13 - Die Fuchsfrau

Der Sommer war gekommen! Die Eichenfeste schien im sattem Grün der Wälder, Wiesen und Felder zu versinken. Die jungen Frauen und Kinder sammelten Beeren, in den Nutzgärten wurde Kohl und anderes Gemüse geerntet und die Bauern arbeiteten auf den Feldern, um das Heu und Getreide schnell in die Scheunen zu bringen. Auch Geza war damit beschäftigt, die Vorratskammern der Innenburg zu füllen. Zum Glück wusste sie aus ihrer Kindheit und frühen Jugend, welche Lebensmittel wo am besten zu lagern war. Sie hatte schließlich genug Zeit in der Küche unter Mägden verbracht. Die Diener hörten auf sie und wenn sie doch einen Fehler machte, dann wiesen sie Geza leise darauf hin, damit es nicht die halbe Welt mitbekam. Geza beaufsichtigte auch noch die Stoffherstellung in der Kemenate und packte fleißig mit an. Richard machte seine Rundgänge über die Burgmauern und durch die Stadt und machte manchmal Ausflüge, um in Dörfern nach dem Rechten zu sehen. Sie sahen sich so in der Regel zum Frühstück, Mittag- und Abendessen, die Speisen wurden zusammen mit den Rittern und ihren Familien eingenommen. Auch den restlichen Abend hatten die beiden für sich, solange es noch warm war, unternahmen sie Spaziergänge in der Umgebung der Eichenfeste. Inzwischen kannte Geza nicht nur alle Ritter beim Namen, sondern auch jedes ihrer Familienmitglieder, jeden, der in der Innerburg arbeitete und sogar einige aus der Bürgerwehr und der Schützenstaffel.

Auch die Eule Hekate hatte sich zu Gezas Erleichterung gut im Turm eingerichtet. Sie verstand sich sehr gut mit dem Terzel, der in der Eichenfeste lebte. Sie hatten entschieden zusammenzuleben und Hekate feixte, dass es zwischen ihr und dem Terzel kein halbes Jahr gedauert hatte. Sie hatte inzwischen Richard und Hekate in aller Form einander vorgestellt. Sie konnten sich zwar gegenseitig nicht verstehen, doch Geza wiederholte immer alles und Hekate ließ sich sogar von Richard streicheln. Der Terzel war das viel reservierter und redete nur mit Geza. Doch Geza sah Hekate jetzt seltener. Aus zwei Gründen, erstens, hatte sie selbst viel zu tun, und zweitens hatte Hekate gebrütet und war jetzt mit ihren Eulenkücken beschäftigt. Also wollten beide Eulen nicht gestört sein und Geza respektierte diesen Wunsch.

In der ersten Zeit hatte Geza immer Theresa dabei, sie hatte Angst, dass sie sich in der Burg verlaufen würde. Mit der Zeit wurde das aber immer besser und sie lernte auch welcher Schlüssel zu welchem Schloss passte. Als Burgherrin trug sie den Schlüsselbund, den sie von ihrer Schwiegermutter bekommen hatte, immer an ihrem Metallgürtel. Das Klimpern und das Gewicht an der Taille nervte sie zu Anfang, aber auch daran gewöhnte sie sich schnell.

An einem sehr warmen Sommertag, Geza war gerade damit beschäftigt zwei Wägen mit Rüben einen Platz im Keller zuzuweisen, kam einer der kleinen Jungs, die schnelle Botengänge innerhalb der Eichenfeste übernahmen, zu ihr.
"Herrin, der Herr Richard möchte Sie im Ratssaal sprechen."
Das war sehr ungewöhnlich. Richard wusste, dass Geza immer viel zu tun hatte mit der Stoffherstellung und dem Intakthalten der Innenburg. Deswegen störte er sie bei der Arbeit nicht. Also musste es dieses Mal etwas besonderes sein. Schnell schritt sie durch die Gänge und klopfte an die Tür zum Ratssaal. Es kam keine Antwort. Sie klopfte noch einmal.
"Geza! Komm jetzt endlich rein!", rief Richard Stimme, "Wir warten nur auf dich!"

