Kapitel 35 - Ronald Bilius Weasley


„Ron, ich.."

Weiter komme ich nicht, denn Ron dreht sich auf dem Absatz um, das Gesicht zu einer wutverzerrten Grimasse erstarrt. Ohne Nachzudenken springe ich auf und laufe ihm hinterher. Dracos Arm, den er um meine Schultern gelegt hatte, stoße ich dabei unabsichtlich zur Seite, aber im Moment kann ich darauf keine Rücksicht nehmen. Im Moment ist es viel wichtiger, meine Beziehung zu Ron zu kitten, die eh schon seit Monaten auf der Kippe steht.

So schnell ich kann eile ich meinem besten Freund hinterher, der mit seinen langen Beinen zügig Richtung Ausgang der großen Halle strebt und einigen Vorsprung vor mir hat. Und obwohl meine Aufmerksamkeit vollkommen auf Ron gerichtet ist, kann ich nicht umhin zu bemerken, dass ein Großteil meiner Mitschüler mich neugierig anstarrt, begierig darauf, mehr von dem Drama mitzubekommen, das hier gerade vor aller Augen abläuft. So gut es geht versuche ich, die geflüsterten Bemerkungen und Kommentare zu ignorieren, die zum Teil vor Häme nur so triefen. Wirklich gut gelingt mir das allerdings nicht.

Als ich die Tür der großen Halle erreiche, seufze ich erleichtert auf, froh darüber, den musternden Blicken endlich zu entkommen.

In der Eingangshalle angekommen wird die Erleichterung jedoch sofort von erneuter Anspannung verdrängt, vor allem, weil ich Ron nicht sofort entdecken kann. Hektisch schaue ich mich um. Ich befürchte schon, ihn verloren zu haben, doch wirklich weit kann er eigentlich noch nicht gekommen sein, immerhin war ich nur ein paar Schritte hinter ihm. Nach einigen panischen Sekunden sehe ich ihn dann auch in einem Korridor links neben den großen Flügeltüren verschwinden.

Sofort wende ich mich in dieselbe Richtung und renne los. Hier draußen ist gerade niemand unterwegs, da alle noch ihr wohlverdientes Mittagessen in der großen Halle genießen und ich bin sehr dankbar dafür, dass es keine Zeugen für das Gespräch gibt, das gleich folgen wird. Denn ich fürchte, die Aussprache mit Ron wird sehr unangenehm werden.

Nervös schließe ich für den Bruchteil einer Sekunde die Augen, während ich meine Schritte noch einmal beschleunige. Im Geiste versuche ich mir schon einmal die richtigen Worte zurechtzulegen, um Ron gleich irgendwie erklären zu können, wie das mit Draco passiert ist. Oder eher, WAS da mit Draco passiert ist. Denn ehrlich gesagt weiß ich selbst noch nicht so genau, wie der blonde Slytherin und ich jetzt zueinander stehen und was Draco für mich empfindet.

Oh Merlin, was soll ich Ron nur sagen?

Schaudernd denke ich an die Wut, die sich in Rons Gesicht gespiegelt hat, kurz bevor er sich in der großen Halle von mir abgewandt hat. Ich fürchte, dass Ron so verletzt und aufgebracht ist, dass er mir erst gar nicht zuhören wird. Und irgendwie kann ich auch verstehen, dass der Anblick von Dracos Arm um meinen Schultern ein Schock für den rothaarigen Gryffindor gewesen sein muss. In seinen Augen ist und bleibt Malfoy nun mal der Feind, auch über ein Jahr nach dem Ende des Krieges mit Voldemort. Allerdings ist mein blonder Slytherin so viel mehr als nur ein ehemaliger Todesser, davon bin ich mittlerweile überzeugt. Und hoffentlich wird Ron das auch irgendwann erkennen können.

Ich biege um die nächste Ecke und sehe Ron nur wenige Schritte von mir entfernt durch den Gang stapfen. Doch obwohl er mitbekommen haben muss, dass ich ihm folge, verlangsamt er seine Schritte nicht. Stattdessen scheint er sich nur noch mehr zu beeilen.

„Ron!"

Mein Ruf hallt in dem Gang wieder, der von steinernen Wänden gesäumt wird. In einem entfernten Winkel meines Bewusstseins steigt die Ahnung eines Déja vu's auf, aber im ersten Moment kann ich nicht einordnen, was dieses Gefühl zu bedeuten hat. Dann, mit einem Mal, fällt es mir siedend heiß wieder ein: In diesem Korridor hat Ron mich an Halloween geküsst.

