Kapitel 29 - Feuer und Eis
Mit einem frustrierten Seufzer lasse ich den Stab sinken, mit dem ich die letzten zehn Minuten in unserem Vielsaft-Trank gerührt habe und schaue mich im Klassenzimmer in den Kerkern um. Vor mir, einen Tisch weiter, stehen Harry und Padma Patil und beäugen kritisch ihren Trank, der wohl etwas zu dunkel geraten ist. Bei Ginny und ihrer Partnerin Susan Bones scheint es hingegen besser zu laufen: Professor Slughorns Gesichtsausdruck hellt sich auf, als er ihren Kessel begutachtet und ich höre leise, wie er die beiden für ihre gute Arbeit lobt.
Mein Blick schweift weiter durch den finsteren Kerkerraum, der nur von ein paar Fackeln erhellt wird und der jetzt im November immer eisig kalt ist. Ich verstehe nicht, warum dieser Raum selbst im Winter nicht geheizt wird, denn die feuchte Kälte hier im unterirdisch gelegenen Teil des Schlosses könnte man mithilfe einfach zu beschwörender tragbarer Flammen schnell vertreiben.
Dieses Klassenzimmer ist generell eines der ungemütlichsten von ganz Hogwarts. Neben den unangenehmen Temperaturen wirken auch die eingelegten Kreaturen, die auf einem Regal an der hinteren Wand aufgereiht stehen, sehr abschreckend auf mich.
Die Zaubertrankstunde heute ist aber noch aus anderen Gründen der reinste Horror. Malfoy, der momentan damit beschäftigt ist, ein neues Zweihorn-Horn zu zerkleinern, steht so weit von mir entfernt, wie es der Arbeitstisch zulässt, und bedenkt mich alle zwei Minuten mit eisigen Blicken, die mich jedes Mal vor Unbehagen erschauern lassen. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, beobachtet uns auch noch der gesamte Rest der anwesenden Hogwarts Schüler, auch wenn sie versuchen, es nicht allzu auffällig zu tun. Selbst Professor Slughorn blickt in ziemlich regelmäßigen Abständen neugierig zu uns herüber.
Der Grund dafür liegt auf der Hand: Natürlich hat sich der Ausgang des gestrigen Duells rasend schnell herumgesprochen und seitdem stehen sowohl Malfoy, als auch ich im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses.
Erneut seufze ich entnervt auf. Die ganzen gespannten Blicke, die uns fixieren und die scheinbar nur darauf warten, dass Malfoy und ich uns gegenseitig die Köpfe einschlagen, gehen mir furchtbar auf die Nerven und rauben mir den letzten Rest an Ruhe und Konzentration. Ich fürchte, dass unser Vielsaft-Trank demnächst explodieren wird, wenn das so weiter geht, denn es gelingt mir kaum noch, mich auf das Brauen und die richtige Abfolge beim Umrühren zu fokussieren.
Apropos, ich glaube, ich hätte schon längst die nächste Zutat hinzugeben müssen.
Schnell fahre ich mit dem Finger über die Seiten des Zaubertrankbuchs, bis ich die Stelle wiederfinde, an der das weitere Vorgehen beschrieben wird. Ja, verdammt, ich hatte Recht. Die Baumschlangenhaut hätte eigentlich direkt nach dem letzten Umrühren in den Trank gemusst. Ich hoffe nur, dass die Qualität unseres Tranks durch meinen Fehler nicht allzu sehr beeinträchtigt wird, denn ansonsten müsste ich mal wieder hämische Kommentare von Malfoy ertragen, die unglücklicherweise auch noch berechtigt wären.
„Malfoy, kannst du mir bitte die Baumschlangenhaut reichen?"
Die sturmgrauen Augen, die bisher auf das Zweihorn-Horn fixiert waren, visieren nun mein Gesicht an. Wieder einmal überläuft mich ein Schauer, diesen Mal jedoch nicht nur aus reinem Unbehagen.
Hermine, was ist los mit dir?!? Hast du aus der letzten Woche gar nichts gelernt?
