Kapitel 46 - Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit
„Also?", fährt Draco gedehnt fort, „Was ist hier los?"
Ich schlucke schwer und werfe Ginny einen bitterbösen Blick zu, ehe ich mich langsam zu meinem blonden Slytherin umdrehe. Dieser hat die Arme vor der Brust verschränkt und mustert mich mit einem verschlossenen, eisigen Gesichtsausdruck, den ich schon lange nicht mehr an ihm gesehen habe.
„Krieg dich wieder ein, Malfoy", zischt Ron ihm zu, aber er wird im nächsten Moment von Ginny unterbrochen.
„Ron, sei ruhig. Das hier geht dich nichts an – lass Hermine und Draco das alleine klären."
Ron, der nicht so aussieht, als würde er seiner Schwester in diesem Punkt zustimmen, setzt erneut zum Sprechen an. Er kommt allerdings nicht dazu, auch nur einen Ton herauszubringen, denn Ginny packt ihn kommentarlos am Arm und schleift ihn hinter sich her aus der Bibliothek. Harry folgt ihr, wirft mir aber im Gehen noch einen entschuldigenden Blick zu.
Ich schaue meinen Freunden für einen kurzen Moment nach und wende mich dann wieder dem blonden Slytherin zu. Dieser macht keine Anstalten, sich mir weiter zu nähern, sondern lehnt sich nur an das Bücherregal in seinem Rücken und schaut mich abwartend an. Auch gut, ein bisschen Abstand tut diesem Gespräch eventuell ganz gut.
„Also?", fragt Draco mich noch einmal, "Du wolltest mir gerade sagen, was alle außer mir schon längst zu wissen scheinen. Und ich hoffe doch sehr, dass es etwas Ähnliches ist wie: Ich will Sex mit dir, Draco Malfoy, jetzt sofort, denn alles andere würde mich doch ziemlich enttäuschen."
Trotz des vorgeblichen Humors in seinen Worten klingt Dracos Stimme abweisend. Scharf. Schneidend. Daher ist klar, dass er die Situation alles andere als lustig findet. Ich sollte also sehr genau überlegen, wie ich ihm von dem Heuler und den vergifteten Gummibärchen erzähle.
„Mir ist klar, dass das komisch für dich geklungen hat, aber es ist wirklich nichts Dramatisches", beginne ich zögerlich. "Es ist nur...es gab da einen kleinen Vorfall an Weihnachten, von dem ich dir noch nichts gesagt habe und..."
"Was für einen Vorfall?", unterbricht Draco mich.
"Dazu wollte ich ja gerade kommen", erwidere ich augenrollend in der Hoffnung, Malfoy dadurch ein kleines Lächeln abzuringen. Der gewünschte Effekt bleibt allerdings aus; Draco verzieht keine Miene. Also fahre ich mit einem kleinen Seufzer fort: "Beim Geschenke auspacken ist mir ein Heuler in die Hände gefallen, der mich dazu aufgefordert hat, unsere Beziehung zu beenden. Und...vielleicht hat er mir auch gedroht, dass ich es bereuen würde, wenn ich nicht Schluss mit dir mache."
Mit einem Blick auf Dracos Gesicht, das sich bei meinen letzten Worten tatsächlich noch weiter verfinstert hat, beeile ich mich kleinlaut fortzufahren: "Allerdings bin ich davon ausgegangen, dass der Absender mich nur einschüchtern wollte und das Ganze eine leere Drohung war. Und bis heute ist auch überhaupt nichts passiert!"
Nervös senke ich meinen Blick auf meine Hände und nestle dann an den Enden meines Umhangs herum, der von meinen Schultern bis zum Boden reicht. Ich weiß sowieso, welche Frage mein blonder Slytherin als Nächstes stellen wird, aber ich habe keine Ahnung, wie ich ihm von meiner Vergiftung erzählen kann, ohne dass er vollkommen die Fassung verliert.
"Hermine." Die gebieterische Aufforderung, die in dem einzelnen Wort mitschwingt, verursacht eine Gänsehaut an meinem ganzen Körper. "Was ist heute passiert?"
"Versprich mir erst, dass du nicht ausrastest und nichts Dummes tust, egal, was ich dir erzähle", sage ich und weigere mich dabei, den Blickkontakt mit ihm zu unterbrechen, obwohl der intensive Blick aus silber glühenden Augen mich beinahe verbrennt.
"Nein."
Mit dieser Antwort hatte ich tatsächlich gerechnet. Daher verschränke ich die Arme und schaue ihn herausfordernd an.
"Dann sage ich es dir nicht."
