Kapitel 30 - Peeves


„Das darf doch wohl nicht wahr sein! Peeves, lass uns sofort hier raus! Ich werde den blutigen Baron auf dich hetzen, wenn du nicht sofort tust, was ich sage! Und du weißt genau, was der mit dir anstellen wird, also MACH DIE TÜR AUF!"

Malfoys Stimme vibriert vor eisiger Wut und ich bin unglaublich dankbar dafür, dass sich sein Zorn dieses Mal nicht gegen mich richtet. Wirklich, wenn er so rumbrüllt ist er schon ziemlich angsteinflößend.

Im Gegensatz zu mir scheint Peeves jedoch leider nicht sehr beeindruckt von Malfoys Auftreten zu sein.

„Der blutige Baron ist nicht hier, also kann er euch nicht helfen", kichert er von der anderen Seite der Wand aus. „Und außerdem gehörst du nicht mehr zu seinen Lieblingen, Malfoy, du machst mir also keine Angst."

Im nächsten Moment steckt der Poltergeist seinen Kopf mitten durch die Tür und grinst uns böse an. „Schade, dass ihr nicht durch Wände gehen könnt, nicht wahr? Wirklich sehr, sehr ärgerlich!" Mit diesen Worten schlüpft er vollständig durch das Holz und schwebt gelassen an uns vorbei durch das Klassenzimmer.

Ich sehe, wie Malfoy vor Wut die Hände zu Fäusten ballt. Ehrlich gesagt kann ich ihn verstehen, der Tag lief bisher sowieso furchtbar und jetzt müssen wir uns auch noch mit Peeves herumschlagen. Und wenn mich die letzten sieben Jahre eins gelehrt haben, dann, dass der Poltergeist einige fiese Tricks und Gemeinheiten auf Lager hat und er es liebt, sich auf Kosten der Schüler und Lehrer zu amüsieren.

Vorsichtig mustere ich den Geist, der im Gegensatz zum Blutigen Baron oder dem Kopflosen Nick weniger durchsichtig und körperlos wirkt. Generell sieht er für ein Gespenst gar nicht so furchterregend aus: Für einen Mann ist Peeves Gestalt klein, zudem trägt er einen glockenförmigen Hut und eine orangefarbene Fliege, die ebenfalls einen harmlosen Eindruck vermitteln. Aber schon wenn man sein breites, heimtückisches Gesicht und die glühenden Augen näher betrachtet, erkennt man, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen ist.

Wie aufs Stichwort beendet der Poltergeist seinen Rundflug im Klassenraum und rauscht mit einem bösartigen Lächeln zurück in unsere Richtung, bis er circa einen Meter vor uns in der Luft zum Stehen kommt.

Ein Schauer überläuft mich, als ich daran denke, wie ganze Generationen von Hausmeistern bereits erfolglos versucht haben, Peeves vom Schulgelände zu vertreiben. Nein, mit Gewalt werden wir Peeves nicht dazu bringen können, die Tür wieder zu öffnen. Als Poltergeist ist er zwar nicht immun gegen Flüche und Zauber, aber er könnte sich ohne Probleme unsichtbar machen oder einfach verschwinden, bevor wir unseren Zauberstab auch nur gehoben hätten. Ganz zu schweigen davon, dass Peeves uns das Leben ebenfalls ziemlich schwer machen könnte, wenn er es darauf anlegen würde. Im Gegensatz zu normalen Gespenstern sind Poltergeister nämlich in der Lage, in das Leben der Sterblichen einzugreifen, Dinge zu werfen, oder zu zerstören. Seine bösen Scherze können daher auch mal lebensgefährlich ausfallen.

Nein, wenn wir hier raus wollen, müssen wir Peeves irgendwie davon überzeugen, uns die Tür freiwillig zu öffnen. Vielleicht hilft es ja, an sein Mitgefühl und an sein Gewissen zu appellieren? Falls er so etwas überhaupt besitzt.

„Peeves, bitte, lass uns raus. Wir werden dich auch nicht an McGonagall verraten, du wirst also keinen Ärger bekommen. Aber bitte mache die Tür auf, ich muss dringend zu Zauberkunst, und außerdem werden sich meine Freunde sonst noch Sorgen um mich machen", sage ich mit ruhiger Stimme.

„Granger, das kannst du vergessen, diese Mitleidstour zieht bei dem nicht. Glaubst du ernsthaft, er lässt dich raus, wenn du vernünftig mit ihm redest?" Beim Sprechen verdreht Draco die Augen. „Nein, dieses Gespenst versteht nur eine Sprache, und das sind Drohungen. Nicht wahr, Peeves?"

Mit diesen Worten tritt Malfoy einen Schritt näher an den Poltergeist heran.

