Kapitel 40 - In der Höhle der Löwin
"Mister Weasley, Mister Malfoy, ich bin wirklich enttäuscht von Ihnen beiden! Gerade Sie als Achtklässler sollten sich zu benehmen wissen, immerhin haben Sie für alle jüngeren Schüler eine Vorbildfunktion!" Mit verschränkten Armen steht Professor McGonagall hinter dem großen, wuchtigen Schreibtisch aus Steineichenholz, der einen Großteil des Schulleiterbüros in Anspruch nimmt. Dabei wirft sie abwechselnd tadelnde Blicke in Dracos und Rons Richtung, was ihr, zusammen mit dem streng nach hinten gekämmten Dutt, ein ziemlich einschüchterndes Aussehen verleiht. Auch der runde Raum, der durch den offenen Kamin und die vielen ordentlich gestapelten Bücher in den Wandregalen eigentlich sehr freundlich und einladend wirkt, verströmt heute ein eher eisiges Klima. Verstärkt wird das noch durch die spürbare Missbilligung, die von den Portraits der ehemaligen Schulleiter ausgeht und sich in enttäuschtem Kopfschütteln und vorwurfsvollem Tuscheln äußert.
"Ihre Handlungen werden auf jeden Fall Konsequenzen für Sie haben, darüber sollten Sie sich im Klaren sein. Zunächst einmal werde ich Ihnen beiden jeweils fünfzig Hauspunkte abziehen und-"
"Fünfzig Hauspunkte?!?", unterbricht Draco sie entgeistert, ehe ich ihn zurückhalten kann. "Ich bitte Sie, Professor, ist das nicht ein bisschen übertrieben? Es ist doch kaum was passiert. Ich bin unverletzt, das Wiesel hat unglücklicherweise auch nur eine kleine Schramme abgekriegt und es ist nichtmal etwas kaputt gegangen. Finden Sie es wirklich fair, uns dafür so sehr reinzureiten?"
"Mister Malfoy, ich muss doch sehr bitten! Niemand..."
Dieses Mal ist es Ron, der unserer Schulleiterin das Wort abschneidet, bevor sie ihren Satz beenden kann: "Professor, das Frettchen hat Recht, auch wenn ich das echt ungern zugebe. Ich will ja nicht sagen, dass wir gar keine Strafe verdient haben, aber können Sie dieses Mal nicht ein Auge zudrücken? Wir werden uns in Zukunft auch nicht mehr vor den Erstklässlern prügeln, versprochen! Niemand wird es sehen, wenn ich Malfoy das nächste Mal dran kriege, und..."
"Wenn du mich kriegst, Weasel-Bee? Pass lieber auf, dass ich dich nachher nicht erwische!", entgegnet Draco zischend.
"Ha, das hättest du wohl gerne, Malfoy!", explodiert der rothaarige Gryffindor, "du glaubst doch nicht, dass ich Angst vor dir habe, oder? Ich werde dir zei-"
"BEI KLEOPATRA, SEIEN SIE STILL, UND ZWAR ALLE BEIDE!"
Erschrocken zucke ich zusammen und ziehe instinktiv den Kopf ein, als Professor McGonagalls Stimme wie ein Peitschenknall durch die Luft zischt. Auch Draco und Ron schrumpfen sofort in sich zusammen und werden auf ihren Stühlen immer kleiner, während ihr Selbstbewusstsein unter der wütenden Musterung unserer Schulleiterin verpufft.
Nach einem tiefen Atemzug gelingt es Professor McGonagall, die Stimme wieder zu senken. Ich sehe allerdings, dass sie sich nur mühsam beherrscht und hoffe daher, dass Draco und Ron sich endlich mal zusammenreißen, ehe unsere Schulleiterin vollkommen die Fassung verliert: "Ich hoffe, Sie beide sind jetzt fertig! Denn jetzt werde ich Ihnen mal etwas erzählen: So ein Benehmen wie von Ihnen heute habe ich selten erlebt! Und falls Sie das noch nicht verstanden haben sollten; das ist nicht als Kompliment gemeint! Reißen Sie sich lieber zusammen, denn wenn ich noch einen Mucks von Ihnen höre, werde ich Ihnen liebend gerne noch weitere Hauspunkte abziehen! Verstanden?"
