Kapitel 26 - Herz über Kopf

RRRIIIINGGG

Das laute Geräusch des magischen Weckers reißt mich aus meinem unruhigen Schlaf. Stöhnend drehe ich mich auf die andere Seite und presse mir die Hände auf die Ohren. Am liebsten würde ich einfach in meinem kuscheligen Bett bleiben, den Wecker gegen die Wand schmeißen und die Erinnerungen an gestern für immer aus meinem Gedächtnis streichen. Aber leider geht das nicht.

Heute ist Montag und damit wartet in zwei Stunden eine Unterrichtsstunde Verteidigung gegen die dunklen Künste auf mich, die ich nicht verpassen darf. Außerdem kann ich mich ja eh nicht für den Rest des Schuljahres in meinem Schlafsaal verkriechen, deshalb kann ich die unvermeidliche Begegnung mit Malfoy auch gleich heute hinter mich bringen. Der bloße Gedanke daran macht mich allerdings ganz krank. Wie soll ich es nur ertragen, ihm jemals wieder ins Gesicht zu sehen? Seine Stimme zu hören? Mit ihm zusammen zu arbeiten?

Kraftlos und erschöpft schiebe ich mich ein Stück nach oben, bis es mir gelingt, mich aufzusetzen. Ohje, ich fühle mich gar nicht gut. Meine Augen brennen, mein Kopf tut weh und meine Gliedmaßen schmerzen, als ob mich etwas überfahren hätte. Oder eher: JEMAND.

Ich atme einmal tief ein, um Kraft zu schöpfen und ziehe mich dann auf die Beine. Mit schwankenden Schritten taumele ich in Richtung unseres Bads, das ich mir mit Ginny und zwei anderen Gryffindors teile. Dort angekommen seufze ich erleichtert auf.

Der Blick in den Spiegel lässt das Seufzen allerdings schnell in ein entsetztes Aufstöhnen umschlagen. Ich sehe wirklich furchtbar aus! Meine Haare stehen in alle Richtungen von meinem Kopf ab, meine Augen sind zugeschwollen und meine Haut rot und fleckig.

„Tergeo" murmele ich und spüre im nächsten Moment, wie mein Gesicht von den Spuren der Tränen gereinigt wird und meine Augen etwas abschwellen. Ein weiterer schneller Zauber glättet meine Haare so weit, bis sie sich in einem einigermaßen gepflegten Zustand befinden. Trotzdem sehe ich immer noch...fertig aus.

Tja, besser wirst du das wohl nicht hinbekommen! denke ich schulterzuckend. Immerhin sieht man mir nicht mehr direkt an, dass ich mir gestern stundenlang die Augen aus dem Kopf geheult habe und das ist doch schon mal was.

Als ich wieder in den Schlafsaal zurückkehre, wartet dort schon eine besorgte Ginny auf mich.

„Hermine, willst du dich heute nicht einfach krank melden? Madame Pomfrey würde es bestimmt verstehen, dass du einen freien Tag brauchst, wenn du ihr die ganze Geschichte erzählst. Ich meine, jeder braucht doch mal eine Auszeit, wenn es ihm schlecht geht. Also, was sagst du? Wir könnten direkt zum Krankenflügel gehen, dann musst du nicht mal mit in die große Halle kommen."

Warm lächle ich sie an. „Nein danke, Ginny. Ich werde Malfoy eh früher oder später über den Weg laufen, das lässt sich nicht verhindern. Deshalb bringe ich es lieber jetzt schon hinter mich. Außerdem lasse ich mir von ihm weder den Unterricht kaputt machen, noch soll er merken, wie sehr er mich verletzt hat. Oh nein, er soll auf gar keinen Fall mitbekommen, wie schlecht es mir wegen ihm ging! Deshalb werde ich heute einfach so tun, als wäre alles ganz normal und total super. Das kriege ich schon hin. Und vielleicht üben wir nachher in Verteidigung gegen die dunklen Künste ja sogar ein paar schöne Flüche, die ich ganz aus Versehen auf ihn hetzen kann."

In Ginnys Augen glimmt ein teuflisches Funkeln auf.

„Okay, also dann, auf in den Kampf!" erwidert sie grinsend.

Oh ja, Malfoy, du kannst dich auf einiges gefasst machen!

Entschlossen straffe ich den Rücken.

Knappe 90 Minuten später betrete ich mit Harry, Ginny und Ron das Klassenzimmer für Verteidigung gegen die dunklen Künste. Harry und Ron erzähle ich natürlich nichts von Malfoy oder der katastrophalen Begegnung gestern. Da aber keiner von beiden mein etwas ramponiertes Aussehen anspricht, kann mein Erscheinungsbild nicht so schrecklich sein, wie ich befürchtet hatte. Ron meidet seit Halloween allerdings sowieso meinen Blick, deshalb könnte es ihm auch einfach entgangen sein.

