Kapitel 36 - Von Schlangen und Fröschen

Die nächsten zwei Wochen entwickeln sich für mich zur Hölle auf Erden.

Ich versuche mehrmals, Ron in unserem Gemeinschaftsraum abzufangen, um den Streit und all die verletzenden Worte, die zwischen uns gefallen sind, aus dem Weg zu räumen, doch es gelingt mir nicht. Immer, wenn ich glaube, eine Gelegenheit gefunden zu haben, den rothaarigen Gryffindor allein sprechen zu können, ist er im nächsten Moment wie vom Erdboden verschluckt. Manchmal habe ich fast den Eindruck, dass er sich Harrys alten Tarnumhang ausgeliehen hat, nur um jegliche Konfrontation mit mir vermeiden zu können.

Doch Ron ist nicht der Einzige, der mich schneidet. Auch viele andere Gryffindors haben die Gerüchte, dass da mehr zwischen Draco Malfoy und Hermine Granger laufen könnte, nicht sehr gut aufgenommen. Viele der Mitschüler meines Hauses versuchen zwar, ihre Missbilligung zu verstecken, aber ich merke es an unzähligen Kleinigkeiten. Gespräche werden unterbrochen, sobald ich den Gemeinschaftsraum betrete. Personen, die ich eigentlich mag und schätze, meiden meinen Blick. Erstklässler, die früher häufig mit Fragen zum Unterrichtsstoff zu mir kamen, bleiben nun lieber fern.

All das versetzt mir jedes Mal einen kleinen Stich, obwohl ich mir sage, dass nichts von dem was ich tue oder getan habe, irgendjemanden etwas angeht. Wirklich trösten kann mich dieser Gedanke trotzdem nicht.

Draco, der ja zu einem Großteil für meine aktuelle Misere mitverantwortlich ist, halte ich möglichst auf Abstand, um dem Rest von Hogwarts nicht noch mehr Futter für Lästereien zu geben. Da er von sich aus kaum Anstalten macht, sich mir zu nähern, gelingt es mir tatsächlich erstaunlich gut, mich von ihm fernzuhalten. Ich vermute, dass er genug damit zu tun hat, gegen eigene Dämonen zu kämpfen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass sein Haus besser auf ihn zu sprechen ist, als meins auf mich. Und auch wenn ich versuche, vor Ginny so zu tun, als ob es mir gut ginge, zerreißt mich diese selbstauferlegte Distanz innerlich. Ich kann nichts dagegen tun, aber leugnen kann ich es auch nicht. Ich vermisse seine Gegenwart. Sein Grinsen. Sogar seine blöden Sprüche. Er fehlt mir einfach.

Am Schlimmsten ist allerdings, dass sich sogar Harry von mir zurückgezogen hat. Kaum mehr als drei Worte haben wir seit dem Zwischenfall in der großen Halle gewechselt, und das auch nur in Anwesenheit anderer. Genau wie Ron weicht er mir aus, und das gibt mir beinahe den Rest. Da es mir von Tag zu Tag schwerer fällt, mit der aktuellen Situation klarzukommen, fasse ich mir an einem Sonntagnachmittag schließlich ein Herz und warte mit vor Nervosität schweißnassen Händen vor dem Quidditch-Feld auf meinen besten Freund, der dort gerade mit dem Rest des Gryffindor Teams trainiert. Als er das Stadion schließlich in voller Montur und mit seinem Besen in der Hand verlässt, laufe ich schnell zu ihm hin, bevor mich der Mut wieder verlassen kann.

„Harry! Harry, warte mal kurz!"

Mein bester Freund verlangsamt seinen Schritt, bleibt jedoch nicht stehen. „Was ist, Hermine? Ich würde mir den ganzen Dreck vom Training gerne so schnell wie möglich abwaschen, also...können wir das vielleicht verschieben?"

An Harrys gerunzelter Stirn kann ich erkennen, dass er wirklich nicht in der Stimmung für ein Gespräch ist. Aber das ist mir in diesem Moment egal. Ich muss jetzt mit ihm reden, länger halte ich die angespannte Stimmung zwischen uns einfach nicht aus.

„Nein, ich fürchte, es ist dringend. Harry, wir müssen reden. Ich ertrage es nicht, dass du jetzt auch sauer auf mich bist und nicht mehr mit mir sprichst. Wirklich, die angespannte Lage zwischen mir und Ron reicht mir schon, da kann ich nicht auch noch Streit mit dir haben. Deshalb...hör mir einfach zu! Lass es mich einfach erklären..."