Ihr strenger Blick gleitet von meinem blonden Slytherin zu Ron, und ich sehe aus den Augenwinkeln, wie beide hektisch mit dem Kopf nicken.
"Sehr schön. Wie ich Ihnen vorhin bereits mitteilen wollte, bevor Sie mich so rüde unterbrochen haben, stellt der Punktabzug nur einen Teil Ihrer Strafe dar."
Draco, der links von mir sitzt, stöhnt leise auf, weswegen ich ihm schnell meinen Ellenbogen in die Seite stoße. Er sollte unsere Schulleiterin lieber nicht noch weiter reizen.
"Es ist nun einmal so", fährt Professor McGonagall in strengem Ton fort, "dass Sie durch Ihr heutiges kindisches Gebaren Unruhe in die Schule gebracht haben und nebenbei ein schlechtes Vorbild für alle Mitschüler waren, daher werden Sie nach den Weihnachtsferien Wiedergutmachung leisten. Mister Malfoy, Sie werden aus diesem Grund den Gryffindor und Hufflepuff Erstklässlern, die es nötig haben, Nachhilfe in Muggelkunde geben. Und zwar für den Rest des Schuljahres."
Ron, der sich auf meiner anderen Seite befindet, kann sich ein Lachen nicht verkneifen, versucht aber im nächsten Moment, den Ausrutscher als Husten zu tarnen. Unsere Schulleiterin lässt sich jedoch nicht täuschen und wendet sich mit entschlossenem Gesichtsausdruck dem rothaarigen Gryffindor zu: "Und Sie, Mister Weasley, Sie dürfen sich ruhig weiter freuen, denn Sie werden im Gegenzug allen Slytherin und Ravenclaw Schülern Unterstützung in Kräuterkunde zukommen lassen."
Ich wage einen schnellen Blick zu Ron und sehe, wie das Lachen in Sekundenschnelle aus seinem Gesicht verschwindet.
"Nun, habe ich mich klar ausgedrückt? Oder möchte einer von Ihnen vielleicht noch etwas anmerken?"
"Nein, Professor", antworten Ron und Draco im Chor, beide mit eher gepresster Stimme.
"Wundervoll. Dann kommen Sie zu Beginn des nächsten Jahres bitte direkt zu mir, damit wir über die Details Ihrer Nachhilfe sprechen können. Und Sie, Miss Granger", wendet sich McGonagall schließlich mir zu, während sie mich über ihre quadratische Brille hinweg mustert, "Sie wundern sich vermutlich, weshalb ich Sie zu diesem Gespräch hinzu gebeten habe."
Ich nicke, verkneife mir aber jeglichen Kommentar.
"Es ist ganz einfach; ich weiß, dass Sie nicht direkt an den Vorfällen von heute morgen beteiligt waren. Trotzdem möchte ich Sie bitten, diese beiden Herren bei ihren neuen Aufgaben zu unterstützen, indem Sie ihnen helfen, ihren eigenen Unterricht mit den Nachhilfestunden zu koordinieren. Ich denke, beide könnten dabei Ihre Hilfe gebrauchen."
Sie zwinkert mir zu, und ich muss mir ein Grinsen verkneifen, obwohl ich eigentlich nicht sonderlich scharf darauf bin, weiter in dieses Schlamassel hereingezogen zu werden. Was unsere Schulleiterin durch die Zusatzaufgaben und meine Beteiligung hierbei erreichen möchte, erschließt sich mir auch noch nicht richtig, aber in einer Sache hat sie in jedem Fall Recht: Draco und Ron werden von meinem Organisationstalent nur profitieren können.
"Natürlich, Professor. Ich werde direkt damit beginnen, mögliche Kandidaten für die Nachhilfe zusammenzustellen. Die Liste erhalten Sie dann morgen, oder allerspätestens in zwei Tagen, falls ich Professor Sprout und Professor Jones heute nicht mehr erreiche und-"
"Bitte, Miss Granger, machen Sie das später", unterbricht mich Professor McGonagall bestimmt, aber mit einem Lächeln im Gesicht. "Genießen Sie erst einmal Ihre wohlverdienten Ferien. Das gilt auch für Sie, Mister Malfoy, Mister Weasley, aber halten Sie sich ab jetzt von Schwierigkeiten fern. Und jetzt ab mit Ihnen."
