Kapitel 42 - Prioritäten

Immer noch völlig überwältigt und mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht streiche ich über den Einband meiner Erstausgabe. Das Leder fühlt sich unter meinen Fingern glatt und geschmeidig an, nur an den Rändern und Ecken sieht man die Spuren, die die Zeit an dem Buch hinterlassen hat. Auch die verschnörkelten, goldenen Verzierungen sind zu einem großen Teil sehr gut erhalten und nicht verblichen.

„Es...es ist perfekt! Mein Gott, das muss ein Vermögen wert sein..."

Plötzlich etwas eingeschüchtert schaue ich zu Draco, der mich stillschweigend, aber mit einem selbstzufriedenen Gesichtsausdruck mustert und dabei an seinem Butterbier nippt. Zögerlich krame ich dann in meiner Tasche, bis ich die Schachtel ertaste, die ich für meinen blonden Slytherin vorbereitet habe.

„Ich-Ich habe natürlich auch ein Geschenk besorgt. Hier, das ist für dich."

Mit diesen Worten ziehe ich die etwa fünfzehn Zentimeter lange und ebenso breite Box hervor und reiche sie Draco. Dieser geht weit ungeduldiger und unvorsichtiger als ich ans Werk und zerreißt grinsend das silberne Geschenkpapier, das ich mit so viel Mühe zurechtgemacht hatte. Nur wenige Sekunden später hält er bereits mein Präsent in den Händen, das mir jetzt, im Vergleich zu der kostbaren Erstausgabe in meinem Schoß, ziemlich mickrig vorkommt.

„Also, ich hoffe, du-du magst es. Es ist natürlich längst nicht so teuer und wertvoll, wie dein Geschenk, und kommt niemals an eine Erstausgabe ran, aber...du hast einfach schon so vieles, und es sollte ja auch was Persönliches sein...und", nervös beiße ich mir auf die Lippe, um meinen Redefluss zu unterbrechen. Erst jetzt traue ich mich, Draco anzuschauen. Sein Gesicht zeigt jedoch keinerlei Regung, während er auf die kleine Kugel in seinen Händen starrt.

„Falls du es nicht erkennen kannst: Es ist ein Fuchs. Kein Hund! Ich hab es Harry gezeigt und er dachte erst, es wäre ein Spitz, aber das ist es natürlich nicht! Ich weiß auch gar nicht, wie er das verwechseln konnte, so ähnlich sehen Hunde und Füchse sich doch auch nicht...naja..."

Wieder halte ich stockend inne, den Blick gesenkt, die Hände ineinander gekrallt. Mit jeder Sekunde, die vergeht, verfluche ich mich mehr dafür, nicht etwas anderes, etwas Besseres, ausgesucht zu haben.

Plötzlich spüre ich Dracos Hand, die sich über meine legt. Überrascht hebe ich den Blick und schaue in graue Augen, die wärmer schimmern als jemals zuvor. Dann setzt der blonde Malfoy zum Sprechen an: „Weißt du, Granger, manchmal finde ich es fast schon erschreckend, wie schlau du bist. Und dann, zwar nicht oft, aber doch immer mal wieder, sagst du Sachen, die mich daran zweifeln lassen, ob du wirklich die hellste Kerze auf der Torte bist. Du machst dir ernsthaft Sorgen, dass mir dein Geschenk nicht gefallen könnte, weil es nicht so viel Geld gekostet hat? Bei Salazar, Granger, als ob Gold das Einzige wäre, was zählt!"

Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen hebt er die Glaskugel so, dass ich nicht umhin kann, sie anzusehen. Innerhalb der zerbrechlichen Hülle, die mit echten, magisch erzeugten Schneeflocken gefüllt ist, sehe ich die Miniaturversion eines silbernen Fuchses umherlaufen. Schnüffelnd nähert er sich der Glasscheibe, hebt dann die Schnauze und fixiert mich mit klugen, glühenden Augen. Wie schon in dem Laden, in dem ich die Schneekugel entdeckt und gekauft habe, überfällt mich auch jetzt wieder ein Déja-vu; eine Erinnerung an einen anderen silbernen Fuchs, der ebenfalls zu Draco gehört...

Dieser unterbricht meine gedankenverlorene Musterung des Fuchses, indem er sanft mein Kinn umfasst und in seine Richtung dreht. Erst, als ich seinem Blick nicht mehr ausweiche, nimmt er den Faden wieder auf: „Damit das klar ist: Das hier, das ist das beste Geschenk, das ich jemals bekommen habe. Hast du verstanden, meine kleine Streberin? Kein Geld der Welt ist mehr wert."