Richard saß mit seinen Rittern am Tisch. Sie standen auf, als Geza den Raum betrat, und Richard bot ihr den Platz zu seiner Rechten an.
"Wir haben beunruhigende Nachrichten aus einer unserer Gemeinden erhalten", berichtete Richard, "In der Gemeinde Hochplatt findet ein Bauernaufstand statt. Die Bauern weigern sich zu arbeiten und bedrohen den Verwalter. Ein Grund dafür wird nicht genannt. So wie die Sache hier dargestellt wird, ist der Aufstand aus dem Nichts entstanden. Das kann natürlich nicht sein, so etwas gibt es nicht." 
Eine Weile sagte keiner etwas. 

Danach erhob er seine Stimme: "Nun Ritter! Was werden wir tun?"
Einer der Ritter erhob sich und antwortete: "Das, was wir in solchen Fällen immer tun, sollte zu der Situation passen. Wir stellen einen kleinen Trupp zusammen, gehen dahin und handeln der Lage entsprechend."
Die Ritter klopften zustimmend mit den Fäusten auf den Tisch.
Auch Richard war zufrieden und stimmte dem Vorschlag zu.
Geza zupfte ihn am Ärmel und flüsterte: "Warum hast du mich gerufen?"
Richard hob vielsagend den Finger und verkündete: "Dieses Mal komme ich mit und ich möchte meine Frau mitnehmen. Geza, würdest du mitkommen? Dann weißt du wie so etwas aussieht!"
Selbst wenn Geza dagegen wäre, könnte sie vor allen Rittern nicht einfach ablehnen.
Ein Bauernaufstand! In Kupferstrom hat es sie sehr lange nicht gegeben. Damals war Geza auch noch sehr jung. Der Konflikt beunruhigte sie, aber sie verstand, dass es nützlich wäre, dabei zu sein. Solche Auseinandersetzungen waren jetzt Teil ihres Lebens, ob es ihr gefiel oder nicht. 

Die Anziehsachen für die Reise suchte sie sich sehr sorgfältig aus. Ein teures Kleid auszuziehen, wäre weniger klug, die aufständischen Bauern würde das nur wütender machen. Außerdem war das rote Reisekleid aus grobem Leinen viel bequemer. Als Kopfbedeckung entschied sie sich für ein Haube. Aus zwei Gründen. Der erste war, eine Haube war die übliche Kopfbedeckung einer Bäuerin, so könnte Geza durch ihre Kleidung zumindest versuchen zu den Aufständischen herzustellen. Zweitens, würde die Haube ihre Haare besser verstecken, als der Schleier. Dank Pater Bonifatius' Predigten und der Sache mit der Frau des Schmieds waren die Bewohner der Eichenfeste Geza etwas besser gesinnt. Wie es in einem abgelegenen Dorf sein würde, konnte Geza nicht einschätzen. 

Die Reise dauerte zwei Tage. Geza fuhr in der Kutsche, während Richard und fünf seiner Ritter zu Pferd und dreißig Männer aus der Bürgerwehr auf einem Wagen reisten, der von vier Ochsen gezogen wurden. 
Die Gemeinde bestand aus einem Dorf und drei Siedlungen, die etwas weiter außerhalb lagen. In der Mitte auf einem Steinplateau über einem Fluss lag das Verwaltungsgut. Vor Toren des Gebäudes herrschten Aufruhr und Tumult. Bauern und Bäuerinnen standen mit ihren Heugabeln und anderen Arbeitsgeräten. Einige Männer versuchten das schwere Tor zu öffnen. Die Bürgerwehrsoldaten kletterten vom Wagen runter, verteilten die Hellebarden untereinander und bildeten einen Block. 

