21 - Fjella

Die Sonne ging auf und erleuchtete die vollen Baumkronen von der Seite. An den Stamm einer Eiche gelehnt saß Geza. Sie schaute in das Licht und genoss die Wärme, Theodor lag mit dem Kopf auf ihren Knien und schlief. Die ganze Nachte hielten ein Wolf und eine Eule Wache. Die Eule war davongeflogen und der Wolf schlich leise ins Dickicht, als es heller wurde. Hekate hatte Geza seid ihrer Flucht nicht gesehen. Sie hoffte, dass es die alte Eule gut aus der Auseinandersetzung geschafft und und sich wieder auf den Dachboden zurückgezogen hatte. Die Sonne hatte auch ihren Sohn wachgekitzelt. Er blinzelte, so gut es mit einem angeschwollenen Auge ging, und wünschte seiner Mutter einen guten Morgen. 

"Guten Morgen, mein Junge", antwortete Geza, "Das ging gestern alles so schnell, ich habe dich gar nicht gefragt, wie es dir geht?" 
"Der Arm tut am meisten weh", gestand er. Geza seufzte und gab ihm einen vorsichtigen Kuss.
"Ich wünschte, ich könnte dir das abnehmen", flüsterte sie, "Es tut mir Leid, dass ich dir nicht helfen konnte"
Theodor umarmte Geza mit dem gesunden Arm. "Dafür kannst du doch nichts. Ich hab dir auch nicht helfen können"
"Aber dich hat man richtig übel zugerichtet!", rief Geza, dass aus einem Strauch ein Vogel erschrocken rausflog. 
"Alles in Ordnung!", meinte Theodor, "Wir haben es geschafft! Gehen wir weiter?"

Geza half ihm auf und langsam liefen sie zwischen den Bäumen. "Du hast mir ja noch gar nicht erzählt, wie du das mit den Wölfen fertiggebracht hast! Kannst du mir davon erzählen?", bat Geza. Theodor war bereit zu erzählen.

"Als ich das Bewusstsein verlor, war zuerst alles dunkel. Danach, ich weiß nicht wann, sah ich einen Hügel. Darauf kam ein Rudel Wölfe gelaufen, sie bellten und heulten und schließlich verstand ich, was sie sagten. 'Du bist so weit' waren ihre Worte und dann war wieder alles schwarz. Als man mich ins Zelt gebracht hatte, wusste ich zuerst nicht, was ich tun sollte. Doch dann habe ich mich erinnert. An den Traum, von dem du mir immer erzählt hast, daran wie du immer deine Eulen rufst, und ich dachte, ich probiere das gleiche aus!"

Geza gab ihm noch einen behutsamen Kuss und flüsterte: "Du hast uns beide gerettet!"

Die beiden waren den ganzen Tag unterwegs. Sie kamen wegen Theodors Verletzungen nur langsam voran, er humpelte immer noch leicht und brauchte Pausen. Trotzdem verstanden beide, dass sie so viel Strecke hinter sich bringen sollten, wie möglich. Geza dachte zwar nicht, dass Gideon sie verfolgen würde. Er hatte jetzt das, was er wollte, die Eichenfeste und somit auch Quercus. Doch sicherer war es trotzdem. In einem Dorf machten sie eine längere Pause. Eine Bäckerin erkannte in den beiden Fremden die Fürstin und ihren Sohn. Die Nachricht von dem Fall der Eichenfeste hatte sie bereits erreicht. Also gab die Frau ihnen einen Laib Brot, etwas Speck, einen Krug Milch und stellte keine Fragen. Dankbar nahmen sie die Gaben an und setzten sich an den Wegrand. Theodor konnte seinen Kiefer nicht intensiv bewegen, also brach er sich kleine Stücke ab, legte sie vorsichtig in den Mund und zerkaute sie behutsam. 