Mit einem ungeduldigen Wedeln ihres Zauberstabs entlässt sie uns. Sichtlich erleichtert erheben sich der blonde Slytherin und der rothaarige Gryffindor von ihren Plätzen und folgen mir über die Wendeltreppe nach draußen. Sobald wir allerdings den Korridor erreichen, in dem der steinerne Wasserspeier den Eingang zum Schulleiterbüro bewacht, rauscht Ron davon, ohne uns noch eines Blickes zu würdigen. Traurig sehe ich ihm nach, ohne jedoch zu versuchen, ihn aufzuhalten.
"Mann oh Mann", seufzt Draco, und lenkt meine Aufmerksamkeit dadurch wieder auf ihn, "wer hätte gedacht dass McGonagall angsteinflößender sein kann als Snape, der alte Nachtfalter? Zwischendurch hab ich echt gedacht, sie explodiert gleich. Und diese Bestrafung...etwas übertrieben, findest du nicht? Fünfzig verlorene Hauspunkte, UND ich soll ein halbes Jahr Nachhilfe in Muggelkunde geben..."
Genervt verzieht er das Gesicht.
"Ich weiß nicht", antworte ich langsam, "ich finde, Professor McGonagall hat Recht. Ihr habt euch heute echt daneben benommen, und das vor den Augen aller Schüler und Lehrer. Ich weiß, dass du dich nur für mich einsetzen wolltest, aber eine Schlägerei ist nun mal keine Lösung! Außerdem finde ich es richtig, dass es für Fehlverhalten Konsequenzen gibt und du kannst bei der Nachhilfe selbst noch einiges lernen. Gerade in Muggelkunde."
Draco verdreht die Augen, sieht mich dann aber mit einem schiefen Grinsen an.
"War ja klar, dass du so denkst, kleine Streberin. Bei Regelverletzungen kommt immer der kleine Moralapostel in dir durch, merkst du das? Aber...irgendwie mag ich das an dir."
Mit einem Zwinkern beugt er sich zu mir herunter, um mir im nächsten Moment einen flüchtigen Kuss auf den Mund zu geben. Seine Finger gleiten dabei über meine Schultern zu meinem Rücken und umfassen schließlich meine Taille, während ich meinen Kopf in seiner Halsbeuge vergrabe. Seufzend schließe ich die Augen und kuschele mich eng an ihn, seinen typischen, unverwechselbaren Duft einatmend. So bleiben wir für eine Weile stehen, ehe Draco sich sanft von mir löst.
"Es tut mir leid, Hermine, ich würde gerne noch viel länger hier bleiben, aber ich fürchte ich muss jetzt los. Ich hab noch einiges zu erledigen."
"Ach ja?", frage ich verwirrt, "was hast du denn zu tun? Wir haben doch Ferien...ich dachte, wir verbringen heute den Tag zusammen."
Ich muss zugeben, dass ich tatsächlich etwas enttäuscht bin. Irgendwie hatte ich gehofft, dass Draco jetzt mehr Zeit für mich haben würde, nun da keine Hausaufgaben, kein Unterricht und kein Quidditch-Training mehr auf ihn warten.
"Tja, das geht leider nicht. Denn weißt du..."
Verschwörerisch beugt der blonde Malfoy sich in meine Richtung und fährt flüsternd fort: "...in drei Tagen ist Weihnachten, und ich muss noch das perfekte Geschenk für meine Freundin besorgen."
Grinsend richtet er sich wieder auf, die Hände in den Taschen seiner Hose vergraben. Mit einem schelmischen Ausdruck in den silbergrauen Augen dreht er sich anschließend um und verlässt den Korridor in die entgegengesetzte Richtung, während ich zurückbleibe, stumm und wie erstarrt.
Verdammter Mist!
Panik durchströmt siedend heiß meinen Körper, verdrängt jeden klaren Gedanken und jegliche Logik. Verzweifelt schließe ich die Augen, Malfoys Worte immer noch im Ohr.
Eine Kleinigkeit, die ich bisher erfolgreich verdrängt hatte, drängt sich nun an die Oberfläche; eine Sache, die mir nun wie eine unmögliche Aufgabe erscheint.
Ich muss ein Weihnachtsgeschenk für Draco Malfoy finden.
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