Den Aufständischen fiel zunächst gar nicht auf, dass sie Zuschauer bekommen hatten. Etwas abseits stand eine Gruppe Frauen und Kinder. Die Frauen feuerten die Gruppe an Tor an. Die Kinder dagegen klammerten sich eher erschrocken und verwirrt an ihre Mütter. Die Männer und Frauen lärmten indessen am Tor und einer in der Menge war besonders laut. Er hielt seine Heugabel hoch über seinem Kopf.
"Wir werden schon zeigen, was passiert, wenn man uns nicht zuhört! Ohne uns funktioniert in Arbor gar nichts! So respektlos zu uns zu sein! Das könnte ihnen so passen! Alle zusammen! Gegen das Tor!"
Geza betrachtete die Menge forschen. Sie sah Wut und Zorn. Aber vor allem in den Kindern sah sie Angst. Dieser Aufstand war nicht aus reiner Bosheit entstanden. Diese ehrlichen arbeitenden Leute verlangten etwas und bekamen es nicht. Der Verwalter schien ihnen nicht einmal zuhören zu wollen! Mitleid machte sich in ihr breit. Man hatte ihnen etwas verschwiegen. Diese Menschen konnten unmöglich aus dem Nichts so wütend werden. 
"Wenn man uns nicht zuhört! Werden wir richtig laut!", rief der Bauer mit der Heugabel.
Eine menschliche Welle schlug mit Gebrüll gegen das Tor. Das Holz knarzte. Von innen ertönten erschrockene Rufe. Endlich fiel einem Bauer mit einem großen Spaten auf, dass Richard mit seinem Gefolge anwesend war. Er bahnte sich dem Weg zu seinem Genossen mit der Heugabel, sprach zu ihm und zeigte zu Richard und seinem Gefolge. 

Der Bauer trat mit seiner Heugabel vor.
"Der große Fürst ist vorbeigekommen, um seinen treuen Verwalter von den ungehorsamen Bauern zu retten, und hat eine halbe Armee mitgenommen! Wir haben ein Recht auf Schutz! Wir haben so oft um Schutz gebeten und niemand hat uns geholfen! Wenn wir keinen Schutz bekommen, dann werden wir auch nicht unsere Arbeit fortsetzen! Wir haben ein Recht auf Schutz!", rief er und seine Genossen stimmten lautstark mit ein:
"Wir haben Recht auf Schutz! Wir haben Recht auf Schutz!"

"Was zum Henker soll der Auflauf hier! Was fällt euch ein, aus dem Nichts solch einen Tumult zu veranstalten!", rief Richard von seinem Pferd hinab. Geza gestand sich ein, dass er in seiner Rüstung und mit der Fahne von Quercus im Hintergrund sehr majestätisch aussah.
Weiter kam er nicht. Der Bauer, der eben gesprochen hatte, hob einen Klumpen vom Boden auf und warf ihn in Richards Richtung. Der Fürst konnte gerade so ausweichen. Weitere Klumpen flogen hinterher.
Friedrich gab den Bürgerwehrsoldaten ein Zeichen. Die Männer ließen ihre Hellebarden blitzen.
Einige Bauern fuhren zurück, doch die meisten rührten sich nicht von der Stelle.
"Genau!", brüllte der Mann, der vorhin schon gesprochen hatte, "Macht uns alle! Es geht hier keiner weg, bis wir unser Recht auf Schutz bekommen! Selbst wenn es unser Leben kosten wird! Aus dem Nichts! Wir zeigen euch aus dem Nichts!" Wieder flogen Steine und Klumpen. Die Bürgerwehr machte ein paar Schritte auf die Menge zu.