Ein freudloses Lachen steigt in meiner Brust auf, als ich die Ironie der Situation erkenne, doch jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um über den grausamen Sinn für Humor nachzudenken, den das Schicksal ganz offensichtlich haben muss. Jetzt gerade muss ich mich auf Ron konzentrieren.

„Ron, warte bitte! Ich kann das erklären!"

Ich höre selbst, wie verzweifelt und angespannt ich klinge. Ron jedoch, der schon keinerlei Reaktion auf meinen ersten Ausruf gezeigt hat, ignoriert mich weiterhin. Und das macht mich irgendwie wütend! Er könnte mir ja wenigstens die Chance geben, ihm alles zu erklären! Das ist er mir doch eigentlich schuldig, nach all den Jahren unserer Freundschaft!

Mit mehr Schärfe in der Stimme, als ich eigentlich beabsichtigt hatte, fahre ich ihn daher an: „Ronald Bilius Weasley! Bleib sofort stehen!"

So abrupt, als wäre er gegen eine unsichtbare Barriere gerannt, hält Ron mitten in der Bewegung inne, bevor er sich langsam zu mir umdreht. Ich bin nicht sicher, ob der Zorn in meiner Stimme für diesen Sinneswandel verantwortlich ist oder die Anrede, von der ich genau weiß, dass Ron sie wie die Pest hasst, aber eigentlich ist es auch egal. Ich habe jetzt die Aufmerksamkeit meines besten Freundes, und das ist alles, was zählt.

Kurz mustert Ron mich schweigend aus zusammengekniffenen, eisblauen Augen. Als er dann endlich zum Sprechen ansetzt, klingt seine Stimme ungewohnt scharf: „Lass mich einfach in Ruhe, Hermine. Ich will nicht mit dir reden und du brauchst auch nichts zu erklären! Ich habe genug gesehen da drinnen und mehr Details will ich ehrlich gesagt gar nicht hören!"

Seine Worte treffen mich, auch wenn ich schon mit ihnen gerechnet hatte. „Ich möchte es dir aber erklären, Ron. Bitte."

„Warum? Es gibt nichts zu bereden. Ganz offensichtlich hast du ja schon eine Entscheidung getroffen. Und zwar für ihn, und gegen mich."

Tief seufze ich auf, bevor ich langsam zu einer Erwiderung ansetze: „Das stimmt so nicht, Ron. Ich habe mich nicht gegen dich entschieden. Auf keinen Fall! Du bist mir wichtig, sogar sehr, denn du bist mein bester Freund, okay? Und ich hoffe, dass das auch immer so bleibt. Das mit Draco hingegen..."

„DRACO, ja? Ihr seid also schon beim Vornamen angekommen. Wie nett!"

Rons höhnische Worte versetzen mir einen kleinen Stich, aber ich schlucke den aufsteigenden Ärger hinunter. Ich weiß ja, dass er nur verletzt ist, und ich kann das bis zu einem gewissen Grad auch nachvollziehen.

„Okay, ja, Draco und ich haben uns Anfang der Woche ausgesprochen und er hat mich dabei gebeten, ihn nicht mehr Malfoy zu nennen. Ich versuche gerade, mich daran zu gewöhnen, was gar nicht so einfach ist, nachdem ich ihn jahrelang beim Nachnamen gerufen habe...Naja ist ja auch egal. Ich glaube jedenfalls, dass Draco sich geändert hat und ich bin bereit, ihm...eine Chance zu geben. Aber das hat nicht das Geringste mit dir und mir zu tun, verstehst du?"

Das vorsichtige Lächeln, das ich Ron zuwerfe, gerät etwas schief. Doch trotz meiner Nervosität klingt meine Stimme erstaunlicherweise ruhig und entschlossen, und dadurch ermutigt trete ich einen weiteren Schritt auf den rothaarigen Gryffindor zu.

„Hör zu, Ron, ich weiß auch nicht, wie das zwischen Draco und mir passiert ist, ehrlich gesagt bin ich mir noch nicht mal ganz sicher, was das jetzt eigentlich zwischen uns ist. Aber...aus irgendeinem Grund mag ich ihn. Irgendetwas hat sich verändert. Und ich...ich hoffe, dass du..."

„Was? Dass ich das akzeptiere? Dass ich mich für euch freue?"

Ein kaltes, freudloses Lachen entschlüpft Ron, so bitter, wie ich es von ihm noch nie gehört habe.