Nein, offensichtlich nicht.
„Hol es dir doch selber", erwidert Malfoy mit trügerisch ruhiger Stimme.
Genervt verdrehe ich die Augen. „Wie hilfsbereit du mal wieder bist", fahre ich ihn an. Ehrlich, diese Machtspielchen regen mich langsam wirklich auf. „Nur, weil du das Duell gestern verloren hast, musst du dich nicht wie ein schlechter Verlierer benehmen. Du hast dich mir gegenüber schließlich als erstes wie ein Arsch verhalten, schon vergessen?"
Der blonde Slytherin wirft mir einen weiteren überheblichen Blick zu, bevor er sich wieder dem Horn widmet und mich vollkommen ignoriert.
Tief atme ich ein, um mich zu beruhigen und Malfoys provozierende Art nicht an mich heranzulassen. Er will offenbar Spielchen spielen, aber ich weigere mich, da mitzumachen. Dieses Kindergartenverhalten ist mir einfach zu blöd. Deshalb bewege ich mich auf Dracos Seite des Tisches zu, um die benötigte Zutat selbst zu holen und in den Kessel zu werfen.
Nach ein paar Schritten zur linken Seite strecke ich die Hand aus, um die Schüssel mit der Schlangenhaut an mich zu nehmen, doch kurz bevor meine Fingerspitzen das Gefäß berühren, schnappt Malfoy es mir vor der Nase weg.
Vollkommen überrascht starre ich den Punkt an, an dem die Baumschlangenhaut gerade eben noch lag und fixiere dann Malfoy, der mich arrogant angrinst.
„Du willst die Schlangenhaut, Granger? Nun ja, bevor du sie bekommst, musst du erst etwas für mich tun."
Meine Augen verengen sich zu Schlitzen. Dieser miese Slytherin, was hat er jetzt wieder vor? So wie ich ihn kenne, wird es mir vermutlich nicht gefallen.
„Lass den Mist. Die Zutat hätte schon längst in den Vielsaft-Trank gegeben werden müssen, du versaust noch unseren Trank. Und warst du nicht derjenige, der so um seine Note in diesem Fach besorgt war?" zische ich ihn entnervt an.
„Tja, Granger, meine Prioritäten haben sich etwas verschoben. Meine Noten sind mir nicht mehr so wichtig, weißt du? Jetzt gerade will ich einfach nur das Versprechen einlösen, was ich dir schon im Hogwarts Express gegeben habe. Du erinnerst dich doch sicher noch daran, oder?"
Sein fieses Grinsen macht mir tatsächlich etwas Angst, auch wenn ich das nur ungern zugebe.
„Jedenfalls, zurück zum Thema. Seit gestern lacht die ganze Schule über mich, und weißt du, wer daran schuld ist? Ganz genau: DU! Deshalb wirst du die Baumschlangenhaut nur bekommen, wenn du genau das tust, was ich dir jetzt sage. Hast du mich verstanden?"
Beim letzten Satz nimmt seine Stimme einen sanften, verführerischen Tonfall an, der mich allerdings nicht täuschen kann. Malfoy hat irgendetwas unglaublich Fieses geplant und wenn ich unseren Trank noch retten will, muss ich leider Gottes tun, was er sagt.
„Was willst du?", frage ich ihn und lege dabei so viel Verachtung in meine Stimme, wie ich aufbringen kann.
„Hm, mal sehen, was könnte ich denn von dir haben wollen?" Sein Blick wandert mit einem anzüglichen Grinsen über meinen Körper.
„Das kannst du vergessen, Malfoy", fahre ich ihn an, kann jedoch nicht verhindern, dass mir dabei das Blut in den Kopf schießt.
„Nein, Granger, keine Sorge, ich weiß etwas Besseres. Du kannst die Baumschlangenhaut haben, wenn du mir eine Frage beantwortest."
Vollkommen irritiert und überrascht starre ich ihn an. Ich hätte ja mit Vielem gerechnet, aber damit? Das scheint mir zu einfach zu sein.
