I. Kapitel

12 Jahre später

Ich spiele Räuber und Gendarm mit einem (nicht ganz so niedlichem) Hündchen

Ihr kennt doch bestimmt diese typischen, langweiligen Schulfeste, oder? Eines dieser Schulfeste war der Beginn von Allem.

Die Jungs spielten Räuber und Gendarm, es wurden Reden gehalten und ansonsten prügelten sich alle um das Essen am Buffet. Es war das 75 jährige Jubiläum der Londoner Queen Marry School for Boys and Girls und eigentlich wollte ich mich krank stellen, aber meine Irgendwie-Freundin May hatte mich mitgeschleppt, als sie gehört hatte, dass die Bilder und Skulpturen der Kunst-AG ausgestellt wurden (Hätte ich mich doch bloß krank gestellt, mir wäre so viel erspart geblieben!). May war eine richtige Kunst-Närrin. Sie konnte malen wie Picasso und ihr solltet mal ihr kleines Heft sehen, in dem sie während den Schulstunden vor sich hin kritzelt!

Ich hatte die Gelegenheit genutzt, als sie und die anderen aus ihrer Gruppe den Eltern und Lehrern ihre Werke zum Thema „aus Müll mach Kunst" (totaler Schwachsinn, wenn ihr mich fragt) vorstellten um mich auf dem Klo einzusperren. Und da saß ich nun allein auf dem Klodeckel umgeben von gelblichen Kacheln, die wahrscheinlich einmal weiß waren (das ist bestimmt lange, lange her). Jemand hatte mit Eding Mrs Drope ist 'ne Schlampe und Mike aus der 9d ist heiß darauf geschrieben. In der Jungentoilette, die genau nebenan war, hörte ich einen Schrei. Sicherlich war ein Junge, der sich auf der Toilette versteckt hatte, "gefangen" worden war, und rannte nun um nicht "im Gefängnis" zu landen.

Als der Schrei plötzlich verstummte, wollte ich mich erst wieder der Frage widmen, wie viele gelbliche Kacheln es in meiner Kabine gab, als ich einen erneuten Schrei vernahm.

Das war doch nicht normal! Leise öffnete ich die Tür, die wieder in den Gang führte, und spähte in das Jungenklo. Der Gestank war ekelhaft, die Kacheln noch gelber als in der  Mädchentoilette und unter einem der Waschbecken im Vorraum kauerte ein Junge aus meiner Stufe. Liam, hieß er, glaubte ich. Ich trat in den Vorraumm und fragte mich verwundert, wieso er um alles in der Welt auf dem schmutzigen Boden hockte und was ihm so Angst machte. Da beantwortete sich meine Frage von selbst (ich wünschte, sie wäre unbeantwortet geblieben).

Ich zuckte zusammen, denn ein ohrenbetäubendes Brüllen erschütterte die ganze Toilette. Dann drehte ich mich um und sah was Liam so in Panik versetzt hatte. Es war eine Art großer Hund mit Vorderbeinen die länger waren als die Hinterläufe und einen ledrigen Fell, was die Knochen bespannte. Seine Augen sahen schwarz und leer aus, es fehlte der lebendige Funke. Die Lefzen waren hoch gezogen und er gab ein Knurren in der Lautstärke eines landenden Flugzeuges von sich. Das Bedrohlichste jedoch war seine Größe, er war so groß wie ein Kombi und ich fragte mich, wie er durch die kleine Tür gekommen war. Seine gruseligen Augen sahen mich hasserfüllt an. Entweder war ein genmutierte, tollwütiger Mammuthund aus einem Versuchslabor ausgebrochen oder ich war schlicht ergreifend dabei den Verstand zu verlieren. Leider hatte ich keine Zeit mir zu überlegen, welche Variante weniger schlimm war, denn der Mammuthund setzte zum Laufen an. Ich kannte das von dem Hunden die ich im Hyde Park gesehen hatte, wenn sie Jagd auf Kaninchen machten. Nur das dieser Hund hier eine andere Beute im Visier hatte.

„Lauf!", schrie ich Liam zu, der lies es sich nicht zweimal sagen und rannte vor mir aus dem stinkendem Klovorraum. Auf dem Gang holte ich Liam ein, ich war schon immer eine schnelle Läuferin gewesen. Ohne genau zu wissen, wohin wir rannten, liefen wir die Treppe hoch, in der Hoffnung, dass Mammuthunde das nicht konnten. Doch sie konnten. Inzwischen waren wir im zweiten Stock des Gebäudes angekommen und ich hörte Liam neben mir prusten. Mir wurde klar das wir einen großen Fehler gemacht hatten, als wir anstatt nach draußen nach oben gerannt waren. Die Schule hatten nicht unendlich viele Stockwerke und das Vieh wurde anscheinend nicht müde, im Gegensatz zu uns. Liam schien der gleiche Gedanke gekommen zu sein.