Gerührt nicke ich, bemüht, vor Erleichterung und Freude nicht in Tränen auszubrechen. Zwischendurch hatte ich wirklich schon daran gezweifelt, ob er verstehen würde, warum ich dieses Geschenk ausgesucht habe, aber Dracos Gesichtsausdruck und seine Worte machen mehr als deutlich, dass er meine Anspielung auf seinen Patronus und auf das Fuchs-Sternbild verstanden hat.

In diesem Moment kehrt Madam Puddifoot in ihrem zur Dekoration des Cafés passenden geblümten Kleid an unseren Tisch zurück, um unser Essen abzuliefern. Die kurze Verschnaufpause nutze ich, um mich wieder in den Griff zu kriegen und mir verstohlen über die Augen zu wischen. Das üppige Frühstück, das aus Eiern, Speck, Toast und Pasteten besteht, tut sein Übriges, um mich abzulenken. Sobald die dampfenden, überfüllten Teller vor uns abgestellt sind, fangen wir voller Genuss an, zu essen. In einvernehmlichem Schweigen arbeiten wir uns durch die Köstlichkeiten, bis ich das Gefühl habe, keinen Bissen mehr herunterzubekommen. Auch mein blonder Malfoy lehnt sich schließlich zufrieden in seinem Stuhl zurück, nachdem er sein komplettes Frühstück bis auf den letzten Bissen vertilgt hat.

Da jetzt der richtige Zeitpunkt für meine zweite Überraschung gekommen ist, beuge ich mich lächelnd nach hinten und krame in meiner Jackentasche, bis ich das zweite Geschenk ertaste, das ich für meinen Slytherin vorbereitet habe. Als ich es endlich zu fassen bekomme, drehe ich mich schnell wieder zu ihm um und wedele mit dem Päckchen vor seiner Nase herum.

"Eine Kleinigkeit hab ich noch für dich. Ich weiß ja, wie verrückt du nach den Dingern bist, also hab ich uns zwei Schokofrösche mitgebracht."

Lächelnd reiche ich meinem blonden Slytherin die lila und goldfarbene Verpackung, die dieser mit leuchtenden Augen entgegen nimmt.

"Du kennst mich wohl langsam richtig gut, Granger!"

"Offensichtlich", erwidere ich grinsend, während ich meinen eigenen Schokofrosch öffne und die darin enthaltene Karte herausfische. Die Schokolade selbst gebe ich Malfoy, da ich erstens zu voll bin, um jetzt noch etwas zu essen, und ich mir zweitens nicht so viel aus Schokofröschen mache.

"Und? Welche Schokofroschkarte hast du?", fragt Draco mich interessiert, während er genüsslich über den ersten Frosch herfällt.

"Porteus Knatchbull", antworte ich, "hier steht, er war Zaubereiminister von 1781 bis 1789. 1782 wurde er vom damaligen Premierminister einbestellt, um dem geistigen Verfall von König George III. mit ein wenig Magie entgegenzusteuern."

"Knatchbull?", fragt Draco mich entgeistert und reißt mir die Karte fast schon aus den Händen. "Bei Salazar, er ist es wirklich! Der fehlt schon ewig in meiner Sammlung! Hast du was dagegen, wenn wir tauschen? In meiner Packung war Bathilda Bagshot, die hab ich schon mehrfach."

"Klar", sage ich und nehme die Karte entgegen, die Draco mir reicht, "Bathilda Bagshot ist mir sowieso lieber."

"Super", meint Draco, und an seinen glänzenden Augen erkenne ich, dass er sich wirklich über diese kleine, unscheinbare Karte freut. Und das lässt mein Herz vor Glück überfließen!

Nach ein paar weiteren Stunden, die wir mit Butterbier und angeregten Gesprächen verbringen, beschließen wir, zum Schloss zurückzukehren. Mittlerweile ist es schon weit nach Mittag und ehrlich gesagt kann ich es kaum erwarten, auch die restlichen Geschenke auszupacken, die mittlerweile in meinem Schlafsaal eingetrudelt sein müssten.

In der Eingangshalle, vor den Flügeltüren der großen Halle, verabschiede ich mich vorläufig von Draco. Da wir jedoch vorhaben, auch den Abend zusammen zu verbringen, muss ich nicht lange auf seine Gesellschaft verzichten, und ehrlich gesagt kann ich das Festessen das später stattfinden wird kaum noch erwarten.

Trotzdem mache ich mich nach mehreren Abschiedsküssen, die deutlich länger ausfallen, als geplant, auf den Weg zum Gryffindor Gemeinschaftsraum. Dort angekommen stürze ich die Treppen zum Mädchenschlafsaal hinauf und werfe auf dem Weg die Tür des Schlafsaals etwas zu heftig auf. Wie erhofft liegt dort bereits ein ganzer Haufen an Paketen, Briefen und Schachteln, die nur darauf warten, von mir geöffnet zu werden.

