Kapitel 17 - Malfoy
Auch einige Sekunden später kann ich meinen Blick immer noch nicht von Malfoys linkem Arm lösen. Natürlich hätte ich mir denken können, dass er sich das Tattoo entfernen lassen würde. Wer möchte auch mit einem Mal herumlaufen, das ihn ununterbrochen an die eigenen Fehlentscheidungen und das eigene Scheitern erinnert? Das dunkle Mal ist zudem seit Voldemorts Tod ein verbotenes Zeichen und darf nicht mehr verwendet werden.
Trotzdem ist der Anblick von Malfoys bloßem Arm komisch für mich. Ich hätte einfach nicht damit gerechnet, dass das Tattoo so vollkommen entfernt und damit...ungeschehen gemacht werden könnte.
„Granger, hörst du mir überhaupt zu?" dringt Malfoys Stimme in meine Gedanken.
Mit großen Augen schaue ich auf und treffe auf Malfoys durchdringenden Blick. Ohne dass ich etwas dagegen tun könnte schweifen meine Augen jedoch sofort wieder zu seinem Arm.
Malfoy bemerkt natürlich, was ich da mustere und krempelt seine Ärmel schnell wieder herunter. Als ich meinen Blick daraufhin wieder hebe sehe ich, dass sich eine leichte Röte auf seinen Wangen ausgebreitet hat.
Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet! Es scheint ihm ja fast peinlich zu sein, dass ich das fehlende dunkle Mal bemerkt habe.
In einem offensichtlichen Versuch, mich von dem entfernten magischen Tattoo abzulenken, zischt Malfoy mich an: „Können wir jetzt endlich anfangen? Ich habe schließlich nicht den ganzen Tag Zeit, um hier dumm mit dir rumzustehen!"
Normalerweise hätte mich sein provozierender Ton schon wieder genervt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Malfoy sich gerade einfach unwohl fühlt und er deshalb so reagiert. Eigentlich eine interessante Erkenntnis. Seine Arroganz, sein Sarkasmus und seine gehässige Art scheinen für ihn ein Schutzmechanismus zu sein, den er immer dann einsetzt, wenn er unsicher ist.
Ich frage mich, ob es unter dieser unausstehlichen Schale noch einen anderen Draco Malfoy gibt? Vielleicht könnte das erklären, warum er in letzter Zeit manchmal so nett zu mir war...?
Hm. Vielleicht ist das aber auch einfach sehr weit hergeholt.
Ich schüttele den Kopf über mich selbst und versuche, mich wieder unserer Aufgabe zuzuwenden. Malfoy hat bereits damit angefangen, die Baumschlangenhaut kleinzuschneiden, also schnappe ich mir ebenfalls ein Messer und beginne, das Flussgras zu zerkleinern.
Eine Weile arbeiten wir schweigend vor uns hin. Wieder einmal stelle ich fest, dass wir ein gutes Team beim Brauen von Zaubertränken sind. Wir kommen gut voran und nach einer Viertelstunde sind die meisten Zutaten fertig vorbereitet und warten darauf, in die dampfende Mischung gegeben zu werden.
Aber obwohl ich mich bemühe, konzentriert zu arbeiten, schweifen meine Gedanken immer wieder zu Malfoy und dem entfernten dunklen Mal. Es gibt in diesem Zusammenhang eine Sache, die mich schon lange brennend interessiert und nach ein paar weiteren Minuten kann ich meine Neugier nicht mehr zügeln:
„Malfoy, kann ich dich was fragen?"
Er schaut mich überrascht und auch etwas misstrauisch an.
„Wenn es sein muss" knurrt er dann.
Ich lasse mich von seinem abweisenden Ton nicht einschüchtern, auch wenn er vermutlich genau das damit erreichen wollte. Ein Rückzieher kommt jetzt nicht mehr in Frage.
"Wieso hast du dich auf Voldemorts Seite gestellt?"
Malfoy schaut mich fassungslos an.