Hier öffnete Geza die Tür. Ihr Mann machte einen Fehler, das wusste sie. Jetzt musste sie ihm das klarmachen. Menschen mochten es nicht falsch zu liegen, das hatte Geza auf dem Verwaltungsgut Kupferstrom gelernt. Aber sie konnte nicht zulassen, dass Richard hier und jetzt ein Dummheit beging. Also ging sie mit weichen Knien an sein Pferd ran und zupfte ihm am Mantel.
"Geza! Bleib im Wagen!", befahl Richard ihr, aber Geza hörte nicht auf ihn.
"Bitte, lass mich mit ihnen reden! Das, was du vorhast wird alles nur schlimmer machen", sagte sie zu ihm.
Richard brauchte einen Moment, um zu verarbeiten, was seine Frau gesagt hatte. Doch schließlich antwortete er: "Geza. Liebling. Du siehst was hier los ist. Hier hilft nur Einschüchterung. Steig bitte wieder in den Wagen. Ich hätte dich nicht mitnehmen sollen!"
Der Fakt, dass er mehr um ihre Sicherheit besorgt war als um seine Reputation als Ritter und Fürst, verlieh ihr Entschlossenheit.
"Vertrau mir!", versuchte Geza ihn zu überzeugen, "Ich bin in einem solchen Dorf aufgewachsen, ich weiß, wie man mit Bauern redet! Die sache scheint tiefer zu sein als geschildert. Lass es mich versuchen!"
Richard überlegte kurz und und gab der Bürgerwehr ein Zeichen zum Rückzug. Die Bauern freuten sich zuerst, merkten aber, dass der Rückzug gewollt war, und blieben verwirrt stehen.

Geza trat vor. Jetzt erst wurde ihr richtig klar, dass sie vor dieser wütenden Menge sprechen musste, sie zum Zuhören bekommen und sie zur Vernunft bringen wollte. Sie trat auf wackeligen Beinen vor, die Männer und Frauen schauten sie überrascht, neugierig aber vor allem herausfordernd an. Sie atmete tief durch. Ihre Stimme durfte jetzt auf gar keinen Fall zittern.
"Ihr guten...", rief sie und musste feststellen, dass sie  mitten in der Anrede neu ansetzten musste, "Ihr guten Leute!" 
Ihre Unsicherheit wurde von der Menge bemerkt. Der Bauer mit der Heugabel setzte wieder zum Sprechen an. "Jetzt schickt der Fürst schon eine Frau vor..." Die anderen lachten. Hinter sich spürte Geza Gewusel. Sie musste weitermachen, bevor die Lage sich verschlimmerte. Hinter ihr klirrten schon die Waffen, vor ihr lärmten die Bauern. Also nahm Geza all ihren Mut zusammen.
"Ruhe jetzt! Hört mich an!", schrie sie so laut sie konnte. Es klang nicht so herrschaftlich wie sie es wollte, aber die Wirkung war getan. Die Bauern schlossen überrascht die Münder, sogar der Mann mit der Heugabel verstummte. Diese Stille musste sie so schnell sie konnte zum Sprechen nutzen. 

Obwohl ihr Herz raste, begann sie zu sprechen: "Wir wollen euch nicht schaden. Der Brief, den wir bekommen haben war nicht sehr aufschlussreich, also wollten wir uns selbst überzeugen, was hier los ist."
Ihre Handflächen schwitzen und das Zittern wollte nicht aus der Stimme weichen. Sie fühlte sich den Bauern ausgeliefert, obwohl sie den Trupp hinter sich hatte. Ein Wurf einer Heugabel, ein Schwingen mit einem Spaten oder einer Axt und schon wäre es aus mit ihr...
Doch zu ihrer Erleichterung entspannten sich die Gesichter der meisten Bauern. Aber derjenige, der schon die ganze Zeit gesprochen hatte, fragte: "Wozu dann die Soldaten?"
"Die haben wir mitgenommen für den Fall, dass wir eine Gefahr für uns oder auch für euch hier vorfinden", erklärte Geza.
Der Bauer sah noch nicht ganz zufrieden, aber er nickte. Geza interpretierte es als Zeichen, dass er bereit war mit ihr zu reden.