Bis zum Abend hofften sie ein anderes Dorf zu erreichen und dort Unterschlupf für die Nacht zubekommen. Sie nahmen die Abkürzung durch das Moor. Die Sonne war hinter dicken Wolken verschwunden, der Tag neigte sich dem Ende und ein Nebel steig vom feuchten Sumpfboden auf. Die Erde schmatzte unter ihren Schuhen und nach keinen zwanzig Ellen hatten beide nasse Füße. Sie sanken bis zum Knöchel und sogar bis zur Hälfte der Wade im schmutzigen Wasser ein. Der Nebel wurde immer dichter, die Sonne war nicht mehr zu sehen. 

Theodor blieb stehen. "Mutter, ich kann nicht mehr", stöhnte er. Geza standen die Tränen in den Augen. "Theo, wir müssen weiter, wenn wir vor Einbruch der Dunkelheit ein Dach über dem Kopf haben wollen. Ich verstehe, dass du Schmerzen hast, du warst und bist sehr tapfer, aber wir können jetzt nicht stehen bleiben", versuchte sie ihren Sohn zu überzeugen. Er stand fast knietief im Wasser und hielt sich den verbundenen Oberarm. Die Schwellungen in seinem Gesicht waren nicht mehr so dick wie morgens, aber noch sichtbar. Er seufzte und machte ein paar Schritte. 

Inzwischen war sich Geza ganz sicher, dass sie sich verirrt hatten. Das Moor wollte und wollte nicht enden. Sie konnte schwören, dass auch Theodor darum wusste und war ihm dankbar, dass er nicht sagte und weiterlief. Der dichte milchfarbene Nebel half nicht, den richtigen Weg in das Dorf zu finden. Inzwischen war die Sicht auf sechs Schritte begrenzt, Bäume tauchten urplötzlich auf und verschwanden genauso wie sie erschienen waren. Sie wateten schweigend und ziellos durch das Wasser. 

Vor ihnen tauchte ein merkwürdiger Baum auf. Er bewegte sich, aber nicht so, wie sich Bäume im Wind bewegen, sondern wie ein lebendiges Wesen. An den verzweigten Ästen hing Moos und anderes Zeug, das eigentlich auf den Boden gehörte. Der Baum drehte sich nach rechts und links. Geza und Theodor traten einen Schritt zurück. Geza stellte sich vor ihren Sohn. Ihre Augen waren weit aufgerissen und der Mund stand ihr offen. Ihre Knie wurden weich und in ihrem Bauch kribbelte es. Obwohl sie wollte, konnte sie nicht wegrennen. Außerdem war Theodor momentan nicht in dem Zustand, um vor etwas zu fliehen. Plötzlich schnaufte der Baum und der Nebel wirbelte um ihn. Danach sog das Wesen die kalte Luft ein. Jetzt begriff es Geza endlich. Es war ein Elch. Und nicht nur einer, aus dem Nebel traten noch mehr. Hier bekam es Geza wieder mit der Angst zu tun. Von der Laune dieser Tiere hing es jetzt ab, ob sie dieses Moor lebendig verlassen würden. 

Auf einmal ertönte eine raue Frauenstimme. "Was ist denn da?", fragte sie und hustete. Ein Platschen ertönte hinter Gezas und Theodors Rücken und sie sahen die Frau, der die Stimme gehörte. Sie war sehr dünn, ungefähr Anfang vierzig, ihre blonde Haarpracht war von braunen Strähnen durchzogen, in der Hand hielt sie eine Art Speer und auf dem Rücken hatte sie einen Köcher mit Pfeilen und einen Bogen befestigt  Um die Schultern trug sie einen schwarzen Umhang und darunter ein langes abgetragenes Kleid. Sie legte den Kopf schief und musterte die beiden verwirrt. Geza und Theodor schauten genauso ratlos zurück.

