Kapitel 31 - Gemischte Gefühle
„Ist das mit Weasley was Ernstes?"
Malfoys Frage hallt in meinem Kopf wieder, wie das Tausendfache Echo eines Schreis in einer tiefen, tiefen Schlucht. Fassungslos und mit offenem Mund starre ich den blonden Slytherin an, der neben mir sitzt und sich unruhig durch die seidigen Haare fährt. Sein Gesicht verrät mir, dass ihm die Frage unangenehm, fast schon peinlich ist, und er es jetzt schon bereut, sie gestellt zu haben. So unsicher, wie er gerade wirkt, habe ich ihn tatsächlich noch nie erlebt...es kommt mir fast so vor, als würde ich Draco gerade zum allerersten Mal sehen. Oder zumindest den Draco hinter der harten, eisigen Malfoy Schale.
Immer noch vollkommen perplex schlucke ich schwer und hole dann tief Luft. Ich hatte mich ja wirklich gefragt, was Malfoy wohl so dringend wissen wollte, aber...DAS? Mit dieser Frage hätte ich niemals gerechnet, in keinem Fall, nicht in tausend Jahren.
Und ich weiß echt nicht, was ich darauf antworten soll. Ich meine, wie kommt er überhaupt darauf, dass ich noch etwas mit Ron habe? Anfang des Schuljahres hat er mich doch selbst noch mit dem Ende der Beziehung aufgezogen und damit, dass Ron mich, die „Eisprinzessin", nicht auftauen konnte...
Verunsichert verschränke ich meine Hände vor meinem Körper und richte meine Aufmerksamkeit dann wieder auf Draco, der mit jeder Sekunde, die ohne eine Erwiderung von meiner Seite vergeht, unruhiger zu werden scheint. Tatsächlich beginnt er sogar damit, leicht auf dem Boden herumzurutschen und immer wieder seine Position zu verändern, als würde er es nicht ertragen, still zu sitzen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit schaffe ich es schließlich, eine Gegenfrage zu formulieren:
„W-Wie bitte? Willst du mich veräppeln?"
Jetzt ist es an Malfoy, verdutzt auszusehen.
„Nein, ich meine das ziemlich ernst", sagt er und zieht dabei seine Augenbrauen nach oben. „Warum sollte ich dich sonst so etwas fragen? Aus Spaß ganz sicher nicht, das kannst du mir glauben! Aber wie es aussieht willst du mir nicht antworten, also..."
Mit diesen Worten beginnt Malfoy damit, sich aufzurichten. Seine Augen nehmen dabei wieder diese typische, harte, stahlgraue Farbe an, die so kalt auf mich wirkt. Auch sein ganzes Verhalten zeigt mir deutlich, dass er bereits wieder damit beginnt, Distanz zwischen uns beide zu bringen, sowohl emotional, als auch körperlich. Und aus irgendeinem Grund stört mich das gewaltig.
Deshalb, und weil mich sein ambivalentes Verhalten generell nervt, stehe ich ebenfalls auf und werfe dann schnell ein: „Warum? Keine Ahnung, was in deinem Kopf so vorgeht. Ich frage mich nur, wieso du überhaupt davon ausgehst, dass...naja, dass ich und Ron eine... Beziehung haben? Ich dachte, jeder in Hogwarts weiß mittlerweile, dass ich mit ihm Schluss gemacht habe. Wir sind nur Freunde."
Verlegen streiche ich mir eine Haarsträhne hinter das Ohr.
Draco stößt ein schnaubendes Lachen aus.
„Ach komm Granger, lüg mich doch nicht an. Ich weiß zwar nicht, wieso ihr das geheim halten wollt, du und das Wiesel, aber ich weiß genau, dass ihr nicht nur Freunde seid!" Während er spricht hebt er seine Finger und malt mit einem höhnischen Grinsen Gänsefüßchen in die Luft. Diese Geste lässt mir das Blut in die Wangen schießen, obwohl es ja eigentlich gar nichts gibt, was mir peinlich sein müsste. Ich habe mit Ron immerhin wirklich nichts am Laufen!
„Ich habe euch gesehen, an Halloween", fährt Draco mit schneidender Stimme fort, „das sah doch ziemlich danach aus, als würde deutlich mehr zwischen euch laufen als nur Freundschaft. So wie Weasley da an deinen Lippen hing...Ihr hättet euch vielleicht besser ein Zimmer nehmen sollen, wenn eure kleine Affäre nicht entdeckt werden soll, aber dazu wart ihr wohl zu beschäftigt, hm?"
