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Wie benommen saß ich still schweigend im Auto neben Tomy und schüttelte immer wieder den Kopf. Ich konnte nicht glauben was ich erfahren hatte und musste an meinen Vater denken der immer behauptet hatte das die Welt viel zu klein war und das man sich immer um vier Ecken kannte.
Das konnte doch alles kein Zufall sein. Plötzlich machte alles einen Sinn.
Der Grund warum ich mich nie vor Tomy gefürchtet hatte, während Ilias sich bei seinem Anblick fast in die Hosen machte. Warum ich ihn irgendwie mochte und der Grund warum ich von Anfang an das Gefühl hatte ich könnte ihm vertrauen. Diese Stille Verbundenheit die wir zueinander hatten war keine Einbildung gewesen. Sie war real, so real wie die Tatsache das Tomy dieser Junge auf dem Foto war. Er war der Junge den meine Mutter unter ihre Fetische nahm, der Junge den sie als Bruder bezeichnete und wie ihren eigenen Fleisch und Blut liebte. Der Junge dessen Verlust sie zutiefst bedauerte. Der Verlust des Kontaktes zu ihm und seinem Bruder. Sein Bruder!!
„Wo ist eigentlich dein Bruder? Auch hier? Sag bitte nicht das er auch für Stany arbeitet ?!!" ,etwas zu laut und voller Aufregung drehte ich mich zu Tomy der konzentriert auf die Straße schaute. Er sagte kein Wort und ich fühlte mich plötzlich schlecht als hätte ich etwas verbotenes gemacht. Aus Erfahrung wusste ich das Tomy etwas länger zum antworten brauchte oder eben gar nicht antwortete. Ich wollte so vieles fragen und geklärt haben aber erst musste er mir anfangen zu Antworten. In dem Moment als ich nach gefühlten 10 Minuten aufgab und mich wieder richtig hinsetze wollte, hörte ich ihn brummen.
„Tot",er legte eine bittere Pause ein die mich zum schlucken brachte. Die Trauer in seiner Stimme erfüllte das ganze Auto und ich bereute überhaupt gefragt zu haben.
„Oma tot. Dann Bruder tot, Krebs! Tomy Heimat verlassen. Neues Leben in Deutschland. Traurigkeit vergessen. Alles vergessen."
Damit hatte er mir unbewusst den größten Vertrauensbeweis geliefert den er konnte. Ich war mir zu hundertprozentig sicher das kein anderer Mensch soviel über ihn wusste wie ich in diesem Moment. Nicht mal Stany.
„Warum hast du nicht meine Mutter kontaktiert? Sie hat uns immer von euch erzählt und war so traurig darüber das euer Kontakt abgebrochen ist." ,ich erhoffte zu erfahren was damals passiert war doch Tomy zuckte nur mit den Achseln und schaute mich fragend an.
„Was schaust du mich den so an?" ,ich musste ungewollt lachen: „Ich kenn die Antwort doch auch nicht."
Ich glaubte zu erkennen, dass seine Wangen sich röteten und musste alleine bei dem Gedanken Lächeln.
„Lass mich raten, irgendwie bist du bei Stany gelandet und er hat dir ein neues Leben ermöglicht. Neue Identität, neue Perspektive. Dafür musstest du ihm nur treu und ergeben folgen und tun was er dir befiehlt."
Tomys nicken bestätigte meine Vermutung und dieses mal seufzte ich laut und tief aus. Wir wussten alle wie das lief. Wir saßen im selben Boot. Der Puppenspieler hatte die richtigen Fäden gezogen, hatte uns fest im Griff. Auch Tomy war ein Opfer, auch er wollte nur eine Lösung. Einen Neuanfang. Kein Mensch wurde böse geboren, es gab immer einen Fadenzieher der dich zu dem machte was du nicht werden wolltest. Außer Stany; er kam schon als Schatten des Lucifers auf die Welt. Das war gewiss.
„Er wird dafür büßen Tomy. Er wird dafür büßen..."
~~~
Eine Stunde später standen wir am Auto und schauten in den Waldstück hinein der vor uns lag. Tomy hatte kein Wort mehr verloren und war ohne Kommentar einen abgelegen Weg in den Wald hinein gefahren.
