keinen Mist, Mine!", unterbricht Harry mich, bevor ich mich weiter in meine Sorgen hineinsteigern kann. "Du wirst sowieso in allen Fächern ein Ohnegleichen haben und alle UTZ-Prüfungen als Klassenbeste abschließen. Wage es nicht, was anderes zu behaupten!"
Ich verdrehe die Augen und setze zu einer Erwiderung an, aber Ginny kommt mir zuvor: "Harry hat Recht, du musst dir echt keinen Kopf machen, Mine. Jeder weiß doch, dass du die letzten drei Monate ohne Pause in der Bibliothek gebüffelt hast und du sowieso jedes einzelne Schulbuch auswendig aufsagen kannst! Wenn sich jemand Sorgen machen muss, dann eher der Rest von uns Normalsterblichen."
Meine beste Freundin zwinkert mir grinsend zu und lehnt sich dabei an Harrys Brust, während er seine Arme um ihren Oberkörper schlingt.
"Ha ha! Macht euch nur lustig über mich, aber ihr wisst genauso gut wie ich, dass die Abschlusstests die wichtigsten und schwierigsten Prüfungen unserer ganzen Schulzeit sind! Da der gesamte Stoff, den wir jemals in Hogwarts gelernt haben, in den UTZ drankommen kann, ist es so gut wie unmöglich, perfekt vorbereitet zu sein. Und das Bücherlesen hat mich auch nur auf die theoretischen Fragen vorbereitet, nicht auf die praktischen Teile!"
Nervös rupfe ich einzelne Grashalme aus dem trockenen Boden neben mir, während ich gedanklich noch einmal alle Prüfungen der letzten zwei Wochen durchgehe und mich an all die Fehler und Lücken erinnere, die ich nun nicht mehr rückgängig machen kann. Einerseits bin ich erleichtert, dass die intensive Lernphase nach der letzten Prüfung heute ein Ende hat, andererseits mache ich mir aber auch große Sorgen über mein Abschneiden in den insgesamt zehn Fächern, in denen ich mich habe prüfen lassen.
"Ich fand die praktischen Prüfungen dieses Mal auch deutlich schwieriger als die schriftlichen. In Zaubertränke gestern ist meine Schluckauf-Lösung viel zu dünn geraten, ich wette, Slughorn zieht mir Punkte dafür ab!", sagt Harry mit gerunzelter Stirn.
"Oh, erinner mich nicht daran! Ich hab fast vergessen, den Flubberwurmschleim rechtzeitig hinzuzugeben und einen halben Herzinfarkt bekommen, als mein Trank immer heller und wässriger wurde!", wirft Ginny seufzend ein. "Allerdings fand ich Kräuterkunde auch echt heftig!"
"Kräuterkunde ist bei mir auch furchtbar gelaufen, aber damit kann ich leben", erwidert Harry. "Ich hoffe einfach nur, dass ich die Prüfungen in Zaubertränke, Verwandlung, Zauberkunst und Verteidigung gegen die dunklen Künste bestanden habe, sonst kann ich die Ausbildung zum Auror abhaken. Alles andere ist mir wirklich egal!"
"Immerhin weißt du, was du machen willst", murmele ich, "ich hab immer noch keine Ahnung, welche Ausbildung mich am meisten interessiert."
Beim Gedanken an die Zukunft, die unmittelbar vor mir liegt, dreht sich mir der Magen um. Auch wenn die Lehrer uns in den letzten Wochen und Monaten auf genau diesen Moment vorbereitet haben und es sogar mehrere Orientierungstage gab, an denen die verschiedensten magischen Berufe und ihre Voraussetzungen vorgestellt wurden, konnte ich mich immer noch nicht auf eine Wunschtätigkeit festlegen.
