Kapitel 28 - Schadenfreude


„Bei Merlins Bart, du hast Malfoy echt fertig gemacht! Ich hätte dir ja viel zugetraut, aber der Schachzug mit dem Buch war einfach nur genial! Und sein überraschter Gesichtsausdruck am Ende, das war...d-das war..."

Prustend vor Lachen schafft Ginny es kaum, den Satz zu beenden. Nach Luft schnappend versucht sie, sich zu beruhigen, aber es dauert einige Augenblicke, bis sie fortfahren kann. „Hermine, du bist meine Heldin. Ernsthaft! Malfoy hat es so verdient, zu verlieren! Irgendwer musste ihn mal von seinem hohen Ross runter holen, das war wirklich bitter nötig, gerade nach...naja, du weißt schon."

An dieser Stelle unterbricht sie sich und wirft Harry einen kurzen Blick zu, der etwas verwirrt neben ihr auf der Bank vor dem Gryffindor Tisch sitzt. „Also, ich hatte jedenfalls gehofft, dass ich gegen ihn kämpfen würde. Dann hätte ich ihm ein paar richtig schöne Flüche und Verwünschungen an den Hals gehext, das kannst du glauben! Aber dir dabei zuzusehen, wie du ihn vor der ganzen Klasse k.o. haust, das war noch viel besser! Ich hätte nie gedacht, dass er so spektakulär verlieren würde, er ist und bleibt immerhin Malfoy, und Slytherins haben ja bekanntlich einige fiese Tricks und unfaire Flüche in ihrem Repertoire. Als die Schlange in der Luft aufgetaucht ist, da hab ich zum Beispiel fast einen Herzinfarkt bekommen! Ganz kurz hab ich sogar befürchtet, dass er damit gewinnen würde, vor allem als die Kobra dich in der Luft fast gebissen hätte! Aber natürlich hatte er in Wirklichkeit keine Chance gegen dich, wie auch, du bist schließlich Hermine Granger! Und...und...du hast ihn mit einem Buch schachmatt gesetzt!"

An dieser Stelle fängt Ginny erneut an zu lachen.

Ich lasse mich von ihrer guten Laune anstecken und lächle ihr zu, bevor mein Blick von unserem Platz in der großen Halle rüber zum Slytherin Tisch gleitet, an dem ein etwas lädierter Malfoy sitzt.

Ohja, Draco musste in unserem Duell einiges einstecken.

Nach seinem Zusammenbruch am Ende unseres Wettstreits musste er von Professor Demby in den Krankenflügel geschafft werden, damit Madame Pomfrey ihn wieder aufpäppeln konnte. Währenddessen durfte keiner von uns anderen den Klassenraum verlassen und als Demby nach zehn Minuten zurückkehrte, musste ich mir eine fünfminütige Strafpredigt von unserem Professor für Verteidigung gegen die dunklen Künste anhören, die unglücklicherweise jeder Anwesende mithören konnte. Demby betonte dabei immer wieder, wie wenig begeistert er über den Ausgang des Wettkampfes war, aber immerhin wurden mir diesmal keine Hauspunkte abgezogen (Merlin sei Dank!). Es war mir allerdings auch so furchtbar unangenehm, von einem Lehrer derart gerügt zu werden, insbesondere vor der versammelten Klasse.

Und ja, es ist natürlich unschön, dass Malfoy wegen mir im Krankflügel behandelt werden musste. Auf der anderen Seite hat er, so weit ich weiß, keine bleibenden Schäden zurückbehalten, daher habe ich Dembys Regeln eigentlich nicht gebrochen.

„Ginny, dich und Malfoy hätte ich auch gerne in einem Duell gesehen. Deine Flederwichtflüche wären da genau das Richtige gewesen, findest du nicht? Kleine Bösewichte mit Fledermausflügeln, die Malfoy überfallen und ihn übel zurichten... Ich wette, am Ende hätte er um Gnade gewinselt, damit du aufhörst! Ohja, das hätte ich liebend gern erlebt", wirft Dean, der in diesem Moment mir gegenüber Platz nimmt, mit einem gehässigen Gesichtsausdruck ein. Offensichtlich hat er immer noch daran zu knabbern, dass Draco ihn in der zweiten Runde mit einem ungesagten Stupor außer Gefecht gesetzt hat.