"Was genau wollen wir denn hier?", leicht irritiert schaute ich Tomy an der seine Hände in die Hosentaschen steckte und auf den Boden schaute.
"Abschied", hörte ich ihn vor sich hin brummen.
Bevor ich eine Frage stellen konnte, lief er in den Wald hinein und ich überlegte kurz ob ich ihm wirklich folgen sollte. Was meinte er mit Abschied? In meinem Kopf liefen in Sekunden verschiedene Szenarien ab. Ich sah Stany am Ende der Lichtung bildlich vor mir, mit seinem hässlichem grinsen im Gesicht und einer Pistole. War das ein Abschied von mir? Hatte Tomy mich hintergangen?! Nein das würde er nicht machen. Oder doch?! Doch nicht nach dem was ich jetzt über ihn wusste. Oder genau deswegen?? Hatte er vielleicht Ilias gefunden. Aber warum sollte er mir das nicht sagen? OMG!! War er etwa tot?
Tomy war schon mit einigen Schritten weit vor mir und ich entschloss mich ihm doch zu folgen und lief, nein ich rannte ihm schon halbwegs hinterher.
"Tomy was ist hier los??!" ,meine ängstliche Stimme brachte ihn zum stehen und er musterte mein Gesicht bevor er mich mit seiner großen Hand sanft an der Schulter festhielt und nach vorne schob. Ich sollte weiterlaufen.
Mein Herz fing an schneller zu schlagen, mein Brustkorb weitete sich und es bildeten sich Schweißtropfen auf meiner Stirn obwohl es drausen eiskalt war. Wir waren inzwischen an der Lichtung angekommen. Der Mond erleuchtete den Hügel auf den wir zusteuerten und ich konnte keine weiteren Menschenseele endeckken was mich etwas erleichterte. Dennoch hatte ich ein mulmiges Gefühl. Etwas in mir schien zu wissen was mich erwartete. Es versuchte mein Verstand zu erreichen aber ohne erfolg. Immer noch ratlos lief ich weiter auf den Hügel zu.
Während ich wieder stehen blieb, lief Tomy an mir vorbei und war mit einigen Schritten die Steigung hinauf gelaufen. Er blieb stehen und schaute auf etwas runter das ich nicht erkennen konnte weil er mir komplett die Sicht versperrte. Ich hatte überhaupt keine Ahnung was das alles sollte und langsam stieg mir die Spannung zu Kopf und machte mich wütend. Was sollte das alles werden? Ein wenig durch meine Neugier angetrieben kletterte ich auch den Hügel hoch und beschloss Tomy gleich zur Rede zu stellen. Schwer schnaufend blieb ich neben ihm stehen, beugte mich nach vorne um meine Hände kurz an meinen Oberschenkeln abzustützen und schloss die Augen. Das was für Tomy drei Schritte war, war für mich ein halber Marathon gewesen. Ich wollte mich gerade wieder aufrichten und Tomy zur Rede stellen, als mein Blick auf die Schneeglöckchen fiel, die nicht aus der Erde wuchsen sonder zu einem Strauß gebunden auf einem Haufen Steine lagen. Ich bemerkte das hier die Erde frischer aussah und der leichte Schneefall hatte diesen Fleck noch nicht bedeckt wie den Rest im Wald. Als mir bewusste wurde das ich hier vor einem frischen Grab stand, berührte mich etwas eisiges und umklammerte mich innerlich. Mein Mund trocknete aus und auch der Versuch zu schlucken scheiterte. Ich holte tief Luft und machte einen Schritt auf das Grab zu. Ängstlich drehte ich mich zu Tomy um, der mich traurig beobachtete. Seine Mundwinkeln waren noch tiefer gesunken als sie es eh schon waren und sein Augen glänzten als ob er kurz davor war zu weinen. Ihn so verletzlich zu sehen ließ mich erschaudern, denn ich wusste instinktiv das was mich jetzt erwartete nichts gutes sein würde. Tomy öffnete seine Jacke und holte aus der Innentasche etwas raus, das aussah wie ein Stück Papier. Er machte einen Schritt und stelle sich zu mir, während ich wie gebannt auf das starrte was er in der Hand hielt. In dem Moment als er sich beugte und das vor noch einer Stunde an unserer Wohnzimmer-wand hängende Bild neben die Schneeglöckchen platzierte, war mir vollkommen klar wessen Grab ich gerade besuchte. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag und ich konnte mein Blick nicht von dem Bild nehmen, dass jetzt zwischen den Steinen auf dem Grab steckte. Ich schaute direkt in die Augen meiner Mutter, die mich anstrahlte und sank auf die Knie.