Gut, das ist auch eine sehr persönliche Frage, aber ich muss es einfach wissen. Um ihn nicht vollkommen vor den Kopf zu stoßen füge ich hastig hinzu: „Also, ich meine, du hast dich ja am Ende mit deiner Familie von Voldemort abgewandt. Und auch vorher schon hast du dich nicht immer an seine Anweisungen gehalten. Du hast Dumbledore nicht getötet, als du die Möglichkeit hattest. Du hast Bellatrix nicht verraten, dass es Harry war, den sie vor fast zwei Jahren gefangen hat. Das alles zeigt mir, dass du kein überzeugter Todesser warst, Draco. Also was hat dich dann überhaupt erst dazu gebracht, das dunkle Mal zu akzeptieren?"
Mit jedem Wort, das ich spreche, wird Dracos Gesichtsfarbe eine Nuance weißer. Als ich mit meiner Frage fertig bin, sieht er fast aus wie ein Geist und ich befürchte, dass ich zu weit gegangen bin.
Die ersten paar Sekunden sagt Malfoy gar nichts. Das Schweigen zieht sich immer weiter in die Länge und die unangenehme Stille zwischen uns ist kaum auszuhalten.
Als ich gerade denke, dass Draco meine Frage einfach ignorieren will, räuspert er sich.
„Du würdest das nicht verstehen" flüstert er. Sein Gesichtsausdruck ist von so vielen unterschiedlichen Emotionen geprägt, dass ich nicht genau sagen kann, welche davon dominiert.
„Ich würde es gerne versuchen" gebe ich ebenso leise zurück.
Erneut taxiert Malfoy mich mit einem stechenden Blick, in dem ich glaube, auch Verzweiflung zu erkennen.
„Ich hatte keine Wahl, okay? Und mehr will ich dazu nicht sagen!" bricht es dann gequält aus ihm hervor.
„O-Okay" sage ich stotternd. Ich bereue es jetzt schon, das Thema überhaupt angesprochen zu haben. Ich hätte mir ja denken können, dass Malfoy so reagieren würde.
"Es tut mir leid, ich hatte kein Recht, dich das zu fragen" füge ich etwas beschämt hinzu. „Das geht mich ja auch gar nichts an. Aber, also, falls du irgendwann-..."
Weiter komme ich nicht, denn Malfoy unterbricht mich mitten im Satz. „Granger, ich habe gesagt MEHR WILL ICH DAZU NICHT SAGEN. Lass es einfach gut sein!"
Mit diesen Worten wendet er sich demonstrativ unserem Vielsaft-Trank zu, der langsam und träge vor sich hin köchelt.
Etwas eingeschüchtert von Dracos heftiger Reaktion stelle ich mich neben ihn und beginne damit, die Zutaten in der angegebenen Reihenfolge in den Kessel zu geben. Da beim Zaubertränke-Herstellen insbesondere die richtige Anzahl und die korrekte Drehrichtung beim Umrühren relevant sind, achte ich darauf ebenfalls akribisch.
Die nächste halbe Stunde ist Draco sehr einsilbig und abweisend mir gegenüber. In regelmäßigen Abständen wirft er mir außerdem finstere Blicke zu, so dass ich mich nicht traue, noch irgendetwas zu ihm zu sagen.
Trotzdem arbeiten wir zügig und effektiv an unserem Trank.
Als ich allerdings die Florfliegen in den Kessel werfen will, streift der Ärmel meines Umhangs die Schale mit dem gemahlenen Zweihorn-Horn, das Draco in den letzten zehn Minuten mühevoll zerkleinert hat. Ich bemerke meinen Fehler sofort und versuche noch, nach dem Behälter zu greifen, aber es ist zu spät. Die Schale fällt mit einem klirrenden Geräusch zu Boden und das Pulver verteilt sich in einer Staubwolke um uns herum.
Verdammter Mist! Was ist in letzter Zeit nur mit mir los?!? So etwas passiert mir doch eigentlich nicht!
Malfoy sieht erst mich und dann die Sauerei um uns herum fassungslos an.
„Ist das dein Ernst, Granger? Ich habe gerade ewig gebraucht, um das verdammte Horn kleinzukriegen und du...mir fehlen die Worte, echt. Schlaueste Hexe unseres Jahrgangs, dass ich nicht lache! Ungeschickteste, trampeligste Hexe mit zwei linken Händen passt wohl eher!"
