XII. Kapitel
Frau Zahnfee, die Hoteldiebin
Zum vierten Mal hatte ich nun schon von dem Mädchen, beziehungsweise mir, das von der Klippe springt geträumt und ich war wie jedes Mal aus dem Schlaf hochfahren.
Mein Handy verriet mir, dass es kurz nach drei, mitten in der Nacht war. Euripides und Liam, die in einem Doppelbett lagen, schliefen tief und fest, einer der beiden schnarchte. Ich hatte ein weniger bequemes Klappbett, das jedoch völlig ausreichte, wenn man bedachte an welchen bedenklichen Orten ich schon übernachtet hatte. Ich ging ins Bad, spritze mir kühles Wasser ins Gesicht und redete mir zum wiederholten Male ein, dass es nur ein Alptraum war und ich mich niemals von einer Klippe stürzen, und erst recht kein bodenlanges schwarzes Kleid tragen würde.
Ich legte mich wieder hin, konnte aber nicht einschlafen. Also stand ich wieder auf, mit dem Vorsatz an dem Rätsel zu grübeln. Ich zerbrach mir den Kopf, wendete alle möglichen Entschlüsslungmethoden an die ich kannte und durchforstete zum wiederholten Male das Internet. Wie jedes Mal ohne Erfolg.
Dann hörte ich den Wasserhahn tropfen, wahrscheinlich hatte ich ihn vorhin nicht ganz zugemacht. Damit Euripides und Liam nicht wach wurden ging ich ins Badezimmer und machte ihn zu. In einer Hand hielt ich immer noch das Stück Papier, was die Meermenschen uns überreicht hatten, es flatterte mir aus der Hand und landete im nassen Waschbecken.
"Verdammt!"
Gerade wollte ich es herausfischen, als ich sah, dass ein paar normale Buchstaben durchschimmerten. War ich immer noch so angeschlagen, dass ich mir das einbildete? Wohl kaum.
Mir kam schlagartig eine Idee. Ich drehte den Wasserhahn auf und ließ das Becken voll laufen, dann drückte ich das Papier unter Wasser. Erstmal tat sich gar nichts, doch Stück für Stück verschwanden die seltsamen Symbole und machten ganz gewöhnlichen Buchstaben Platz. Ich konnte sie ohne Probleme lesen, was bedeutete, dass es griechisch war. Es war so einfach gewesen, dass ich keine Sekunde daran gedacht hatte!
"Euripides, Liam!", rief ich ohne Rücksicht auf andere Hotelgäste.
Euripides stand als erstes in der Tür zum Bad und schien besorgt.
"Zoë? Ist alles in Ordnung?", fragte er.
Ich strahlte. "Des Lösungsrätsel. natürlich Dank der geniale Zoë Chester."
Erst schien er verärgert, dass ich ihn geweckt hatte (Brauchten Götter überhaupt Schlaf? Oder tun die das nur aus Langeweile?), dann kam er jedoch näher um sich das Papier anzugucken.
Von der Seite versuchte ich seine Reaktion einzuschätzen und entweder war er ein guter Schauspieler oder er hatte tatsächlich nicht gewusst, wo sich das Diadem befand.
Laut dem Text war es seit knapp einem Jahrhundert sicher versteckt in einer Felsenhöhle vor Afrika. Aber warum hatten es die Götter dann nie entdeckt? Angeblich befand sich am Eingang ein Alpha und ein Omega, die gleichzeitig eingedrückt werden müssten und Schwups, Sesam öffne dich. Dazu wieder Koordinaten hingekritzelt, die es quasi zu einem Kinderspiel für mich machen würden, die Höhle zu finden. "Weckst du Liam und packst unsere Sachen zusammen? Ich besorg uns etwas Kohle. Du kannst direkt schon mal im Internet nachschauen, wann das nächste Schiff hierhin geht." Ich zeigte auf die Koordinaten. "Bin gleich wieder da."
Was ich jetzt vorhatte war zwar riskant aber nichts im Gegensatz zum Stier des Minos oder dem Burgerbrater (ihr erinnert euch?). Aus Mays Rucksack kramte ich eine plattgedrückte Eisenstange die am Ende um neunzig Grad gebogen war. Es hatte durchaus seine Vorteile, viel Zeit mit den Kindern von Hermes, Gott der Diebe, zu verbringen. Dann zog ich mich an, öffnete das Fenster und kühle Nachtluft strömte herein. Vorsichtig stieg ich auf das Fensterbrett und tippelte mit kleinen Schritten den Sims entlang. Glücklicherweise hatte ich keine Höhnenangst, auch wenn sich unser Zimmer gerade mal im zweiten Stock befand.
