Kapitel 32 - Herzflattern

Im ersten Moment bin ich wie erstarrt. Wie in Zeitlupe sehe ich, dass Draco sich zu mir herunter beugt, während seine wunderschönen silbergrauen Augen meine Lippen fixieren. Gebannt beobachte ich, wie sein Gesicht meinem immer näher kommt. Vor lauter Anspannung vergesse ich dabei sogar, zu atmen, aber in diesem Augenblick ist sogar das unwichtig.

Ich kann kaum glauben, dass das hier gerade wirklich passiert, dass ich hier gerade wirklich mit Malfoy in enger Umarmung in einem kalten, verlassenen Klassenzimmer stehe und er drauf und dran ist, mich zu küssen. So lange habe ich mich heimlich danach gesehnt, dass genau das passieren würde und jetzt, wo der Moment gekommen ist, erscheint mir alles auf einmal vollkommen unwirklich zu sein, wie ein Teil eines furchtbar realistischen Tagtraumes. Dieser Gedanke verfliegt jedoch im nächsten Moment sofort wieder, als Dracos Mund endlich auf meinen trifft und seine Hände sich besitzergreifend um meine Taille schlingen.

Und dann wird Denken unmöglich. Stattdessen bin ich nur noch in der Lage, zu fühlen, zu riechen, zu schmecken, und zwar in einer bis dahin nie gekannten Intensität.

Dracos Lippen berühren meine zunächst so zart wie ein Schmetterling. Die federleichte Berührung ist kaum auszumachen, aber trotzdem setzt mein Herz als Reaktion für einen Schlag aus, bevor es mit doppelter Geschwindigkeit weiter schlägt. Mit einem leisen Seufzer schließe ich die Augen, unfähig, mich den Empfindungen zu entziehen, die Draco Malfoys Kuss in mir auslöst und die mich mit der Wucht eines Vorschlaghammers treffen.

Die nächsten paar Sekunden scheinen sich auszudehnen, die Zeit selbst hört auf zu sein, und trotzdem brennt sich jeder einzelne Augenblick unauslöschlich in mein Gedächtnis ein.

Eine Ewigkeit später und doch viel zu früh löst sich sein Mund wieder von meinem und die Welle der Enttäuschung, die daraufhin durch meinen Körper rast, lässt mich kleine, protestierende Laute ausstoßen. Doch Malfoy ist noch längst nicht fertig.

Mehrere ebenso flüchtige, leichte Küsse haucht er auf meine Mundwinkel, meine Wangen, meine Stirn, und die Zartheit dieser Liebkosungen bringt etwas tief in mir drin zum Klingen. Niemand hat mich je in einer solchen Art und Weise geküsst, nicht so, nicht mit einer derartigen Zurückhaltung, die fast schon bewundernd wirkt. Und Malfoy hätte ich eine solche Sanftheit erst recht nicht zugetraut.

Verzückt seufze ich auf, als mein gesamter Körper von einer Gänsehaut überzogen wird. Selbst in meinen kühnsten Träumen hätte ich mir nicht ausmalen können, dass unser erster so Kuss ablaufen würde. So...perfekt. Einfach unbeschreiblich. Und dieser Moment gehört nur uns beiden.

Mit einiger Anstrengung schaffe ich es, meine Augen wieder zu öffnen, die sich während Malfoys Küssen wie von alleine geschlossen haben. Augenblicklich findet mein Blick seinen, hält ihn fest, und für den Bruchteil einer Sekunde stockt mir der Atem: In Malfoys Augen brennt ein alles verzehrendes, silbernes Feuer, dessen Wildheit mich wahrscheinlich ängstigen sollte. Doch das tut es nicht.

Kurz scheint Draco zu zögern. Eindringlich sieht er mich an, als würde er auf eine Antwort oder ein Zeichen von mir warten. Und dann verstehe ich: Draco fragt mich um Erlaubnis, will wissen, ob ich einverstanden bin, und das, obwohl ich ihm ansehen kann, wie viel Selbstkontrolle ihn das Warten kostet.

Genau diese kleine Geste, dieser Augenblick ist es, der auch meine letzte Zurückhaltung, meinen letzten Widerstand bröckeln lässt. Ohne den Blickkontakt zu lösen stelle ich mich auf die Zehenspitzen und recke ihm meine Lippen entgegen.