"Oh doch, das wirst du", erwidert Malfoy mit seidenweicher Stimme, während er gleichzeitig damit beginnt, die Distanz zwischen uns zu verringern. Ich schlucke schwer. Um mich weniger verletzlich und angreifbar zu fühlen, springe ich von meinem Stuhl auf. Wirklich gewappnet bin ich allerdings trotzdem nicht, als er mich mit einem letzten raubtierhaften Schritt erreicht und die Hand in Richtung meines Gesichts ausstreckt. Die Empfindungen und Schauer, die mich bei seiner Berührung an meiner Wange durchströmen verdeutlichen mir das ziemlich eindrucksvoll.
"Lass das", sage ich mit möglichst fester Stimme und trete einen Schritt nach hinten. Er lässt seine Hand daraufhin fallen, was mich gleichzeitig mit Enttäuschung und Erleichterung erfüllt. "Ich meine es ernst, Draco. Ich will nicht, dass du dich in Schwierigkeiten bringst, daher habe ich die ganze Sache auch bisher für mich behalten."
"Du meinst, du hast es stattdessen nur mit Potter, Weaselbee und Weaselette besprochen."
Ich atme tief durch. Das ist es also, was ihn am meisten stört. "Das stimmt so nicht", widerspreche ich dann frustriert. "Ja, ich hatte es Ginny erzählt und dadurch hat Harry es mitbekommen. Aber Ron wusste bis vorhin von gar nichts, wir haben uns ja überhaupt erst heute ausgesprochen."
Der blonde Malfoy betrachtet mich musternd, ehe er erneut die Arme vor seiner Brust verschränkt.
"Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ich es als Letzter erfahre, oder?"
"Nein, tut es nicht. Und es tut mir wirklich leid, dass du es jetzt so mitbekommst, das wollte ich nicht. Ich hätte es dir auch noch erzählt, es ist nur...ich wollte es dir bisher nicht sagen, weil ich wusste, dass du die Sache nicht auf sich beruhen lassen würdest. Du stehst aber sowieso schon unter Beobachtung von McGonagall, da kannst du es dir nicht leisten, negativ aufzufallen."
"Was ich tue oder nicht tue, ist ganz allein meine Entscheidung, Granger. Aber mir war nicht klar, dass du mir so wenig vertraust."
"Aber das stimmt doch nicht, ich...", beginne ich, halte dann jedoch inne, da mir in diesem Augenblick klar wird, dass er Recht hat. Ich habe ihm in dieser Sache wirklich nicht vertraut. Und diese Erkenntnis liegt mir wie ein Stein im Magen.
"Du hast Recht", gebe ich leise zu, "ich hatte Angst vor deiner Reaktion und...den Brief und die Vergiftung vor dir zu verschweigen war absolut unfair dir gegenüber. Es tut mir wirklich l-"
"VERGIFTUNG?!?"
Die Fassungslosigkeit in Dracos Stimme ist kaum zu überhören. Mist, ich wollte ihm den Vorfall von heute doch eigentlich schonend beibringen...
"Ähm...ja, jemand hat heute meine Gummibärchen ausgetauscht und mich so mit Tollkirschenextrakt vergiftet, aber bevor du ausrastest: Die Dosis war viel zu gering, um mir wirklich zu schaden. Außerdem konnte ich einen Bezoar besorgen, bevor das Gift richtig zu wirken begonnen hat. Es ist also wirklich nichts Schlimmes passiert, daher musst du dich überhaupt nicht aufregen. Wie gesagt, ich glaube, jemand will mir nur etwas Angst machen, mehr steckt da nicht dahinter..."
"MEHR STECKT DA NICHT DAHINTER?", brüllt Draco mich wütend an, obwohl ich weiß, dass sein Zorn nicht wirklich gegen mich gerichtet ist. "Das ist ja wohl nicht dein Ernst, Granger! Jemand hat dich vergiftet und du...du..."
"Siehst du, genau deshalb wollte ich es dir nicht sagen. Ich wusste, du würdest ausflippen!"
"ICH FLIPPE DOCH GAR NICHT AUS!", fährt er mich an, ehe er sich mit der rechten Hand durch seine silberblonden Haare fährt und sie dadurch vollkommen durcheinander bringt. "Okay, vielleicht flippe ich aus. Aber das ist auch verdammt nochmal angebracht, wenn irgendein erbärmliches, feiges Arschloch meine Freundin bedroht und vergiftet! Wenn ich denjenigen erwische, dann wird ihm das sehr leid tun!"
"Oh nein, das wird es nicht, denn du wirst gar nichts tun, hast du mich verstanden?!?"
Dieses Mal bin ich es, die die Stimme erhebt. "Das ist meine Sache, also werde ich es klären. Ich bin sehr gut dazu in der Lage, dieses Problem selbst zu lösen und ich brauche keinen Ritter in schimmernder Rüstung der meint, mich verteidigen zu müssen!"