Bei der Vorstellung, wie der blonde Slytherin versucht, vor Ginnys Flüchen zu flüchten, muss auch Seamus grinsen, der zusammen mit Dean zu uns gestoßen ist. „Stimmt, das wäre der Hammer gewesen! Ich habe erst einmal mitbekommen, wie Ginny jemanden verhext hat, aber derjenige sah danach überhaupt nicht gut aus!"

Harry, der bisher still neben uns gesessen hat, schaltet sich auf einmal stirnrunzelnd ein: „Also, ich weiß ja, dass wir noch nie große Malfoy Fans waren. Aber warum hassen wir ihn jetzt gerade so sehr?"

Ginny und ich tauschen einen Blick.

Harry und der Rest haben von dem ganzen Drama um Malfoy nichts mitbekommen und wenn es nach mir geht, kann das auch ruhig so bleiben. Es ist mir auch so schon unangenehm genug, dass überhaupt jemand von meinen Freunden über meine Gefühle für diesen...naja, Mistkerl, Bescheid weiß und momentan sitzen viel zu viele Leute am Tisch, um dieses Thema anzuschneiden.

Ginny versteht meinen verzweifelten Blick und mein stummes Signal natürlich sofort. „Ach, er ist einfach ein Arsch. Du weißt doch, wie er Hermine immer behandelt hat, nur weil ihre Eltern keine Reinblüter sind. Man braucht also keinen besonderen Grund, um sich über seine Niederlage zu freuen. Ein bisschen Schadenfreude ist da schon angemessen."

„Genau", stimmt Ron, der bisher mit gesenktem Kopf neben Harry saß, seiner Schwester zu. „Malfoy ist so arrogant, hinterhältig und heuchlerisch, da ist es doch klar, dass man ihm einen Sieg nicht gönnt."

Harrys Blick wandert zwischen mir und Ginny hin und her. Die Argumentation scheint ihn nicht vollkommen überzeugt zu haben, vielleicht ahnt er schon, dass mehr dahinter steckt, als bisher gesagt wurde. Er reitet jedoch nicht weiter auf dem Thema rum, und dafür bin ich ihm unendlich dankbar. „Aha. Na dann. Du warst jedenfalls wirklich gut, Mine. Seit unseren letzten Kämpfen gegen die Todesser hast du dich echt nochmal gesteigert! Ich möchte wirklich nicht auf der falschen Seite stehen, wenn du mal ernsthaft wütend wirst."

Verschmitzt zwinkert er mir zu.

„Danke, Harry", entgegne ich lachend. Dabei fällt mir ein, dass es noch eine Sache gibt, die ich ihn und Ginny schon die ganze Zeit fragen wollte.

„Wie lief eigentlich euer Duell? Irgendwie hat keiner mehr darüber gesprochen, nachdem Malfoy abtransportiert wurde und da ich zu sehr mit unserem Kampf beschäftigt war, habe ich von eurem gar nichts mitbekommen. Wer hat denn bei euch beiden gewonnen?"

„Äh, naja", grinst Ginny, „ehrlich gesagt hat niemand auf uns beide geachtet, weil alle dir und Malfoy zugeschaut haben. Selbst Professor Demby hat nicht ein Mal in unsere Richtung geblickt! Also haben wir uns gar nicht wirklich duelliert, sondern am Anfang nur so getan. Ich könnte Harry sowieso nicht bekämpfen oder ihm wehtun, das würde sich einfach nicht richtig anfühlen. Irgendwann haben wir dann nicht mal mehr vorgespielt, uns zu attackieren, sondern auch dir und Malfoy zugesehen. Nachher haben wir dann einfach behauptet, es wäre unentschieden ausgegangen, aber wirklich interessiert hat das sowieso niemanden."

„Du und Malfoy, ihr wart einfach interessanter", fügt Harry hinzu. „Eure ungesagten Zauber waren aber auch wirklich gut, fast wie aus dem Lehrbuch!"