„Incarcerus!" flüstert er dann, bevor ich auch nur in irgendeiner Art und Weise reagieren kann. Entsetzt schaue ich von Dracos Zauberstab, den er so unfassbar schnell gezogen hat, dass ich es nicht einmal habe kommen sehen, zu Peeves, der dem Fesselfluch mit einem gackernden Lachen nach hinten ausweicht.

„Du hältst dich wohl für ganz schlau, was, Malfoy? Nur weil du ein Todesser warst glaubst du, dich mit jedem anlegen zu können, nicht? Aber mit mir kannst du es nicht aufnehmen, ich bin Peeves, der Poltergeist, und niemand kann mich mit einem lächerlichen kleinen Fesselfluch einfangen!"

Peeves dreht einen Looping in der Luft, bevor er sich blitzschnell direkt vor Dracos Gesicht aufbaut und ihn finster anstarrt.

„Ich hätte euch ja eigentlich die Tür aufgemacht, wenn ihr mich lieb darum gebeten hättet, aber da du so unhöflich zu mir warst, werde ich jetzt einfach verschwinden. Viel Spaß noch!" Mit einem weiteren fiesen Kichern fliegt er kurzerhand an mir und Draco vorbei und verschwindet auf dem gleichen Weg nach draußen, wie er gekommen ist.

Durch die Tür höre ich, wie er sich immer weiter entfernt und dabei leise vor sich hin singt: „Granger und Malfoy verliefen sich im Wald. Es war so finster und auch so bitter kalt. Sie kamen an ein Häuschen und das gehörte Peeves, wann mögen sie wohl daraus entkommen sein."

Seufzend lasse ich mich mit dem Rücken zur Tür zu Boden sinken. „Super gemacht, du Genie. Es war doch klar, dass so etwas passieren würde, wenn du Peeves direkt angreifst. Und jetzt ist er weg und wir sitzen hier fest, bis irgendjemand sich die Mühe macht und nach uns sucht. Und das kann noch Stunden dauern!"

Malfoy schenkt mir als Antwort nur einen genervten Blick, bevor er sich umdreht und den Klassenraum nach einem anderen Ausgang absucht. Aber ich weiß, dass er nichts finden wird: Hier drinnen gibt es kein Fenster, keine andere Tür, keinen Geheimgang. Wir sind hier eingesperrt, und ohne Hilfe werden wir uns nicht befreien können.

Der Gedanke, hier mit Malfoy für eine unbestimmte Zeit festzusitzen, ist mit einem Mal zu viel für mich. Verzweifelt vergrabe ich mein Gesicht in meinen Armen und schaukele mich vor und zurück, um die aufkeimende Panik im Keim zu ersticken. Doch es hilft nichts: Die letzten Tage waren so anstrengend, das mir einfach die Kraft fehlt, um auch noch mit dieser Situation fertig zu werden. Erst Halloween und der Kuss von Ron, dann das emotionale Feuerwerk am See, das mir wieder mal vor Augen geführt hat, wie sehr ich Dobby und Lupin und Fred und alle anderen vermisse, und schließlich Malfoys Beleidigungen mir gegenüber, das Duell und die Explosion unseres Vielsafttrankes. Im Nachhinein erscheint es mir unfassbar, dass das alles in nur vier Tagen passiert sein soll.

Sind wirklich erst vier Tage vergangen, seit ich Malfoy in dem sternenüberdachten Innenhof getroffen habe?

Rein rational betrachtet weiß ich, dass es so ist. Gefühlsmäßig jedoch kommt es mir so vor, als ob seither schon Wochen oder Monate vergangen wären. An Halloween, bei unserem Treffen, bei seiner Offenbarung, dass er McGonagalls Quiz absichtlich gegen mich verloren hat, da habe ich noch geglaubt, dass da mehr zwischen uns sein könnte. Da habe ich noch gehofft, dass auch er etwas für mich empfindet.

Und jetzt...ich weiß auch nicht. Es ist einfach alles schief gelaufen, so furchtbar schief. Wie konnte das nur passieren?!?

Tränen steigen mir in die Augen. Wenn ich daran denke, wie anders sich alles hätte entwickeln können...Ich beiße mir auf die Lippe, um zu verhindern, dass ich hier und jetzt anfange zu weinen. Diese Blöße kann ich mir vor Malfoy auf keinen Fall geben.

Ein paar Minuten, die mir vorkommen wie eine Ewigkeit, sitze ich völlig aufgelöst auf dem Boden und versuche krampfhaft, meine Kontrolle nicht gänzlich zu verlieren. Malfoy schweigt in dieser ganzen Zeit beharrlich, nur ab und zu höre ich, wie er wütend gegen eine Wand schlägt oder leise vor sich hin flucht.