„Das ist hoffentlich nicht dein Ernst, Hermine! Ich meine, wir sprechen hier von MALFOY! Hast du etwa schon vergessen, was er alles getan hat? Was er alles tun wollte? Er hat versucht, Dumbledore zu töten! Er war ein verdammter Todesser, der dich, mich und Harry auf der Stelle an Voldemort verkauft hätte, wenn er die Gelegenheit dazu gehabt hätte! Wie kannst du überhaupt darüber nachdenken, mit so jemandem..."

Schaudernd unterbricht sich Ron. Der Ekel, den der Gedanke an mich und Malfoy offensichtlich in ihm auslöst, ist ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.

„Weißt du Hermine, in den ganzen letzten Wochen, da hatte ich noch Hoffnung. Ich habe wirklich, wirklich geglaubt, dass du nur Zeit bräuchtest, und dass du irgendwann erkennen würdest, dass du doch mehr für mich empfindest. Ich war einfach davon überzeugt, dass du nach einiger Zeit einsehen würdest, dass wir beide füreinander geschaffen sind. Denn das sind wir, Mine! Auch wenn du es nicht sehen kannst, weiß ich das ganz genau! Aber in einigen anderen Punkten habe ich mich offensichtlich geirrt."

Mit einer müden Geste fährt Ron sich durch seine roten Haare. Die Wut, die bisher seine Mimik und Gestik dominiert hat, scheint mit einem Mal verraucht zu sein. Stattdessen wirkt Ron einfach nur...gebrochen. Verloren. Einsam.

„Vielleicht ist das alles meine Schuld. Vielleicht hätte ich mehr um dich kämpfen müssen, dir zeigen müssen, wie viel du mir bedeutest. Ja, vermutlich hätte ich das tun sollen. Dann hätte Malfoy dich nicht so einfach einwickeln können! Aber...aber das habe ich nicht, bis es zu spät war. Ich wollte dir Zeit lassen, und dir den Abstand geben, den du brauchst. Tja."

Rons Lachen ist dunkel und voller Verachtung.

„Im Nachhinein war das wohl ein Fehler. Und jetzt...jetzt bildest du dir ein, Gefühle für dieses Frettchen zu haben! Ehrlich Hermine, ich hätte nie geglaubt, dass du so tief sinken könntest!"

Die letzten Worte spuckt der rothaarige Gryffindor mir fast vor die Füße. Und das ist für mich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Der die Wut, die ich bisher heruntergeschluckt hatte, blitzschnell an die Oberfläche holt.

„Achja, Ron? Ich bin also tief gesunken? ICH? Dass du es wagst, so was zu mir zu sagen und so über mich zu urteilen! Wenn überhaupt dann bist DU von uns beiden doch derjenige, der sich mal Gedanken machen sollte! Wer von uns beiden hat denn in letzter Zeit Mist gebaut, hm? Tja Ron, ich war es nicht! Und ehrlich gesagt warte ich immer noch auf eine Entschuldigung für das, was du an Halloween getan hast!"

Bebend vor Zorn nehme ich einen tiefen Atemzug, doch die normalerweise beruhigende Wirkung bleibt aus.

Ron hingegen starrt mich nur an, plötzlich kalkweiß im Gesicht. Irgendwo in meinem zornvernebelten Gehirn realisiere ich, dass ich bei ihm einen Nerv getroffen habe, aber ich bin zu sehr in Rage, um mich bremsen zu können. Und obwohl ich es augenblicklich bereue, sprudeln die Anschuldigungen weiter aus meinem Mund: „Weißt du was Ron? Manchmal bist du einfach nur erbärmlich! Jeder kann sich mal daneben benehmen, aber danach sollte man wenigstens in der Lage sein, das auch einzugestehen!"

Drückende Stille breitet sich zwischen uns aus.

Die Wirkung, die meine Worte bei Ron hinterlassen haben, ist nicht zu übersehen. Sein Gesichtsausdruck wechselt in Sekundenschnelle von Scham zu Wut und schließlich zu Trauer. Dann dreht er sich um, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen oder etwas zu erwidern.

Ich will etwas sagen, irgendetwas, um alles zwischen uns wieder in Ordnung zu bringen. Um die hässliche Wunde, die ich Ron gerade unbeabsichtigter Weise zugefügt habe, ungeschehen zu machen. Doch mir fehlen die Worte und tief in mir drinnen weiß ich, dass nichts, was ich in diesem Moment sage oder tue, etwas ändern wird. Ich habe Ron tief verletzt und auch wenn er selbst einige Fehler gemacht hat, tut es mir im Herzen weh, ihn so zu sehen. Uns so zu sehen. Das hier wollte ich nie.

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