Ohne dass ich es verhindern könnte, entschlüpft mir ein kurzes, angestrengtes Lachen. „Klar Malfoy. Sehr witzig. Also, was willst du wirklich?"
„Das war kein Witz Granger, ich werde dir eine Frage stellen, und wenn du sie ehrlich beantwortest, gebe ich dir die blöde Schlangenhaut für den Trank."
Ungläubig schaue ich Malfoy an, suche in seinem Gesicht nach Anzeichen dafür, dass er mich gerade hinters Licht führen will. Doch ich finde nichts: Überraschend ernst hält er meinem Blick und meiner Musterung stand.
„Okay. Was willst du wissen?", erwidere ich dann, immer noch nicht vollkommen überzeugt.
Malfoy lächelt und setzt gerade zum Sprechen an, als es hinter mir plötzlich einen furchtbar lauten Knall gibt. Unser Kessel, der unbeaufsichtigt vor sich hin geköchelt hat, explodiert in einer riesigen Rauchwolke und spuckt schwarze Reste unseres verkohlten Vielsaft-Trankes auf den Tisch und den umliegenden Boden. Wie erstarrt drehe ich mich langsam um und kann doch nichts weiter tun, als die Überreste unseres Werkes, die weiterhin aus dem Kessel fließen, ungläubig zu beobachten.
„MISS GRANGER! MISTER MALFOY! WAS IST DENN HIER LOS?"
Professor Slughorn kommt mit überraschend schnellen Schritten in unsere Richtung gelaufen. Sein hochrotes Gesicht lässt vermuten, dass wir ziemlich in Schwierigkeiten stecken.
„WIE KONNTE DAS PASSIEREN? GERADE VON IHNEN BEIDEN HÄTTE ICH MEHR ERWARTET! DIE ARBEIT EINES HALBEN MONATS IST IM EIMER!"
Ohne die Stimme zu senken brüllt unser Professor für Zaubertränke uns weiterhin an, obwohl er mittlerweile vor uns zum Stehen gekommen ist und wir ihn ohne Probleme auch so verstanden hätten.
Beschämt blicke ich zu Boden. Ein solch katastrophales Missgeschick ist mir beim Brauen von Zaubertränken noch nie passiert. Und wer ist mal wieder schuld an der Misere? Natürlich Malfoy!
„E-es tut uns Leid, Professor. Das war ein Versehen und wird nie wieder vorkommen! Natürlich werden wir sofort einen neuen Zaubertrank anfangen und..."
Professor Slughorn lässt mich nicht einmal ausreden.
„Ohja, das werden Sie tun. Sie werden diese Sauerei hier außerdem sofort beseitigen und die nächste Woche jeden Tag zum Nachsitzen erscheinen! Ihre Note wird natürlich auch entsprechend angepasst werden, das sollte Ihnen klar sein! Und jetzt los, hopp hopp, der Tisch und der Boden reinigen sich nicht von selber!"
Mit einem weiteren strengen Blick dreht Professor Slughorn sich auf dem Absatz um und rauscht wieder zurück zu seinem Pult.
Ich stöhne frustriert auf: Eine ganze Woche Nachsitzen, und dann auch noch mit Malfoy. Kann mich bitte jemand aus diesem Albtraum erlösen?!?
Wütend schaue ich mich nach dem blonden Slytherin um, der für alle meine Probleme verantwortlich ist, aber er schaut nur genauso angenervt zurück. Wortlos beginne ich damit, das entstandene Chaos aufzuräumen, und immerhin fängt Malfoy nur wenige Augenblicke später an, mir zu helfen.
In diesem Moment ertönt die Schulglocke, die das Ende der Stunde ankündigt. Während alle anderen Schüler ihre Sachen zusammen packen, uns mitleidige Blicke zuwerfen und den Klassenraum nach und nach verlassen, bleiben Draco und ich vollkommen alleine zurück. Selbst Slughorn geht, ohne uns weiter zu beachten.