Die Weiche in Gezas Knien schlich langsam davon, die Bauern hörten ihr zu und schienen ihr besser gesinnt zu sein. 
"Ihr verlangt Schutz. Wovor verlangt ihr Schutz und wieso habt ihr eurem Verwalter nichts gesagt? Er hätte eure Nachricht an uns weitergeleitet, wenn er mit dem Problem nicht fertig geworden wäre."
Das Ende ihrer Rede war nicht zu hören. Die Bauern lachten bitter und riefen durcheinander. 
"Ich verstehe kein Wort!", versuchte Geza dagegen anzubrüllen, doch ihre Stimme gehorchte ihr nicht und klang leise als sie es wollte, "Wer ist hier der Dorfschulze?"
Es trat der Mann vor, der schon die ganze Zeit über das Reden übernommen hatte, Geza hatte auch nichts anderes erwartet.
"Schulze, sag mir, was hier los ist", bat sie ihn.

"Herrin, seit einiger Zeit verschwindet aus unseren Ställen Geflügel. Mitten in der Nacht. Wir haben es dem Verwalter gemeldet und sind der Sache selbst auf den Grund gegangen. Es ist eine Fuchsfrau. Sie kommt mit ihren Füchsen nachts in unsere Siedlungen und raubt unsere Hühnerställe aus! Allein ich habe drei gute Legehennen verloren! Wissen Sie, was das bedeutet? Ich habe eine Familie zu ernähren! Auf unsere Bitte um Schutz kam keine Antwort und jetzt verweigern wir die Arbeit, in der Hoffnung, dass uns so jemand zuhören wird. Das hat offensichtlich funktioniert!"
Jetzt war die Situation klarer.
Geza erhob die Stimme, in der Hoffnung dass man sie auch im Verwaltungsgut hören konnte:
"Verwalter! Wie erklärst du uns das? Die Bauern haben ihre Sorge geäußert und du ignorierst sie! Warum?"
Auch Richard schaltete sich hier ein: "Verwalter! Was soll das? Warum hast du uns das nicht mitgeteilt?"
Das Tor öffnete sich einen Spalt, der Verwalter steckte seinen weißen Kopf hinaus und gestand winselnd: "Ich wollte nicht hilflos wirken..."
Die Bauern brachen in Gelächter aus, auch Geza, Richard und ihr Gefolge mussten sich sehr beherrschen, um nicht mit einzustimmen. 
Gezas Nervosität war inzwischen ganz verswunden, die Bauern waren sehr gesprächsbereit und dachten gar nicht mehr daran, sie zu bedrohen. 

Hier meldete sich Richard wieder.
"Jetzt, wo wir wissen, was sache ist, mache ich euch einen Vorschlag. Ich schicke jetzt unsere Leute die Fuchsfrau suchen. Wir würden uns nämlich gerne anhören, was sie zu sagen hat. Wenn ein Trupp sie gefunden und hergebracht hat, dann läuten wir die Kirchenglocke."
Er schaute zu Geza, als ob er etwas von ihr erwarten würde. Geza begriff erst nicht, was er wollte. Doch dann verstand sie. Er wollte ihre Bestätigung, um den Prozess zu beginnen. Das war ihr neu, aber mit einem Kopfnicken signalisierte sie ihm ihre Zustimmung. Richard und Wilhelm blieben mit Geza im Dorf, während die anderen den Wald auf der Suche nach der Fuchsfrau durchkämmten. Der Dorfschulze nahm einige Männer mit und folgte dem Trupp. Sie wollten die ungefähre Richtung zeigen, aus der die Fuchsfrau kam.

Den Rest des Tages verbrachte Geza unter den Bäuerinnen. Sie zeigten ihr stolz die Hühner, Gänse und Schweine, die sie über die Jahre gezüchtet hatten, demonstrierten ihr die Felder, auf denen ihre Männer arbeiteten und stellten die dem Dorfprediger vor. Es war ein kleines fast taubes Männlein. Geza vermutete, dass er nicht einmal verstanden hatte, was vor sich ging und wer sie war. 