"Mama?"
Tränen bildeten sich in meinen Augen. In meinem inneren bördelte ein Vulkan über und bannte sich seinen weg nach draußen. Ich Atmete hörbar aus und ein schluchzen verließ dabei meinen Rachen. Meine Kopf hatten sich abgeschaltet und meine Gefühle kämpften um die Übernahme meiner Gedanken. Ich war nicht mehr Herr meiner Bewegungen und griff nach der frischen Erde die meine Mutter bedeckte.
"Abschied nehmen.", hörte ich hinter mir Tomy flüstern und nahm schon lange nicht mehr war wie er sich entfernte. Er ließ mich alleine. Er ließ mich Abschied nehmen. Von meiner Mutter.
Ich starrte die Erde an die sich in meiner Handfläche verteilt hatte: "Mama ich..", weiter kam ich nicht. Der Knoten explodierte in meiner Kehle und ich fing an zu wimmern. Ich umschloss die Erde wieder und drückte meine Fäuste gegen meine Brust bevor ich anfing aus voller Seele zu schreien. Der Schmerz hatte mich betäubt, mein Geist schien sich von meinem Körper zu trennen, so das ich nichts mehr wahrnahm, nichts mehr hörte. Ich spürte jede einzelne Faser meines Herzens zerreisen. Kein körperlicher Schmerz den ich bis jetzt erleiden musste war ein vergleich zu dem bodenlosen Schmerz in dem mein Herz gerade hineingezogen wurde. Ich fühlte wie eine Welle der Verzweiflung aus mir hinaus brach und mein Körper zum beben brachte. Die Welle schlug in meinem Kopf nieder und aus Reflex hielt ich mir die Ohren zu. Die unsichtbare Schnur zog sich zusammen und schnitt mir tief in die Seele.
Ich hörte erst auf zu weinen und zu schreien als ein schmerzvoller reiz in meinem Hals mich dazu zwang zu würgen. Mein Hals war komplett ausgetrocknet. Ich fing an unkontrolliert zu husten und rang paar mal nach Luft bis ich mich wieder gefangen hatte.
Ich wusste nicht wie lange ich da saß und still schweigend das Grab meiner Mutter anstarrte. Es gab nichts zu sagen, nichts was ich sagen würde könnte sie mir wieder zurück bringen oder das geschehene rückgängig machen. Also schwieg ich und ließ meine Gedanken mit voller Wucht zu.
Ich hatte Versagt. Ich hatte als Tochter voll und ganz versagt. So hatte mich meine Mutter nicht erzogen. Sie brachte mir bei mein Hab und Gut zu teilen, menschen zu helfen wenn sie Hilfe brauchten. Vor allem hatte sie mir beigebracht ehrlich und aufrichtig zu sein.
'...Denn mit Lügen schadest du einem Menschen mental ', hörte ich sie sagen.
'In dem du Lügst raubst du dem Mensch sein recht die Wahrheit zu kennen. Das ist mentaler Diebstahl!', erklärte sie bei jeder Gelegenheit. Sie hatte mir beigebracht auf mein Gewissen zu hören. Sie hatte mir immer wieder versucht zu erklären das eine Lüge immer eine nächste mit sich zog und das der Mensch irgendwann von seiner eigenen Lügen-Lawine vergraben wurde. Nun lag alles was mir wichtig war unter dieser Lawine vergraben. Grausam zerbrochen und gnadenlos zerschmettert. Ich und niemand sonst war für all das verantwortlich. Etwas in mir löste sich als ich mir das eingestand was ich schon viel früher hätte merken sollen. Ich alleine war der gewissenlose Mörder meiner Mutter.