Nach ein paar weiteren Minuten des Schweigens kann ich mich nicht mehr beherrschen: „Das hast du ja ganz toll hinbekommen, Malfoy! Unser Trank ist ruiniert, wir bekommen beide eine schlechte Note, und was am allerschlimmsten ist – wir haben jetzt eine Woche Nachhilfe zusammen! Wirklich, ganz toll! Und wofür das alles? Für eine Frage, die ich dir eh nicht beantworten werde!"
„Halt den Mund Granger, und räum einfach auf! Ich habe keinen Bock, mir jetzt auch noch deine Vorwürfe anzuhören!", faucht Malfoy mit zusammengebissenen Zähnen zurück.
Kurz bin ich versucht, ihm Ginnys Flederwichtfluch doch noch auf den Hals zu hetzen, aber ich kann mich gerade noch beherrschen. Noch mehr Ärger kann ich wirklich nicht gebrauchen.
„Sprich nicht so mit mir!" fahre ich ihn schließlich nur an.
Er wirft mir einen finsteren Blick zu, verkneift sich aber die Antwort, die ich trotzdem deutlich von seinem Gesicht ablesen kann.
So ein Idiot!
Nach weiteren zwanzig Minuten sind wir endlich fertig damit, den Tisch zu schrubben, die verkohlten Überreste vom Boden zu kratzen und den Kessel wieder auf Hochglanz zu polieren. Mit einem erleichterten Seufzer schnappe ich mir meine Tasche und meine Bücher, um diesen verfluchten Klassenraum und insbesondere Malfoy so schnell wie möglich hinter mir zu lassen.
Mit schnellen Schritten gehe ich in Richtung Tür, greife nach dem Knauf, drehe ihn und...erkenne, dass abgeschlossen ist.
Das darf doch wohl nicht wahr sein!
Genervt krame ich in meiner Umhängetasche nach meinem Zauberstab. Als ich ihn endlich in dem Chaos aus Pergament, Federkielen und anderen Schulutensilien entdecke, murmele ich ein erleichtertes „Alohomora".
Doch...nichts passiert. Die Tür springt nicht auf, bewegt sich keinen Millimeter, obwohl dieser Zauber eigentlich in jedem Fall funktioniert haben müsste. Verzweifelt rüttele ich am Türknauf, aber auch das hilft nichts.
„Granger, was machst du da? Bist du zu doof, die Tür zu öffnen?"
Malfoys Provokation gibt mir den Rest. Vollkommen fertig mit den Nerven wirbele ich herum und bemerke dabei, wie nah Draco eigentlich hinter mir steht. „Wenn du glaubst, dass du es besser kannst, dann mach die Tür doch selbst auf!", zische ich ihn an, und trete dann einen Schritt zur Seite, um den neunmalklugen Slytherin vorbeizulassen.
Auch Malfoy versucht zuerst, die Tür einfach mit der Hand zu öffnen. Als sich der Knauf nicht drehen lässt, zückt er stirnrunzelnd seinen Zauberstab, um denselben Entriegelungszauber anzuwenden, den auch ich schon probiert habe.
„Das klappt nicht", murmele ich. Als Draco realisiert, dass ich Recht habe, beginnt er, wütend gegen die Tür zu hämmern.
„He, das ist nicht witzig! Wer auch immer das war: Mach sofort die Tür auf! Sonst wird dir das Ganze sehr leid tun, das verspreche ich dir!"
Gespannt halte ich die Luft an und warte auf eine Reaktion. Zunächst passiert gar nichts, aber dann höre ich ein gackerndes, boshaftes Lachen, das mir die Haare zu Berge stehen lässt. Dieses fiese Geräusch würde ich überall wiedererkennen, obwohl ich es schon seit der Schlacht um Hogwarts nicht mehr gehört habe. Es gehört zu einem der heimtückischsten Wesen der Schule, das es schon seit ewigen Zeiten auf Chaos und Katastrophen abgesehen hat: Dem Poltergeist Peeves.
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