"Wie kommt ihr denn hierher?", fragte sie und besah sich die Kleidung der zwei, "So feine Leute..."
"Ich bin Geza die Fürstin von Quercus, die Eichenfeste ist von den Fürsten von Maximilla eingenommen und wir sind aus seiner Gefangenschaft geflohen", erklärte Geza. 
"Interessant, dass ihr soweit gekommen seid, so tief im Moor kann es auch gefährlich werden". meinte die Frau und warf einen aufmerksamen Blick auf Theodors Gesicht und Gezas zerrissenes Kleid. "Gute Frau, wir brauchen einen Unterschlupf für die Nacht. Mein Sohn braucht unbedingt etwas Ruhe. Wäre es möglich, dass wir bei dir in einer Scheune übernachten können?", bat Geza, "Und morgen ziehen wir wieder weiter"
"Natürlich, kommt mit. Fera sollten sich gegenseitig helfen", sagte sie und wand sich an einen der Elche: "Lass diese zwei Menschen aufsitzen. Es sind Freunde" Der Elch grunzte und kniete sich hin. Geza und Theodor bedankten sich bei dem Tier und saßen auf. Auch die Frau kletterte an einem Elch hoch.

Es war so anders als der Ritt auf einem Pferd. So ein Elch war viel höher und ohne Sattel wurde auch ein langsamer Ritt wie dieser wackelig. Schritt für Schritt trugen die Elche die drei aus dem Moor raus. Zwischen den Geweihen sah Geza, wie sich der Nebel mit jeder Minute lichtete und die Landschaft sich nach und nach in einen Wald verwandelte. Vor einer kleinen Hütte machten die Elche Halt. Die Frau mit den blonden Haaren sprang geschickt von ihrem Reittier runter. Geza traute sich nicht das gleiche zu tun. Theodor wollte es zwar versuchen, man sah es ihm an, aber er hatte schon beim Hinüberziehen des Beines Schmerzen im Bauch. 

"Eine Scheune habe ich nicht, also übernachtet ihr im Haus", sagte die Frau und öffnete die Tür, "Mein Name ist übrigens Fjella"
"Angenehm", antwortete Geza, "Ich bin Geza und mein Sohn heißt Theodor"
Fjella lachte. "Als ob ich die Namen der Fürsten nicht kenne!"

Das Haus war klein aber sehr ordentlich. Neben einem kleinen Ofen stand ein Bett, das groß genug für zwei Personen war, von der Decke hingen Küchenutelsilien und in der Mitte befand sich ein Tisch mit zwei Bänken. Der Rest des Raumes war mit Kisten und Regalbrettern gefüllt, eine kleine Tür führte wahrscheinlich in eine Vorratskammer. Fjella stocherte in der Glut des Ofen herum und warf etwas Reisig in die Feuerstelle, während Geza und Theodor noch betreten an der Tür standen. "Setzt euch hin! Gleich gibt es Suppe!", lud sie ihre Gäste ein und dankbar ließen sie sich nieder.

Es war wie eine Erlösung, endlich zu sitzen. Vom Ofen aus strömte eine Wärme und der Geruch der Suppe erinnerte an Zuhause. Kurz darauf genossen Geza und Theodor das Gefühl, wie die heiße Suppe ihren Hals herunterfloss und im Magen die Wärme ausbreitete. Mit der Wärme und der Sättigkeit kam die Müdigkeit. Theodors Kopf neigte sich nach unten und Geza musste ihren auf der Hand abstützen. Fjella kicherte in sich hinein.
"Legt euch schlafen", befahl sie fast und nickte in Richtung Bett.
"Was? Auf dein Bett? Und du?", fragte Geza.
"Ja, ihr habt schon richtig gehört. Aber erst verarzte ich deinen Arm", sagte sie zu Theodor.
Sie ging an einen Schrank und holte ein kleines Töpfchen raus.
"Meine Wundersalbe. Wirkt entzündungshemmend und beschleunigt die Heilung", erklärte sie und öffnete Theodors Verband. Die Wunde ging durch den Arm durch, der Ritter hat Theodor mit dem Schwert an den Boden gepinnt. Sie wässerte und war noch schmutzig, eiterte aber zum Glück nicht.
"Warum hast sie nicht ausgespült?", fragte Fjella.
Geza murmelte: "Ich hatte kein Wasser griffbereit."
Fjella nickte verständnisvoll und wischte mit einem feuchten Tuch über die Verletzung. "Hast sie aber gut verbunden", lobte Fjella sie.
Das Tuch wurde danach in die Kräutersalbe getunkt und um Theodors Arm gewickelt. Darüber kam ein trockenes Tuch. Während der Prozedur biss der Junge tapfer die Zähne zusammen. "Und?", wollte Geza wissen.
"Brennt ein bisschen", gestand er.
"Das muss so sein", meinte Fjella, "Jetzt leg dich schlafen"
Theodor ließ sich das nicht zweimal sagen und ließ sich ohne Kommentare aufs Bett fallen, er stöhnte kurz auf. In seiner Müdigkeit hatte er vergessen, wie verletzt er war.
"Ist das wirklich in Ordnung, dass wir in deinem Bett schlafen?", wollte Geza wissen. Fjella wirkte schon etwas genervt. "Wenn ich doch schon sage, dass ihr euch schlafen legen sollt." Geza nickte, bedankte sich und legte sich neben ihren Sohn. Fast augenblicklich fiel sie in eine bleiernen Schlaf.