Draco versteht die einladende Aufforderung sofort und schenkt mir eines seiner kleinen, schiefen, wundervollen Lächeln, die mein Herz zum Flattern bringen, bevor er seinen Mund wieder auf den meinen senkt. Dieses Mal ist von Zartheit und Zurückhaltung allerdings nichts mehr zu spüren: Hungrig presst Malfoy seine Lippen auf meine, während er auch seinen Griff um meine Taille verstärkt. Dieser plötzliche Übergang von sanft zu stürmisch und drängend lässt meine Knie weich werden, so dass ich mich an Dracos Schultern klammern muss, um mein Gleichgewicht nicht zu verlieren.

Dieser offensichtliche Beleg dafür, dass mich Malfoys Kuss alles andere als kalt lässt, ist mir im ersten Augenblick etwas peinlich, doch dann fährt Draco mit seiner Zunge über meine Unterlippe und jeglicher Gedanke daran, wie ich hier gerade wirken könnte, wird augenblicklich verdrängt.

Vor meinem inneren Auge sehe ich explodierende bunte Farben und Lichter, in meinem Bauch flattern Schmetterlinge und mein Herz schlägt so schnell, dass es demnächst wahrscheinlich aus meiner Brust springen wird. Atemlos schlinge ich meine Arme um Dracos Nacken, um ihn noch enger an mich heranziehen zu können, bevor ich dem Drängen seiner Zunge nachgebe und meine Lippen öffne.

Als Malfoy merkt, dass ich den Kuss vertiefe, lässt er ein kleines Stöhnen vernehmen, ehe er mich einmal um meine Achse wirbelt und mich dann gegen die hinter mir liegende Wand presst. Unfreiwillig werde ich dadurch an Halloween und den aufgezwungenen Kuss von Ron erinnert, doch in Dracos Armen fühle ich mich nicht gefangen oder in die Enge getrieben. Im Gegenteil: Wie schon in meinem Traum vor ein paar Wochen fühle ich mich bei meinem blonden Slytherin sicher, geborgen, geschützt.

Und gewollt. Ohja, ich glaube, ich habe mich in meinem Leben noch nie so begehrt gefühlt wie jetzt, in diesem Moment.

Lächelnd löse ich meine Arme von Dracos Nacken und fahre dann mit den Fingerspitzen durch die seidigen, silberblonden Haare, die schon immer so anziehend auf mich gewirkt haben. Wie ich erwartet hatte, fühlen sich seine blonden Strähnen einfach wundervoll an.

Draco unterbricht unseren Kuss und sieht mich mit einem amüsierten, leicht selbstgefälligen Grinsen an. „Wenn ich gewusst hätte, dass du meine Haare so unwiderstehlich findest, Granger, dann hätte ich mich schon längst zum Anfassen zur Verfügung gestellt."

Lachend verdrehe ich die Augen. „Das ist wieder so typisch, Malfoy. Ich weiß, du hältst dich für den begehrenswertesten Typen der Schule, aber ich muss dich leider enttäuschen. Das bist du nicht!"

„Ach Nein? Und warum lassen meine Küsse dich dann fast in Ohnmacht fallen?"

„Das hättest du wohl gerne!", entgegne ich mit gespielter Entrüstung, aber ich fühle gleichzeitig, wie meine Wangen sich vor Verlegenheit rosa färben. Ganz Unrecht hat er damit ja nicht...

„Etwa nicht?" fragt Malfoy mich mit einem schelmischen Gesichtsausdruck.

„Auf keinen Fall!" füge ich bekräftigend hinzu.

„Das wollen wir doch mal sehen. Ich will Beweise sehen", flüstert Malfoy mit rauer Stimme, ehe er seine Lippen wieder auf meine presst. Ohne dass ich es verhindern könnte, schmiegt sich mein Körper sofort näher an seinen, als wäre es das Natürlichste auf der Welt.

Und obwohl ich natürlich nicht in Ohnmacht falle, kann ich doch nicht leugnen, dass Malfoy eine ungeheure Anziehungskraft auf mich ausübt.

Als wir uns das nächste Mal voneinander lösen, sind wir beide ziemlich außer Atem. Ein Gefühl tiefer Befriedigung durchströmt mich, als mir klar wird, dass ich auf ihn dieselbe Wirkung zu haben scheine, wie er auf mich.

„Na gut, du hast gewonnen, Granger. Also keine Ohnmacht."

In gespielter Enttäuschung verzieht Draco das Gesicht, aber in seinen Augen sehe ich ganz deutlich, wie viel Spaß ihm unser Schlagabtausch in Wirklichkeit macht.

„Das wäre ja auch noch schöner, Malfoy!", entgegne ich mit möglichst viel Herablassung in der Stimme. Trotzdem kann ich ein kleines Lächeln nicht unterdrücken.

„Draco."

„Wie bitte?"

„Nenn mich Draco."

