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Die Infusion war gewechselt, die Krankenschwester hatte sich vergewissert das ich nichts brauchte und verabschiedete sich jetzt bis morgen. Schichtwechsel, hatte sie mir höfflich erklärt. Mit einem knappen Fake lächeln wimmele ich sie ab und setzte mich hektisch auf, sobald die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.

Ok, ich muss hier raus. Sofort!

Meine Gedanken liefen hektisch gegeneinander und ich konnte gar nicht klar denken. Ich konzentrierte mich auf die Infusion-Nadel in meinem Arm. Es gab nichts sonderlich viel wovor ich Angst hatte oder mich ekelte aber der Gedanke an Venen und Nerven jagte mir immer wieder eine Gänsehaut ein.

Ich löste das Pflaster ab und drehte mein Kopf in richtigen Fenster bevor ich vorsichtig die Nadel herauszog. Draußen hatte es angefangen zu schneien, was mich für einen Augenblick ablenkte, bevor ich etwas warmes durch den leichten Stoff  auf meinem Bein spürte. Verdammt!

Ich schnappte nach einem Taschentuch auf der Kommode und drückte es mir auf den Arm. Das Blut war runter getropft und befleckte jetzt das Nachthemd.

Apropos Nachthemd, was sollte ich denn jetzt anziehen? Langsam stieg ich vom Bett herunter und ignorierte den leichten Schwindelanfall und die Schmerzen die mich im gleichen Moment überrollten. Ein keuchen entrann meiner Kehle und ich musste einen Augenblick inne halten.

Ich biss mir leicht auf die Lippe bevor ich weiter lief in die Richtung wo der kleine Schrank stand, direkt am Fenster, was mir die Sicht erleichterte. Im Zimmer war es schon ziemlich dunkel geworden, nur der Mond erhellte jetzt das innere des schmalen Schrankes. Leer.

Meine Klamotten, besser gesagt was auch immer davon übrig geblieben war, mussten bei der Spurensicherung sein. Damit hatte ich nicht gerechnet und schaute mich im Zimmer verzweifelt um.

Ich musste hier schnellstmöglich raus und hatte überhaupt keine Ahnung wie ich das machen sollte, ohne Klamotten. Auch sonst hatte ich überhaupt keinen Plan wo oder wie ich beginnen sollte zu suchen. Wo hatte Stany, Ilias hingebracht und wie konnte ich ihn finden. Vor allem jedoch musste ich unbedingt diese Gruppe finden die uns auf dem Schrottplatz beklaut hatte. Die Lösung aller Probleme war der Finger.

Tränen bildeten sich erneut in meinen Augen, die Verzweiflung drückte mir die Kehle zu und ich spürte wie all die Energie mich verließ. Die Erdanziehungskraft verstärkte sich ums dreifache und zog mich von innen heraus zu Boden. Ich starrte aus dem Fenster und beobachtete die fallenden Schneeflocken im Mondlicht.

Plötzlich ging die Tür auf und bevor ich reagieren konnte stand ein riesiger Schatten in meinem Zimmer. Vor Angst weiteten sich meine Augen und ich drückte mich mit dem Rücken gegen die Wand in der Hoffnung die Dunkelheit würde mich verschlucken und unsichtbar machen.

„Nemsy?", flüsterte der Schatten und bewegte sich vorsichtig ein paar Schritte auf das Bett zu, dass durch das Mondlicht erleuchtet wurde. Ich hielt den Atem und und beobachtete wie der Schatten sich langsam und leise bewegte bis er vor dem Bett stehen blieb und seufzte.

Panik vernebelte mir die Sinne und ich schwitze aus allen Poren. Etwas in mir versuchte mich zu beruhigen doch ich konnte keine klaren Gedanken fassen, dafür hatte meine Angst mich schon zu fest im Griff. Während ich noch dabei war zu überlegen was ich als nächstes tun konnte, wie ich mich wehren konnte und ob mir die Zeit wohl reichen würde aus dem Fenster zu springen, drehte sich die Gestalt um und ich hielt den Atem an.

„Tomy??!!" ,prustete ich raus.

„Was machst du denn hier??!", mein Schreck verwandelte sich in Erleichterung und gab einen Adrenalin Schuss frei, was dazu führte das meine Stimme sich anhörte wie Helium verschluckt.

Ich räusperte mich verlegen und wurde prompt von Tomy erfasst, der mit einem Schritt bei mir war und mich etwas zu fest an sich drückte,was mich an meine gebrochenen Rippen erinnerter.