Bei diesem letzten Satz verzieht der blonde Slytherin das Gesicht zu einer angewiderten Grimasse und beginnt dann, mit abgehackten, schnellen Schritten von einer Seite des Klassenraums zur anderen zu laufen.
Und ich? Mir bleibt mal wieder nichts anderes übrig, als ihn geschockt anzustarren. Meine Hände verkrampfen sich, bis sie vor Anspannung zu zittern beginnen, und in meinem Kopf herrscht auf einmal nur noch Chaos. Die Gedanken wirbeln umher, so dass es mir schwer fällt, logisch zu denken und gleichzeitig fühlt es sich so an, als wäre auf einmal alles glasklar. Mit erschreckender Offensichtlichkeit fügen sich die Dinge plötzlich zu einem Bild zusammen:
Malfoy hat an Halloween gesehen, wie Ron mich geküsst hat.
Malfoy denkt, Ron und ich hätten eine geheime Romanze, von der niemand erfahren soll.
Malfoy will von mir wissen, ob diese angebliche Beziehung etwas Ernstes ist.
Malfoy ist sauer, weil er glaubt, ich würde ihn anlügen.
Und das wiederum bedeutet: Malfoy ist...eifersüchtig?!?
Ich habe Mühe, diese letzte Erkenntnis zu verarbeiten, aber es erscheint auf einmal alles so logisch zu sein. Alles ergibt jetzt einen Sinn: Dracos plötzlicher Sinneswandel, sein Verschwinden in der Zeit nach Halloween, sein fieses Auftreten danach bei unserer Begegnung in der großen Halle, die Beleidigungen und sein verächtlicher Gesichtsausdruck...
Ja, im Nachhinein könnte das wirklich eine Menge erklären.
Bei Merlins Bart, ist das wirklich möglich? Hat er mich deshalb Schlammblut genannt? Weil er eifersüchtig war?!?
Ehrlich gesagt ängstigt mich diese Vorstellung mehr als alles andere. Warum? Weil ich mich gerade erst damit abgefunden hatte, dass zwischen Malfoy und mir niemals etwas laufen könnte. Weil ich gerade erst akzeptiert hatte, dass meine Gefühle für ihn in jedem Fall unerwidert bleiben würden. Weil mein Herz erst vor kurzem angefangen hat, zu heilen und wieder ganz zu werden. Und weil ich Angst habe, dass es wieder zerbrechen könnte, wenn ich mir jetzt zu große Hoffnungen mache.
Tatsächlich fühle ich mich in Bezug auf meine Beziehung zu Malfoy gerade unsicherer und verwirrter als je zuvor.
Andererseits: Selbst wenn es wahr sein sollte...würde das irgendetwas ändern? Könnte das sein Verhalten mir gegenüber entschuldigen? Wäre es dann auf einmal okay, dass Malfoy mich mit seinen Worten so dermaßen verletzt hat?
Ich weiß es nicht.
Und mit einem Mal kommt mir die ganze Situation so absurd vor, dass ich nicht anders kann, als los zu prusten. Ich versuche erst noch, dagegen anzukämpfen, aber es hat keinen Sinn: In der letzten Woche habe ich so viele unterschiedliche Emotionen in so kurzer Zeit durchlaufen, dass ich mich einfach nicht mehr im Griff habe und mein Lachen einen fast hysterischen Zug annimmt.
Malfoy, der bisher vom einen Ende des Raumes zum anderen getigert ist, bleibt auf mein überdrehtes Lachen hin wie angewurzelt stehen und schaut mich an, als hätte ich jetzt komplett den Verstand verloren. Sein Gesichtsausdruck sieht dabei aber so komisch aus, dass ich nur noch doller kichern muss. Der Lachanfall ist dabei so heftig, dass mir schon nach kurzer Zeit Tränen über die Wangen laufen und ich mir den Bauch halten muss, da dieser mit jedem Luftholen anfängt, stärker weh zu tun.
Irgendwann schaffe ich es dann, mich wieder etwas zu beruhigen, auch wenn mir weiterhin leise, unkontrollierte, kichernde Laute in unvorhergesehenen Abständen entschlüpfen und ich mit einem Schluckauf kämpfe. Es gelingt mir dann aber trotzdem, hervorzustoßen: „W-Weißt du was, Malfoy? Du bist ein...hicks...Idiot. Schön, du hast also gesehen, wie Ron mich an Halloween geküsst hat. Und natürlich hast du sofort vollkommen falsche Schlüsse gezogen! Eine geheime Romanze mit Ron, wie kommst du bloß auf so einen Blödsinn?" An dieser Stelle angekommen muss ich schon wieder lachen, aber dieses Mal spüre ich, wie neben der Belustigung auch Ärger in mir aufsteigt.