Euripides sah mir kurz nach und grinste. Er wusste genau, was ich vorhatte und anscheinend war unsere Gespräch am Pool vergessen. Für mich noch lange nicht, was aber nicht hieß, dass ich ihn ignorierte oder so.
Inzwischen war ich am Nachbarfenster angekommen und spähte hinein. Ich konnte Umrisse zweier Personen erahnen, die in einem Bett schliefen. Das Hotelgebäude war alt, wenn auch modernisiert, trotzdem hatte man die nostalgischen Fenster nicht gegen neue ausgetauscht. Das war mein Glück. So leise ich konnte hebelte ich das Fenster auf. Ich lauschte einen Moment, hörte jedoch nichts. Die beiden Herrschaften hatten wohl einen tiefen Schlaf. Der Safe befand sich an der selben Stelle wie bei uns und war nicht besonders sicher und wie die Fenster recht alt. Jeder Kleinkriminelle könnte ihn knacken. Und tatsächlich: Als ich Sternchen Raute Sternchen Raute tippte und dann die Null soweit durchdrückte, dass sie stecken blieb, öffnete sich der Safe. Ich Gedanken dankte ich Travis Stoll von ganzen Herzen. Das Erfolgsgefühl hielt jedoch nicht lange, den im Safe lagen nur zwei Eheringe (wer klaut schon einen Ehering? Das brachte ich nicht übers Herz), knapp 70 europäische Euro (okay besser als nichts) und eine EC-Karte (ohne Pin nutzlos). Ich stopfte mir das Geld in die Hosentasche, ließ Fenster und Safe offen und tastete mich vor bis zum nächsten Zimmer. Die Schranktüren waren weit geöffnet und das Bett gemacht, hier wohnte definitiv niemand. Also versuchte ich mein Glück weiter. Das darauffolgende Zimmer war bewohnt, das große Bett leer, nur in einem kleinen Kinderbett schien jemand zu liegen. Wie beim ersten Zimmer öffnete ich das Fenster und den Safe. Ich traute meinen Augen kaum. Soweit ich das überblicken konnte an die sechshundert Euro, Perlenohrringe und eine kleine Handtasche von einer Marke, die soweit ich wusste, verdammt teuer war.
"Wer bist du?", fragte einen dünnem Jungenstimme hinter mir auf niederländisch.
"Ich bin die...die...Zahnfee.", sagte ich promt, ebenfalls auf niederländisch. Bei Zeus, was hatte ich mich erschreckt.
Zahnfee. Was besseres war mir wohl nicht eingefallen. Der Junge machte große Augen.
"Das heißt, du kannst zaubern? Aber ich hab doch gar keine Zahnlücke. Nur einen Wackelzahn, guck!" Stolz machte er den Mund auf und fummelte mit den Finger darin herum.
"Das ist ja toll. Natürlich kann ich das. Aber...ähm...wo sind den deine Eltern? weißt du...eigentlich darf mich niemand sehen...ich krieg sonst Ärger."
"Die sind noch unten. Ich glaube die wollten an einer Bar trinken Aber ich verpetze dich nicht, versprochen."
"Das ist aber sehr lieb von dir. Das Problem nur ist, dass ich nur verschwinden kann, wenn mich niemand sieht. Kannst du dich ins Bett legen, die Augen zu machen und so tun als würdest du schlafen?"
"Klaro. Eine Frage Frau Zahnfee. Kommst du wieder, wenn ich meinen Wackelzahn weg hab?"
"Natürlich. Aber dann siehst du mich nicht weil du schon schläfst. Wir sehen uns kleiner Mann."
"Tschüss!"
Er legte sich ins Bett, ich nahm die Sachen aus dem Safe und ging zur Tür heraus. Wie naiv kleine Kinder doch waren. Kleine Gewissensbisse hatte ich schon. Immerhin hatte ich gerade ganz gewöhnlichen Menschen bestohlen und einen kleinen Jungen total angelogen. Wobei es ja eigentlich im Interesse von allen lag, dass keine Fieslinge die Herschafft übernahmen und der Junge nun immer glauben wird, er hätte die Zahnfee gesehen, was ja an sich nicht schlimm war. Es gab gemeinere Menschen als mich.
Schnellen Schrittes ging ich den Hotelflur entlang und klopfte an unsere Tür. Euripides und Liam waren bereits fertig und gemeinsam beeilten wir uns, aus dem Hotel herauszukommen. Meine Aktion blieb bestimmt nicht all zu lang unbemerkt. Im Taxi erzählte ich den beiden flüsternd von meinem Beutezug. Liam war der Ansicht, dass ich moralisch nicht korrekt gehandelt hatte und Euripides meinte grinsend, dass ich mir doch überlegen konnte, so etwas von Beruf zu machen.