„Auuu, Vorsicht großer." ,Tomy drückte mich wieder weg und schaute mich prüfend an. Noch immer etwas verwirrt schaute ich zu ihm hoch und konnte nicht glauben das er hier bei mir im Zimmer stand und mich festhielt.

Auch wenn seine Mimik sich nicht verändert hatte, in seinen Augen lag Zufriedenheit und Erleichterung. Einen Augenblick schauten wir uns an und ich konnte spüren das es viel zu sagen gab doch jetzt war nicht die Zeit dafür.

Ich war einfach nur froh nicht mehr alleine zu sein und ich wusste ab diesem Augenblick an das ich Tomy vertrauen konnte und sein Blick verriet mir das ich definitiv recht hatte.

„Du kommst genau richtig Tomy!" ,ich konnte meine Freude nicht unterdrücken und grinste ihn frech an. Worauf er mich los lies und seine Jacke auszog um sie mir über die Schultern zu legte. Die Jacke die ihm zu eng zu sein schien hing an mir runter bis zum Boden und bedeckte mich komplett. Ich schaute an mir runter und hielt mir den Mund zu um nicht laut loszulachen. Eine Freude machte sich in mir breit wie eine kühle Sonnencreme auf Sonnenbrand. Ein Feuer erlasch in mir und von einem Moment auf den anderen hatte ich wieder Hoffnung.

Tomy schien das zu spüren und ohne das ich etwas sagen musste, nickte er mir kurz zu und drehte sich zur Tür:„Wir gehen!"

~~~

Als wir endlich im Auto saßen, ich in den Seitenspiegel schaute und das Krankenhaus immer kleiner wurde, traute ich mich tief einzuatmen und ließ den Schmerz zu der mein Körper direkt durchströmte. Der Schmerz erinnerte mich daran das es echt war, das ich wirklich überlebt hatte und das ich hier bei Tomy im Auto saß.

Während wir uns schnell und leise aus dem Krankenhaus geschlichen hatten, fragte ich mich woher er wusste das ich hier war. Ich blicke rüber zu ihm und glaubte hinter seiner ernsten Maske, eine Art Sorge sehen zu können.

„Alles ok bei dir Tomy?", er wirkte angespannt und sagte erstmal nichts bevor er mich musterte.

„Tomy konnte dich nicht beschützen. Tut mir leid Nemesis!" ,erstaunt über seine Entschuldigung wusste ich nicht wie ich drauf reagieren sollte, vor allem das er meinen Namen aussprach kam mir so ungewohnt vor.

„Tomy, das ist nicht deine Schuld was passiert ist. Du bist gerade hier und das ist das einzige was zählt. Hast du die Polizei alarmiert?" ,jetzt viel es mir wie Schuppen von den Augen. Wie sonst hätte die Polizei erfahren sollen, das im Keller eines dreckigen, unscheinbaren Bar's irgendwelche Folter Maßnahmen stattfanden.

Tomy nickte nur kurz, ohne sein Blick von der Straße zu nehmen und mir wurde bewusst das er die ganze Zeit wusste wo ich war und nur darauf gewartet hatte mich hier raus zu holen. Warum er so viel für mich riskierte war mir unerklärlich aber an das unsichtbare Band das uns zu verbinden schien, glaubte ich jetzt mehr als je.

"Hilfst du mir Ilias zu finden?" ,flüsterte ich und hoffen das er mir helfen wollte denn ohne ihn wäre ich aufgeschmissen.

Tomy blickte mir jetzt direkt in die Augen und nickte. Es war ein kurzes aber ein viel sagendes Nicken wie ich es nicht anders von ihm kannte. In seinem Blick lag eine Entschlossenheit die ich bis zu mir spüren konnte. Mit einem mal fühlte ich mich viel stärker und meine Kraft schien mich wieder gefunden zu haben.

„Dann lass uns erstmal zu mir fahren. Deine Jacke ist gemütlich aber auf Dauer wird mir das nicht reichen. Ich pack einige Dinge zusammen und dann suchen wir uns ein Versteck wo wir in Ruhe alles besprechen können. Was denkst du?" ,fragte ich meinen Retter.

„Ok. Tomy muss dir was zeigen.", den Blick wieder zurück auf die Straße gerichtet konnte ich wieder die Trauer spüren die er mit den Worten ausstrahlte.

Ich runzelte die Stirn: „Was denn?"

Eine Antwort dazu bekam ich nicht. Die Höchstzahl an Wörtern musste wohl erreicht sein. Ich ließ Tomy seine Pause und kuschelte mich in seine Jacke. Der Gedanke gleich in meiner Wohnung sein zu dürfen erfüllte mich komplett. Obwohl ich nicht bereit dazu war die Wohnung zu betreten mit dem Wissen das meine Mutter nie mehr dort sein würde, sehnte ich mich nach dem vertrauten Duft. Ich schloss die Augen um die Tränen die sich bildeten kein Zugang zu gewähren und schlief darauf hin ein.

Als ich wieder aufwachte, hatte Tomy in einer Seitengasse in der Nähe  vor der Wohnung geparkt. Ich rieb mir den Schlaf von den Augen und schaute zu ihm rüber.

"Aufpassen vor Beobachter!" ,brummte er mir leise zu.

Er hatte Recht, daran hatte ich natürlich nicht gedacht. Es könnte gut sein das die Polizei meine Wohnung observierte oder vielleicht auch die Männer von Stany. Daher war es sicherer etwas abseits zu parken.

"Gut gemacht Tomy. Ich weiß auch schon wie wir unbemerkt in die Wohnung kommen. Es gibt auf der hinteren Seite des Gebäudes einen Eingang durch den Untergeschoss. Ich habe nur keine Schlüssel. Meinst du wir können das Schloss knacken?",schaute ich fragend Tomy an, der mir nur mit einem breiten grinsen im Gesicht entgegenkam.

"Natürlich kannst du das, unnötige Frage!"