„Ach Quatsch, so toll oder spannend war unser Duell auch nicht", murmele ich etwas peinlich berührt, obwohl mich Harrys Kompliment über meine unausgesprochenen Flüche freut.

Seamus, der mir schräg gegenüber sitzt, beugt sich ein bisschen weiter vor: „Doch, Hermine, euer Duell war auf jeden Fall DAS Duell des Tages! Ist ja auch klar, jeder wollte sehen, wie Malfoy, das Frettchen, mal so richtig bloßgestellt wird. Und das Beste ist: Genau das ist auch passiert!"

Lachend füllt er seinen Teller, der schon ziemlich beladen aussieht, mit weiteren Speisen von unserem Tisch.

Ich schaue runter auf mein Essen, das eigentlich wirklich köstlich ist, aber irgendwie vergeht mir gerade der Appetit. Alle reiten so gehässig auf Malfoys Niederlage rum, und obwohl ich ihn auch büßen lassen wollte, wird mir das langsam etwas zu viel. Diese übermäßige Schadenfreue ist einfach...eklig. Angewidert schiebe ich meinen Teller ein Stück von mir weg, da der Geruch des Essens leichte Übelkeit in mir auszulösen beginnt.

Plötzlich tippt mir jemand von hinten auf die Schulter. Überrascht drehe ich mich um und blicke in das Gesicht eines großen, attraktiv aussehenden Jungen, dessen Gesicht von hellbraunen Haaren umrahmt und von einem warmen Lächeln dominiert wird.

„Hermine, richtig? Ich bin Henry, aus Hufflepuff. Wahrscheinlich wunderst du dich, warum ich dich anspreche, denn eigentlich kennen wir uns nicht wirklich. Aber, naja, in unserem Gemeinschaftsraum geht das Gerücht um, dass du Malfoy heute in den Krankenflügel befördert hast und...Ich konnte es erst gar nicht glauben, aber Justin Finch-Fletchey hat geschworen, dass es stimmt! Also jedenfalls,...naja", mit einer schüchternen, aber gleichzeitig anziehend wirkenden Geste streicht er sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Dann fährt er mit seiner sanften Stimme, die jeden am Tisch sofort in ihren Bann gezogen hat, fort: „Wie gesagt, eigentlich wollte ich dich nur beglückwünschen und dir sagen, dass dieser Idiot jeden einzelnen Fluch verdient hat!"

Mit einem letzten strahlenden Lächeln dreht Henry aus Hufflepuff sich um und verlässt den Gryffindor Tisch in Richtung seines eigenen Haustisches. Ich bleibe mit einem komischen Gefühl im Magen zurück.

„Das hat sich ja schnell rumgesprochen", sagt Dean mit einem schadenfrohen Unterton in der Stimme. „Spätestens morgen ist Malfoy das Gespött der ganzen Schule!"

Bei diesen Worten wird mir auf einmal richtig schlecht. So schnell, dass ich fast meinen Teller und meinen Becher umgeworfen hätte, springe ich auf und schnappe mir meinen Zauberstab und meinen Umhang, die neben mir auf der Bank liegen. Ich muss hier einfach weg!

Meine Freunde schauen mich erstaunt an, aber ich habe keine Lust, ihnen meinen überstürzten Abgang zu erklären. Ich verstehe außerdem selbst nicht ganz genau, was auf einmal mit mir los ist.

Nur in einer einzigen Sache bin ich mir vollkommen sicher: Ich ertrage kein einziges hämisches Wort mehr über mich, Draco, oder das Duell. Warum? Ich habe keinen blassen Schimmer.

Mit schnellen Schritten, fast rennend, bewege ich mich in Richtung Ausgang.

Eigentlich müsste ich mich doch darüber freuen, dass ich Malfoy sein gemeines Verhalten zurückgezahlt habe und seine Niederlage mittlerweile Gesprächsthema der ganzen Schule ist. Eigentlich sollte ich dort hinten mit meinen Freunden sitzen und darüber lachen, dass Malfoy endlich einmal selbst erlebt, wie es ist, gedemütigt zu werden.

