Kapitel 44 - Ein erster Schritt
Eine Woche später mache ich mich Montagmorgens nach dem Frühstück auf zu Professor McGonagall. Vor dem steinernen Wasserspeier, der den Eingang zum Schulleiterbüro bewacht, treffe ich auf Ron, der dort bereits wartet. Er mustert mich mit einem Gesichtsausdruck, der zu einer undeutbaren Maske erstarrt ist und seine Gefühle und Gedanken erfolgreich vor mir verbirgt. Seine verschränkten Arme unterstreichen den abweisenden Eindruck noch zusätzlich, obwohl seine Finger ganz leicht zu zittern scheinen.
Ich bleibe einige Schritte entfernt stehen, etwas unschlüssig, ob ich etwas tun oder sagen soll. Die Entscheidung wird mir allerdings abgenommen, da in diesem Moment ein geräuschvolles Knirschen ertönt und die nach oben gewundene Wendeltreppe hinter dem Wasserspeier sichtbar wird. Ron stößt sich daraufhin sofort von der Wand ab und verschwindet schnellen Schrittes in dem dämmrigen Treppenhaus. Fast schon fluchtartig. Mit einem Seufzen folge ich ihm.
Die Tür zum Schulleiterbüro ist bereits geöffnet, als wir die letzte Stufe erreichen, so dass wir direkt eintreten. Professor McGonagall, die hinter ihrem großen Schreibtisch auf uns wartet, winkt uns mit einer energischen Bewegung zu den zwei Stühlen heran, die ihr gegenüber angeordnet stehen. Noch bevor wir richtig sitzen, ergreift sie das Wort: „Schön, dass Sie pünktlich sind. Ich habe leider nicht viel Zeit, da in fünfzehn Minuten der Verwandlungsunterricht der Erstklässler beginnt, daher müssen wir uns etwas beeilen. Mister Weasley, wie vor den Ferien angekündigt, werden Sie in den nächsten Wochen Nachhilfe in Kräuterkunde geben. Ich habe bereits mit Miss Granger besprochen, welche Schüler Sie betreuen sollen. Besprechen Sie die Details am besten direkt im Anschluss an dieses Gespräch, denn die erste Nachhilfestunde ist schon für heute Nachmittag angesetzt. Miss Granger wird Sie außerdem bei der Auswahl angemessener Lektüre und geeigneter Übungsaufgaben beraten. Falls Sie darüber hinaus noch Fragen haben sollten, können Sie sich zudem an Professor Sprout wenden, die Sie gerne unterstützen wird. Haben Sie dazu noch Fragen?"
Mit gerunzelter Stirn mustert McGonagall Ron, der etwas verunsichert wirkt, jedoch mit dem Kopf schüttelt.
„Gut, dann gehe ich davon aus, dass alles geklärt ist. Entschuldigen Sie mich jetzt bitte, die Erstklässler warten."
Mit einer abrupten Bewegung erhebt sich unsere Schulleiterin. Im nächsten Moment scheint sie zu schrumpfen und sich zu verformen, ehe sie mit einem eleganten Sprung den Eichentisch überwindet und in Katzengestalt aus dem Büro verschwindet.
Etwas perplex schaue ich zu Ron, der genauso erstaunt auf die Stelle starrt, an der gerade noch Professor McGonagall stand. Dann schüttelt er den Kopf, wie um sich zu sammeln, und wendet sich mir zu.
„Was war das denn?"
Ich schlucke, überrumpelt von der Tatsache, dass er tatsächlich mit mir spricht. „Tja, das war die kürzeste Besprechung, die man sich vorstellen kann, würde ich sagen. Also...McGonagall hat mir tatsächlich eine Liste mit Namen zukommen lassen. Vielleicht können wir in die Bibliothek gehen, dann zeige ich dir, welche Termine du in den nächsten Wochen hast und welche Bücher die Grundlagen in Kräuterkunde am besten vermitteln. Ist...ist das okay für dich?"
Der rothaarige Gryffindor nickt schweigend. Zusammen verlassen wir daher das Büro, das ohne Professor McGonagall irgendwie leer wirkt. Die Portraits der ehemaligen Schulleiter winken uns zum Abschied zu, während wir den Abstieg über die steile Treppe beginnen, die mir mittlerweile ziemlich vertraut ist.
Auf dem zugigen Korridor angekommen, der uns zur Bibliothek im vierten Stock bringen wird, hält Ron, der einige Schritte vor mir geht, plötzlich an. Etwas überrumpelt von diesem jähen Stopp taumele ich in ihn hinein, da ich nicht schnell genug anhalten kann. Mit rudernden Armen versuche ich, mein Gleichgewicht zu halten, um nicht auch noch wenig elegant zu Boden zu fallen. Ron, der etwas zu spät zu bemerken scheint, wie dicht ich hinter ihm war, dreht sich schnell um, um mich mit einer Hand zu stützen.