Der erste Trupp Männer kam erst abends zurück. Sie hatten eine Gestalt im Schlepptau, wortwörtlich. Die Soldaten hatten ihr die Hände gebunden und zogen sie an dem freien Ende des Seils über die Straße. Außerdem hatten sie ihr einen Sack über den Kopf gestülpt.
Geza kam gerade aus einem der Ställe, als die Gruppe an ihr vorbeizog. Die Mehrheit der Dorfbewohner liefen den Soldaten und der Gestalt hinterher, pfiffen und verhöhnten sie. Geza ließ sich das nicht gefallen.
"Was soll das? Hört auf der Stelle mit dem Geschrei auf! Und befreit die Frau sofort!", befahl sie.
Ihr fiel erst danach ein, dass sie ihre Worte mit Bedacht wählen wollte. Schließlich hatte sie nicht vor jemanden zu verärgern. Aber wider Erwartungen wurden die Bauern still und die Bürgerwehrsoldaten gehorchten. Geza hatte keine Zeit sich darüber zu wundern, die Fera war zum Vorschein gekommen.

Sie hatte rote Haare mit blonden Strähnen mit einem Band hinten zusammengebunden, trug eine lange Tunika mit einem breiten Gürtel und eine enge Hose darunter. Sie älter als Geza, vielleicht Mitte zwanzig. Die wettergegerbte bronzene Haute erinnerte Geza dunkel an ihren Vater. Herausfordernd schaute sie sich um und ließ den Blick auf Geza und Richard ruhen. Inzwischen hatten sich alle um sie versammelt, sogar Leute vom Verwaltungsgut waren gekommen.
"Ihr scheint hier das Sagen zu haben. Erklärt mir, warum werde ich überfallen und hergeschleppt?"
Geza drehte sich zu Richard, bestimmt wollte er reden. Er war schließlich der Fürst. Doch Richard sagte nichts und nickte seiner Frau ermutigend zu. 
"Du bist die Fürstin. Bring die Sache zu Ende!", forderte er sie auf.
Geza überraschte es, aber zum Wundern war keine Zeit.

"Gute Frau!", sprach zu der Fera und wieder wurden ihre Knie weich. Die Fera durfte das auf gar keinen Fall sehen und das machte Geza noch nervöser.
"Gute Frau, uns ist zu Ohren gekommen, dass du Unruhe in diese Gemeinde bringt. Wir würden uns gerne anhören, was du dazu zu sagen hast", sagte sie.
die Fera lachte bitter.
"Ich versuche mir eine Lebensgrundlage zu schaffen. Von irgendwas muss ich ja leben!"
"Hast du es Mal mit arbeiten versucht? Reichere Bauern freuen sich immer über eine Aushilfe", schlug Geza vor.
"Mit den Haaren?", fragte die Fera und zeigte auf ihre zweifarbige Mähne, "Mich nimmt keiner!"
"Verstehe ich", meinte Geza, "Aber durch deine Räubereien sorgst du nicht wirklich dafür, dass Fera in Arbor beliebter werden. Das ist dir doch..." Allerdings wurde sie von der Frau unterbrochen.
"Nichts verstehst du!", brüllte sie. Ein Raunen ging durch die Menge.

Geza dachte nach. Sie konnte der Frau zeigen, dass sie sehr wohl verstand. Wohlmöglich würde sie die Fera so überzeugen können, mit dem Räubern aufzuhören. Aber die Bauern? Was würden sie davon halten? Sie würde doch im ihrem Interesse handeln, wie schon die ganze Zeit. Das würden sie doch verstehen. Also fasste sich ein Herz und zog die Haube ab. Ihr braun-blonder Zopf fiel auf ihre Schulter. 
"Ich verstehe sehr wohl", antwortete sie der Frau.
Die Menge schnappte nach Luft, einige wenige bekreuzigten sich. Eine der Frauen kreischte panisch auf uns packte ihre zwei Kinder an den Händen. Die Fera riss verwundert die Augen auf.
Als sich alle etwas beruhigt hatten, setzte Geza wieder an:
"Jetzt werden wir dich verhaften müssen! Ich kann dich nicht anders als arborianische Räuber behandeln, nur weil wir beide Fera sind."