Ich stocke. Wieder einmal habe ich das Gefühl, mich für irgendetwas rechtfertigen oder entschuldigen zu müssen. Aber muss ich das wirklich? Bin wirklich ich diejenige, die etwas falsch gemacht hat?

„Mine, du brauchst mir nichts zu erklären. Ehrlich nicht."

„Wirklich nicht, Harry? Und warum geben du und die anderen Gryffindors mir dann genau dieses Gefühl? Wieso tun alle so, als hätte ich unser Haus verraten oder...ich weiß auch nicht, als hätte ich irgendwas Furchtbares getan?"

Verzweifelt schaue ich in Harrys grüne Augen, suche dort nach einem Zeichen für Verständnis oder Unterstützung. Wirklich fündig werde ich jedoch nicht.

„Es tut mir Leid, Mine, ich kann mir vorstellen, dass das gerade alles andere als leicht für dich ist. Und du musst dich vor mir nicht rechtfertigen, ich bin auch nicht sauer auf dich." Seufzend streicht sich Harry eine seiner störrischen Haarsträhnen aus dem Gesicht, so dass die berühmte blitzförmige Narbe auf seiner Stirn sichtbar wird. Als er fortfährt zu sprechen, höre ich ihm die Anspannung an: „Aber Hermine, ganz ehrlich, ich verstehe es nicht. Dass es mit Ron nicht geklappt hat, ist schade, ich hätte mich sehr gefreut, wenn meine beiden besten Freunde zusammen glücklich geworden wären. Klar, Gefühle kann man nun mal nicht erzwingen, und das würde ich dir auch nie vorwerfen. Ihr habt es versucht, es hat nicht geklappt, Punkt. Aber...Malfoy?!? Wieso muss es unbedingt der einzige Mensch sein, der die ganzen letzten acht Jahre alles getan hat, um mir, um UNS, in die Quere zu kommen? Ich meine, du weißt doch selbst am besten, zu was diese...diese Schlange alles fähig ist!"

Bei dem Wort Schlange kommt mir beinahe die Galle hoch, aber ich versuche, mich zu beherrschen. Wenn ich jetzt nicht ruhig bleibe, hat diese ganze Aussprache ihren Zweck verfehlt.

„Tu mir einen Gefallen, Harry, bitte nenn Draco nicht so", erwidere ich mit gepresster Stimme. „Du musst ihn nicht mögen, aber beleidigen musst du ihn auch nicht!"

Harry hat immerhin den Anstand, etwas beschämt auszusehen. „Sorry Hermine, du hast Recht, das war nicht okay. Trotzdem kann ich nicht verstehen, wie du einfach über alles hinwegsehen kannst, was Malfoy getan hat!"

„Ja Harry, natürlich weiß ich, was Draco in der Vergangenheit getan hat!", sage ich etwas zu laut. Langsam bin ich es wirklich leid, dieses Gespräch immer und immer wieder führen zu müssen. „Aber ist das nicht genau der Punkt? Er hat in der Vergangenheit Fehler begangen. Die er bereut, das kannst du mir glauben. Aber haben wir das nicht alle? Willst du mir wirklich erzählen, dass du keine deiner Handlungen der letzten Jahre bedauerst? Dass du dir nicht manchmal wünschst, in der Zeit zurückreisen zu können, um manche Dinge anders zu machen?"

Seufzend fahre ich mir mit einer Hand durch die Haare, während ich fieberhaft nach den Worten suche, die Harry vielleicht davon überzeugen könnten, Draco eine Chance zu geben.

„Ich will doch auch gar nicht, dass du auf einmal so tust, als wäre Draco Malfoy dein bester Freund. Aber bitte, versuch doch wenigstens, den Menschen kennenzulernen, der er jetzt ist. Für mich, Harry. Vielleicht überrascht er dich ja."

Harry bleibt stehen, und blickt auf den Boden. Ich sehe ihm an, wie er mit sich kämpft, und ich lasse ihm die Zeit, die er braucht. Schließlich sinken seine Schultern für einen winzigen Moment kapitulierend nach unten, bevor er sich wieder strafft und seinen Besen fester umfasst. „Gib mir Zeit, okay Mine? Momentan kann ich Malfoy nicht so sehen, wie du. Ich würde es gerne, aber es geht einfach nicht. Noch nicht. Vielleicht werde ich es in Zukunft können, vielleicht nicht. Ich kann dir auch nicht versprechen, dass sich das jemals ändern wird, aber für dich werde ich es versuchen."

Eine riesige Welle der Erleichterung durchströmt mich. Wenn Harry sagt, dass er es versuchen wird, dann weiß ich, dass das keine leeren Worte sind. Und selbst wenn die Chance, dass er Malfoy jemals mögen wird, gering ist: Allein sein Entgegenkommen bedeutet mir alles.

