Kapitel 24 - Er liebt mich, er liebt mich nicht.

Ein paar Stunden später sitze ich beim Mittagessen alleine am Tisch und knabbere lustlos an meiner Kürbispastete herum. Harry, Ron und Ginny sind mal wieder beim Quidditch Training, so dass ich den Sonntagnachmittag ohne sie verbringen muss.

Das Schlimme daran ist: Seit meinem Gespräch mit Ginny vorhin bin ich furchtbar aufgeregt. Der bloße Gedanke, „den nächsten Schritt" in meiner Beziehung zu Draco zu wagen, lässt die Schmetterlinge in meinem Bauch wie verrückt tanzen und meine Nerven flattern. Ablenkung durch meine Freunde könnte ich daher momentan besonders gut gebrauchen.

Da jedoch niemand hier ist, um mich auf andere Gedanken zu bringen, spukt der Plan für Dienstag ständig in meinem Kopf herum. Wie soll ich das bloß angehen? Die Idee meiner besten Freundin, den Zaubertrankunterricht dafür zu nutzen, Malfoy näher zu kommen und mehr über ihn zu erfahren, hört sich zwar sehr praktisch an, aber damit ist ja noch nicht geklärt, über WAS ich mit ihm sprechen soll.

Und ich kenne mich, ich bin kein spontaner Mensch! Deshalb sollte ich mich gut auf diese Situation vorbereiten, mir vielleicht schon ein paar Gesprächsthemen und Fragen überlegen, das Ganze vor einem Spiegel proben...

Gut, das wäre vielleicht etwas übertrieben.

Andererseits will ich mich vor Malfoy nicht schon wieder zur Idiotin machen, das habe ich in letzter Zeit oft genug geschafft.

Seufzend streiche ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Am besten rede ich nochmal mit Ginny über unser Vorhaben, um mir Vorschläge von ihr zu holen, denn sie hätte garantiert kein Problem damit, den Mann ihrer Träume anzusprechen.

Oh Merlin, so weit ist es also schon! Ich bezeichne Malfoy als Mann meiner Träume...

Stöhnend lasse ich den Kopf auf den Tisch sinken. Vielleicht sollte ich nach dem Essen einen Abstecher in die Mädchentoilette unternehmen und mir kaltes Wasser ins Gesicht spritzen. Oder mich gleich von der nächsten Brücke stürzen! Ich meine, wie wahrscheinlich ist es denn, dass Malfoy meine Gefühle erwidert?!?

Klar, er war in letzter Zeit ungewöhnlich nett zu mir, aber trotzdem. Ich kann nicht glauben, dass er mich, die „kleine Streberin", wirklich toll findet.

Frustriert schlage ich mir die Hände vor die Augen.

Okay Hermine, es reicht! Hör auf, dich selbst fertig zu machen. Du weißt doch, was Ginny gesagt hat. Selbstbewusstsein ist der Schlüssel zum Erfolg!

Mit einem tiefen Atemzug versuche ich, mich selbst zu beruhigen und mir Mut zu machen. Dafür schließe ich kurz die Augen und fühle meinem Herzschlag nach, der sich wie erhofft etwas zu verlangsamen scheint. Aus reiner Gewohnheit fahre ich mit der Hand über die kleine, unscheinbare Narbe an meinem Hals, die ich Bellatrix Lestrange und ihrem Messer zu verdanken habe. Ich weiß, dass ich die Narbe ohne Probleme auf magische Weise entfernen könnte, aber in Momenten wie diesen, in denen ich mich unsicher und verloren fühle hilft es mir, mich an all das zu erinnern, was ich bereits überstanden habe. Das gibt mir die nötige Kraft und den Willen, um nicht aufzugeben.

Als ich die Augen wieder öffne, schweift mein Blick, wie so oft in letzter Zeit, unbewusst rüber zum Slytherin Tisch. Sobald ich Malfoys hellblonden Haarschopf erspähe, ist es mit der Ruhe sofort wieder vorbei: Mein Herz stolpert über den nächsten Schlag und mein Puls schnellt erneut in die Höhe.

Ich bin ehrlich gesagt überrascht, Draco hier zu entdecken, denn seit unserer Begegnung auf der Halloween Party war er wie vom Erdboden verschluckt. Selbst zum Essen in der großen Halle ist er in den letzten Tagen nicht erschienen. Keine Ahnung, wo er sich herumgetrieben hat oder was los war, aber ich freue mich wahnsinnig, ihn wieder zu sehen.

Unruhig rutsche ich auf meinem Hintern hin und her.

