Kapitel 06 ~ Im Alptraum gefangen

Am nächsten Tag erwachte ich mit höllischen Kopfschmerzen in meinem Bett und starrte lange an die Decke des Schlafzimmers. Die Jalousien hatte ich unten gelassen, ich genoss die stille Dunkelheit, die um mich herrschte und den wirren Gedanken genügend Freiraum bot.

Nach und nach kamen einzelne Momente des vergangenen Abends wieder an die Oberfläche der Erinnerungen. Erschrocken wandte ich meinen Kopf und besah mir meinen Oberarm. Ich hatte tatsächlich einen beachtlich großen, dunkelblauen Fleck von Vlad's Griff nach behalten. Seufzend richtete ich mich auf, um endlich unter die Dusche zu schleichen und den restlichen Tag vor dem Fernseher zu verbringen.

Nachdem ich mich abgeduscht hatte, Kaffee getrunken hatte und mir eine Jogginghose anzog, ging es mir schon etwas besser. Als dann auch noch die Aspirin zu wirken begannen, schöpfte ich etwas neue Energie. Doch ein Blick aus dem Fenster, der einen wolkenverhangenen Himmel zeigte, bestärkte mich in meiner vorher getroffenen Entscheidung, heute Zuhause zu bleiben und ich ließ mich mit einem weiteren Kaffee auf mein Sofa fallen.

Ich schaltete den Fernseher an und lies den Musiksender laufen, um wieder ein wenig abschalten zu können. Was um alles in der Welt hatte Vlad sich bloß gedacht? So konnte er nicht mit mir umgehen, ich war nicht sein Eigentum und ich hatte auch nicht vor, es zu werden! Wieder entkam ein tiefer Seufzer meinen Lippen und wütend blickte ich die Moderatorin an, die gerade 'Thinking out Loud' von Ed Sheeran ankündigte. Na klasse! Das war doch genau das Lied, zu welchem Vlad mich gestern auf die Tanzfläche geführt hatte und mit mir tanzte!

Es war wirklich schön gewesen, doch ich war zu sauer, als das ich daran denken wollte, also schaltete ich den Fernseher wieder aus. Klasse, sogar Unterhaltung verdarb er mir! Ich stand auf, um aus dem Fenster, auf die Straße zu sehen. Ich weiß selbst nicht genau, was mich dazu verleitete, doch ich tat es und was ich dort unten sah, verschlug mir kurz den Atem. Noch immer stand der schwarze Hummer von Vlad dort unten am Straßenrand! Ich konnte nicht einmal genau sagen, ob er dort noch immer stand, oder ob er wieder gekommen war. Vorsichtig schob ich die Vorhänge vor die Fensterscheiben. Aus irgendeinem Grund machte er mir Angst, sicherlich nicht zuletzt wegen meiner wirren Träume, in denen er mich meist jagte, oder seine Stimme aus der Dunkelheit zu mir drang.

Verwirrt und sprachlos setzte ich mich wieder auf mein Sofa, um erneut sinnlos fernzusehen. Irgendwann würde er sicherlich aufgeben und fortfahren. Doch er tat es nicht. Beinahe jede halbe Stunde lukte ich hinter den Vorhängen vor und jedes mal sah ich den dunklen Wagen am Straßenrand stehen. Vielleicht war er ja zu Fuß nach hause gegangen? Schließlich hatte er auch einiges an Alkohol getrunken, doch eine Bewegung im Auto vernichtete diese Hoffnung, er war tatsächlich dort unten. Und auch nach drei weiteren Stunden war er noch dort. Langsam dämmerte es und die Straßenlaternen erleuchteten die Dunkelheit. Es brachte nichts. So langsam tat er mir wirklich leid, wahrscheinlich saß er seit gestern Nacht dort unten in seinem Wagen.

Ich zog mir also Schuhe an und schnappte mir meine Lederjacke, um hinunter zugehen und ihn endlich heimzuschicken.

Es kostete mich einiges an Mut, die Haustür zur Straße hin zu öffnen, doch ich tat es und trat in das Licht der Laterne, die direkt vor mir stand. Vlad's Wagen stand wenige Meter von mir entfernt, auf der anderen Straßenseite. Die Fensterscheibe der Fahrerseite war heruntergelassen und mit starrem Blick musterte er mich. Er hatte manchmal wirklich etwas unheimliches an sich.

Langsam nährte ich mich dem Auto und hielt wenige Schritte vor ihm.