„Danke Harry. Wirklich!"

„Ach Mine, für dich immer."

„Ich hab dich lieb. Und ich bin so froh, dass wir wieder miteinander reden!"

Mit diesen Worten umarme ich meinen besten Freund, der schwach auf mich herablächelt. „Naja, du solltest Ginny danken. Sie liegt mir schon seit Tagen mit diesem Thema in den Ohren, und du weißt ja, dass man früher oder später immer tut, was sie will. Wenn ich nicht bald mit dir geredet hätte, hätte sie mich vermutlich irgendwann dazu gezwungen. Sie kann wirklich sehr überzeugend sein."

Verlegen reibt der schwarzhaarige Gryffindor sich den Nacken, während ich in Gelächter ausbreche. Ich kann mir ziemlich gut vorstellen, wie Ginny ihm in den letzten zwei Wochen zugesetzt haben muss.

„So, jetzt brauche ich aber wirklich eine Dusche. Wir sehen uns später, Mine!"

„Ja, bis später!"

Winkend und lächelnd blicke ich Harry hinterher, der mit großen Schritten in Richtung Schloss eilt. Als er außer Sichtweite ist, strecke ich meine verkrampften Muskeln und nehme einen tiefen Atemzug. Die kühle Novemberluft streicht über meine Wangen und erfrischt mich, während ich fühle, wie ein Teil des Drucks und der Anspannung von mir abfällt. Jetzt, da ich mich zumindest mit einem meiner besten Freunde ausgesprochen habe, kann ich wieder etwas positiver in die Zukunft blicken.

Da ich die fast schon winterliche Brise viel zu sehr genieße, um jetzt schon wieder nach drinnen zu gehen, wende ich mich nach rechts in Richtung des großen Sees. Im Schatten einer großen Eiche, nicht weit von der fast schwarz wirkenden Wasseroberfläche entfernt, lasse ich mich schließlich zu Boden sinken.

„Incendio", flüstere ich, um mithilfe meines Zauberstabs ein kleines, tragbares Feuer zu entfachen, dessen Wärme sich sofort wie ein Mantel um mich legt. Von Zufriedenheit erfüllt schließe ich die Augen und lehne mich an den Stamm des Baumes, der mich vor neugierigen Blicken aus Richtung des Schlosses schützt. Lange Zeit sitze ich so da, entspannt und in Gedanken versunken. Bis auf meine eigenen Atemzüge und das leise Plätschern des Wassers neben mir ist nichts zu hören, und die Ruhe an diesem Ort lässt mich in einen angenehmen Halbschlaf fallen.

Trotzdem erschrecke ich nicht, als sich auf einmal jemand neben mir an den Baum lehnt, und ich öffne auch nicht meine Augen. Denn die Präsenz dieser Person hätte ich unter Millionen anderer wiedererkannt.

„Hallo, Granger."

Mein Mund verzieht sich zu einem kleinen Lächeln, als ich durch seine Worte an unsere Begegnung auf dem Astronomieturm erinnert werde, bei der er mich genauso begrüßt hatte.

„Wolltest du nicht Hermine zu mir sagen?", necke ich ihn und schaue dann zu ihm hoch.

„Ich hab's mir anders überlegt", erwidert der blonde Slytherin und grinst mich schief an, was die Schmetterlinge in meinem Bauch flattern lässt. „Granger hat irgendwie was. Findest du nicht auch, Granger?"

Bei seinem letzten Satz lässt er meinen Namen so genüsslich und mit einem so anzüglichen Unterton über seine Zunge rollen, dass ich erröte.

Mist! Ich wollte doch nicht mehr so schnell rot werden!

Dracos Grinsen vertieft sich, als er sieht, welche Reaktion seine Worte bei mir auslösen. Statt jedoch aufzuhören, lässt er sich neben mich ins Gras fallen und beugt sich dann in meine Richtung, bis sein Mund nur noch Zentimeter von meinem entfernt ist.

„Ich liebe es, dich in Verlegenheit zu bringen, weißt du das? Du siehst dann immer gleichzeitig wütend und unschuldig aus, einfach zum Anbeißen!"

Mit diesen Worten senkt Malfoy seinen Blick zu meinen Lippen, die sich unter seiner intensiven Musterung automatisch etwas öffnen. Dort verweilen seine Augen, während er eine Hand hebt und mit einem Finger die Konturen meiner Unterlippe nachfährt. Mein Atem beschleunigt sich, genau wie mein Herzschlag, während ich sehnsüchtig darauf warte, dass Draco mich endlich küsst.