Auch Malfoy scheint keine Gesellschaft beim Essen zu haben, die Plätze neben ihm am Tisch sind leer. Ist das ein Zeichen? Sollte ich zu ihm rüber gehen und...jetzt schon versuchen, mit ihm ins Gespräch zu kommen? Die Zeit bis zum Zaubertränke-Unterricht erscheint mir auf einmal viel zu lang zu sein.

Trotzdem habe ich furchtbare Angst, diesen Schritt zu riskieren. Ich bin doch noch gar nicht vorbereitet und hatte noch keine Zeit, mich mental auf eine solche Situation einzustellen! Ich meine...was soll ich denn nur sagen, wenn ich jetzt zu ihm rüber gehe?

Komm schon Hermine, du bist die intelligenteste Hexe auf dieser Schule. Dir wird schon was einfallen! schimpfe ich mit mir selbst.

Mit einem weiteren tiefen Atemzug erhebe ich mich langsam und zögerlich.

Ehe ich mich vollkommen verrückt mache, sollte ich es vermutlich einfach hinter mich bringen. Andererseits...wenn ich das jetzt verbocke, werden die nächsten Unterrichtsstunden mit Malfoy SEHR unangenehm werden...

Nervös beiße ich mir auf die Innenseite meiner Wange.

Okay, es reicht jetzt! Wenn ich mit einer negativen Einstellung an die Sache ran gehe, kann das ja nichts werden.

Also drücke ich entschlossen den Rücken durch, hebe das Kinn und gehe zielgerichteten Schrittes auf Malfoy zu.

Kurz bevor ich ihn erreiche bleibe ich jedoch noch einmal stehen. Ohne es wirklich zu merken lecke ich mir mit der Zunge über die Lippen, die vor Aufregung ganz trocken geworden sind.

Merlin, ich hoffe nur, dass das eine gute Idee ist! Was, wenn ich gleich kein Wort raus bringe? Oder wenn ich wieder vor mich hinstottere wie beim letzten Mal? Eigentlich kann das hier doch nur in einer Katastrophe enden! Ich sollte mich am besten umdrehen und die große Halle so schnell wie möglich verlassen, bevor...

In diesem Augenblick hebt Draco zufällig den Blick und schaut in meine Richtung. Als er mich kurz vor dem Slytherin Tisch stehen sieht, hebt er in seiner Malfoy-typischen-Art die Augenbraue.

Mist! Jetzt wo er mich bemerkt hat, ist es zu spät, um noch zu verschwinden. Ich habe nun wohl keine andere Wahl mehr, als mit ihm zu sprechen.

Also zwinge ich mich, zu sagen: „H-Hallo, Malfoy. Schmeckt der Salat?"

Malfoy hält zwar in der Bewegung inne, schaut mich aber nur aus eisigen Augen an, ohne etwas zu erwidern. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass er... verändert aussieht. Irgendwas ist anders, das spüre ich genau. Etwas stimmt nicht. Was das ist, kann ich allerdings nicht sagen.

Nach einigen Augenblicken ohne jegliche Reaktion von seiner Seite komme ich mir langsam doof vor, deshalb versuche ich es nochmal: „Das sieht sehr lecker aus. Ist das ein italienischer Salat?"

Wieder erhalte ich keine Antwort. Stattdessen beäugt Malfoy mich von oben bis unten, lässt seinen Blick über meinen gesamten Körper wandern. Doch im Gegensatz zu der Nacht von Halloween wirkt seine Musterung dieses Mal kritisch, fast beleidigend. Dieses Mal fühlt es sich unangenehm an.

„Was willst du, Granger?" fragt er mich dann kalt, während seine stahlgrauen Augen sich in meine bohren.

„Naja..n-nichts, eigentlich. Ich dachte nur, dass wir...hm, also, dass wir uns eventuell ein bisschen unterhalten könnten. Nach Hallowe-..."

„Achja?" fällt Draco mir ins Wort. „Und du glaubst, ich würde mich mit dir unterhalten wollen?" Das höhnische Lachen, das seinen Mund verlässt, bringt meine Nackenhaare dazu, sich aufzustellen. „Wieso sollte ich von einem Schlammblut wie dir überhaupt etwas wollen?"

Wie vor den Kopf gestoßen starre ich ihn an.

„Glotz nicht so, Granger, du hast mich schon verstanden. Und jetzt verzieh dich von hier, du hast am Slytherin Tisch nichts zu suchen."

„Sch-Schlammblut?" flüstere ich, zu entsetzt, um die Tragweite seiner Worte wirklich zu begreifen.

„Ja, Schlammblut! Soll ich es dir buchstabieren? Es fängt mit SCHLAMM an und endet mit BLUT. Verstehst du es jetzt? Oder bist du selbst dazu zu dumm?"