~~~

Ich holte tief Luft und machte einen Schritt in die Wohnung. Tomy hatte keine zwei Sekunden gebraucht um die Tür aufzuknacken und überließ mir jetzt den Vortritt.

Obwohl die Wohnung jetzt seit längerem unbenutzt war, berührte der vertraute Duft von Zuhause meinen Geruchssinn und lockte einige Tränen aus ihren Versteck. Schwer schluckend lief ich durch den Flur direkt in mein Zimmer, alles andere hätte ich nicht ertragen. Ich zog eine alte Sporttasche unter meinem Bett hervor und füllte es mit frischen Klamotten aus meinem Schrank. Als ich mit packen fertig war und aus dem Schrank was zum anziehen suchen wollte traf ich auf meinen Spiegelbild. Ich trat ein wenig näher ran und meine Augen weiteten sich vor Schreck. Ich sah fürchterlich aus. Mein Gesicht war leicht angeschwollen und grün-blau unter meinen Augen. Ich steifte langsam die Jacke von Tomy ab und zog den Kittel aus. Ich musste ziemlich abgenommen haben, meine Beckenknochen und Rippen spähten richtig hervor und mein Körper war voller blauen Flecken, Kratzern und Stichwunden. Teilweise waren welche genäht worden. Der Schock ließ mich erzittern und ich schlang die Arme um meinen Körper. Ich beschloss unter die Dusche zu springen. Ich musste dieses Gefühl in mir wegspülen um mich wieder wie ein Mensch fühlen zu können.

"Tomy mach es dir kurz gemütlich, ich muss kurz unter die Dusche!", rief ich durch den kleinen Spalt den ich im Bad geöffnet ließ damit ich nicht verpasste wenn wir doch schnell verschwinden mussten.

Etwas menschlicher aussehend und fertig gepackt stand ich jetzt an der Wohnzimmer Tür und suchte den Raum nach Tomy ab. Ich fand ihn an der Wandseite wo unsere Familienfotos hingen. Meine Mutter hatte für diese Wand Tage gebraucht, es wurden die schönsten Fotos rausgesucht und wunderschöne Bilderrahmen gekauft. Bis sie zufrieden mit den Positionen der Rahmen war mussten wir mit meinem Vater immer wieder die Bilder hochhalten, an die Stellen wo sie es gerne hätte. Als sie endlich damit fertig war setzten wir uns zufrieden mit frisch gebrühtem Tee auf die Couch gegenüber. Meine Eltern erzählten zu jedem Bild die Geschichte dahinter, wir lachten zusammen und genossen stundenlang das Beieinander. 

"Was machst du da?", fragte ich Tomy neugierig. Ich konnte mir nicht vorstellen das er sich für Kinderfotos von mir oder irgendwelche Familienmitglieder interessierte. Ich stellte mich zu ihm und bemerkte das eins der Fotos von der Wand genommen wurde. Überrascht bemerkte ich das er es in der Hand hielt und mit einer ernsten Miene das Bild anschaute.