"Du wirst schon noch raus finden, was zu dir passt", sagt Ginny mitfühlend und legt mir tröstend eine Hand auf den Arm. "Und du bist ja auch nicht die Einzige, die noch nicht weiß, was sie nach der Schule machen will. Ron hat sich zum Beispiel auch noch nicht entschieden, obwohl er glaube ich mit dem Gedanken spielt, zusammen mit Harry die Auror-Ausbildung zu machen."
"Wo ist Ron eigentlich?", frage ich in einem nicht sehr subtilen Versuch, das Gespräch von dem Thema Berufswahl wegzulenken.
"Er müsste eigentlich gleich hier sein. Seine letzte schriftliche Prüfung in Astronomie war auch heute. Ich glaube, da hinten kommt er schon!"
Mein Blick folgt Ginnys ausgestrecktem Finger und tatsächlich sehe ich Ron in einiger Entfernung auf uns zu schlendern. Ich winke ihm zu und lächle ihn an, als er sich kurze Zeit später zwischen mir und den anderen beiden auf den Boden sinken lässt.
"Bei Merlins Bart, endlich sind alle UTZ-Prüfungen vorbei!", stöhnt der rothaarige Gryffindor im nächsten Moment und fährt sich mit einer Hand über sein erschöpft aussehendes Gesicht.
"Das kannst du laut sagen", stimmt Ginny ihm zu.
"Ist deine Astronomie-Prüfung gut gelaufen?", frage ich und verändere meine Sitzposition, um Ron Platz auf der Decke zu machen.
"Ganz okay. Oder zumindest nicht so schlecht wie Geschichte der Zauberei vorgestern."
"Wer braucht schon Geschichte der Zauberei", wirft Harry mit einem Grinsen ein. Ich runzele die Stirn und werfe ihm einen missbilligenden Blick zu, lasse die Aussage aber unkommentiert.
"Das stimmt, Geschichte der Zauberei braucht man für so gut wie keinen Berufszweig. Aber wisst ihr was? Wir haben jetzt genug über Schule und Prüfungen geredet! Die praktischen und schriftlichen Tests sind vorbei und das bedeutet, wir sollten uns lieber auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren! Und damit meine ich natürlich die Feier heute Abend! Freut ihr euch auch schon so sehr darauf, wie ich?"
Die Begeisterung und Vorfreude in Ginnys Stimme sind nicht zu überhören und ich lasse mich trotz meiner Kopfschmerzen von ihrer guten Laune anstecken.
"Auf jeden Fall! Ich bin so gespannt, wie die Zeremonie und die Zeugnisübergabe heute ablaufen werden! Professor McGonagall hat sich bestimmt einiges dafür einfallen lassen und ihre Rede wird vermutlich auch wahnsinnig interessant!"
Ginnys Reaktion besteht in einem übertrieben verzweifelten Augenrollen.
"Oh Merlin, Hermine, du Streberin! Ich rede doch nicht von dem offiziellen Teil, sondern von dem Abschlussball danach! Ich wette, das wird einfach der Hammer! Ich glaube, der letzte Ball, auf dem ich in Hogwarts war, war der des Trimagischen Turniers und das ist schon Ewigkeiten her...außerdem war ich damals noch nicht mit Harry zusammen."
Sie wirft einen liebevollen Blick über ihre Schulter und mir entgeht nicht, wie Harrys Arme sich daraufhin noch fester um sie schließen.
"Apropos Begleitung zum Ball - hast du eigentlich Sina Lewis gefragt, Ron?"
Ron wirft seiner kleinen Schwester einen genervten Blick zu, errötet dabei aber leicht.
"Das geht dich zwar nichts an, du kleine Nervensäge, aber ja, Sina wird mich begleiten. Ich hab sie vor zwei Wochen gefragt, als wir zusammen in Hogsmeade waren. Zwei ihrer Freunde aus Hufflepuff werden sich vielleicht auch anschließen, das ist doch kein Problem, oder?"