Die erneute Beleidigung gibt mir den Rest. Es tut einfach unfassbar weh, diese Worte von Malfoy zu hören. Zu erkennen, dass ich mich derart in ihm getäuscht habe. Mir eingestehen zu müssen, dass alles Gute, was ich in ihm zu sehen glaubte, ein reines Hirngespinst war. Und vor allem zu realisieren, dass er niemals dasselbe für mich empfinden könnte, wie ich für ihn.

„Du bist ja immer noch hier" zischt Malfoy in einem ätzenden Tonfall. „Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt. VERSCHWINDE VON HIER!"

In diesem Moment spüre ich, wie etwas in mir zerbricht. Die Tatsache, dass Malfoy alles, was er gerade gesagt hat, anscheinend mehr als ernst meint, lässt mein Herz, das noch vor wenigen Minuten so hoffnungsvoll geschlagen hat, in tausend winzige Stücke zersplittern.

Tränen treten mir in die Augen, verschleiern mir die Sicht.

Das ist es also, was Malfoy wirklich von mir hält. Was er wirklich über mich denkt! Für ihn bin ich nichts weiter als ein Schlammblut, das auch noch dumm genug war, sich in ihn zu verlieben. Oh, ich bin mir sicher, dass Malfoy sich in den letzten Wochen wirklich köstlich über mich und meine Gefühle amüsiert hat!

Zitternd hebe ich eine Hand vor meinen Mund, um den Schrei, der in mir tobt, zu unterdrücken. Ich fühle mich am Boden zerstört und würde am liebsten einfach an Ort und Stelle zusammenbrechen, aber ich weigere mich, Malfoy auch noch diese Genugtuung zu schenken.

„Wie-wieso sagst du so etwas? Ich habe dir nichts getan!" flüstere ich. Mehr bekomme ich nicht zustande, denn mein Hals fühlt sich an wie zugeschnürt.

Verächtlich schaut Malfoy mich an.

Verzweifelt suche ich in seinem eiskalten Blick nach irgendeinem Anzeichen dafür, dass der Funken, der in den letzten Wochen zwischen uns entstanden ist, echt war. Dass die Berührungen, die mich so vollkommen aus der Bahn geworfen haben, auch ihm etwas bedeutet haben. Dass sein nettes Verhalten nicht nur gespielt war.

Doch ich finde rein gar nichts. Sein Gesicht, das zu einer höhnischen Maske erstarrt ist, zeigt keine einzige Gefühlsregung.

Und das macht den Schmerz, der meinen ganzen Körper erfüllt, nur noch schlimmer.

„Wieso ich das sage? Bei Salazar, du raffst es wohl echt nicht, Granger. Niemand will dich hier haben, verstehst du das nicht? Ich dachte, du wärst so schlau, aber das ist ja wohl ganz offensichtlich nicht der Fall!"

Jedes einzelne von Malfoys beißenden, hämischen Worten trifft und verletzt mich zutiefst. Doch auf einmal fühle ich neben der tiefen Traurigkeit und den Gefühlen der Demütigung, die mich zu überwältigen drohen, auch Wut in mir aufsteigen.

Wut über seine Beleidigungen. Wut über seine ganze arrogante, boshafte Art. Und Wut über meine eigene Dummheit.

„Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden! Du bist einfach ein riesiges Arschloch! Komm mir bloß nie wieder zu nahe!" fauche ich ihn an, schäumend vor Zorn und Verbitterung. Dabei bemerke ich erstaunt, dass mein Zauberstab, den ich wohl unbewusst gezogen habe, auf Malfoys Kehle gerichtet ist. Meine Hände, die den Zauberstab halten, zittern aufgrund der vielen Emotionen, die mich durchströmen, aber es gelingt mir trotzdem, Malfoy anzuvisieren.

Bebend stoße ich die verbrauchte Luft aus, die sich in meinen Lungen angestaut hat.

Ich weiß, dass ich kurz davor bin, meine Beherrschung gänzlich zu verlieren und einen Fluch auf Malfoy zu hetzen, den er zwar verdient hätte, für den ich aber von der Schule fliegen würde. Das Einzige, was mich davon abhält, ist die Erkenntnis, dass er damit genau das erreichen würde, was er offensichtlich die ganze Zeit geplant hatte: Denn dann wäre ich die Böse, die mit ernsthaften Konsequenzen rechnen müsste. Und diese Befriedigung will ich ihm nicht verschaffen. Deshalb drehe ich mich mit einem letzten angewiderten Blick um und verlasse fluchtartig die große Halle.

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