Kapitel 19 - Halloween
Unentschlossen drehe ich mich vor dem Spiegel in unserem Schlafsaal hin und her. Was ich dort sehe, gefällt mir ganz und gar nicht, aber ich fürchte, ich habe in dieser Angelegenheit wenig Mitspracherecht.
Professor McGonagall hat uns vor einigen Tagen beim Abendessen darüber informiert, dass dieses Halloween etwas anders ablaufen wird als sonst. Als neue Schulleiterin möchte sie eine neue Tradition einführen, die das alljährliche Fest noch schöner und magischer machen soll.
In Anlehnung an die Bräuche der Muggel, die mir natürlich ziemlich gut bekannt sind, hat sie entschieden, dass alle Schüler und Lehrer heute von der Uniformpflicht befreit und stattdessen verkleidet zum abendlichen Festessen erscheinen werden. Zudem wird morgen der Unterricht ausfallen, damit heute Abend alle Bewohner von Hogwarts ausgelassen feiern können.
Ich glaube, dass McGonagall den heutigen Abend unter anderem dafür nutzen will, die negativen Erinnerungen an die Schlacht von Hogwarts, die immer noch wie eine schwarze Wolke über der Schule hängen, zumindest zum Teil zu vertreiben. Ich persönlich halte es für eine sehr gute Idee, den Zusammenhalt der Schüler zu stärken und der furchtbaren Vergangenheit mit neuen, schönen Erlebnissen und Erinnerungen entgegenzutreten.
Auch alle meine Freunde, sowie vermutlich der Rest von Hogwarts, freuen sich schon sehr auf Halloween und das versprochene rauschende Fest.
Neben einer tollen Dekoration, einem reichlichen Festmahl und den Verkleidungen hat unsere Schulleiterin uns noch eine weitere Überraschung angekündigt.
Ich habe in diesem Zusammenhang Gerüchte darüber gehört, dass es für die Lehrer und die volljährigen Schüler Feuerwhiskey geben soll. Das halte ich allerdings für genau das: Ein Gerücht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Professor McGonagall es unterstützen würde, dass ein Großteil ihrer Schutzbefohlenen sich unter ihrer Aufsicht betrinkt.
Aber was es auch ist: Ich bin sicher, dass die Halloween Feier heute einzigartig wird.
Trotzdem bin ich ziemlich nervös. Mein Outfit, das ich skeptisch im Spiegel betrachte, hat Ginny für mich ausgesucht und für meinen Geschmack ist es viel zu..."sexy". So würde Ginny es zumindest beschreiben. Ich finde hingegen, dass es einfach zu wenig Stoff an entscheidenden Stellen hat, zu eng anliegt und einfach überhaupt nicht zu mir passt.
Leider konnte ich Ginny nicht dazu bringen, ein anderes Outfit für mich auszuwählen. Sie hat mich nur empört angeschaut und mir zehn Minuten lang in den Ohren gelegen, wie sehr sie sich schon seit Tagen darauf freut, mit mir im Partnerlook aufzutreten. Also habe ich irgendwann entnervt nachgegeben, um ihrer Litanei zu entgehen. Mittlerweile bereue ich es allerdings sehr, dass ich mich nicht einfach durchgesetzt habe.
Ich meine, ehrlich jetzt. Eine Fledermaus zu verkörpern ist ja noch okay. Aber warum muss ich dafür ein knappes, schwarzes Kleid mit großzügigem Ausschnitt tragen?!?
Das passt doch überhaupt nicht! Ohne die katzenartigen Ohren, die durch einen relativ einfachen Zauber auf meinem Kopf befestigt wurden und die durchsichtigen, spitzenbesetzten Flügel, die meine Ärmel mit meinem Rücken verbinden, würde man noch nicht mal annähernd eine Ähnlichkeit mit den fliegenden Säugetieren erkennen.
Ginny, die plötzlich neben mir auftaucht, schaut mich anerkennend an. Sie trägt eine exakte Kopie meines Kostüms, hat dieses aber zusätzlich durch hochhackige, schwarze Pumps und dunkelroten Lippenstift ergänzt.
Ich muss zugeben, dass IHR das Outfit sehr gut steht.
„Hermine, du siehst toll aus! Alle Männer werden dir zu Füßen liegen" lacht Ginny und schreitet einmal im Kreis um mich herum, um mich von allen Seiten zu mustern.
„Merlin, ich sehe einfach nur lächerlich aus. So kann ich nicht in die große Halle gehen!" entgegne ich seufzend.
Außerdem will ich gar nicht, dass mich alle männlichen Wesen in dieser Schule anstarren. Nach meinem Traum, in dem Ron und Malfoy vorkamen, habe ich es tunlichst vermieden, überhaupt über das Thema Männer nachzudenken. Das hat erstaunlicherweise ziemlich gut funktioniert! Ich konnte die Tatsache, dass ich Malfoy...gut finde (ich kann mich kaum überwinden, diesen Gedanken zuende zu denken!) bisher ziemlich gut verdrängen.