"Oooh", ruft Ginny entzückt und klatscht vergnügt in die Hände, "das heißt, es wird wohl wirklich was Ernstes mit euch beiden! Das freut mich für dich, Bruderherz, echt! Und wir würden ihre Freunde natürlich gerne kennen lernen. An unserem Tisch sind neben Seamus und Dean auch noch ein paar Plätze frei, das passt also super!"
Mit einem Blick auf ihre Armbanduhr fügt sie hinzu:"Und jetzt sollten wir wirklich hoch zum Gemeinschaftsraum gehen und uns fertig machen, sonst kommen wir nachher noch zu spät."
***
Eine Hand am Geländer der steinernen Treppe, um mein Gleichgewicht auf den hohen Schuhen nicht zu verlieren, schreite ich die letzten Stufen zur Eingangshalle hinab. Hinter mir höre ich Ginny, Harry und Ron über einen Witz von Seamus lachen, aber mein Blick klebt einzig und allein an der Person, die am Treppenabsatz auf mich wartet und eine Hand in meine Richtung ausstreckt.
Ein Lächeln erhellt Dracos Gesicht und mir stockt der Atem, als ich sein Outfit für heute Abend in Augenschein nehme: Dracos schlichter, schwarzer Festumhang ist vollkommen schmucklos gehalten, ohne Rüschen oder Spitzen. Das Hemd, das unter dem Umhang hervorblitzt, ist dunkelgrau und harmoniert perfekt mit der schwarzen Stoffhose und den glänzenden, grauen Lederschuhen. Nur die silberne Fliege an seinem Hals durchbricht die dunkle Farbgebung und vervollständigt so das elegante Erscheinungsbild.
Als ich meinen Blick wieder zu seinem Gesicht hebe, sehe ich, dass mein blonder Slytherin mich genauso anerkennend mustert, wie ich ihn. Das silbrige Feuer, das daraufhin in seinen Augen zu brennen beginnt, lässt mein Herz schneller schlagen.
"Hallo, kleine Streberin. Du siehst wunderschön aus", begrüßt er mich und zieht mich im nächsten Moment zu sich heran, um mir einen sanften Kuss auf den Mund zu geben. "Dieses rote Kleid ist wirklich der Wahnsinn. Ich freue mich schon darauf, es dir nachher auszuziehen", flüstert er dann so leise in mein Ohr, dass nur ich es hören kann. Trotzdem spüre ich, wie ich erröte, und das wiederum lässt Draco leise lachen.
"Hey Draco. Sieht Hermine nicht toll aus?", fragt Ginny den blonden Malfoy grinsend, während sie zusammen mit den restlichen Gryffindors zu uns tritt. Ihr verschmitzter Blick lässt vermuten, dass sie sich ziemlich genau denken kann, was Draco gerade zu mir gesagt hat.
"Hallo Ginny. Potter, Weasley, Finnigan."
Etwas steif nickt Draco meinen besten Freunden zu und Harry und Ron erwidern die Begrüßung genauso zurückhaltend. Obwohl Draco und ich mittlerweile schon ein halbes Jahr zusammen sind, ist der Umgang zwischen meinem Slytherin und den Gryffindors immer noch ein wenig unterkühlt. Im Gegensatz zu Ginny fällt es Harry und Ron schwer, die jahrelange Feindschaft mit Draco und die gegenseitigen Ressentiments einfach zu vergeben und zu vergessen. Und auch mein hübscher Malfoy hat zum Teil Probleme damit, nicht in alte Muster zurück zu fallen. Ob die drei daher jemals so etwas wie Freunde werden können, weiß ich nicht. Allerdings bemühen sie sich für mich, sich gegenseitig zu tolerieren und zu akzeptieren, und das ist mehr, als ich noch vor sechs Monaten erwartet und erhofft hatte.
"Kommt, lasst uns reingehen. Die Zeremonie fängt in zehn Minuten an", durchbricht Ginny die sich ausbreitende, etwas unangenehme Stille und ich nicke ihr dankbar zu.