Geza senkte den Blick. Sie wollte diese Frau nicht verhaften und verurteilen lassen. Das war die einzige Fera, die sie in ihrem ganzen Leben kennenlernen konnte. Die Einzige, die verstand, was Geza manchmal durchmachte. Und jetzt musste sie weggesperrt werden. Geza konnte der Fera nicht weiter in Gesicht sehen. Es war zwar gerecht, was hier vor sich ging. Die Frau hatte geräubert und verdiente es, bestraft zu werden. Aber für Geza fühlte es sich überhaupt nicht richtig an. Die Frau räuberte ja nicht, weil es ihr solches Vergnügen bereitete, sondern weil sie nicht anders an Geld  und Essen kam. Sie hatte eine zweite Chance verdient. Wenn es nur nach Geza ging, dann würde sie ihr eine ehrliche Arbeit in der Eichenfeste anbieten... Doch obwohl sie Fürstin von Quercus war, musste auch sie sich an das Gesetz halten... Gerade weil sie Fürstin war, musste sie sich an das Gesetz halten... Jetzt musste diese Fera nach Gesetz für ihre Verbrechen gehängt werden...

Die Fuchsfrau schaute sich um und lächelte traurig. Um sie herum standen die Bauern und die Bürgerwehrsoldaten. Flucht war keine Option. "Das wäre früher oder später passiert", meinte sie und streckte ihre Hände vor, damit einer der Bürgerwehrsoldaten ihr die Handschnellen anlegen konnte.

Man konnte spüren wie die Spannung fiel, die Bauern gingen auseinander. Sie unterhielten sich intensiv und schauten zu Geza rüber. Viele bekreuzigten sich ein weiteres Mal. Der Schulze stand mit seinen zwei Kameraden und schien etwas zu besprechen. Einige Wortfetzen erreichten Gezas Ohr.
"Ich trau mich nicht..."
"Schulze! Du und nicht trauen!"
"Die ganze Zeit warst du so mutig. Und jetzt..."
"Das ist was anderes!"
"Jetzt stell dich nicht so an! Immer hin hat sie uns geholfen. Fera hin oder her."
"Außerdem ist sie Fürstin."
"Ihm solltest du auch danken! Stell dich nicht so an!"
"Dann geh du doch zu ihnen!"
"Du bist doch der Schulze!"
Der Schulze seufzte und kam doch auf Geza zu. Vorsichtig besah er ihren Zopf, doch als Geza sich zu ihm drehte, machte schnell er eine tiefe respektvolle Verbeugung.
"Herrin, unsere Gemeinde möchte sich herzlich bei Ihnen und Ihrem Mann bedanken."
Danach verbeugte er sich wieder und lief ohne eine Antwort abzuwarten davon. Seine Genossen sagten zu ihn: "Siehst du, war doch nicht so schlimm!"
Richard schüttelte den Kopf und nahm seine Frau in den Arm. "Nimm das nicht persönlich", sagte er. Geza schüttelte den Kopf. "Tu ich nicht. Ich habe Schlimmeres erwartet."

Der Trupp aus der Eichenfeste übernachtete in dem Dorf und machte sich am nächsten Tag auf den Heimweg. Vorneweg Gezas Kutsche, hinter ihr die Ritter und der Wagen mit der Bürgerwehr und ganz hinten im Zug lief die Fuchsfrau, flankiert von drei Bürgerwehrsoldaten, die sich im Laufe des Tages gegenseitig ablösten. Nachts machte der Zug einen Zwischenstopp und nächtigte ein einer Siedlung. Die Fuchsfrau wurde in einen Schuppen gesperrt und die meisten Soldaten gingen zusammen mit den Rittern ins Wirtshaus, nachdem sie sich überzeugt hatten, dass die Tür vom Schuppen fest abgeschlossen war. Ein Soldat blieb zurück, um die Tür zu bewachen. Geza wollte nicht mit ins Wirtshaus, es war dort laut und stickig. Viel lieber ging sie an den Stadtrand und betrachtete den naheliegenden Wald, die Sterne und den Mond darüber. Hier war sie alleine mit ihren Gedanken. Die Erinnerung an die Fera im Schuppen ließ ihr keine Ruhe. Sie zu verurteilen wäre jetzt zwar gerecht, aber nicht richtig. Geza wollte der Frau helfen, aber sie wusste nicht wie... Es war falsch! Die arme Fera durfte nicht hingerichtet werden! Sie hatte nie eine andere Wahl! Die Grillen zirpten und ein lauer Wind strich Geza über die Haut, als sie plötzlich ein Rascheln hinter sich hörte. Sie fuhr herum und sah die Fuchsfrau hinter sich stehen.