„Denn nicht...hicks..., dass es dich etwas angehen würde, aber das ist auch schon alles, was passiert ist: RON hat MICH geküsst, und zwar ohne meine Einwilligung. Er hatte etwas zu viel Feuerwhiskey getrunken und konnte offensichtlich nicht mehr klar denken, aber mehr war da nicht. Ich habe dich also nicht angelogen, für mich ist und bleibt Ron einfach nur mein bester Freund. Und du", vorwurfsvoll erhebe ich die Stimme und werfe Draco einen bösen Blick zu, „nach deinem Benehmen mir gegenüber hast du sowieso überhaupt kein Recht dazu, mir irgendetwas vorzuwerfen, oder in diesem Ton mit mir zu reden!"
Mit erhobenem Kinn fixiere ich Malfoys Gesicht und blicke entschlossen in seine grauen Augen, die mit jedem meiner Worte angefangen haben, silberner und strahlender zu leuchten. Und obwohl ich versuche, meine Wut, die ich bis eben noch gespürt habe, aufrecht zu erhalten, bin ich von dieser Veränderung völlig fasziniert: Eine schönere Augenfarbe als diese habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.
Auch Malfoy schaut mich wie gebannt an, ohne einen Ton zu sagen.
Für einen kurzen Moment verharren wir in genau dieser Position: Ich, mit in die Hüfte gestemmten Armen und er, mit undefinierbarem Gesichtsausdruck einige Meter von mir entfernt. Dabei starren wir uns weiterhin in die Augen und es kommt mir so vor, als würde dabei ein stummer Machtkampf zwischen uns ablaufen. Dieses Mal habe ich allerdings nicht vor, klein beizugeben!
So vergehen bestimmt zwei Minuten, ohne dass einer von uns beiden sich rührt oder Malfoy etwas auf meinen Ausbruch erwidert.
Dann jedoch beginnt er, sich wie auf ein stummes Signal hin auf mich zuzubewegen. Atemlos sehe ich zu, wie er die Distanz zwischen uns mit langsamen, raubtierhaften Schritten überbrückt und nur Zentimeter von mir entfernt zum Stehen kommt. Da Malfoy mich um einen Kopf überragt, bin ich durch diesen Zug gezwungen, meinen Kopf in den Nacken zu legen, um ein Abreißen des Blickkontaktes zu verhindern. Dracos Nähe und seine körperliche Überlegenheit machen mich dabei etwas nervös und mein Herz fängt als Reaktion darauf an, in einem viel zu schnellen Rhythmus zu schlagen.
Malfoy scheint das zu spüren, denn auf seinem Gesicht breitet sich ein kleines, selbstgefälliges Grinsen aus. Dann streckt er eine Hand aus und streicht mir mit einer fast liebevollen Geste eine meiner widerspenstigen Haarsträhnen hinter das Ohr, was mir einen Schauer über den Rücken laufen lässt.
Im nächsten Moment beugt sich Draco noch ein Stück weiter zu mir.
„Weasley hat dich also geküsst?"
Seine sanfte, seidige Stimme verursacht Gänsehaut bei mir und schickt kleine elektrische Impulse über meinen ganzen Körper.
Ich schlucke und nicke dann langsam mit dem Kopf. Seine Präsenz bringt mich mal wieder so stark aus dem Konzept, dass ich zu mehr nicht in der Lage bin.
„Und du wolltest das nicht?"
Wie hypnotisiert schüttele ich den Kopf.
„Ich glaube, ich muss mich mal mit dem Wiesel unterhalten, wenn wir endlich aus diesem verfluchten Klassenraum raus kommen", fährt Malfoy mit trügerisch ruhiger Stimme und gefährlichem Unterton fort.
„N-Nein, das musst du nicht. I-Ich habe ihm deutlich gezeigt, was ich von seiner Aktion halte und außerdem kann ich das schon selbst regeln", stottere ich. „Das ist auch gar nicht deine Aufgabe!"
„Oh doch, ich finde schon. Mit Weasley werde ich mich später auf jeden Fall noch befassen. Aber vorher gibt es noch etwas anderes, was ich tun will."
Mit diesen Worten legt Malfoy mir einen Finger unter das Kinn, so dass ich seinem intensiven Blick, der bis in mein Innerstes zu sehen scheint, nicht ausweichen kann, selbst wenn ich es gewollt hätte.
„U-Und was ist es, was du tun willst?" flüstere ich mit belegter Stimme.
„Das hier", sagt Draco lächelnd, bevor er sich mit einer einzigen fließenden Bewegung zu mir herunter beugt und mich küsst.
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