Aber irgendwie...fühle ich auf einmal nur noch Leere in mir. Leere, und das Gefühl, dass das hier, die ganze Situation, alles, was seit Halloween zwischen mir und Malfoy passiert ist, einfach nur falsch ist.

Ja, Draco hat Dinge gesagt und getan, die mich unglaublich verletzt haben. Dinge, die ich nicht einfach vergeben und vergessen kann. Dinge, die von jetzt an zwischen uns stehen werden, egal, was in Zukunft noch passiert.

Aber trotzdem ist es nicht richtig, dass er jetzt von ganz Hogwarts ausgelacht und verspottet wird. Niemand sollte in einer solchen Art und Weise behandelt werden, nicht einmal jemand, der in der Vergangenheit genau das Gleiche anderen angetan hat. Denn wenn wir nun dasselbe tun, wenn wir Malfoy genauso behandeln, wie er uns behandelt hat, können wir dann von uns behaupten, bessere Menschen zu sein? Bin ICH überhaupt ein besserer Mensch als Draco Malfoy, wenn ich jetzt über ihn lache?

Nein, ich glaube nicht.

Ja, ich freue mich, dass ich gestern gewonnen habe, und das ist auch völlig legitim. Ich habe Malfoy immerhin in einem fairen Kampf besiegt. Aber diese Lästereien, das Runtermachen, die Häme, das ist nicht okay. Daran möchte ich mich nicht beteiligen. Denn selbst, wenn es stimmt und alles Nette und Gute, das ich in den letzten Wochen in Malfoy zu sehen glaubte, nur Schwindel war, wenn alle Berührungen von ihm nur aus berechnendem Kalkül entstanden und wenn alles Magische zwischen uns nur in meiner Einbildung passierte: Selbst dann ist es nicht richtig, ihm sein Verhalten mit gleicher Münze heimzuzahlen.

Auf keinen Fall.

An der Tür der großen Halle angekommen, stoppe ich noch einmal und werfe einen Blick zurück zu den vier großen Haustischen. Die verzauberte Decke der großen Halle spiegelt heute das stürmische Herbstwetter und die grauen Wolken wider, die der kalte November mit sich bringt. Leise seufze ich auf: Irgendwie passt die Jahreszeit mit ihrem düsteren Wetter zu meiner aktuellen, eher gedrückten Stimmung.

Mein Blick schweift weiter, über den Gryffindor Tisch zu meinen Freunden und dann, ohne dass ich es verhindern könnte, zu Malfoys zusammengesunkener Gestalt an der Slytherin Tafel, die nur wenige Meter von der Eingangstür entfernt steht. Ich weiß, dass ich lieber gehen sollte, bevor Malfoy mich bemerkt, aber ich schaffe es nicht, mich umzudrehen...und plötzlich ist es zu spät. Die silbergrauen Augen, die mich seit Wochen in ihren Bann ziehen, finden meinen Blick und halten ihn fest. In diesem Moment erkenne ich überrascht, dass ein Teil meiner Wut, meiner Trauer und meines Schmerzes, die ich vor dem Duell noch verspürt habe, verraucht ist. Natürlich bin ich immer noch furchtbar wütend über seine Beleidigungen und sein verletzendes Verhalten mir gegenüber, aber die Emotionen sind längst nicht mehr so stark und überwältigend wie zuvor. Und auch in Malfoys Augen sehe ich nicht mehr annähernd so viel Kälte und Abneigung schimmern, obwohl er jetzt doch noch mehr Gründe haben müsste, mich zu hassen. Etwas verwirrt suche ich in seinem Blick nach einer Erklärung für diese Veränderung, doch ich finde nichts.

Zwei, drei Minuten, die mir viel länger vorkommen, starren wir uns gegenseitig an, bevor ein anderer Slytherin Schüler aufsteht und dabei Dracos Gesicht verdeckt. Dieser winzige Augenblick reicht aus, um den Bann zu brechen: Fluchtartig drehe ich mich um und renne aus der großen Halle.

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