Zuerst greife ich nach einem länglichen, ziemlich schweren Päckchen, das laut der beigelegten Karte von Harry und Ginny stammt. Grinsend packe ich mehrere Bücher aus, die schon länger auf meiner Wunschliste standen, sowie wunderschöne Ohrringe, die garantiert Ginny ausgesucht hat. Die in grün und silber gehaltenen Steine funkeln unfassbar schön in dem gedämpften Licht des Schlafsaals, und ein Blick in den Spiegel bestätigt, wie gut sie zu meinem neuen Hemd passen.

Das nächste Geschenk, das ich erwische, stammt von meinen Eltern. Neben einem seitenlangen Brief, in dem sie mir berichten, was es Neues gibt und welche Abenteuer sie aktuell in ihrem Australien Urlaub erleben, liegt in dem Umschlag auch ein Haufen Geld. Mehr, als sich die beiden von ihrem Zahnarztgehalt leisten sollten, das erkenne ich auf den ersten Blick. Und gerade diese Tatsache macht ihr Geschenk umso wertvoller für mich. Gerührt lächelnd lege ich den Brief zur Seite und nehme mir vor, noch heute zu antworten und eine Eule zu den beiden zu schicken, um ihnen von den neuesten Entwicklungen in Hogwarts zu erzählen. 

Ein in braunes Papier gewickeltes quadratisches Paket erregt als nächstes meine Aufmerksamkeit, und als ich den dort eingewickelten Inhalt sehe, kommen mir tatsächlich die Tränen. Ein dicker, handgestrickter Pullover aus leuchtend roter Wolle fällt mir entgegen, zusammen mit einer hübschen Weihnachtskarte, unterschrieben von der gesamten Weasley Familie. Durch einen Tränenschleier betrachte ich zuerst das Foto der Weasleys und dann ihre lieben Weihnachtswünsche. Erst in diesem Moment wird mir wirklich klar, wie sehr ich befürchtet hatte, Molly und Arthur Weasley und ihre Kinder durch meine Trennung von Ron vor den Kopf gestoßen zu haben. Dieses Geschenk zeigt mir jedoch deutlich, dass sie mir nicht böse sind und das erfüllt mich mit riesiger Erleichterung. Ich hätte es wirklich nicht ertragen, die Weasleys, die gefühlt schon lange Teil meiner Familie sind, zu verlieren.

Selbst von Ron finde ich eine Schachtel Bertie Botts Bohnen in dem Stapel an Geschenken, über die ich mich auch riesig freue. Ich hatte ehrlich gesagt gar nicht mit einem Geschenk von ihm gerechnet und diese kleine Tüte voller Süßigkeiten lässt daher Hoffnung in mir aufsteigen. Hoffnung darauf, die Freundschaft mit ihm doch retten zu können. Hoffnung darauf, unsere Beziehung wieder zu normalisieren. Und Hoffnung darauf, die Streitigkeiten und Ereignisse der letzten Wochen hinter uns lassen zu können.

Das letzte Geschenk, das mir ins Auge fällt, besteht nur aus einem unscheinbaren, unbeschrifteten, leuchtend roten Briefumschlag. Sobald ich ihn in die Hand nehme, fängt er mit einem Mal an, bedrohlich zu kokeln und zu zischen und in diesem Moment wird mir klar, was ich da vor mir habe. Ich selbst hatte in meiner bisherigen Schullaufbahn noch nie das Vergnügen eines Heulers, aber ich habe beim Frühstück in der großen Halle schon genügend unglücksselige Schüler erleben können, die per Post von ihren Eltern gerügt wurden. 

Kurz überlege ich, ob ich den Umschlag überhaupt öffnen soll, aber da ich nicht scharf darauf bin, dass das Ding in meinen Händen explodiert, entscheide ich mich nach kurzem Nachdenken dafür. Vorsichtig und mit einem Gefühl dunkler Vorahnung im Magen fahre ich mit dem Fingernagel unter die Lasche, um den Brief zu öffnen. Sofort springt der Heuler aus meiner Hand in die Luft und beginnt dann, mit magisch verstärkter Lautstärke zu schreien und die enthaltene Botschaft zu verkünden. Die Stimme, die dabei ertönt, hört sich irgendwie verzerrt und misstönend an und kommt mir überhaupt nicht bekannt vor. Was bei mir aber wirklich eine Gänsehaut erzeugt und Schauer über den Rücken jagt, sind die Worte, die der Heuler in den leeren Schlafsaal schreit. Worte, die vor Hass und Abneigung nur so triefen, Worte die mir auch Stunden später noch im Gedächtnis herumschwirren und mir einfach keine Ruhe lassen:

"Halte dich von Draco Malfoy fern, Schlammblut! Mach Schluss mit ihm, oder du wirst es bereuen!"

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