Beim Gedanken an den unfreiwilligen Kuss verdrehe ich die Augen. Auch vier Tage später hat Ron offensichtlich noch nicht genug Courage gefunden, um sich bei mir zu entschuldigen. Langsam finde ich es tatsächlich etwas klein und feige von ihm, dass er sich lieber hinter seinem Schweigen versteckt, anstatt einzugestehen, dass er Mist gebaut hat.

Ich meine, ehrlich jetzt, ist es so schwierig zu sagen „es tut mir leid"?!?

Bei Betreten des Klassenraums erblicke ich als erstes Malfoys große, schlanke Gestalt, die mit dem Rücken zu mir an einer Wand lehnt.

Sofort beschleunigt sich meine Atmung und mit einem Schlag wirken meine Probleme mit Ron winzig, unbedeutend, nicht einmal erwähnenswert. Neben dem, was Draco mir angetan hat, ist Rons Verhalten an Halloween aber auch wirklich ein Witz. Er hat sich vielleicht daneben benommen, aber Draco hat mein Herz gebrochen.

Was mich jedoch richtig ärgert, ist die Tatsache, dass Malfoys bloße Anwesenheit mein kaputtes Herz immer noch schneller schlagen lässt. Ich meine, was ist denn nur los mit mir?!? Wie kann es sein, dass ich immer noch so stark auf Draco reagiere? Bin ich wirklich so dumm, dass ich nach dem Desaster gestern weiterhin Gefühle für ihn habe? Wieso zur Hölle sehnt sich mein Körper nach wie vor nach seiner Berührung, obwohl er mich wie der letzte Dreck behandelt hat? Und warum kann ich die leise Stimme in meinem Hinterkopf nicht abstellen, die mir zuflüstert, wie sehr ich ihn vermisse?

Ohne, dass ich es verhindern könnte, rinnt eine einzelne Träne über meine Wange.

Verdammter Mist! Ich habe mir vorhin noch geschworen, dass ich mich durch Malfoys Anwesenheit nicht aus der Fassung bringen lassen würde! Und jetzt stehe ich schon wieder kurz davor, in Tränen auszubrechen.

Hastig wische ich mir über das Gesicht, um zu verhindern, dass jemand bemerkt, wie es tatsächlich in mir aussieht. Viel bringt das allerdings nicht: Mit jeder Sekunde, die ich Dracos Hinterkopf betrachte, nehmen die Schmerzen in meinem Inneren zu. Jeder Atemzug brennt in meiner Lunge. Jede Bewegung verursacht Schwindel. Und jeder einzelne Herzschlag wird durch einen Stich begleitet, der sich anfühlt, als würde jemand kleine Nägel in meine Brust schlagen.

Ginny, der natürlich aufgefallen ist, wie ich Malfoy anstarre, zieht mich schnell weiter nach vorne. „Ignorier ihn einfach!" flüstert sie mir zu, aber leider ist das leichter gesagt als getan. Trotzdem wende ich den Kopf ab, um Malfoys Anblick wenigstens nicht mehr direkt ertragen zu müssen.

Kurz nachdem wir uns in der ersten Reihe niedergelassen haben, kommt dann auch Professor Demby in den Raum gerauscht, so dass ich glücklicherweise keine Zeit habe, um mir weiterhin den Kopf über Draco Malfoy zu zerbrechen.

„Guten Morgen, liebe Schüler. Für die heutige Stunde möchte ich gerne ein wichtiges Thema vertiefen, das Ihnen auch in den UTZ Prüfungen begegnen kann. Ich weiß, dass es zum Teil schon in vorangegangenen Jahren Thema war, aber ungesagte Zauber sind sehr schwierig zu praktizieren und noch schwieriger abzuwehren, daher erscheint es mir sinnvoll zu sein, diese Art der Duellierung noch einmal zu üben. Um die ganze Sache etwas spannender zu gestalten, werden wir heute eine Art Wettkampf daraus machen. Der Ablauf wird dabei folgendermaßen aussehen: Es werden immer zwei von Ihnen gegeneinander antreten, um sich zu duellieren. Der Gewinner eines Duells gelangt in die nächste Runde, in der er auf einen neuen Gegner treffen wird, bis schließlich nur noch zwei übrig sind, die den Sieg dann unter sich ausmachen werden. Der Sieger des Gesamt-Wettkampfes kann sich natürlich auf einen Preis freuen: 20 Hauspunkte stehen als Trophäe zur Verfügung!"

Aufgeregt klatscht Professor Demby in die Hände und auch auf meinem Gesicht macht sich ein Lächeln breit.