„Oh", antworte ich und sehe ihn überrascht an. Er grinst mich an, und hebt dann eine meiner widerspenstigen Haarsträhnen an. Während er die Locke geistesabwesend zwischen seinen Fingern rollt, verschwindet der Schalk von gerade eben immer mehr aus seinem Gesicht und macht einer Ernsthaftigkeit Platz, die mich völlig aus dem Konzept bringt.

„Äh...Na gut, aber dann musst du mich Hermine nennen. Ich würde mir sonst ziemlich doof vorkommen", gelingt es mir schließlich, hervorzustoßen.

„Deal...Hermine", erwidert Draco mit einem winzigen Lächeln, das fast schon schüchtern auf mich wirkt. Doch schon eine Sekunde später ist das Lächeln wieder weg und die Ernsthaftigkeit kehrt zurück. Nach einer erneuten kurzen Pause, die meine Nervosität nur steigert, fährt er fort: „Es gibt da noch etwas, was ich dir sagen muss."

Gespannt, fast schon ängstlich warte ich darauf, dass er weiter spricht, aber Malfoy zögert und fährt sich mit seiner linken Hand gedankenverloren durch seine eh schon verwuschelten Haare.

„Grang-...", beginnt er, unterbricht sich jedoch sofort wieder. „Hermine, meine ich. Hör zu, ich war ein Idiot. Ein richtiger Vollidiot, ich...du hast vorhin gesagt, ich hätte mich als Erstes wie ein Arsch verhalten und das stimmt. Und das...das tut mir leid."

Erstaunt schaue ich in sein hübsches Gesicht, aber seine Augen meiden meinen Blick für einen winzigen Augenblick, bevor er mich dann mit einem umso drängenderen Ausdruck ansieht. „Ich hätte diese Dinge niemals zu dir sagen dürfen, vorgestern. Ich war wütend, und habe das getan, was ich immer tue, wenn ich wütend bin, aber das hattest du nicht verdient. Ich wusste das schon in dem Moment in der großen Halle, es ist nur..."

An dieser Stelle unterbricht er sich erneut.

„Dich mit Weasley zu sehen, in diesem dunklen Gang, in seinen Armen, das konnte ich nicht ertragen. Das ist keine Rechtfertigung, ich weiß, und auch keine Entschuldigung. Aber ich wollte, dass du es trotzdem weißt."

„Du hast mich verletzt", flüstere ich, bevor ich überhaupt realisiere, was ich da gerade zugegeben habe.

Malfoys Gesicht verdunkelt sich sofort, als meine fast tonlosen Worte ihn erreichen. Wir stehen immer noch so nah nebeneinander, dass ich außerdem fühlen kann, wie sein ganzer Körper sich versteift.

„Ich weiß. Und ich erwarte nicht, dass du mir das verzeihst, denn das tue ich selbst nicht. Aber ich werde versuchen, dir zu zeigen, dass es mir Leid tut. Bitte, gib mir nur diese eine Chance, dir das zu beweisen."

Unterdrückte Emotionen schwingen in seiner Stimme mit.

Prüfend schaue ich den blonden Slytherin an, der mich erst vor kurzem so sehr verletzt hat. Der mein Herz gebrochen hat. Der mir die schlimmstmöglichen Beleidigungen an den Kopf geworfen hat. Der mich verwirrt. Der ein Todesser war. Der mich stärker aus der Fassung bringt, als irgendjemand sonst. Den ich die letzten acht Jahre als meinen Feind betrachtet habe. Dessen Intelligenz sich als einzige mit meiner messen kann. Dessen silbergraue Augen bis zu meiner Seele zu schauen scheinen. Dessen Küsse mich so sehr berühren. Und tief in mir drin weiß ich eine Sache mit absoluter Sicherheit: Auch wenn ich nicht weiß, wo das alles hinführen soll, gibt es nur eine Antwort, die ich ihm geben kann. Nur eine Erwiderung, die in Frage kommt.

„Okay."

Draco schaut mich für einen Augenblick fassungslos an, offensichtlich hat er mit dieser Antwort nicht wirklich gerechnet. Dann breitet sich langsam ein strahlendes Lächeln auf seinem Gesicht aus, das seine Augen zum Leuchten und mein Herz zum Schmelzen bringt.

Sanft legt er mir einen Finger unter mein Kinn. Aber bevor er noch irgendwas anderes tun oder sagen kann, ertönt hinter Malfoys Rücken plötzlich eine laute, wutentbrannte Stimme. Eine Stimme, die mir bei genauerer Betrachtung ziemlich bekannt vorkommt.

„Geh sofort weg von ihr, du feiger, mieser, hinterhältiger, idiotischer Slytherin! Fass sie bloß nicht an!"

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