"Was machst du denn hier?", fragte die Frau und blickte sich um.
"Das Gleiche wollte ich dich fragen!", meine Geza und machte einen Schritt zurück, "Wie bist du aus dem Schuppen gekommen? Und was hast du mit dem Soldaten angestellt?"
Die Frau schmunzelte. "Der Riegel war einfacher zu öffnen, als ein Fass mit Met. Und dem Soldaten geht es gut. Er schläft." Die Frau grinste über beide Ohren und setzte sich ins Gras. Sie kläffte, das Gras raschelte und neben ihr steckte ein Fuchs den Kopf aus den Kletten. Das Tier legte den Kopf der Frau auf den Schoß und sie streichelte ihn liebevoll. 
"Was stehst du denn da? Setz dich zu mir!", forderte sie Geza auf, "Wie heißt du? Ich heiße Berenike!"
Geza blieb verwirrt stehen. "Ich heiße Geza..." Warum redete die Frau so ruhig mit ihr?
Berenike schien ihren fragenden Blick richtig zu deuten, denn sie beantwortete Gezas stumme Frage: "Ich denke nicht, dass du jetzt deine Soldaten holen wirst. Wir verstehen uns zu gut."
Geza konnte da nur nicken. "Ich kann versuchen mit meinem Mann zu reden. Vielleicht lässt er Gnade vor Recht ergehen. Ich würde dir eine Arbeit in der Eichenfeste finden. Du könntest ehrlich dein Geld verdienen..."
Hier unterbrach sie Berenike: "Niemals werde ich in einer Stadt leben! Die Wälder sind mein Zuhause. Wir können uns aber darauf einigen, dass ich Quercus in Ruhe lasse. Selbst wenn du jetzt die Soldaten holst, ich bin schneller verschwunden." Sie lächelte verschmitzt. 
"Da soll ich dir einfach so vertrauen?", fragte Geza und Berenike zuckte nur mit den Schultern.
"Wenn du dich sicherer fühlst, kann ich es dir hoch und heilig versprechen.", ironisierte sie.
Geza schüttelte den Kopf. "Für wie dämlich hältst du mich eigentlich?"
"Gar nicht. Du bist schlau genug nicht zu schreien und dich nicht an mich zu klammen, in der Hoffnung mich aufzuhalten. Und ich verstehe dich, jemandem zu glauben, den man kaum kennt, ist schwer. Und das verlange ich auch nicht von dir. Ich weiß, dass ich mich an mein Versprechen halten werde, und das zählt für mich. Was dich angeht, so werde ich es dir und deinem Mann niemals verübeln, wenn ihr mich ein weiteres Mal in Quercus fangt und danach verurteilt." Sie grinste wieder. 

Die beiden Frauen blickten eine Weile schweigend in Richtung Forst. Berenike stand schließlich auf. "Dann geh ich mal!" Sie pfiff und der Fuchs trottete ihr gelassen hinterher. Geza blieb stehen und sah ihr hinterher. Berenike drehte sich noch einmal um. "Lauf doch! Hol die Soldaten! Eine Verbrecherin ist entkommen!"

Jetzt begriff Geza. Sie musste jetzt Alarm schlagen, sonst würde der Verdacht auf sie fallen. Außerdem hatte Berenike Recht, sie wäre schon längst über alle Berge wenn die Soldaten hier ankämen. Also winkte sie Berenike ein letztes Mal zu und rannte in Wirtshaus.



Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top