Irgendwann scheint ihm jedoch die Kraft auszugehen, oder er hat endlich eingesehen, dass seine Versuche erfolglos bleiben werden, denn auf einmal fühle ich, wie Draco sich nicht weit von mir an der Wand herabsinken lässt.

So sitzen wir für eine Weile zusammen auf den eiskalten Fliesen, ohne dass einer von uns das Wort ergreift. Ich traue mich außerdem nicht, ihn anzusehen, weil ich befürchte, meine Emotionen immer noch nicht richtig unter Kontrolle zu haben.

Irgendwann höre ich, wie Malfoy noch ein Stück näher an mich heranrutscht. Überrascht erstarre ich, mit angehaltenem Atem warte ich darauf, was als nächstes passiert.

„Es tut mir leid."

Die leisen Worte treffen mich vollkommen unvorbereitet. Ich ersten Moment glaube ich, mich verhört zu haben, denn Malfoy würde sich doch niemals bei mir entschuldigen, oder?

Vorsichtig hebe ich meinen Blick und begegne Malfoys silbergrauen Augen, die mich ernst von der Seite anschauen.

„Ich hätte Peeves nicht attackieren sollen, du hattest Recht. Wegen mir sitzen wir jetzt hier fest und...der Trank ist auch wegen mir explodiert. Also...es...tut mir leid."

Meine Augen weiten sich. Also doch keine Einbildung! Draco Malfoy hat sich gerade tatsächlich bei mir entschuldigt, auch wenn er sein Gesicht dabei in einer Art und Weise verzieht, die mir deutlich zeigt, wie schwer ihm dieses Eingeständnis über die Lippen kommt.

„Ist-Ist schon okay. Peeves hätte uns wahrscheinlich eh nicht rausgelassen. Du kennst ihn doch, er liebt es, anderen das Leben schwer zu machen. Und unser Trank...das war nicht allein deine Schuld. Ich hätte die Baumschlangenhaut schon viel früher in den Kessel geben müssen, aber ich hab es einfach vergessen. Ich weiß auch nicht, wie mir das passieren konnte...naja, es ist einfach blöd gelaufen."

Für einen kurzen Moment schauen wir uns an, und ich fühle, wie sich langsam ein kleines Lächeln in meinem Gesicht ausbreitet. Es ist schön, einfach mal normal und ruhig mit Malfoy zu sprechen, und zum ersten Mal seit langem fühle ich mich in seiner Gegenwart...gut.

Draco scheint es ähnlich zu gehen, denn seine Augen, die in letzter Zeit immer einen eisigen, unnahbaren Ausdruck hatten, schimmern jetzt gerade in einem viel wärmeren Silber, das mich an die funkelnden Sterne von Halloween denken lässt.

Vielleicht ist das der Grund dafür, weshalb mir der nächste Satz herausrutscht, bevor ich es verhindern kann: „Weißt du, es ist so viel zwischen uns passiert, aber...wie wäre es mit einem Waffenstillstand?"

Malfoy starrt mich perplex an, offensichtlich hat er mit einem derartigen Vorschlag überhaupt nicht gerechnet. Dann verzieht sich sein Mund zu einem kleinen, schiefen, wunderschönen Lächeln.

„Waffenstillstand", erwidert er dann und nickt mir zu.

Aus irgendeinem Grund löst dieses einzelne Wort einen Teil der Verzweiflung tief in meiner Brust, so dass ich das Gefühl habe, wieder etwas leichter atmen zu können. Vielleicht ist diese unerträgliche Situation ja doch nicht so unerträglich, wie ich dachte.

„Okay, aber eine Bedingung habe ich: Wenn ich mich richtig erinnere, schuldest du mir noch eine Antwort auf eine Frage", fährt Malfoy fort und grinst mich an, um seinen Worten die Spitze zu nehmen.

„Das war ja klar, dass du gleich wieder Forderungen stellen würdest", sage ich lachend und verdrehe in gespielter Verzweiflung die Augen. „Aber gut, ich spiele mit. Welche Frage soll ich dir denn so unbedingt beantworten?"

Ich hebe meine Augen wieder zu seinem Gesicht und warte gespannt darauf, dass Draco mit der Sprache herausrückt. Seltsamerweise zögert er jedoch, und sein Gesichtsausdruck, der bisher von einem schelmischen Grinsen dominiert wurde, wird mit einem Mal ernst. Und wenn mich das schummerige Licht der Fackeln nicht täuscht, breitet sich sogar eine leichte Röte auf seinen Wangen aus.

Jetzt bin ich aber wirklich gespannt, auf welche Frage Draco so dringend eine Antwort haben will.

Malfoy holt tief Luft und setzt dann zum Sprechen an: „Ist das mit Weasley was Ernstes?"


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top