Mit meiner Hand in Dracos betrete ich die große Halle, die für den heutigen Abend vollkommen umgestaltet wurde. Anstelle der vier großen Haustische säumen nun kleinere, runde Tafeln die beiden seitlichen Wände, während in der Mitte Platz für eine große Tanzfläche geschaffen wurde. Ein sanftes, warmes Licht geht von den vielen Girlanden und Lichterketten aus, die sich wie ein Baldachin über die gesamte Fläche der großen Halle spannen und dem Raum ein festliches Aussehen verpassen. Die verzauberte Decke darüber gleicht heute einem samtig schwarzen Himmel, gesprenkelt mit Tausenden von funkelnden Sternen und Sternschnuppen.
"Wow", murmelt Ron neben mir und auch ich bin von dem Anblick des Festsaals wie verzaubert.
"Hey, ich glaube, da hinten sitzen wir", ruft Seamus und dirigiert uns zu einem Tisch am rechten Ende der Halle, an dem Dean bereits auf uns wartet. Ich lasse mich auf einem Stuhl zwischen Ginny und Draco nieder und nehme meine Betrachtung der großen Halle dann wieder auf. Mein Blick gleitet verzückt von den in silber gehaltenen Tischdecken zu den edel aussehenden Gläsern und Tellern vor mir und dann wieder zurück zu den glitzernden Lichtern über uns. Die Ketten aus Feenlichtern und Kerzen, die durch delikate Fäden aus Nebelschwaden miteinander verbunden sind, funkeln aus der Nähe wie lupenreine Diamanten.
Bevor ich mich auch nur ansatzweise an der Schönheit der Dekoration satt sehen kann, wird meine Aufmerksamkeit durch die Ankunft von Sina Lewis und zwei weiteren Hufflepuffs zurück zu meinen Freunden gelenkt. Grinsend sehe ich zu, wie ein sichtbar aufgeregter Ron die blonde Sina umarmt und dann ihre beiden Begleiter begrüßt. Während die Neuankömmlinge zwischen Ron und Dean Platz nehmen und sich dem Rest unserer Gruppe vorstellen, tausche ich ein verschwörerisches Lächeln mit Ginny aus. Uns beiden ist keineswegs entgangen, wie verlegen und glücklich Ron in Sinas Gegenwart wirkt und ich hoffe von Herzen, dass mehr aus den beiden wird. Er hätte es wirklich verdient.
"Ihh, schaut mal, da hinten kommt Pansy", schnaubt Ginny im nächsten Moment naserümpfend und zeigt mit dem Finger in Richtung der großen Flügeltüren. Tatsächlich betritt die schwarzhaarige Slytherin-Schönheit gerade in einem goldfarbenen Hauch von Nichts die Halle, dicht gefolgt von Millicent Bullstrode und Stephen Cornfoot.
"Ich kann immer noch nicht fassen, dass die drei nicht hochkant von der Schule geschmissen wurden! McGonagall hätte sie für alles, was sie dir angetan haben, ruhig härter bestrafen können", sagt Dean, der mir gegenüber sitzt, und das Eintreten des Trios ebenfalls bemerkt hat.
"Ach, ich weiß nicht", erwidere ich nachdenklich. "Jeden Tag bei Filch nachsitzen zu müssen, erscheint mir schon eine ziemlich harte Strafe zu sein. Außerdem wurden sie dazu verdonnert, jeden zweiten Samstag in der Küche zu verbringen, um den Hauselfen zur Hand zu gehen. Ich glaube fast, dass das für die hochmütigen Reinblüter noch viel schlimmer war, als ein Schulverweis, denn so was ist doch unter ihrer Würde. Ganz zu schweigen von den 200 verlorenen Hauspunkten für Slytherin und Ravenclaw und der Strafpredigt von Professor McGonagall, die es wirklich in sich hatte!"