„Was machst du denn noch hier Vlad?" , fragte ich leise, nachdem wir uns einige Zeit lang anstarrten und mein Herz bereits Purzelbäume schlug vor Aufregung.

„Ich wollte sicher sein, das es dir gut geht, nach gestern Nacht." , flüsterte er niedergeschlagen.

„Nun, es geht mir gut." , sagte ich atemlos, denn sein trauriger Blick lies sämtliche Wut verrauchen. Verdammt!

„Bist du dir da sicher?" , fragte er noch einmal nach.

„Öhm, ja. Also. Ich habe ziemliche Kopfschmerzen, wenn du das meinst." , lachte ich.

„Dein Arm?" Sofort herrschte eisiges Schweigen. Gern hätte ich ihm den riesigen blauen Fleck auf meinem Arm gezeigt, doch ich brachte es einfach nicht übers Herz.

„Tut kaum noch weh. Es ist in Ordnung, Vlad." , sagte ich stattdessen, doch sein Blick verriet mir, dass er es nicht glaubte. Verdammt! Eigentlich sollte ich unsagbar wütend auf diesen Kerl sein und meine Alarmsignale beachten, die mich eindeutig vor ihm warnten, doch irgendwie schaffte er es, mich vom Gegenteil zu überzeugen.

„Wie lange bist du schon hier?" , fragte ich ihn, um vom Thema abzulenken.

„Ich war nicht fort."

„Das ist lange ... Vlad, ich... Hör zu, ich bin wirklich ziemlich sauer ... denke ich. Das was du gestern Abend getan hast, war nicht in Ordnung. Aber ..." , begann ich, doch er unterbrach mich.

„Mina, du hast recht. Du solltest nicht bei mir sein. Es kann gefährlich werden. Geh wieder rein, ich werde nach Hause fahren." Er sagte es, ohne mich anzusehen und plötzlich überkam mich eine gewaltige Welle der Angst, diesen Mann niemals wieder zu sehen.

„Nein Vlad! Das ist doch Quatsch! Was hältst du davon, wenn du mit mir hoch kommst und erst einmal etwas trinkst?" , brachte ich hervor und entlockte ihm tatsächlich ein kleines Lächeln. Doch noch immer sah er mich nicht an, sein starrer Blick auf die Straße vor ihm gerichtet.

„Vlad?" , fragte ich nach einiger Zeit der Stille.

„Ja, ich sollte etwas trinken." , sagte er ruhig und endlich richtete er seine grünen Augen wieder auf mich.

„Komm mit mir." , seufzte ich und rang mir ein Lächeln ab.

„Na schön. Ich hab dich ja gewarnt." Er stieg aus dem Auto und stand schneller als ich schauen konnte direkt vor mir. Sofort übermannte mich sein Duft und nahm mich gänzlich ein. Es war unglaublich. Jeder andere Mensch hätte nach einer solchen Nacht im Auto schrecklich ausgesehen, nicht aber Vlad! Nicht einmal Augenringe waren in seinem schier makellosen Gesicht zu erkennen.

„Nach dir." , hauchte er mir entgegen und ich schaffte es gerade noch, mich von ihm abzuwenden und voran zu gehen.

In meiner Wohnung angekommen, schmiss ich meine Lederjacke und die Schuhe in hohem Bogen von mir und lächelte ihn an.

„In Ordnung. Schuhe aus, dann darfst du ins Wohnzimmer. Was magst du denn trinken?" , fragte ich betont gut gelaunt, um die schlechte Stimmung zu vertreiben. Etwas verwirrt blickte Vlad mich an.

„Nur ein Wasser bitte."

„Gern." Ich ging in die Küche, um ihm ein Glas Wasser zu holen und mir ein wenig vom frisch gepressten Orangensaft. Mit zwei Gläsern beladen kam ich zurück ins Wohnzimmer und setzte mich zu meinem Gast. Es war eine befremdliche Situation, ihn hier sitzen zu haben, irgendwie intimer, als zuvor in die Küche, am Tisch.

„Danke." sagte er und nahm das Wasser entgegen. Noch immer musterte er mich mit einem leicht amüsierten Blick. Dann fiel es mir auf! Ich trug noch immer die Jogginghose und das Schlabbershirt, welches ich häufig zum Schlafen anhatte! Leicht entsetzt sah ich an mir herab. Oh nein ... Das war natürlich ein etwas anderer Anblick, als der, dem ich ihm gestern Abend in dem grünen Kleid geboten hatte.