Der blonde Slytherin scheint jedoch noch nicht genug von dieser süßen Folter zu haben, denn mit einem schelmischen Blick in seinen silbergrauen Augen beugt er sich im nächsten Moment nur so weit vor, dass unsere Münder sich gerade eben nicht berühren. Dabei spüre ich seinen Atem über meine Haut streifen, was mir eine Gänsehaut am ganzen Körper beschert.

„Weißt du, worauf ich jetzt Lust hätte, Granger?"

Es gelingt mir, atemlos den Kopf zu schütteln, ohne den Blickkontakt zwischen uns zu brechen.

„Auf einen Schokofrosch! Du hast nicht zufällig einen in der Tasch-"

Weiter kommt er nicht, denn ich schlinge meine Arme ungeduldig um seinen Hals und überbrücke die letzte Distanz zwischen uns in Sekundenschnelle. Verzückt seufze ich auf, als sein Mund sich endlich auf meinen senkt, und auch die Belustigung in Dracos Augen weicht mit einem Schlag einem viel hungrigeren Ausdruck.

Im nächsten Augenblick schließen sich meine Augen flatternd und ich gebe mich ganz dem Feuer und den Gefühlen hin, die nur Draco in mir zu wecken vermag. Trotz meiner benebelten Gedanken bekomme ich mit, wie der blonde Slytherin mich auf seinen Schoß zieht, und ohne Nachzudenken drücke ich mich eng an seine breite, harte Brust. Der zusätzliche Körperkontakt entlockt Draco ein Stöhnen, bevor seine Arme sich besitzergreifend um meine Taille schlingen.

Als wir uns eine Ewigkeit später voneinander lösen, atemlos und zerzaust, kann ich nicht anders, als mit einer Hand durch Dracos silberblonde Strähnen zu fahren, um die verwuschelten Locken wieder etwas zu glätten. Malfoy schenkt mir daraufhin ein Lächeln, das jedoch nach ein paar Sekunden einen fast traurigen Zug annimmt.

Mit einem bedrückten Ausdruck in den Augen mustert er anschließend das Spiel des Windes auf dem großen See neben uns, das die Wasseroberfläche in unregelmäßigen Abständen kräuselt. Ich würde gerne etwas sagen, um die Anspannung aus seinem Gesicht zu verscheuchen, aber mir fällt nichts Passendes ein. Also schweige ich und warte, bis er endlich das Wort ergreift.

„Es tut mir Leid, Hermine", sagt Draco schließlich mit einem tiefen Seufzer. Dabei hebt er eine Hand und bringt seine Haare, die ich gerade erst geglättet hatte, wieder durcheinander. „Ich wusste, was passieren würde, wenn die anderen von uns erfahren. Aber als dieser kleine Hufflepuff dich so offensichtlich angegraben hat, da ist eine Sicherung bei mir durchgebrannt. Es war vermutlich nicht besonders schlau, mich vor ganz Hogwarts so besitzergreifend zu verhalten, aber ich konnte einfach nicht anders."

Ich kann nicht verhindern, dass seine Worte mir ein Lächeln entlocken. Denn obwohl die letzten Wochen hart waren: Die Augenblicke hier unter der großen Eiche, mit ihm, haben mich für all das schon ausreichend entschädigt.

„Du musst dich nicht entschuldigen, Draco. Du hast nichts falsch gemacht. Ich meine, du hättest das Ganze zwar etwas vorsichtiger und langsamer angehen können", ich grinse ihn an, um meinen Worten die Spitze zu nehmen, „aber andererseits passt vorsichtig und langsam nicht zu dir. Wenn die anderen ein Problem mit uns haben...tja, dann ist das eben so."

„Ich hätte trotzdem für dich da sein müssen. Ich habe gesehen, wie du die letzten zwei Wochen unter der ganzen Situation gelitten hast, aber ich wollte es nicht noch schlimmer für dich machen. Deshalb habe ich mich zurückgehalten, obwohl mir das verdammt nochmal schwer gefallen ist. Aber damit ist jetzt Schluss!"

Entschlossen greift Draco nach meiner Hand und verschränkt seine Finger mit meinen. Erstaunt schaue ich erst auf unsere Hände und dann in seine sturmgrauen Augen, die vor Entschlossenheit blitzen.

„W-Was meinst du?" frage ich ihn, während ein warmes Gefühl in meinem Inneren aufsteigt, das mein Herz mit doppelter Geschwindigkeit schlagen lässt.

„Was ich meine?" Draco drückt lächelnd einen Kuss auf meine Hand, bevor er fortfährt. „Das ist einfach: Niemand soll mehr daran zweifeln, dass du zu mir gehörst."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top