Bei der Erinnerung an den eisigen Tonfall und den wutentbrannten Gesichtsausdruck, den unsere Schulleiterin aufgesetzt hatte, als sie von dem Heuler, der Vergiftung und dem Vielsafttrank erfuhr, läuft mir noch heute ein Schauer über den Rücken.
"Du bist einfach zu nett, Granger", schaltet Draco sich in das Gespräch ein, während er mit dem Daumen liebevoll über meine Hand streichelt. "Allein für die vergifteten Gummibärchen hätten es die drei verdient, in den verbotenen Wald verstoßen zu werden."
Ich verdrehe die Augen, kann aber nicht verhindern, dass ein kleines Lächeln meine Mundwinkel nach oben zieht. "Draco, du bist einfach viel zu blutrünstig."
"Ich finde, er hat Recht", wirft Ginny ein und tauscht einen verständnisvollen Blick mit meinem Freund. "Es wäre absolut kein Verlust gewesen, wenn man diese drei aus Versehen im verbotenen Wald ausgesetzt hätte. Schade, dass wir McGonagall nicht von dieser Idee überzeugen konnten. Fast noch schlimmer finde ich aber, dass wir immer noch nicht wissen, welche Gryffindor Schüler die Idee für diesen furchtbaren Heuler hatten. Oder ob es überhaupt Gryffindors waren. Diesem Parkinson Miststück würde ich auch zutrauen, den Teil der Geschichte nur erfunden zu haben. Ich meine, warum hat sie ansonsten die Namen verschwiegen? Aber wenn es stimmt und ich jemals herausfinde, wer es war, dann werde ich diesen Gryffindors jeden einzelnen Fluch auf den Hals hetzen, der jemals erfunden wurde! Und..."
Mitten in Ginnys wütender Tirade hallt mit einem Mal die magisch verstärkte Stimme von Professor McGonagall durch den Saal und unterbricht jegliche Gespräche um uns herum.
"Liebe Schülerinnen und Schüler, bitte begeben Sie sich alle zu Ihren Plätzen, damit wir in Kürze mit der Zeremonie beginnen können. Bevor wir starten, hier noch eine kleine Erinnerung, was den Ablauf des heutigen Abends betrifft: Wie Sie wissen, werden zunächst alle Absolventen des Abschlussjahrgangs ihre Zeugnisse erhalten, ehe wir danach zum inoffiziellen Teil übergehen werden. Und da die Zeugnisübergabe an sich vermutlich schon eine ganze Weile dauern wird, habe ich mir gedacht, dass ich Sie ansonsten ein wenig schone. Das heißt, ich werde Sie vorher nicht auch noch mit einer langweiligen Rede quälen."
"Keine Rede?", wiederhole ich enttäuscht, aber meine Worte gehen in einem ohrenbetäubend lauten Applaus der restlichen Schülerschaft unter. Sobald das Klatschen und Jubeln etwas abflaut, fährt unsere Schulleiterin fort: "Nach dem Ende des offiziellen Teils werden wir anschließend das köstliche Essen genießen, das unsere Hauselfen für uns vorbereitet haben, bevor wir alle gemeinsam das Tanzbein schwingen. Professor Flitwick, denken Sie daran, mir einen Tanz zu reservieren!"
Lachend sehe ich zu, wie sich der Professor für Zauberkunst als Antwort von seinem Platz erhebt und unserer Schulleiterin eine Kusshand zuwirft.
"Gut, nachdem das geklärt ist, bleibt eigentlich nur noch Eines zu sagen: Ich wünsche Ihnen allen eine wunderbare Zeit auf unserem allerersten offiziellen Abschlussball in Hogwarts! Lassen Sie uns diesen Abend zu etwas ganz Besonderem machen!"
Unter erneutem Klatschen zieht Professor MgGonagall ein offiziell aussehendes Stück Pergament aus der Tasche ihres schwarzen Umhangs und beginnt dann, das Papier auszurollen und glatt zu streichen.