Aufgebracht stemme ich meine Hände in die Hüften und schaue Draco herausfordernd in die Augen. Wir stehen mittlerweile allerdings so nahe beieinander, dass ich den Kopf in den Nacken legen muss, um den Blickkontakt zu halten. Der Größenunterschied zwischen uns beiden wird dadurch noch viel deutlicher.
"Ich meine es Ernst, Draco!", füge ich hinzu, als ich sehe, dass er ansetzt, mir zu widersprechen. Denn ich werde hierbei auf keinen Fall nachgeben.
Mein blonder Slytherin nimmt einen tiefen Atemzug und ich sehe ihm an, wie schwer es ihm fällt, aber er nickt einmal knapp. "Okay, meine kleine Streberin. Ich werde nichts tun, was du nicht willst. Aber lass mich wenigstens helfen. Du weißt nicht, wer hinter diesen Vorfällen steckt und du kannst garantiert meine Unterstützung brauchen, wenn du das herausfinden willst. Und...ich will nicht, dass du mir irgendwas verheimlichst."
Erleichterung und Dankbarkeit durchströmen mich. Wie von selbst greife ich nach seiner Hand, um meine Finger mit den seinen zu verschränken. Das kleine Lächeln, das sich daraufhin in seinem Gesicht ausbreitet, lässt mein Herz mit doppelter Geschwindigkeit schlagen.
"Danke, Draco. Das bedeutet mir wahnsinnig viel."
Der blonde Malfoy drückt meine Finger und hebt dann unsere verschränkten Hände zu seinem Mund, um einen Kuss auf meinen Handrücken zu drücken.
"Für dich immer, Granger. Also...was willst du als Erstes tun? Wie finden wir heraus, wer dieser Mistkerl ist?"
Ich zucke mit den Schultern und runzele die Stirn, während ich über die Frage nachdenke. Ehrlich gesagt hatte ich bisher noch keine Zeit, um mir darüber Gedanken zu machen, wie wir den Täter finden könnten. Draco selbst scheint mir allerdings einen Schritt voraus zu sein, denn er tippt sich nachdenklich mit einem Finger gegen das Kinn.
"Du hast gesagt, deine Gummibären waren vergiftet, richtig? Hast du noch welche davon?", erkundigt er sich im nächsten Moment.
"Ja klar", erwidere ich, "der Rest der Packung ist noch hier in meiner Tasche."
Ich entziehe ihm meine Hand und krame kurz in meiner Tasche, bis ich die knisternde Tüte ertaste. Vorsichtig ziehe ich sie heraus, darauf bedacht, keins der Bärchen aus Versehen zu verschütten.
"Gut, dann haben wir eine Chance."
"Eine Chance? Was meinst du?"
Verwirrt schaue ich zu meinem blonden Slytherin auf, der nun einen äußerst zufriedenen Gesichtsausdruck aufgesetzt hat. Ich fürchte, ich kann ihm gerade nicht folgen.
"Ja, wenn wir die Gummibärchen haben, können wir ihre genaue Zusammensetzung untersuchen und dadurch vielleicht herausfinden, wer sie hergestellt hat. Komm, im Kerker müssten wir alles finden, was wir brauchen. Ein einfacher Analyse-Zaubertrank müsste schon ausreichen und ich weiß, dass Slughorn alle Zutaten dafür im Materialschrank aufbewahrt."
Vollkommen verblüfft starre ich Draco an, der meinen Blick amüsiert erwidert.
"Was, Granger, hast du mir etwa nicht zugetraut, dass ich wirklich eine Hilfe sein kann? Ich habe doch gesagt, dass du meine Unterstützung gebrauchen kannst."
"Jaja, schon gut", entgegne ich lachend und verdrehe die Augen, während ich gleichzeitig nach meiner Tasche greife. Schnell packe ich meine Bücher und Mitschriften zusammen, die noch vor mir auf dem Tisch liegen. Sobald alles verstaut ist, befördere ich die verbliebenen Bücher mit einem Schlenker meines Zauberstabs zurück in die entsprechenden Regale. Die Hausaufgaben selbst müssen warten - es gibt jetzt Wichtigeres zu tun. Schließlich verlassen wir die Bibliothek schnellen Schrittes und schlagen gemeinsam den Weg zu den Kerkern ein. Wenn ich ehrlich bin, kann ich es kaum erwarten, die Gummibärchen mithilfe des von Draco vorgeschlagenen Zaubertranks zu analysieren. Und das Funkeln in seinen Augen verrät mir, dass der blonde Malfoy genauso darauf brennt.
Ha, der Saboteur kann einem beinahe schon leid tun.
Zusammen mit meinem Slytherin werde ich mit absoluter Sicherheit herausfinden, wer es da auf mich abgesehen hat. Und diese Person wird sich dann auf einiges gefasst machen müssen!
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top