Sein genervter, beleidigender Tonfall macht mich schon wieder wütend. Was bildet sich dieser arrogante Mistkerl eigentlich ein? So was kann doch jedem mal passieren! Deshalb fackele ich auch nicht lange und schieße zurück: „Du bist manchmal einfach unausstehlich, weißt du das? Ich habe das nicht mit Absicht gemacht und brauche deine überflüssige Standpauke nicht! Bei Merlins Bart, wenn ich daran denke, was ich dumme Kuh Samstag für dich getan habe..."
In dem Moment, in dem ich bemerke, was ich da gerade gesagt habe, halte ich mir schnell die Hand vor den Mund.
Aber es ist schon zu spät.
Malfoys völlig verdutzter Gesichtsausdruck, auf dem sich langsames Begreifen widerspiegelt, zeigt mir, dass er bereits verstanden hat, dass ich von dem Quidditch Spiel gesprochen habe.
Hermine Granger, wieso kannst du nicht einmal den Mund halten?
Ich verpasse mir eine gedankliche Kopfnuss, die den angerichteten Schaden allerdings auch nicht mehr gut machen kann.
„DU warst das? DU hast den Fuchs erschaffen? Aber...warum?" fragt Draco mich entgeistert.
„A-also, ich...ich..." stammele ich.
Verfluchter Mist, wenn ich das nur wüsste! Das kann ich ihm allerdings schlecht sagen, also suche ich fieberhaft nach einer anderen Erklärung. Es will mir jedoch keine gute Antwort einfallen und mit jeder Sekunde die vergeht, nimmt mein Gesicht mehr und mehr die Farbe einer Tomate an.
„Keine Ahnung, okay?" bricht es dann aus mir heraus. „Ich fand es einfach unmöglich, dass ihr so unfair behandelt wurdet und ich...ich wollte dich einfach aufmuntern."
Ich stocke.
„Du wolltest mich aufmuntern" wiederholt Malfoy meine Worte in einem bemerkenswert neutralen Tonfall.
"J-ja."
Mir ist die ganze Situation so peinlich, dass ich stur vor mich auf den Boden starre. Auf keinen Fall kann ich Draco jemals wieder in die Augen schauen.
"Granger" sagt Draco leise.
Sein Ton ist immer noch vollkommen ausdruckslos, deshalb kann ich nicht herauslesen, was er gerade denken könnte. Und eigentlich will ich das auch gar nicht! Stattdessen würde ich dieses ganze Gespräch am liebsten für immer aus meinem Gedächtnis streichen.
„Granger" wiederholt Malfoy, aber ich weigere mich weiterhin, ihn anzusehen. Bei Merlins Bart, kann der Boden sich nicht einfach auftun, und mich hier und jetzt verschlucken?
„Schau mich an" fordert Draco zum dritten Mal, dieses Mal fordernder, aber ich bringe es einfach nicht über mich, den Blick zu heben.
Auf einmal legt Draco einen Finger unter mein Kinn und zwingt mich so, ihm ins Gesicht zu sehen.
„So etwas hat noch niemand für mich getan" flüstert Malfoy, als unsere Blicke sich treffen.
Er schaut mich mit einer solchen Intensität an, dass mir ein Schauer über den Rücken läuft.
In seinen grauen Augen, die sich in ein stürmisches Meer aus flüssigem Silber verwandelt haben, drohe ich zu ertrinken. Die Stelle, an der sein Finger meine Haut berührt, sendet Wärme und prickelnde elektrische Impulse durch meinen ganzen Körper. Generell habe ich das Gefühl, keinerlei Kontrolle mehr über mich selbst zu haben. Selbst wenn ich versuchen würde, mich von ihm zu lösen, würden mir meine Beine vermutlich den Dienst versagen.
Ich fühle, wie mein Herzschlag sich beschleunigt. Mit jeder Sekunde, die vergeht, fällt es mir schwerer zu atmen. Ich würde gerne etwas sagen, irgendwas, aber mein Kopf ist vollkommen leer gefegt. Stattdessen starre ich Malfoy einfach an wie ein Reh im Scheinwerferlicht.
Ich sehe, dass Malfoy erneut zu sprechen ansetzt, aber in diesem Moment beendet Professor Slughorn die Unterrichtsstunde. Statt noch etwas zu sagen bedenkt Malfoy mich mit einem letzten langen Blick, bevor er mein Kinn loslässt und den Klassenraum verlässt.
Doch auch Minuten später bin ich unfähig, mich von der Stelle zu rühren.
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