„Hermine, komm schon! Du siehst einfach traumhaft aus, wirklich. Wir zwei werden einen wundervollen Abend haben, das verspreche ich dir. Ich bitte dich, spring einmal über deinen Schatten! Du wirst es nicht bereuen!" fleht Ginny mich an.
Mit einem tiefen Seufzer ergebe ich mich in mein Schicksal. Was habe ich denn für eine Wahl? Eine andere Verkleidung habe ich nun mal nicht und den Abend verpassen will ich auch nicht.
„Okay. Aber ich warne dich: Wenn mich auch nur eine Person wegen meines Outfits komisch anschaut, werde ich dich verhexen! Ich meine das wirklich ernst! Ich habe erst gestern in einem der Lehrbücher einen interessanten neuen Fluch entdeckt, den ich zu gerne ausprobieren würde, also..."
„Schon gut, Hermine, ich hab's verstanden" sagt Ginny und verdreht dabei die Augen. „Aber das wird nicht passieren, glaub mir. Wenn überhaupt wirst du nur bewundernde Blicke ernten und das zählt nicht. Das ist immerhin das Ziel!" fügt sie lachend hinzu.
Mit einem letzten langen Blick in den Spiegel beschließe ich, Ginny und diesem furchtbaren Outfit eine Chance zu geben. Ich meine, was kann denn Schlimmstenfalls passieren?!?
Nur wenige Minuten später betreten Ginny und ich die große Halle, die wie jedes Halloween unglaublich detailreich dekoriert ist. Professor McGonagall und die anderen Lehrer haben sich dieses Jahr allerdings selbst übertroffen: Lebende Fledermäuse flattern unter der Decke und hängen in riesigen Schwärmen an den Wänden. Große, ausgehöhlte Kürbisse mit gruseligen Fratzen zieren die vier Haustische und erhellen die vielen verschiedenen Speisen, unter denen sich die Tische biegen, in einem gedämpften, orangefarbenen Licht. Als ich einen Blick nach oben werfe, sehe ich außerdem blutrote Seidentücher von der Decke herabhängen, die mit einem flüsternden Geräusch in einem magischen Windzug flattern. Und die Geister von Hogwarts, die zwischen den sitzenden Schülern umherschweben, verleihen dem Raum eine zusätzliche mystische, unheimliche Atmosphäre.
Die große Halle ist bereits sehr gut gefüllt, da Ginny und ich etwas spät dran sind. Nachdem wir ein paar weitere Schritte in Richtung unseres Haustisches gegangen sind, sehe ich, wie sich immer mehr Köpfe zu uns umdrehen und viele bei unserem Anblick anfangen zu tuscheln.
Na toll, genau das hatte ich befürchtet! Ich mache mich hier gerade zum Gespött von Hogwarts!
„Ginny!" zische ich sie an und stoße ihr gleichzeitig meinen Ellbogen in die Seite. „Du hast gesagt, so etwas würde nicht passieren! Aber alle starren uns an!"
Die vielen Blicke, die mich und Ginny mustern, sind mir unfassbar unangenehm. Aber ich kann verstehen, wieso wir zwei so schräg angeschaut werden. Wenn ich mir die Kostüme der anderen Schüler so anschaue, dann ist unser Outfit wirklich ziemlich unangemessen! Überall sind harmlose Verkleidungen wie Clowns, Piraten, lebensecht wirkende Tiere, beispielsweise Frösche, Katzen und Eulen zu sehen (wirklich, es sind ein paar sehr gelungene Zauber dabei! Vermutlich sogar der ein oder andere Verwandlungszauber), doch niemand hat auch nur annähernd so WENIG an wie Ginny und ich.
Oh halt, das stimmt nicht ganz. Vor mir am Slytherin Tisch sehe ich ein Mädchen, deren Kostüm aus noch weniger Stoff zu bestehen scheint, als unseres. Sie ist als...hm, ich glaube, das soll eine Krankenschwester darstellen, obwohl ihre Kleidung eigentlich nur aus einem weißen Minirock und einem Oberteil besteht, das nicht viel mehr ist als ein BH. Bis auf das Stethoskop, das aufreizend auf ihrer Brust liegt, erinnert daher nicht viel an eine Krankenschwester.
Als die schwarzhaarige Schönheit den Kopf in unsere Richtung dreht, erkenne ich, dass es Pansy Parkinson ist, die dieses Outfit trägt.
Entnervt stöhne ich auf: Das kann ja wohl nicht wahr sein! Mein Kostüm stellt mich auf eine Stufe mit PANSY PARKINSON!