"In Ordnung, beginnen wir mit der Zeugnisvergabe. Ich werde Sie nun nacheinander aufrufen und Ihnen in alphabetischer Reihenfolge Ihre Abschlussurkunde überreichen. Wenn ich Ihren Namen nenne, kommen Sie also bitte zu mir nach vorne. Wir beginnen mit: Hannah Abbott!"
Ich sehe, wie Hannah sich von einem Stuhl in der Nähe des Lehrertisches erhebt und unter Applaus den kurzen Weg zur Tribüne und zu Professor McGonagall zurücklegt.
"Herzlichen Glückwunsch, Miss Abbott! Sie sind nun offiziell Absolventin der Hogwarts Schule für Hexerei und Zauberei! Genießen Sie das Fest!"
Hannah nimmt ihr Zeugnis freudestrahlend entgegen und kehrt dann zu ihrem Platz am linken Ende der großen Halle zurück. Nach ihr werden in kurzen Abständen Susan Bones, Mandy Brocklehurst, Millicent Bullstrode und noch einige andere Mitschüler nach vorne gebeten, und dann fällt schließlich auch mein Name.
"Miss Hermine Granger, bitte kommen Sie zu mir!"
Während meine Freunde um mich herum wie verrückt jubeln und klatschen, mache ich mich mit schweißnassen Händen auf den Weg zur Tribüne. Dort angekommen nehme ich das mir entgegengestreckte Zeugnis von einer lächelnden McGonagall entgegen.
"Miss Granger, was soll ich sagen: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Abschluss und Ihren - man kann es nicht anders ausdrücken - fantastischen Leistungen! Sie haben mit Abstand die höchste Anzahl an Ohnegleichen in den UTZ-Prüfungen erreicht, die ich in meiner ganzen Laufbahn als Lehrerin an dieser Schule gesehen habe. Sie sind wirklich eine ganz außergewöhnliche, brillante Hexe und und ich fühle mich geehrt, Sie auf einem Teil Ihres Weges begleitet zu haben!"
"V-Vielen Dank, Professor!", stottere ich, während ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. Denn auch wenn ich mich über ihr Lob wahnsinnig freue, bin ich mir doch der vielen Blicke, die aktuell auf mich gerichtet sind, mehr als bewusst. Neben einer riesigen Portion Stolz und Glück durchflutet mich daher auch Erleichterung, als ich schließlich zu meinem Platz zurückkehre und die Aufmerksamkeit der anwesenden Schüler und Lehrer auf den nächsten Absolventen gelenkt wird.
Nachdem ich mein Zeugnis tatsächlich in den Händen halte, verschwimmt der restliche Abend irgendwie zu einem einzigen Wirbel aus Farben, Formen, Geräuschen und Gerüchen. Zusammen mit meinen Freunden, die ebenfalls sehr gute Ergebnisse in den Abschlussprüfungen erzielen konnten, genieße ich die lockere Atmosphäre, das unfassbar gute Essen, das ausgelassene Tanzen und die tiefsinnigen Gespräche, während das Fest nur so an uns vorbeirauscht. Erst als mit fortgeschrittener Uhrzeit immer langsamere Lieder zu spielen beginnen und ich mich schließlich in enger Umarmung mit Draco zu den ruhigeren Rhythmen wiege, scheint die Zeit mit einem Mal fast still zu stehen. Und in genau diesem Moment wird mir plötzlich mit voller Wucht bewusst, dass dies wirklich der allerletzte Abend ist, den wir alle zusammen verbringen werden.
Wehmütig sehe ich mich nach dem Rest meiner Freunde um und entdecke Harry und Ginny einige Meter von Draco und mir entfernt an unserem Tisch. Seamus und Dean sitzen neben ihnen, ganz offensichtlich in ein ernstes Gespräch mit den beiden Freundinnen von Sina Lewis vertieft, die uns heute Gesellschaft geleistet haben. Ron und Sina hingegen stehen eng umschlungen auf der Tanzfläche, versunken in den Blicken des jeweils anderen. Und auch wenn der Anblick meiner Freunde ein bittersüßes Glücksgefühl in mir auslöst, erfasst mich gleichzeitig eine Welle der Müdigkeit und Niedergeschlagenheit.