Mir wurde schlecht und ein weißer schleier legte sich auf meine Augen. Ich löste mich aus meiner Starre und versuchte langsam aufzustehen. Meine Beine waren eingeschlafen und so durchzuckte mich ein Krampf nach dem anderen. Nach dem ich die restliche Erde aus meinen schon taub gewordenen Händen abklopfte, verschränkte ich meine Arme vor meinem Körper als ob es mich schützen könnte vor der großen Schlucht in die ich mental hineinzufallen schien.
Ich beobachtete das hin und her Wippen des Fotos im Wind und wie sich einzelne Schneeflocken auf ihren Grab niederließen. Meine Mutter schaute mich an, mit ihrem herzerwärmenden Lächeln. Ich spürte ihre Hand über meine Haare streichen. Sie war mein Halt gewesen als mein Vater gestorben war. Ihr Lächeln war Seelenfrieden für mich. Nie wieder würde sie mich so anlächeln, nie wieder würde ich alleine durch ihre Nähe Kraft sammeln können wenn es mir schlecht ging. Mir kam es so vor als ob man mir den Boden unter den Füßen weggezogen hätte. Als ob ich nie wieder stehen könnte. Ich konnte meinen Blick nicht lösen und starrte mit leeren Augen auf ihren Grab runter.
„Manchmal ist es einfach zu spät nicht wahr? Zu spät um zu weinen, zu spät um überhaupt etwas zu sagen. Zu spät um zu fühlen..."
Ich kannte diese Stimme nicht, eine raue männliche Stimme. So kalt wie die Schneeflocken auf meiner Haut. So still wie die Ruhe vor dem Sturm. Aber es war mir egal. Seine Worte schallten in meinem Kopf wieder und trafen auf die Betonwände meiner Seele. Sie klangen wie die Worte meines Gewissens, wäre dieser nicht irgendwo tief vergraben.
Ich konnte meinen Blick nicht lösen. Ich wollte meinen Blick nicht lösen.
„Was ist schlimmer? Zu wissen das es kein Zurück gibt oder die Erkenntnis dafür verantwortlich zu sein?"
Die Stimme stand jetzt direkt hinter mir, ich konnte sein Atem an meinem Ohr spüren.
Ich hob mein Kopf ohne mein Blick zu lösen. Er stand mir so nah das ich sogar sein schlucken hören konnte. Angst spürte ich nicht, ich spürte gar nichts. Nicht mal Wut. Nur eine unerträgliche Leere.
„Verschwinde!", ruhig aber streng gab ich zu verstehen das ich nicht gestört werden wollte.
Nicht hier und nicht jetzt.
„Willst du denn nicht wissen woher ich dich kenne? Woher ich alles weiß, wer ich bin und was ich will?"
Die Ironie in seiner Stimme gefiel mir nicht. Mir gefiel es nicht das er die Frage so selbstverständlich klingen ließ. Mir gefiel es nicht das er recht hatte. Und am meisten gefiel mir nicht das mir die Antwort egal war. Doch das schien er zu wissen. Wir schwiegen einige Minuten. Er rührte sich noch immer nicht. Und genau das machte mich Neugierig.
Ich löste mein Blick von ihrem Grab und drehte mein Kopf zu der Seite aus der die unbekannte Stimme kam.
„Du?!!"
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Hi meine Lieben.
Auf diesen kapitel freue ich mich besonder!! Denn es ist soweit. Der Wendepunkt der Geschichte ist erreicht. Ab jetzt wird es vielleicht verwirrend oder mysteriös oder vielleicht spannend. Euch erwartet eine Überraschung . Ich bin richtig gespannt wie ihr auf den nächsten Kapitel reagiert.
In diesem Kapitel habe ich versucht so viel Gefühl wie möglich reinzupacken und euch die trauer von Nemsy spüren zu lassen. Ich hoffe natürlich das es mir gelungen ist und freue mich über eure Gefühle und Gedanken zu diesem Teil.
Bis bald eure
Göki
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