Sobald ich das Gefühl habe, wieder einigermaßen sicher zu stehen, mache ich mich von ihm los und bringe wieder etwas Abstand zwischen uns.
„Was ist los, Ron? Zur Bibliothek geht's da lang." Mit der rechten Hand deute ich in die Richtung, in die wir bisher unterwegs waren. Mein Tonfall klingt dabei etwas härter, als ich beabsichtigt hatte.
„Das weiß ich", entgegnet der rothaarige Gryffindor augenrollend. „Ich lebe immerhin auch schon seit acht Jahren in diesem Schloss. Aber ich...ich wollte kurz mit dir sprechen, wenn – wenn das für dich okay ist."
Ich sehe, wie er einen tiefen Atemzug nimmt, aber sein Blick weicht meinem nicht aus.
„Gut, von mir aus – lass uns reden", sage ich knapp.
„Okay also...oh Mann, ich hab das eigentlich geprobt, weißt du? Aber irgendwie ist jetzt alles, was ich sagen wollte, weg. Naja egal, ich versuch's einfach mal so. Hermine, in..in letzter Zeit ist Vieles schief gelaufen bei uns beiden. Du...wir beide haben Fehler gemacht. Ich weiß, dass ich dich verletzt habe und das tut mir leid. Und..."
Er stockt mitten im Satz und jetzt ist es an mir, einen tiefen Atemzug zu nehmen. Die beruhigende Wirkung bleibt allerdings aus. „Ich- ich weiß nicht, was ich sagen soll, Ron. Vielen Dank für die Entschuldigung, nehme ich an." Ich schließe kurz die Augen, um die Emotionen, die sich wie ein Stein auf meinen Magen legen, unter Kontrolle zu bekommen. Als ich das Gefühl habe, wieder Luft zu bekommen, fahre ich fort: "Mir - mir tut es auch leid, weißt du. Ich..."
Bevor ich meinen Satz beenden kann, werde ich von Ron unterbrochen: „Hermine, hör auf. Wenn sich jemand entschuldigen muss, dann ich. Ich – ich hab Mist gebaut. Einen ganzen Haufen Mist! Ich war einfach so wütend auf Malfoy und dich und die ganze Situation und...ich weiß, das rechtfertigt gar nichts. Trotzdem..."
Mit einer fahrigen Bewegung streicht Ron sich durch seine roten Haare, die dadurch in alle Richtungen abstehen. Dann fährt er fort: „Versteh mich nicht falsch, ich kann Malfoy nicht ausstehen und ich verstehe wirklich nicht, wieso du mit...mit ihm zusammen sein willst. Aber das ist nicht meine Sache. Das hab ich jetzt auch endlich kapiert."
Ich schaue meinen ehemals besten Freund prüfend an, nicht ganz sicher, ob ich wirklich glaube, was er da sagt. Aber Ron begegnet mir mit offenem, ehrlichem Blick und einem winzigen Lächeln, das ich etwas gezwungen erwidere.
„Danke, Ron. Das...das bedeutet mir wahnsinnig viel. Du glaubst gar nicht, wie viel, wirklich. Ich weiß, dass du ein Problem mit Draco hast und zum Teil kann ich das sogar nachvollziehen. Aber er hat sich geändert, genau wie du und ich. Vielleicht siehst du das noch nicht, aber es stimmt. Und...ich wollte dir auch nie wehtun. Ich hoffe, das weißt du."
„Ja, das weiß ich", antwortet Ron sichtlich zerknirscht. „Ich glaube, ich wusste es schon die ganze Zeit, ich war nur zu wütend, um das wirklich zu verstehen. Aber die Pause über Weihnachten hat mich über Vieles nachdenken lassen. Naja, wenn ich ehrlich bin, hatte ich bei der Erkenntnis ein wenig Hilfe."
Er zwinkert mir zu und dieses Mal ist mein Lächeln echt.
„Lass mich raten, Ginny hat dir ganz schön zugesetzt."
Rons erschöpfter Gesichtsausdruck spricht Bände. „Wenn es nur Ginny gewesen wäre...aber Harry hat mindestens genauso oft auf mich eingeredet. Und dann hat Ginny auch noch Mama mit in die Geschichte reingezogen. Ich kann immer noch nicht fassen, dass sie ihr alles erzählt hat, und damit meine ich wirklich alles. Die Predigt danach hättest du hören sollen, das war schlimmer als damals der Heuler in unserem zweiten Jahr! Meine Ohren klingeln immer noch von ihrem Geschrei. Ich...Mama war so wütend, dass ich dachte, sie würde nach ihrem Ausbruch nie wieder mit mir sprechen. Und – naja, sie hat mich sogar gezwungen, dir ein Weihnachtsgeschenk zu schicken. Nicht, dass ich das nicht wollte, aber...bei Merlins Hut, denk jetzt bitte nichts Falsches! Natürlich wollte ich dir was zu Weihnachten schenken, die Bertie Botts Bohnen hatte ich auch schon gekauft, ich war nur zu stur, um...Oh Merlin, ich sollte wirklich aufhören zu reden, oder? Ich mache es nur schlimmer!"