Ich werde Ginny umbringen!
Suchend schaue ich mich nach meiner rothaarigen Freundin um, die für diese Katastrophe verantwortlich ist, aber in weiser Voraussicht hat sie bereits einen Sicherheitsabstand zwischen uns beide gebracht und winkt mir mit einem schelmischen Lächeln vom anderen Ende der Halle zu.
Na warte, wenn ich die erwische!
Bevor ich mich jedoch in Bewegung setzen kann, um Ginny gehörig die Meinung zu sagen und sie mit einem Fluch zu belegen, der sich gewaschen hat, höre ich plötzlich eine Stimme hinter mir.
„Du siehst gut aus."
Wie angewurzelt bleibe ich stehen. Oh Merlin, ich hätte einfach in meinem Zimmer bleiben sollen.
Ich schließe kurz die Augen, um mich zu sammeln und drehe mich dann langsam um. Hinter mir steht Ron in seinem Quidditch-Umhang, den Besen trägt er in der Hand. Na, das ist ja mal ein wenig einfallsreiches Kostüm.
„Hallo Ron."
"Hey, Hermine. Also, äh...ich habe das gerade nicht nur so gesagt, ich meine das wirklich ernst. Du siehst toll aus! Und...ich bin froh, dass du da bist. Wollen wir zu den anderen gehen?" fragt Ron mich verlegen.
Ich bin ehrlich gesagt ziemlich verdutzt, dass Ron wieder mit mir redet und dabei auch noch so nett zu mir ist. Nach unserem letzten Gespräch in den Drei Besen hätte ich nicht gedacht, dass unser Verhältnis sich in nächster Zeit verbessern würde.
„Äh..ja klar, gerne" erwidere ich, genauso peinlich berührt.
Schweigend legen wir die letzten Meter zum Gryffindor Tisch zurück, an dem Harry, Ginny, Seamus und Dean schon auf uns warten.
„Heißes Outfit" sagt Dean zu mir und nickt dabei anerkennend mit dem Kopf.
„D-Danke" stammele ich, zu verlegen, um mehr zustande zu bringen.
Über Deans Kopf hinweg bedenke ich Ginny mit einem eisigen Blick, doch sie grinst mich nur zufrieden an.
Um mich selbst von meinem tollen Sexy-Fledermaus-Kostüm abzulenken, in dem ich mich mit jeder Sekunde unwohler fühle, inspiziere ich das Essen vor uns, das wirklich zum Anbeißen aussieht. Da stehen kleine, mit Süßigkeiten gefüllte Kürbisse, kandierte Äpfel, in Schokolade getauchte Früchte, Kürbis- und Karottenkuchen, verschiedene Pasteten und viele weitere Leckereien, die ich gerne sofort probieren würde, aber das Buffet wird erst nach der Rede von McGonagall eröffnet.
Wie auf's Stichwort erhebt sich unsere Schulleiterin genau in diesem Moment und tritt einige Schritte nach vorne, bis sie vor einem Podium stehen bleibt, an dem sie von allen Schülern gut gesehen werden kann. Erst jetzt erkenne ich, dass auch sie sich verkleidet hat.
Ich muss schmunzeln, als ich ihre Robe und das Zepter sehe, das sie trägt: Die Rolle einer Königin passt sehr gut zu ihr.
„Liebe Schüler, liebe Kollegen. Ich freue mich außerordentlich, heute mit Ihnen zusammen das Halloween Fest feiern zu können. Wie bereits angekündigt soll dieser Tag etwas ganz Besonderes werden und vielleicht können wir den Grundstein für einige Traditionen legen, die ab jetzt hoffentlich jedes Jahr zelebriert werden. Als erstes möchte ich betonen, wie sehr ich mich darüber freue, dass Sie so zahlreich und mit so vielen tollen Kostümen erschienen sind. Vielen Dank auch an meine Kollegen. Professor Demby, Sie sehen als Graf Dracula wirklich fabelhaft aus!"
Mit diesen Worten prostet Professor McGonagall dem Lehrertisch zu, woraufhin Professor Demby strahlend aufsteht und sich in alle Richtungen verbeugt.
„Mir ist zu Ohren gekommen, dass einige von Ihnen darauf hoffen, dass wir heute Abend auch Feuerwhiskey servieren" fährt McGonagall fort. „Leider muss ich Sie, was das angeht, enttäuschen."
Ein betrübtes Seufzen geht durch die Reihen der Schüler, aber ich bin nicht überrascht. Das war doch klar, dass unsere Schulleiterin sich auf so etwas nicht einlassen würde.