Wir sollen uns also mit nonverbalen Zaubern duellieren? Oh Merlin, das kommt mir gerade richtig gut gelegen! Vielleicht kann ich so einen Teil meiner negativen Emotionen abbauen und mich mal so richtig auspowern! Insgeheim hoffe ich außerdem, dass Malfoy mein Duellpartner wird, damit ich meinen Frust und meinen Ärger an demjenigen auslassen kann, der für all das Chaos in meinem Herzen und in meinem Kopf verantwortlich ist. Und immerhin ist das gar nicht so unwahrscheinlich, oder? Er und ich wurden in letzter Zeit so oft zur Zusammenarbeit im Unterricht eingeteilt, wieso sollte das heute anders sein?

„So, nun lasst uns keine weitere Zeit verlieren!" fährt Demby fort. „Für die erste Runde stellen Sie sich bitte in folgenden Paaren auf: Mister Potter, Sie duellieren sich zunächst mit Mister Weasley. Miss Brown, Ihr Duellpartner wird Mister Thomas sein. Hermine Granger..."

Als ich meinen Namen höre, horche ich auf.

„...Sie treffen als Erstes auf Miss Parkinson."

Bei Merlins Bart, das kann doch wohl nicht wahr sein! Da will ich EINMAL mit Malfoy zusammen aufgerufen werden und dann...so was. Ich atme einmal tief durch, um mich zu beruhigen. Naja, Pansy Parkinson ist auch keine ganz schlechte Alternative. Bei ihr wird es mir immerhin nicht leid tun, wenn ich sie im Duell fertig mache. Und noch ist nicht alles verloren: Malfoy wird seine ersten Duelle bestimmt gewinnen, vielleicht treffe ich also im weiteren Verlauf des Wettkampfs auf ihn.

„...Das letzte Paar für unsere erste Duellrunde setzt sich aus Miss Abbott und Miss Weasley zusammen" beendet Professor Demby in diesem Moment seine Aufzählung. „Bevor Sie anfangen, möchte ich noch einige Grundregeln festlegen. Unverzeihliche Flüche sind natürlich in jedem Fall zu unterlassen, das sollte ja klar sein. Sollte ich mitbekommen, dass einer von Ihnen dennoch einen dieser Flüche verwendet, wird der Betroffene der Schule verwiesen werden, nehmen Sie das also nicht auf die leichte Schulter. Generell gilt: Setzen Sie nur harmlose Zauber ein, die dem Gegenüber keinen bleibenden Schaden zufügen. Haben Sie das verstanden?" Nach einem strengen Blick in die Runde fügt Demby hinzu: „Sehr gut. Also dann, fangen Sie an!"

Sofort beginnen meine Mitschüler, sich in den zugewiesenen Paaren einzufinden und Duell-Stellung einzunehmen. Auch ich stelle mich mit einem grimmigen Lächeln einige Meter von Pansy entfernt auf und zücke meinen Zauberstab.

„Bereit, Granger?" ruft diese mir mit einem höhnischen Grinsen zu, bevor sie ohne Vorwarnung ihren ersten Fluch auf mich schleudert.

Ich nehme an, dass sie mich damit überrumpeln wollte, doch auch wenn es durch die unausgesprochene Zauberformel schwieriger ist, den Fluch zu erkennen, habe ich keine Probleme damit, ihn außer Kraft zu setzen. Mit einer schnellen Drehung meines Handgelenks lenke ich ihren Schockzauber zur Seite und greife dann selbst an.

Leider verfehlt auch mein erster Fluch sein Ziel. Schade, Pansy ist offensichtlich ebenfalls geübt in Duellen und in ungesagten Zaubern.

Naja gut, andererseits wäre ein leichter Sieg sowieso langweilig gewesen. Dann muss ich mich halt ein bisschen mehr anstrengen.

Konzentriert schaue ich auf Pansys Hand, um anhand der Gesten und Bewegungen des Zauberstabs die nächsten Angriffe vorherzusehen. Ihr nächster Zauber verfehlt daher erneut sein Ziel, genauso wie ihr dritter und vierter.

Eine Weile fliegen die Flüche zwischen uns hin und her, ohne Schaden zu verursachen. Doch dann gelingt es der schwarzhaarigen Slytherin-Schülerin nach mehreren Versuchen überraschenderweise, mit ihren Fesselflüchen meinen Protego-Schutzzauber zu durchdringen. Mit einem Sprung zur Seite kann ich gerade noch verhindern, bewegungsunfähig zu werden und das Duell zu verlieren.

Verärgert kneife ich die Augen zusammen: Verdammter Mist, Pansy ist echt eine schwierigere Gegnerin als gedacht! Ich muss wohl besser aufpassen!