"Tomy? Alles ok ?" ,leicht irritiert und doch besorgt schaute ich zu ihm hoch. Das Bild konnte ich nicht erkennen dafür war Tomy zu groß.

Langsam drehte er sein Gesicht nun zu mir und die Traurigkeit in seinem Blick berührte mich augenblicklich. Er hielt mir den Bilderrahmen jetzt hin und zeigte auf einen Punkt auf dem Bild.

Es handelte sich um ein älteres Bild. Darauf war meine Mutter zu sehen wie sie zwischen zwei Jungs stand, jeweils eine Hand auf der Schulter der Jungen die nicht älter wie 14 Jahre waren. Einer der Jungen schaute lächelnd zu meiner Mutter hoch während sie in die Kamera strahlte.

Ich kannte die Geschichte zu diesem Bild aus den Erzählungen meiner Mutter. Es stammte aus ihrem Dorf in Griechenland. Die Eltern dieser Jungs waren bei einem Feuer umgekommen. Als die Kinder in der Schule waren, gab es ein Hausbrand. Die Ursache konnte man damals nicht herausfinden. Meine Mutter arbeitete damals im Krankenhaus als Schwester und bekam somit das ganze Drama mit. Die Jungs hatten nur noch eine alte Oma als Verwandte, die kaum für sich selbst sorgen konnte geschweige denn den Jungs etwas bieten konnte. Meine Mutter entschloss zu helfen. Da sie noch bei Ihren Eltern wohnte teilte Sie ihr Gehalt Monate lang auf und spendete es der Familie. Sie unterstützte die alte Frau und ihre Enkel wo sie nur konnte, sorgte dafür das die Jungs die Schule nicht abbrachen. Sie wurden zur Familie.

"Meine Brüder" - hörte ich meine Mutter in meinen Erinnerungen sagen. Irgendwann lernte meine Mutter meinen Vater kennen, heiratete und zog nach Deutschland. Der Kontakt brach einige Zeit später ab, meine Mutter konnte von heute auf morgen niemanden mehr von dieser Familie erreichen. Sie wusste nur das die Oma verstorben war aber was mit den jungen Männern passierte wusste keiner im Dorf.

Was dieses Bild mit Tomy zu tun hatte, wollte mir nicht einleuchten. Ich schaute zu ihm hoch und bemerkten seinen fixierten Blick auf das Bild. Sein Finger immer noch auf dem Gesicht von einem der Jungs und die Schultern hängend, bot er ein sehr trauriges Bild.

Stirnrunzelnd blickte ich verwirrt auf das Foto und öffnete gerade mein Mund um was zu sagen als er seinen Finger vom Bild nahm und so tief seufzte das ich mich erschrak. Was ist mit dem los?

Plötzlich weiteten sich meine Augen und mein Herz machte einen Satz. Ich hob das Bild so weit an meine Nasenspitze das ich fast schon das Fenster berührte. Dabei fixierte ich mein Focus auf den Jungen der ernst in die Kamera schaute. Meine Mutter ignorierte ich gekonnt.

"Verdammte Scheiße!!", rief ich und blickte mit weit geöffneten Mund zu Tomy rüber der immer noch mit hängenden Schultern da stand aber jetzt sein Blick auf mich richtete.

"Wie kann das denn bitte sein??! Woher...?", verwirrt und ratlos schaute ich zwischen dem Jungen im Bild und Tomy hin und her. Eine Lache entwich meiner Kehle, das eher überrascht klang als amüsiert.

Ich hielt inne und schaute fordernd Tomy an als mir sein alles sagender Blick entgegenkam.

"Dein Ernst?!"

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Hallo meine Lieben, ich weiß das ich euch zurzeit immer ein wenig warten lasse und hoffe ihr seit mir nicht böse. Leider hat der Stress mich leicht im Griff.

Ich hoffe ihr seid trotzdem noch dabei und eure Spannung geht nicht verloren.

Was denkt ihr was hinter diesem Bild steckt? Was ist die Verbindung?? Seit ihr schon drauf gekommen??? Her mit euren Spekulationen ;)
Darauf freue ich mich am meisten!

Der nächste Kapitel ist on Work. Hoffe ich habe einen Vote verdient.

Eure Gökii

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