Egal, ob der Auftrag nun "echt" war oder nicht, ich hatte das Gefühl, dass wir ziemlich nah am Ziel waren.
ΩΩΩ
Die Summe, die wir im Pfandhaus im Tausch gegen die Ohrringe und die Tasche bekommen hatten war beträchtlich, reichte jedoch (zu Liams Leidwesen) nicht für drei Flüge. Also begann eine Odyssee (okay, so lang wie Odysseus' Odyssee war sie nun auch nicht) mit Schiff, Autobus und Zug.
Die Betten auf dem Schiff waren total bequem, der Autobus war dagegen weniger geeignet zum Schlafen. In der Zeit der wir hatten erzählten wir von uns, spielten Karten und alberten herum. Eine willkommene Abwechslung zu den Ereignissen in Amsterdam. Ich fand mehr und mehr, dass Liam sogar richtig nett sein konnte (Betonung auf konnte) und ein vorzüglicher Schachgegner war. Mit Euripides war es super über Dinge zu reden, die man höchstens aus Geschichtsbüchern und Wikipedia kannte, bei denen er selbst jedoch live dabei gewesen war. Kurz gesagt: Ich genoss die Zeit, in der niemand hinter uns her war oder mich umbringen wollte und wir einfach so tun konnten, als wären wir gewöhnliche Teenager. Keine weiteren Zwischenfälle, nicht mal der Hauch eines Monsters. Ich hätte misstrauisch werden können, aber ich wusste, dass ich mir schon noch früh genug den Kopf zerbrechen und von meinen Waffen Gebrauch machen müsste, auch wenn ich das Gegenteil hoffte.
Als wir schließlich aus einem (uralten, stickigen, unbequemen) Bus ausstiegen an einem Ort, dessen Name ich nicht mal drei Sekunden behalten hatte, war die Normalität schlagartig vorbei. Mein inneres GPS sagte mir, dass wir etwa eine Stunde quer durch eine Stein- und Geröllwüste mussten. Die Sonne knallte vom Himmel, als ob Apollo uns persönlich den letzten Schritt vor unserem Ziel schwer machen wollte. Den Göttern sei dank liefen wir auf eine Küste zu und bald wehte ein angenehmer Wind zu uns herüber. Schneller als gedacht waren wir an einem riesigen Felsberg angekommen, der größte weit und breit. Von einer Seite schlugen Wellen dagegen und einen Moment hatte ich das Gefühl, hier schon einmal gewesen zu sein, was natürlich total absurd war.
Keine fünf Minuten dauerte es, bis wir das Alpha und das Omega, eingeritzt in den Fels gefunden hatten. Wie in der Anleitung der Meerleute, beziehungsweise Ate, drückten wir beide zur selben Zeit ein. An einer Stelle begann der Fels zu bröseln und sich in feinen Sand zu verwandeln, den der Wind davon trug. Fasziniert beobachteten wir, wie sich eine geschätzt drei Meter hohe Öffnung in den Fels bildete. Das war wirklich nicht schwer gewesen. Mein Verdacht, dass der Auftrag nur ein Test war, schien sich für mich zu bestätigen. Nacheinander betraten wir das Innere und die Öffnung schloss sich wieder. Mir war mulmig zumute. Das Wasser hatte in den Fels eine Höhle geschliffen, die von der Größe her als Ballsaal durchgehen würde. An den Wänden brannten Fackeln und auf einer Empore lag auf einem Steintisch etwas, was wahnsinnig hell leuchtete. Keine Frage: Das war Euronymes Diadem. Die Macht, die von ihm ausging fesselte mich, ich wollte darauf zulaufen und es anfassen, es war ein unglaubliches Gefühl. Gerade noch hielt Euripides mich und Liam an der Schulter fest.
"Heilige Scheisse!", fluchte er. Ich folgte seinem Blick und ging automatisch einige Schritte zurück. Am anderen Ende der Hölle standen fünf dutzend Soldaten in griechischer Rüstung und gezückten Waffen. Definitiv keine Sterblichen. Doch was mich noch viel mehr aus der Bahn warf, war der junge Mann der am ihrer Spitze stand.
Es war Luke.
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Ich bin seit zwei Wochen mit meiner Familie im Urlaub und fahre jetzt noch mal zwei Wochen zu meinen Cousinen nach Schottland und Holland. Wahrscheinlich kommen dann gar keine Updates... :( Ich versuche es aber trotzdem :D
Ich will immer noch nicht so recht glauben, dass das hier wirklich 13.5k Reads und 700 Votes hat! Danke, dass ihr es lest, Votet und kommentiert (*husthust @xxCopyCatxx deine Kommis sind genial husthust*) !
Sry wegen dem Rummgeschleime aber das musste jetzt einfach mal sein :'D
XXX
Paula
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