„Ich, also... ich hatte nicht mit Besuch gerechnet." , gab ich kleinlaut zu, um den Aufzug irgendwie zu erklären.

„Ich finde du siehst großartig aus." , sagte er bloß und schaffte es damit, meine Unsicherheit gekonnt zu überspielen.

„Zeig mir bitte deinen Arm."

„Vlad. Bitte. Es ist nichts."

„Dann kannst du ihn mir ja zeigen."

Seufzend zog ich den Ärmel meines Shirts hinauf, um den Oberarm freizulegen, der mittlerweile einen beachtlich dunklen Farbton angenommen hatte.

„Es tut mir leid, Mina." , sagte Vlad, der schockiert meinen Arm betrachtete. „Ich wollte das nicht. Ich war wütend. Dieser Aidan treibt mich in den Wahnsinn. Dir wollte ich nicht wehtun, das musst du mir glauben."

„Ich glaube dir, Vlad. Aber ich verstehe nicht ganz, weshalb du so wütend warst." , sagte ich und krempelte den Ärmel schnell wieder runter, um den Fleck zu verbergen.

„Das ist schwer zu erklären."

„Versuch es." , sagte ich so sanft wie möglich und rückte ein Stück an ihn heran. Sodass sich unsere Knie berührten.

„Mina, ich ... ich kann dir nicht alles erklären. Es ist sehr kompliziert und ich ... wenn ich es dir sage, dann wirst du gehen." Es kostete ihn eine Menge Überwindung, überhaupt etwas zu sagen, doch ich wollte mich noch nicht zufrieden geben, mit dem was ich zuhören bekam.

„Bist du ein Schwerverbrecher?" , fragte ich ihn und musste selbst etwas schmunzeln, doch sein Blick und seine ernste Tonlage ließen mich bald erschaudern.

„Schlimmer als das, Mina. Versteh doch, ich kann nicht."

Nun wurde mir doch etwas bang. Was war denn schlimmer als ein Schwerverbrecher? Vieles blieb da nicht über. Vor Aufregung und Angst schlug mein Herz so schnell, dass ich jeden verdammten Schlag spürte und beinahe vergaß zu atmen.

„Was hast du getan?" , fragte ich atemlos.

Schmerzverzerrt schloss er die Augen, bevor er mich verzweifelt ansah. „Ich habe getötet."

Es war als hallten diese drei Worte immer und immer wieder in meinem Kopf.

„Du hast einen Menschen getötet?"

„Einen? Nein. Unzählige!" Und dann sprang er plötzlich und ohne Vorwarnung von meinem Sofa auf und stand mitten in meinem Wohnzimmer, welches für diesen Mann deutlich zu klein erschien. Am ganzen Körper bebend sah er mich an, seine Hände zu Fäusten geballt.

„Ich bin ein verdammter Massenmörder! Ich töte, weil es mir Spaß macht, Mina! Ich töte, um selbst am Leben zu bleiben!" , er schrie die Worte, die für mich so wenig Sinn ergaben. Mit offenem Mund starrte ich ihn an. Ich konnte nicht reagieren, konnte nichts sagen. Was hatte das zu bedeuten?

„Ich wollte auch dich töten."

„Warum hast du es nicht getan?" , brachte ich tonlos hervor.

„Weil ich dich mehr brauche, als das Blut."

„Blut?"

„Ja, Mina. Blut." , sagte er und was dann geschah, ließ mich glauben, in einem meiner Alpträume gefangen zu sein. Vor meinen Augen, in meinem Wohnzimmer, flogen urplötzlich hunderte von Fledermäusen herum und schlugen mit ihren Flügeln gegen meine Wände, gegen meine Schränke und in mein Gesicht. Schreiend riss ich die Arme vor mein Gesicht, doch so plötzlich, wie sie gekommen waren, verschwanden die Tiere auch wieder und Vlad tauchte auf. „Was war das?" , fragte ich mit Tränen in den Augen.

„Was glaubst du?" , vorsichtig machte er einige Schritte auf mich zu, doch ich wich sofort zurück, bis ich gegen die Lehne meiner Couch stieß.

„Was ich glaube, ist unmöglich." , brachte ich hervor.

„Dann glaubst du das Richtige."

Und plötzlich veränderte sich sein Gesicht zu einer schrecklichen Fratze. Seine Augen verdunkelten sich, bis sie schwarz waren und seine Eckzähne wuchsen auf doppelte Länge. Vor mir stand nicht länger der Vlad, den ich zu kennen geglaubt hatte.

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