Am nächsten Morgen wachte Geza von alleine auf. Nichts und niemand hatte sie geweckt. Auf dem Tisch standen zwei Schüsseln mit Ziegenmilch, daneben lagen zwei Eier und etwas Brot. Theodor schlief noch und von Fjella war keine Spur. Geza ging davon aus, dass das Essen auf dem Tisch für sie war, und begann zu frühstücken. Kurz darauf wachte auch Theodor auf und gesellte sich zu seiner Mutter. "Guten Morgen!", begrüßte er sie und Geza antwortete ihm: "Guten Morgen. Wie geht es dir?" 
"Besser, der Arm tut immer noch etwas weh, aber nicht so schlimm wie gestern", mampfte Theodor. Sein Gesicht war nicht mehr so dick wie am Tag davor.

Fjella warf die Tür auf und schmetterte ein totes Kaninchen auf den Tisch. "Ausgeschlafen?", fragte sie. Die beiden Gäste nickten.
"Fjella, wir waren gestern so müde, dass wir uns gar nicht bedankt haben", rechtfertigte sich Geza und Theodor signalisierte mit einem Nicken, dass er dem Gesagten zustimmte. Fjella machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand und meinte nur: "Nicht der Rede wert" Geza stand auf.
"Vielen Dank für alles. Das werden wir nie vergessen", sagte Geza und machte einen Schritt zur Tür.
"Wo wollt ihr hin?", fragte Fjella.
Geza murmelte: "Wir wollen deine Gastfreundschaft nicht ausnutzen" 
"Blödsinn!", Fjella wirkte fast beleidigt, "Ihr bleibt hier so lange, ihr es nötig habt. Vor allem Theodor braucht Erholung. Du weißt genauso gut wie ich, wie unvorhersehbar solche Wunden werden können." 

Geza wollte die Frau vor lauter Dankbarkeit und Freude umarmen, traute sich aber erst nicht. Fjella deutete ihre Bewegung aber richtig und breitete mütterlich ihre Arme aus. Mit einem Gefühl der Erfülltheit ließ sich Geza in die Umarmung fallen.

"Ich gebe dir eins meiner Kleider. So kannst du nicht rumlaufen", entschied Fjella und begann in einer ihrer Kisten zu wühlen. Geza schaute an sich runter. Das Oberkleid war am Saum schmutzig, nass und stellenweise kaputt, am Unterkleid fehlte ein so großes Stück, dass man ihr Knie sehen konnte. Fjella hatte Recht, so rumzulaufen war unschicklich. Also tauschte Geza ihr Gewand gegen ein grobes ungefärbtes Wollkleid und eine schlichte Schürze aus. Auch eine Haube hatte sie griffbereit. Das Kleid war zwar in den Schultern zu breit und die Haube hing ihr die Stirn runter, aber das im Moment unwichtig.

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