Stöhnend vergräbt er sein Gesicht, das mittlerweile einen pinken Farbton angenommen hat, in seinen Händen. Und ihn so zu sehen – irgendwie löst das einen Teil der Anspannung zwischen uns. Ein zögerliches Lachen sprudelt aus mir heraus, zunächst leise und zurückhaltend, dann aber immer lauter und aufrichtiger. Ich lache und lache und lache, bis mir schließlich Tränen über die Wangen laufen. Ron, der mich zunächst fassungslos anstarrt, stimmt schließlich ein, mit einem prustenden Gelächter, das meine eigene Heiterkeit nur noch weiter anstachelt. Und mit jeder Minute, die vergeht, spüre ich, wie ein Stückchen Normalität in unsere Freundschaft zurückkehrt.
Nach einer gefühlten Ewigkeit ebbt das Kichern und Lachen endlich ab, so dass ich mich nach Luft schnappend an die raue Steinwand des Korridors sinken lasse.
„D-das habe ich...haha...wirklich gebraucht. W-wir sollten das öfter machen."
Ron, der sich immer noch Lachtränen aus dem Gesicht wischt, lässt sich glucksend neben mir auf den kalten Fliesen nieder.
„Unbedingt, hihihi. Das hier, das hab ich echt vermisst. Hermine, ich..ich habe dich vermisst."
Rons Stimme ist dieses Mal frei von Verbitterung oder Wut, nur ein Hauch von Traurigkeit schwingt in seinem letzten Satz mit. Und in diesem Moment weiß ich, dass wir irgendwann wieder genau das sein können, was wir schon immer waren: Beste Freunde. Nicht sofort und gleich, denn dazu ist in den letzten Monaten zu viel zwischen uns vorgefallen und kaputt gegangen. Das weiß ich und an seinem wehmütigen Gesichtsausdruck erkenne ich, dass auch ihm bewusst ist, wie sehr sich unsere Beziehung verändert hat. Wie sehr wir uns verändert haben.
Und trotzdem ist das hier heute ein erster Schritt in die richtige Richtung. Ein erster Schritt, dem hoffentlich noch viele weitere folgen werden.
„Komm, lass uns in die Bibliothek gehen. Wir haben schon viel zu viel Zeit verloren und es gibt noch so viel zu tun! Wir müssen für jeden deiner Nachhilfeschüler eine Strategie und einen Lehrplan ausarbeiten, außerdem müssen wir noch planen wie wir die Stunden jeweils legen, damit das Ganze nicht mit deinem eigenen Unterricht kollidiert, und.."
„Schon gut, schon gut", unterbricht Ron mich lachend, während er sich von den Steinfliesen erhebt. „Ich hab's verstanden, wir haben eine Menge Arbeit vor uns. Und ich kann es natürlich kaum erwarten, damit anzufangen."
Augenrollend verzieht er das Gesicht zu einer Grimasse, die seine Worte Lügen straft. Gleichzeitig streckt er aber eine Hand aus, um mir hoch zu helfen. „Komm, Mine. Bringen wir es am besten gleich hinter uns."
„Okay, aber glaub ja nicht, dass ich die ganze Arbeit für dich machen werde", erwidere ich mit einem Zwinkern. „Das hier ist deine Bestrafung, und sie ist vollkommen verdient für die Schlägerei, die du dir mit Draco geliefert hast. Ich bin nur hier, um dafür zu sorgen, dass das Projekt nicht im Chaos versinkt. Denk also nicht, du könntest mich ausnutzen so wie früher, als du immer meine Aufsätze abgeschrieben hast."
„Das würde ich doch niiieee tun", grinst der rothaarige Gryffindor mit vollkommen unschuldiger Miene.
„Nein, natürlich nicht. Wie komme ich nur auf so eine Idee? Naja, ich weiß ja, dass du dir größte Mühe geben wirst. Denn ansonsten müsste ich Professor McGonagall sagen, dass du ihre Strafe nicht ernst nimmst, und das wollen wir doch nicht, nicht wahr?"
Und mit diesen Worten ergreife ich unschuldig lächelnd die ausgestreckte Hand, die er mir immer noch hinhält. Dabei betrachte ich Rons Gesicht, das nach meiner letzten Frage einen leicht panischen Ausdruck angenommen hat und lache stumm in mich hinein. Ja, ich bin wirklich wahnsinnig froh, dass Ron endlich über seinen Schatten gesprungen ist und sich bei mir entschuldigt hat, aber...nach seinem Verhalten der letzten Wochen hat er einiges wieder gut zu machen. Und zu leicht werde ich ihm das sicherlich nicht machen.
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