Draco scheint meinen Stimmungsumschwung zu bemerken, denn er drückt mich noch näher an sich und streicht mit einer Hand in beruhigenden Kreisen über meinen Rücken.
"Was ist los, meine hübsche Streberin? Du siehst auf einmal so traurig aus."
Seufzend fahre ich mir mit der Hand über meine Augen.
"Nein, nicht wirklich traurig, es ist nur...ich habe nachgedacht. Nach heute Abend wird sich alles ändern. Nicht, dass das unbedingt was Schlimmes wäre, aber...", hilflos zucke ich mit den Schultern, "jeder von uns wird eine andere Richtung einschlagen. Wir alle werden uns viel seltener sehen, werden viel weniger Kontakt haben, verstehst du?"
Aus meinen Augenwinkeln sehe ich, wie Draco langsam nickt.
"Das stimmt, natürlich wird sich einiges ändern. Aber wie du gesagt hast - das muss doch nichts Schlechtes sein, oder? Im Gegenteil: Endlich können wir unser Leben genau so gestalten, wie wir es wollen! Ab morgen gibt es keine Schulvorschriften und Regeln mehr, keine Hausaufgaben, keine langweiligen Unterrichtsfächer. Und es wird ja auch nicht so sein, dass du deine Freunde gar nicht mehr siehst. Nur vielleicht nicht mehr jeden Tag."
"Ja, das weiß ich ja", erwidere ich, obwohl sich das Gefühl der Melancholie nicht abschütteln lässt. "Und natürlich freue ich mich irgendwie auch darauf, dass ab morgen das richtige Leben beginnt. Das ist schließlich das, worauf wir die letzten acht Jahre hingearbeitet haben, nicht wahr? Es ist nur...der Gedanke, dass nichts mehr so sein wird, wie bisher, macht mir Angst. Ich meine, ich weiß ja nicht mal, welcher Beruf mich am meisten interessiert, oder wie - wie es jetzt mit uns weitergeht."
Meine Hände verkrampfen sich ineinander, als ich endlich den Punkt anspreche, der mich seit Tagen am meisten quält und belastet. Und obwohl ich spüre, dass Dracos Augen auf mich gerichtet sind, fixiere ich nervös einen Punkt vor mir auf dem Boden.
Für einen kurzen Moment sagt keiner von uns beiden etwas, aber dann durchbricht Dracos sanfte Stimme die Stille.
"Ist das das Problem? Hast du Angst vor der Zukunft, wegen...uns?"
Ich nicke und suche gleichzeitig nach Worten, um meinem blonden Malfoy meine Gefühle besser erklären zu können.
"Ja, ich denke schon. Irgendwie haben wir nie ernsthaft darüber gesprochen, wie es nach der Schule mit uns weitergehen soll. Was wir vorhaben. Ich meine - was...was passiert denn jetzt?"
Es gelingt mir nicht ganz, das Zittern aus meiner Stimme zu verbannen, als die letzte Frage aus mir heraus bricht. Ich bin mir sicher, dass Draco es ebenfalls gehört hat, denn im nächsten Moment spüre ich seine Hand an meinem Gesicht. Sanft, aber bestimmt umfassen seine langen, schlanken Finger mein Kinn.
"Was jetzt passiert? Granger, bitte schau mich an."
Ich atme tief durch und zwinge mich dann unter Aufbietung meiner gesamten Willenskraft, meinen Blick zu heben, bis ich in die silbergrauen Augen meines Slytherins sehe. Der liebevolle Ausdruck, den ich darin erblicke, bringt mich beinahe um den Verstand.
"Jetzt wartet ein ganzes Leben auf uns, meine kleine Streberin."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top