Die Tatsache, dass sie mich gerade fast besiegt hätte, spornt mich jedoch nur weiter an. Mit knirschenden Zähnen bemühe ich mich, Pansys Abwehr zu durchdringen, aber so leicht macht sie es mir nicht. Also schwinge ich meinen Zauberstab immer schneller durch die Luft und feuere einen Fluch nach dem anderen auf meine Gegnerin ab, um durch die schiere Anzahl an Angriffen eine Schwachstelle in ihrer Verteidigung zu finden.

Pansy gelingt es erst noch, die Zauber abzuwehren, aber letztendlich ist sie mir nicht gewachsen. Triumphierend juble ich auf, als einer meiner Entwaffnungszauber schließlich ihre Abwehr durchbricht und ihr den Zauberstab aus der Hand schlägt.

„Sehr schön, Miss Granger, damit sind Sie in der nächsten Runde!" gratuliert mir Professor Demby wohlwollend von seinem Pult aus. Lächelnd bedanke ich mich bei ihm und freue mich über meinen Sieg. Pansy sieht hingegen so aus, als würde sie am liebsten den ganzen Klassenraum kurz und klein schlagen.

Neugierig auf den Ausgang der anderen Duelle schaue ich mich im Klassenzimmer um. Neben mir konnten offensichtlich auch Harry, Ginny, Malfoy, Padma Patil, Dean Thomas, Justin Finch-Flechtey und Antony Goldstein ihre Gegner besiegen. Es wird demnach eine spannende zweite Runde werden!

Für den nächsten Durchgang wird mir Antony Goldstein zugeteilt.

Obwohl Antony eigentlich ein geübter Kämpfer ist, läuft dieses Duell sogar noch besser für mich: Schon mein erster Lähmungszauber trifft den blonden Ravenclaw mitten in die Brust, woraufhin er der Länge nach umkippt und geschlagen auf dem Boden liegen bleibt.

Zufrieden lächle ich in mich hinein: Dieser Wettkampf fängt an, mir wirklich Spaß zu machen.

Da ich nach meinem schnellen Sieg nichts mehr zu tun habe, geselle ich mich zu den anderen Zuschauern und beobachte interessiert, wie es Ginny gelingt, Padma Patil zu besiegen und Harry ebenfalls kurzen Prozess mit seinem zweiten Partner, Justin Finch-Fletchey, macht. Der Letzte, der sich für das Halbfinale qualifiziert, ist Malfoy. Wie ich es vorhergesagt und erhofft hatte, setzt er Dean Thomas nach einem intensiven Schlagabtausch mit einem stummen Stupor außer Gefecht, so dass auch er weiterhin im Rennen um die 20 Hauspunkte bleibt.

Erfreut begutachtet Professor Demby uns Übriggebliebene, nachdem sich alle wieder im Zentrum des Klassenraums versammelt haben. „Sehr schön, wirklich! Ich muss schon sagen, Sie vier haben die Kunst der nonverbalen Zauber bereits weitgehend perfektioniert! Ich bin sehr gespannt, wer von Ihnen sich in den letzten Duellen durchsetzen kann. Und damit kommen wir jetzt auch schon zum Halbfinale unseres kleinen Wettkampfs. Hm, ok, geben Sie mir einen kurzen Moment, um zu überlegen, wer nun gegen wen antreten wird..."

Innerlich zappele ich vor nervöser Erwartung hin und her. Oh, ich hoffe so sehr, dass ich es bin, die Malfoy fertig machen darf! Das wäre wirklich ausgleichende Gerechtigkeit!

Neben mir sehe ich, wie Harry und Ginny sich lächelnd in die Augen sehen und ihre Hände miteinander verschränken. Ohje, so sehr ich mich auch mit Malfoy duellieren möchte: Ich fürchte, die beiden würden es nicht über sich bringen, gegeneinander zu kämpfen.

Auch für Professor Demby scheint die Zuteilung dieses Mal schwieriger zu sein, denn er braucht ganze drei Minuten Bedenkzeit, bis er schließlich fortfährt: „Also gut, ich denke, ich bin zu einer Entscheidung gekommen. Und ich freue mich schon sehr, die Duellanten gleich bei ihrem Können zu beobachten. Aber ich spanne Sie nicht länger auf die Folter: In der vorletzten Runde sehen wir Harry Potter..."

Mein Herz überschlägt sich fast. Wie hat Demby sich entschieden?

„...und Ginny Weasley."

Ich lächle, ohne Professor Dembys Worten weiter zu folgen. Denn es ist sowieso schon klar, was er als Nächstes sagen wird. Wenn Harry gegen Ginny antritt, bleibt für mich nur noch ein Partner übrig. Und das ist Draco Malfoy.

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