Seamus, der neben mir sitzt, beugt sich über den Tisch und flüstert: „Das ist kein Problem. Wir haben sicherheitshalber unseren eigenen Vorrat an Feuerwhiskey aus Hogsmeade mitgebracht. Die Party kann also trotzdem starten!" Verschwörerisch zwinkert er uns zu und zieht dann unauffällig eine Flasche mit einer klaren, bernsteinfarbenen Flüssigkeit, die zu dampfen scheint, aus seinem Supermann-Umhang.
Die anderen fangen begeistert an, ihn und Dean für die Voraussicht zu beglückwünschen, aber ich bin alles andere als erfreut. Die wollen sich doch nicht wirklich betrinken?!? Hier, vor den Augen aller Lehrer? Das wird niemals gut gehen!
„Leute, das kann doch nicht euer Ernst sein! Wollt ihr alle von der Schule fliegen? Wir können doch keinen geschmuggelten Alkohol trinken, das ist gegen die Re-..." weiter komme ich nicht, denn Ginny hält mir ganz einfach den Mund zu.
„Hermine, ehrlich, entspann dich doch mal! Wir sind alle volljährig und keiner wird mitbekommen, wenn wir ein bisschen was trinken. Komm schon, lass uns doch einmal wirklich Spaß haben!" sagt sie mit glänzenden Augen.
„Ich bin sicher, wir werden nicht erwischt" fügt Harry grinsend hinzu.
„Genau. Das wird lustig!"
Da auch Seamus, Dean und Ron wie wild auf mich einreden, gebe ich mich irgendwann geschlagen: „Okay, macht doch was ihr wollt! Aber ich werde keinen Schluck davon anrühren. Wenn ihr alle nachsitzen müsst oder Schlimmeres, dann werdet ihr sehen, dass ich Recht hatte."
„Juhu, die Party kann losgehen!" jubelt Ginny und umarmt mich stürmisch.
Ich wende mich kopfschüttelnd wieder Professor McGonagall zu, die mit ihrer Rede fortgefahren hat: „...ich hoffe jedenfalls, dass Sie den Abend auch ohne alkoholische Getränke genießen können. Als kleine Überraschung wird es zum Abschluss um Mitternacht noch ein großes Feuerwerk geben, auf das ich mich schon sehr freue. Auch unsere Hauselfen in der Küche haben sich allergrößte Mühe gegeben, wie Sie bestimmt schon bemerkt haben. Es gibt für mich deshalb nur noch eines zu sagen: Das Buffet ist eröffnet!"
Um uns herum bricht begeistertes Klatschen aus und auch wir applaudieren, bevor wir uns mit Heißhunger über die angerichteten Leckereien hermachen. Das Essen ist wirklich köstlich!
Je weiter der Abend voranschreitet, desto mehr kann ich das Fest, die Gesellschaft meiner Freunde und die tolle Stimmung in Hogwarts genießen. Selbst mein Kostüm stört mich nicht mehr so sehr, obwohl ich es jederzeit gegen meine Schuluniform oder meine flauschigen Pullover eintauschen würde.
Das Einzige, was mir noch zu schaffen macht, ist der Alkohol, der immer wieder in unserer kleinen Runde herumgeht. Insbesondere Ron hat schon eine ganz schöne Menge getrunken, was deutlich an seinen glänzenden Augen und dem geröteten Gesicht zu erkennen ist. Seine Aussprache wird zudem immer undeutlicher, so dass ich befürchte, dass demnächst einer der Lehrer Verdacht schöpfen könnte.
Andererseits...ich habe ja keinen Schluck Feuerwhiskey getrunken, also kann mir eigentlich nichts passieren.
Da wir schon seit mindestens drei Stunden ohne Unterbrechung mit reden und essen beschäftigt sind, beschließe ich, kurz aufzustehen und mir draußen die Beine zu vertreten, die vom langen Sitzen schon ganz steif geworden sind.
Nachdem ich mich von meinen Freunden verabschiedet und die große Halle verlassen habe, laufe ich etwas ziellos durch die Korridore von Hogwarts. In einem der Innenhöfe, die nicht überdacht sind, bleibe ich schließlich stehen.
Der klare Sternenhimmel über mir funkelt in unbeschreiblicher Art und Weise und obwohl die Luft frisch ist, zieht es mich nicht wieder ins Innere des Gebäudes. Stattdessen lege ich den Kopf in den Nacken, um die hübschen Sternbilder noch besser betrachten zu können.
"Wunderschön."
Das gemurmelte Wort lässt mich erstarren. Langsam drehe ich mich um, auch wenn ich schon an der Stimme erkannt habe, wer da hinter mir steht. Aber ich muss sichergehen, dass ich mich nicht geirrt habe, dass dies keine Einbildung ist.
Doch das ist es nicht.
Denn die grauen Augen, die meinen Blick einfangen, gehören ganz eindeutig zu Draco Malfoy.
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