„In die Biosammlung.", befahl er. Ich hasste es sonst, herumkommandiert zu werden, aber in dieser Situation war ich durchaus bereit meine Prinzipien über den Haufen zu werfen. Die Biosammlung nahm beinah ein Drittel des gesamten Platzes im zweiten Stock ein. Die verstaubten Regale waren zugestopft mit eingelegten Schlangeneiern, Plastikmodellen von irgendwelchen Organen und sezierten Kuhaugen. Wir suchten Deckung hinter einem Regal in dem Nachbildungen von menschlichen Knochen lagen. Das Tier hielt einige Sekunden inne und schlich dann durch die Regalreihen. Anscheinend hatte es nicht besonders gute Augen. Es stand nun auf der anderen Seite des Regals, hinter dem Liam und ich kauerten. Aus Instinkt wich ich zurück, bis ich ein anderes Regal im Rücken spürte. Ich atmete so flach es ging nach so einem Sprint. Der Mammuthund kam nun zielstrebig auf das Regal zu, hinter dem Liam immer noch stand. Ich machte noch einen Schritt zurück und stoß dabei ein Regal um. Die Einmachgläser zersprangen auf dem Boden und es breitete sich ein scharfer Geruch aus. Die Ohren des Hundes stellen sich auf und mit einer Pranke stieß es das Regal mit den Knochenimitationen um und Liam wurde ausgeknockt und darunter begraben. Das Monster stand jetzt einen Meter von mir entfernt und wenn es nicht ein Hund wäre, würde ich sagen, dass es schadenfroh grinste. Von dem beißendem Geruch der Flüssigkeit, die das Zeug in den Gläsern konserviert hatte, musste ich mich beinah übergeben.

Das war's jetzt... dachte ich und schloss die Augen, in der Hoffnung aus einem Alptraum aufzuwachen. Tat ich jedoch nicht. Ich wurde von einer ungeheuren Kraft (Jaaa, diese Viecher waren nicht nur groß sondern auch stark wie Popei der Seemann)  von den Beinen gerissen und landete in dem Haufen aus Glasscherben und der ekeligen Flüssigkeit, die sich sofort mit dem Blut vermischte, das aus den kleine Schnittwunden in meinen Händen trat. In meiner Verzweiflung schleuderte ich ihm ein halbzerbrochenes Glas entgegen. Das machte die Sache leider nicht besser. Das Biest schien sich nicht daran zu stören und ich hatte mir eine weitaus tiefere Schnittwunde eingehandelt. Plötzlich fuhr ein Schauder durch den Hund. Er wurde ganz steif und bröselte dann langsam wie ein gigantischer, schwarzer Butterkeks. Schwarzer Pulver legte sich auf alles im Umkreis von zwei Metern. Und das Tier war verschwunden, als wäre es nie da gewesen. Jetzt erst bemerkte ich, dass May in der Tür stand. In der rechten Hand hielt sie einen Bogen und um ihre linke Schulter war lässig ein ein Köcher mit Pfeilen geworfen.

„Kommst du? Bevor noch mehr auftauchen."

Ich antwortete nicht und daraus schloss sie wohl das ich ziemlich verwirrt war, denn so leicht brachte mich normalerweise nichts zum Verstummen.

„Was um alles in der Welt war das?!" Ich hatte meine Stimme wiedergefunden.

„Ein Höllenhund.", antwortete May knapp.

„Ein was?"

„Natürlich nicht der, der den Eingang zur Unterwelt bewacht, sowas wie eine Miniaturausgabe davon."

Ich verstand immer noch nicht, wovon sie redete. Höllenhund? Unterwelt? Mini? Und dann May mit diesem seltsamen Bogen. Sie seufzte.

„Ich erklär dir das auf dem Weg, ja? Wir müssen jetzt wirklich los."

Ich richtete mich auf, meine Hände schmerzten und in meinem Kopf drehte sich alles. May nahm meinen Arm und drehte sich zum Gehen.

„Wohin? Und...was ist mit Liam?",fragte ich, er lag schließlich immer noch unter dem Regal.

„Du warst nicht allein?" May sah mich an. Mit einem Kopfnicken deutete ich auf das umgefallen Regal. Sie hob das Regal an und hievte Liam hervor. Dann legte sie eine Hand auf seine Stirn.

„Er ist ein Sterblicher.", sagte sie verwirrt. „Konnte er den Höllenhund sehen?"

Ich nickte. Mir war so schlecht, dass ich kein weiteres Wort herausbrachte. May schien das zu ahnen.

Mit den Worten „Das wird dir helfen" Reichte sie mir eine Thermosflasche aus ihrem Rucksack. Ich schraubte den Deckel ab und trank einen Schluck. Das Getränk schmeckte wie...flüssige Nutella, wirklich! Ich liebte Nutella, es war wie ein Heilmittel gegen schlechte Laue und Traurigkeit. Sofort fühlte ich mich besser, nicht mehr so erschöpft, mein Kopf wurde klarer und meine Schnittwunden an den Händen taten nicht mehr weh.

„Nektar und Ambrosia.", sagte May. „Zu viel und du gehst in Flammen auf."

Schnell drehte ich die Kanne wieder zu, ich hatte nicht vor, bei lebendigem Leibe zu verbrennen. May hob Liams Oberkörper an, er war nur noch halb bei Bewusstsein. Ich stütze ihn links, May rechts. Er murmelte etwas Unverständliches, konnte aber immerhin einen Fuß vor den Anderen setzten. Wir hievten ihn die Treppen runter. In der Aula und auf dem Schulhof war noch immer das Fest in Gange. Entweder bemerkte uns niemand, oder niemand fand es komisch, dass zwei Mädchen mit einen halb bewusstlosen Jungen durch das große Schultor spazierten. May winkte ein Taxi heran und wir stiegen ein. Der Taxiafahrer wirkte etwas pikiert, als ich mich mit den dreckigen Klamotten auf einen der Sitze fallen ließ, sagte aber nichts.

„Wohin soll's gehen?", fragte er.

„Flughafen.", antwortete May und der Fahrer drückte aufs Gas.

„Und dann?", wollte ich wissen.

Sie schaute mir jetzt genau in die Augen.

„Dann, Zoë, fahren wir nach Hause."

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